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»Wo kommt das ganze Zeug her?« Entsetzt inspizierte Harry ihre Rumpelkammer.

Die Bezeichnung Rumpelkammer wurde dem Raum nicht ge­recht, einer mit Holzlatten verkleideten, geschlossenen rückwär­tigen Veranda, komplett mit schlichten Holzhaken für Mäntel, einem schweren, schmiedeeisernen Stiefelabstreifer, einem großen Stiefelknecht und einem langen, massiven Eichentisch. Dunkelgrün und ocker gestrichene quadratische, gleich große Platten verliehen dem Fußboden Glanz. Die letzte Gelegenheit, den Schmutz abzustreifen, bot eine dicke Fußmatte mit der Auf­schrift »Willkommen« an der Tür zur Küche.

Zweimal im Jahr kriegte Harry den Rappel, die Veranda auf­zuräumen. Das Werkzeug wurde einfach an die Wand gehängt oder in den Stall gebracht, je nachdem, wohin es ursprünglich gehörte. Die Kartons mit Zeitschriften, Briefen und alten Klei­dern mußten aussortiert werden.

Mrs. Murphy scharrte in dem Zeitschriftenkarton herum. Das Geräusch von Pfoten auf teurem Glanzpapier entzückte sie. Tucker begnügte sich damit, die alten Kleider zu beschnuppern. Wenn Harry ein Sweatshirt oder eine alte Jeans in einen Karton warf, dann waren die Sachen wirklich alt. Sie war dazu erzogen worden, alles aufzubrauchen und aufzutragen, sich zu beschei­den oder zu verzichten. Die Kleider wurden zu Putzlappen für den Stall zerschnitten. Was dann noch übrigblieb, warf Harry weg, aber sie gelobte sich, daß sie eines Tages lernen würde, Flickenteppiche zu machen, um die Reste verwerten zu können.

»Was gefunden?« fragte Tucker Mrs. Murphy.

»Jede Menge alte >New-Yorker<-Ausgaben. Sie sieht einen Artikel, den sie lesen will, hat keine Zeit, ihn gleich zu lesen, und hebt die Zeitschrift auf. Ich wette mit dir um einen Hunde­knochen, daß sie sich jetzt auf die Erde setzt, die Zeitschriften durchsieht und die Artikel herausreißt, die sie aufheben will, so daß sie immer noch einen Stapel zu lesen hat, aber keinen so dicken mehr, wie wenn sie die vollständigen Zeitschriften auf­bewahren würde. Wenn sie nicht im Postamt arbeitete, in der Klatschzentrale, dann würde sie in der Bücherei arbeiten wie früher ihre Mutter.«

»Und ich wette, das kaputte Zaumzeug ist das erste, was sie sich vornimmt. Das Kopfstück muß ersetzt werden. Sie wird es in die Hand nehmen, etwas murmeln und es dann in den Koffer­raum legen, um es zu Sam Kimball zu bringen.«

»Kann sein. Das geht wenigstens schnell. Wenn sie ihre Nase erst in ein Buch oder eine Zeitschrift gesteckt hat, braucht sie ewig.«

»Meinst du, sie vergißt das Abendessen?«

»Tucker, du bist genauso schlimm wie Pewter.«

»Sie hat uns beide getäuscht«, rief der Hund.

Mit einer Schere bewaffnet, begann Harry, die alten Kleider zu zerschneiden. »Mrs. Murphy, zerreiß die Zeitschriften nicht. Ich muß sie zuerst durchsehen.«

»Gib mir etwas Katzenminze. Ich bin bestechlich.« Mrs. Mur­phy scharrte und kratzte mit vermehrter Kraft.

Harry hörte zu schnippeln auf und griff sich den Zeitschrif­tenkarton. Er war schwerer als erwartet, deshalb stellte sie ihn wieder hin. »Fast hätte ich dich rausgeschüttelt.«

»Katzenminze.« Murphys Augen wurden groß, sie schlug in dem Karton einen Purzelbaum.

»Die reinste Akrobatin.« Harry stellte den Karton auf den Ei­chentisch. Murphy sah nach den Kräutern, die drinnen zum Trocknen aufgehängt waren. Ein großes Bund Katzenminze, mit den Blättern nach unten, verströmte einen süßen, verlockenden Duft. Murphy stürmte aus dem Karton, sprang hoch in die Luft und berührte die Spitze der Katzenminze. Ein bißchen höher, und sie hätte einen Volltreffer gelandet.

»Katzenminze.«

»Du bist drogensüchtig.« Harry lächelte und brach einen klei­nen Zweig ab.

»Juhuu.« Mrs. Murphy riß Harry die Katzenminze aus der Hand, warf sie auf den Tisch, kaute ein bißchen, wälzte sich darauf herum, warf sie in die Luft, fing sie auf, wälzte sich noch ein bißchen. Ihre Kaspereien eskalierten.

»Übergeschnappt. Du bist total verrückt, du willst dich wohl bei der Kunstflugstaffel der Blue Angels bewerben.« »Mutter, die ist immer so. Die Katzenminze verstärkt es nur. Ich dagegen, ich bin ein normaler, nüchterner Hund. Zuverläs­sig. Beschützer. Ich kann hüten und fangen und dir auf dem Fuße folgen. Selbst mit einem Knochen, den ich jetzt sehr zu schätzen wüßte, würde ich mich nie zu einem solch ungebärdi­gen Benehmen hinreißen lassen.«

»Verpiß dich«, fauchte Mrs. Murphy Tucker an. Das Kraut machte sie aggressiv.

»Wir wollen ja gerecht sein.« Harry ging in die Küche und holte einen Knochen für Tucker, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte.

Während die Tiere beschäftigt waren, wurde Harry mit dem Kleiderkarton fertig. Sie griff in den Karton mit den Zeitschrif­ten und blätterte die Inhaltsverzeichnisse durch. »Hmm. Den Artikel heb ich mal lieber auf.« Sie schnitt einen langen Aufsatz über die Amazonas-Regenwälder aus.

»Da kommt wer«, bellte Tucker.

»Halt die Klappe.« Murphy ließ den Kopf hängen. »Du tust meinen Ohren weh.«

»Freund oder Feind?« fragte die Corgihündin herausfordernd, als das Auto in die Zufahrt einbog.

»Glaubst du wirklich, ein Feind würde bis vor die Hintertür fahren?«

»Halt selber die Klappe. Ich tu meine Pflicht, und außerdem sind wir hier im Süden. Da benehmen sich alle Feinde wie Freunde.«

»Gut beobachtet«, stimmte die Katze zu, während sie sich aus ihrem Katzenminzerausch riß. »Es ist Little Marilyn. Was zum Teufel will die hier um sieben Uhr abends?«

»Komm rein!« rief Harry. »Ich mach meinen Frühjahrsputz, im August.«

Marilyn öffnete die Verandatür. »Du tust es wenigstens. Ich hab Unmengen Zeug zum Aussortieren. Ich komm nie dazu.«

»Wie wär's mit Eistee oder -kaffee? Ich kann auch eine schö­ne Kanne heißen Kaffee machen.«

»Nein danke.«

»Wenn du keinen Eistee brauchst, ich schon.« Harry legte die Schere hin.

Die beiden Frauen verzogen sich in die Küche. Harrys pein­lich saubere Küche duftete nach Muskat und Zimt. Harry war stolz auf ihre Ordnungsliebe. Auf irgendwas in der Küche muß­te sie schließlich stolz sein; denn mit ihren Kochkünsten war es nicht weit her.

»Milch oder Zitrone?« Harry ließ ein Nein nicht gelten.

»O danke. Zitrone. Ich halte dich von der Arbeit ab.« Marilyn war zappelig.

»Das kann warten. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen, da tut es gut, sich mal hinzusetzen.«

»Harry, wir sind nicht die besten Freundinnen, darum hoffe ich, du hast nichts dagegen, daß ich dich einfach so überfalle.«

»Ist in Ordnung.«

Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen, dann setzte sie sich. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vor zwei Wochen hat Kerry mich gebeten, ihr Geld zu leihen. Ich hab mich gewei­gert, auch wenn's mir schwerfiel, aber, nun ja, sie wollte drei­tausend Dollar.«

»Wozu?«

»Sie sagte, mit dem Krebs ihres Vaters würde es immer schlimmer. Wenn sie die Summe anlegen würde, könnte sie davon das bestreiten, was seine Versicherung nicht abdeckt. Sie sagte, sie würde den Gewinn mit mir teilen und das Grundkapi­tal in einem Jahr zurückzahlen.«

»Kerry ist viel raffinierter, als ich dachte.«

»Ja.« Little Marilyn saß stocksteif da.

»Hast du das Rick Shaw oder Cynthia erzählt?«

»Nein. Ich bin zuerst zu dir gekommen. Es hat mir keine Ruhe gelassen. Ich meine, sie steckt auch so schon tief genug drin.«

»Ja, ich weiß, aber. « Harry hob die Hände - »du mußt es ih­nen sagen.«

Mrs. Murphy, die auf der Arbeitsfläche saß, sagte: »Was denkst du wirklich, Marilyn?«

»Sie hat Hunger.« Harry stand auf und öffnete zwei Dosen für Mrs. Murphy und Tucker. Tucker schlang ihr Fressen hinunter, während Mrs. Murphy ihrs gesittet verzehrte.

»Danke, daß du mir zugehört hast. Wir sind früher so gute Freundinnen gewesen. Ich komme mir vor wie eine Verräterin.«

»Das bist du nicht. Und so entsetzlich so ein Prozeß ist, dafür sind die Gerichte da - wenn Kerry unschuldig ist, wird sie ver­schont. Das hoffe ich zumindest.«

»Kennst du nicht den alten Spruch? >Lieber dem Teufel in die Hände fallen als den Juristen.«« »Du glaubst, sie steckt da mit drin, stimmt's?« »Äh-hm.« Little Marilyn nickte, mit Tränen in den Augen.

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