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Der Hangar 17 der Langley Air Force Base in Virginia war hermetisch abgeriegelt. An seinen Toren standen vier bewaffnete Marineinfanteristen; in dem Gebäude lösten sich drei hohe Heeresoffiziere im Achtstundenturnus bei der Bewachung eines abgesperrten Raums ab. Keiner der Offiziere wußte, was sie hier eigentlich bewachten. Außer Ärzten und Wissenschaftlern waren erst drei Besucher in den abgesperrten Raum eingelassen worden.

Der vierte Besucher war eben angekommen und wurde von Brigadegeneral Paxton, dem für die Sicherheitsmaßnahmen zuständigen Offizier, begrüßt.»Willkommen in unserer Menagerie.«

«Ich bin schon sehr gespannt.«

«Sie werden nicht enttäuscht werden.«

An einem Ständer neben der einzigen Tür des abgesperrten

Raums hingen weiße Schutzanzüge.

«Bitte…«, forderte der Brigadegeneral den Besucher auf.

«Gewiß. «Janus schlüpfte wie Paxton in einen der Schutzanzüge. Jetzt war nur noch sein Gesicht hinter der Glasmaske zu erkennen. Nachdem sie ihre Ausrüstung mit Gummihandschuhen und Überschuhen vervollständigt hatten, begleitete der Brigadegeneral ihn zur Tür des abgesperrten Raums. Der Wachposten trat beiseite, und Paxton sperrte auf.

Janus trat ein und sah sich um. Vor ihm in der Mitte stand das Raumschiff. Auf weißen Autopsietischen an der Seitenwand des Raums lagen die Leichen der beiden toten Außerirdischen. Ein Gerichtsmediziner war gerade bei der Autopsie.

«Wir nehmen an, daß wir’s hier mit einem Erkundungsschiff zu tun haben«, erklärte Paxton Janus.»Und wir sind davon überzeugt, daß es direkt mit dem Mutterschiff Verbindung aufnehmen kann.«

Die beiden Männer traten näher heran, um das Raumschiff zu betrachten. Es hatte ungefähr zehn Meter Durchmesser. Sein muschelförmiges Inneres war zur Decke hin geöffnet, als sei dies die Ausstiegsluke, und enthielt drei Kontourliegen. Die Wände verschwanden hinter Paneelen mit eigenartig vibrierenden Metallscheiben.

«Bei vielem dort drinnen tappen wir noch im dunkeln«, räumte Brigadegeneral Paxton ein.»Aber was wir bisher rausgekriegt haben, ist teilweise erstaunlich genug. «Er deutete auf eine Art Kontrollpult vor einer der Liegen.»Es enthält ein integriertes optisches Weitwinkelsystem, ein Gerät, das wir vorläufig als Lebens-Scanner bezeichnen, ein Kommunikationssystem mit Stimmensynthesizer und ein Navigationssystem, das wir ehrlich gesagt noch nicht enträtselt haben. Wir vermuten, daß es mit elektromagnetischen Impulsen arbeitet.«

«Irgendwelche Waffen an Bord?«fragte Janus.

Brigadegeneral Paxton zuckte mit den Schultern.»Schwer zu sagen. Die Kapsel enthält ‘ne Menge Hardware, deren Zweck uns völlig schleierhaft ist.«

«Welche Antriebsquelle hat sie?«

«Soviel wir bisher beurteilen können, dient als Treibstoff einatomiger Wasserstoff in einem geschlossenen Kreislauf, so daß das als Abfallprodukt entstehende Wasser immer wieder in Wasserstoff umgewandelt werden kann. Mit dieser unerschöpflichen Kraftquelle hat das Schiff im interstellaren Raum freie Fahrt. Wahrscheinlich dauert es Jahre, bis wir alle Einrichtungen an Bord erforscht haben. Und wir haben eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Die beiden toten Außerirdischen sind auf ihren Liegen angeschnallt gewesen. Die gelösten Gurte der dritten Liege lassen jedoch darauf schließen, daß sie ebenfalls besetzt gewesen ist.«

«Soll das heißen, daß möglicherweise einer fehlt?«

«So sieht’s allerdings aus.«

Janus blieb einen Augenblick mit gerunzelter Stirn stehen.»Gut, sehen wir uns die Eindringlinge mal an«, schlug er dann vor.

Paxton und er gingen zu den Autopsietischen hinüber, auf denen die beiden Außerirdischen lagen. Janus betrachtete die seltsamen Gestalten. Kaum zu glauben, daß so fremdartige Gebilde intelligente Lebewesen sein sollten! Die Stirnen der Außerirdischen waren größer, als er erwartet hatte. Die Lebewesen waren völlig kahl und hatten weder Wimpern noch Augenbrauen. Ihre Augen erinnerten an Tischtennisbälle.

Der Arzt, der die Autopsie durchführte, meinte:»Wirklich faszinierend. Einem der Außerirdischen haben wir eine Hand abgetrennt. Blut ist keines ausgetreten, aber er scheint Adern und Venen zu haben, die eine grüne Flüssigkeit enthalten. Sie ist größtenteils ausgelaufen.«

«Eine grüne Flüssigkeit?«fragte Janus.

«Richtig. «Der Arzt zögerte.»Wir vermuten, daß diese… Lebewesen dem Pflanzenreich zuzuordnen sind.«

«Denkende Pflanzen? Ist das Ihr Ernst?«»Sehen Sie selbst. «Der Arzt griff nach einer Blumengießkanne und besprengte den Arm des Außerirdischen, an dem die Hand fehlte, mit klarem Wasser. Sekundenlang ereignete sich nichts. Aber dann quoll plötzlich grüne Materie aus dem Armstumpf und begann langsam, eine Hand zu bilden.

Die beiden Männer starrten den Arzt verblüfft an.»Jesus! Sind sie nun tot oder nicht?«

«Das ist eine interessante Frage. Sie sind nicht lebendig, aber es wäre verfrüht, sie als tot zu bezeichnen. Sie scheinen in eine Art Winterschlaf gefallen zu sein.«

Janus konnte immer noch nicht den Blick von der neugebildeten Hand abwenden.

«Viele Pflanzen lassen unterschiedliche Formen von Intelligenz erkennen«, fuhr der Arzt fort.

«Intelligenz?«

«O ja! Es gibt Pflanzen, die Angst zeigen; andere reagieren auf Hitze, Kälte oder Lärm. Wir sind gerade dabei, höchst interessante Versuche mit Pflanzen durchzuführen.«

«Die würde ich gern einmal sehen«, sagte Janus.

«Selbstverständlich. Ich kann gern alles Nötige veranlassen.«

Das riesige Treibhauslabor gehörte zu einem Komplex staatlicher Gebäude, der etwa 50 Kilometer außerhalb von Washington, DC, lag. Auf einer Tafel neben dem Eingang stand:

AHORNE UND FARNE SIND NOCH NICHT KORRUMPIERT,

ABER WENN SIE ZU BEWUSSTSEIN ERWACHEN, WERDEN

AUCH SIE OHNE ZWEIFEL SCHIMPFEN UND FLUCHEN.

RALPH WALDO EMERSON

NATURE, 1836

Professor Rachman, der Laborleiter, war ein ernster Mann von kleinem Wuchs, dem die Begeisterung für seine Arbeit aus den Augen leuchtete.»Schon Charles Darwin hat erkannt, daß

Pflanzen denken können. Und Luther Burbank hat den nächsten Schritt getan, indem er Verbindung mit ihnen aufgenommen hat.«

«Halten Sie das wirklich für möglich?«

«Wir wissen, daß das möglich ist. George Washington Carver hat in Kommunikation mit Pflanzen gestanden. >Berühre ich eine Blume, so berühre ich die Unendlichkeit hat Carver gesagt. >Blumen haben schon lange existiert, bevor es Menschen auf der Erde gegeben hat, und sie werden noch Millionen Jahre länger als der Mensch existieren. Durch die Blume spreche ich mit der Unendlichkeit.. <«

Janus sah sich in dem riesigen Treibhaus um: ein Meer von Pflanzen und exotischen Blumen in allen Regenbogenfarben. Die Wirkung der Düfte war atemberaubend.

«Alle diese Pflanzen können Liebe, Haß, Schmerz und Erregung empfinden — genau wie Tiere. Das hat Sir Chandra Bose nachgewiesen.«

«Wie weist man so etwas nach?«fragte Janus.

«Das demonstriere ich Ihnen gern. «Rachman trat an einen Tisch, auf dem neben Topfpflanzen ein Lügendetektor stand. Er legte die Elektroden an eine Pflanze an. Die Nadel des Lügendetektors befand sich in Ruhestellung.

«Jetzt passen Sie auf!«

Rachman beugte sich über die Pflanze und flüsterte:»Ich finde dich sehr schön. Du bist schöner als sämtliche anderen Pflanzen hier.«

Janus beobachtete, wie die Nadel kaum merklich ausschlug.

Plötzlich schrie Professor Rachman die Pflanze an:»Du bist häßlich! Ich reiß dich aus und laß dich verwelken!«

Die Nadel begann zu zittern und zuckte dann steil in die Höhe.

«Großer Gott!«flüsterte Janus.»Unglaublich!«

«Was Sie hier sehen«, erklärte Rachman,»entspricht dem Schrei eines Menschen. In Wissenschaftsmagazinen sind

Berichte über solche Experimente erschienen. Zu den interessantesten gehört ein Blindversuch mit sechs Studenten. Ohne daß die fünf anderen davon wußten, wurde einer von ihnen dazu bestimmt, einen Raum mit zwei Pflanzen zu betreten, von denen eine an einen Lügendetektor angeschlossen war. Der junge Mann hatte den Auftrag, die andere Pflanze völlig zu vernichten. Später wurden die Studenten einzeln in den Raum geschickt und gingen an den Pflanzen vorbei. Bei den Schuldlosen war kein Lügendetektorausschlag zu erkennen. Aber sowie der Schuldige erschien, schlug die Nadel heftig aus.«

«Unglaublich!«

«Aber wahr. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, daß Pflanzen auf verschiedene Arten von Musik reagieren.«

«Auf verschiedene Arten?«

«Ja. Bei einem Experiment am Temple Buell College in Denver sind gesunde Blumenpflanzen in drei getrennte Glaskästen gestellt worden. Der erste wurde mit dröhnend lauter Rockmusik beschallt, im zweiten war sanfte ostindische Sitarmusik zu hören, in dem dritten Kasten gab es keine Musik. Der Versuch wurde von einem CBS-Team mit Zeitrafferkameras aufgezeichnet. Nach vierzehn Tagen waren die Rockmusik ausgesetzten Blumen eingegangen, die Pflanzengruppe ohne Musik hatte sich normal entwickelt, und die Pflanzen, die mit der Sitarmusik beschallt worden waren, trugen wunderschöne, dem Lautsprecher zugewandte Blüten. Walter Cronkite hat den Film am 26. Oktober 1970 in seiner Nachrichtensendung gezeigt. «

«Soll das etwa heißen, daß Pflanzen Intelligenz besitzen?«

«Sie atmen, nehmen Nahrung auf und vermehren sich. Pflanzen können Schmerz empfinden und sich gegen Feinde verteidigen. Beispielsweise vergiften manche Arten den Boden um sich herum mit Terpentinen, um andere Pflanzen fernzuhalten. Andere scheiden Alkaloide aus, um für Insekten ungenießbar zu sein. Und wir haben nachgewiesen, daß Pflanzen durch

Pheromone miteinander kommunizieren.«

«Richtig, davon habe ich gehört«, stimmte Janus zu.

«Manche Pflanzen — beispielsweise die Venusfliegenfalle — sind Fleischfresser. Allein im Nordosten der USA wachsen über fünftausend blühende Pflanzen, die jeweils charakteristische Eigenschaften aufweisen. Das steht völlig außer Zweifel. Das Vorhandensein einer Intelligenz bei lebenden Pflanzen ist immer wieder bewiesen worden.«

Und der verschwundene Außerirdische läuft irgendwo frei herum, dachte Janus beunruhigt.

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