Das Taxi brachte Robert Bellamy nach Whitechapel. Die Fahrt führte durch die City, das Londoner Geschäftsviertel, nach Osten zur Whitechapel Road, die im vorigen Jahrhundert durch Jack the Ripper zu trauriger Berühmtheit gelangt war. Entlang der Whitechapel Road waren Dutzende von Verkaufsständen aufgebaut, an denen von Obst und Gemüse bis hin zu Kleidung und Teppichen alle möglichen Waren angeboten wurden.
Je näher sie Mothersheds Adresse kamen, desto verwahrloster wirkte das Viertel. Die ramponierten Klinkerfassaden der alten Häuser waren über und über mit Graffiti besprüht.
Schließlich erreichten sie die Adresse 213 A Grove Road. Nachdem Robert das Taxi bezahlt hatte, musterte er den häßlichen einstöckigen Bau. In einem dieser Apartments wohnte also der Mann, der eine vollständige Liste der Augenzeugen hatte, die Robert aufspüren sollte.
Als es klingelte, hockte Leslie Mothershed gerade im Wohnzimmer, betrachtete seinen Schatz und schwelgte in Träumen von Ruhm und Reichtum. Überrascht fuhr er hoch. Warum erfüllte ihn plötzlich diese unerklärliche Angst? Es klingelte ein zweites Mal. Hastig raffte Mothershed die kostbaren Bilder zusammen und eilte damit in seine Dunkelkammer. Nachdem er sie zwischen alten Abzügen versteckt hatte, ging er in die Diele hinaus und öffnete die Wohnungstür.
Ein Unbekannter stand vor ihm.
«Sind Sie Leslie Mothershed?«
«Ja. Was kann ich für Sie tun?«
«Darf ich hereinkommen?«
«Wozu? Worum geht’s überhaupt?«
Robert hielt ihm einen Dienstausweis des britischen Verteidigungsministeriums hin.»Ich bin dienstlich hier, Mr. Mothershed. Wir können uns bei Ihnen oder im Ministerium unterhalten. «Das war natürlich ein Bluff. Aber er sah, wie im Gesicht des Fotografen jähe Angst aufflammte.
Leslie Mothershed schluckte trocken.»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, aber… gut, kommen Sie rein.«
Robert ging durch die Diele und betrat das mit alten Möbeln vollgestellte Wohnzimmer. Keine Umgebung, in der er hätte leben mögen.
«Würden Sie mir jetzt bitte erklären, was Sie von mir wollen?«fragte Mothershed.
«Ich bin gekommen, um Sie wegen einiger Aufnahmen zu befragen, die Sie in der Schweiz von einem abgestürzten UFO gemacht haben.«
Mothershed starrte Robert einen Augenblick scheinbar überrascht an, bevor er sich ein Lächeln abrang.»Oh, die meinen Sie. Ich wollte, ich könnte sie Ihnen geben.«
«Sie haben also Aufnahmen gemacht?«
«Ich hab’s versucht.«
«Wie meinen Sie das?«
«Die verdammten Bilder sind nichts geworden. «Mothershed lachte nervös.»Der Kameraverschluß hat versagt. Das ist mir schon zum zweiten Mal passiert. «Er brabbelte übereifrig weiter.»Ich hab’ die Negative wegwerfen müssen. Alle total unterbelichtet! Bloß Material vergeudet! Und Sie wissen ja,
wie teuer heutzutage Filme sind.«
Er ist ein schlechter Lügner, dachte Robert.»Wirklich schade«, meinte er laut.»Die Aufnahmen hätten sehr nützlich sein können.«
Dann sah er sich um. Die Fotos und die Liste mußten hier irgendwo versteckt sein. Sie dürften nicht schwer zu finden sein. Offensichtlich bestand das Apartment aus Diele, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad. Robert war sich darüber im klaren, daß er den Mann nicht zwingen konnte, ihm das Material auszuhändigen. Er besaß keine legale Handhabe.
«Diese Aufnahmen wären ein Vermögen wert gewesen«, seufzte Mothershed.
«Erzählen Sie mir von dem Raumschiff«, forderte ihn Robert auf.
Mothershed schauderte zusammen. Die unheimliche Szene hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt.»Das vergess’ ich nie!«sagte er.»Das Schiff hat irgendwie… pulsiert, als sei es ein lebendes Wesen. Und in seinem Inneren haben zwei tote Außerirdische gelegen.«
«Können Sie mir irgend etwas über die Fahrgäste des Busses erzählen?«
Klar könnte ich das! dachte Mothershed triumphierend. Schließlich habe ich mir ihre Namen und Adressen notiert. »Nein, leider nicht. «Er sprach rasch weiter, um seine Nervosität zu verbergen.»Über die Fahrgäste kann ich Ihnen nichts erzählen, weil ich nicht mit diesem Bus gefahren bin und sie daher gar nicht kannte.«
«Ja, ich verstehe. Jedenfalls besten Dank für Ihre Hilfsbereitschaft, Mr. Mothershed. Tut mir leid, daß Ihre Aufnahmen nichts geworden sind.«
«Mir auch«, sagte Mothershed. Als die Tür sich hinter dem Fremden schloß, dachte er zufrieden: Geschafft! Ich hab ’ die Schweinehunde ausgetrickst!
Draußen im Flur inspizierte Robert das Schloß an der Wohnungstür. Ein Chubb — und noch dazu ein altes Modell, das er binnen Sekunden aufsperren konnte. Er würde das Apartment ab Mitternacht überwachen und darauf warten, daß Mothershed aus dem Haus ging. Wenn ich erst die Liste der Augenzeugen habe, ist alles weitere ein Kinderspiel.
Robert quartierte sich in einem kleinen Hotel in der Nähe von Mothersheds Wohnung ein und rief General Hilliard an.
«Ich habe den Namen des Engländers, General. Er heißt Leslie Mothershed und wohnt im Londoner Stadtteil Whitechapel. In der 213A Grove Road.«
«Ausgezeichnet. Ich sorge dafür, daß die zuständigen britischen Stellen mit ihm reden.«
BLITZMELDUNG
TOP SECRET ULTRA NSA AN DIREKTOR SIS PERSÖNLICH 1. AUSFERTIGUNG VON 1 AUSFERTIGUNG(EN)
BETREFF: OPERATION DOOMSDAY
3. LESLIE MOTHERSHED — WHITECHAPEL TEXTENDE
Reggie’s Fish and Chips Shop lag in einer kleinen Sackgasse an der Brompton Road. Die Gäste des kleinen Lokals waren vor allem Angestellte und Sekretärinnen aus der näheren Umgebung. Die Wände, an denen Fußballplakate hingen, waren seit dem Suezkrieg nicht mehr gestrichen worden.
Das Telefon hinter der Theke klingelte zweimal, bevor der Hörer von einem Hünen in einem schmuddeligen grauen Pullover abgenommen wurde.
«Reggie«, meldete er sich.
«Hier ist der Bischof.«
«Ja, Sir?«Reggie senkte seine Stimme zu einem Flüstern.»Unser Mann heißt Mothershed. Vorname Leslie. Wohnhaft in der 213A Grove Street. Dieser Auftrag muß rasch durchgeführt werden, verstanden?«
«Ist so gut wie erledigt, Sir.«