In Marseille klaute Robert ein Auto: einen in einer schwach beleuchteten Seitenstraße abgestellten Fiat 1800 Spider. Das Kabrio war abgesperrt, der Zündschlüssel steckte nicht. Kein Problem. Robert überzeugte sich, daß er nicht beobachtet wurde, schlitzte das Verdeck auf und schob seine Hand in den Wagen, um die Tür zu öffnen. Vom Fahrersitz aus griff er unters Instrumentenbrett und zog alle zum Zündschloß führenden Kabel ab.
Dann nahm er das dicke rote Kabel und berührte es nacheinander mit allen übrigen, bis die Kontrolleuchten aufflammten. Nachdem er diese beiden Drähte miteinander verbunden hatte, brachte er sie einzeln mit den restlichen zusammen, bis der Anlasser den Motor durchzudrehen begann. Robert gab leicht Gas, und der Motor sprang an. Sekunden später befand sich Robert auf dem Weg nach Paris.
In einem Pariser Vorort hielt Robert an einer Telefonzelle, wählte Li Pos Nummer und hörte die vertraute Stimme vom Tonband des Anrufbeantworters:
Guten Tag, Freunde. Leider bin ich augenblicklich nicht zu Hause, aber es besteht keine Gefahr, daß ich Ihren Anruf nicht beantworte. Warten Sie bitte zur Vorsicht den Signalton ab… Robert erkannte ihren privaten Code. Die Schlüsselwörter waren: Bedauern… Gefahr… Vorsicht.
Das Telefon wurde natürlich abgehört. Li Po hatte seinen Anruf erwartet und wollte ihn auf diese Weise warnen. Robert mußte ihn so schnell wie möglich erreichen. Dazu würde er einen anderen Code verwenden.
Robert ging die Rue du Faubourg Saint-Honore entlang. Auf dieser Straße war er damals auch mit Susan entlanggeschlendert… Hastig verscheuchte er diese Erinnerungen.
Etwa hundert Meter vom Verlagsgebäude der Zeitung Le Matin entfernt fragte Robert einen halbwüchsigen Jungen:»Möchtest du dir fünfzig Francs verdienen?«
Der Junge beäugte ihn mißtrauisch.»Womit?«
Robert zog einen vorbereiteten Zettel aus der Tasche und reichte ihn dem Jugendlichen zusammen mit drei FünfzigFranc-Scheinen.
«Du gehst zum Matin und gibst diese Anzeige auf. Der Rest des Geldes ist für dich.«
«D’accord.«
Robert beobachtete, wie der Junge das Gebäude betrat. Die Anzeige würde in der Morgenausgabe erscheinen. Ihr Text lautete: Tilly! Vater ist sehr krank und braucht dich. Bitte triff dich bald mit ihm. Mutter.
Danach konnte Robert nur noch abwarten. Er wagte nicht, sich ein Hotelzimmer zu nehmen. Ganz Paris erschien ihm wie eine tickende Zeitbombe.
Zweiundzwanzigster Tag Paris, Frankreich
Robert unternahm eine Stadtrundfahrt und verbrachte einige Stunden im Bois de Boulogne. Anschließend nahm er an einer Lichterfahrt auf der Seine teil und schloß sich danach einer Gruppe von Touristen an, die zur Mitternachtsshow ins Moulin Rouge fuhr. Die Show endete gegen zwei Uhr. Den Rest der Nacht verbrachte er mit einem Kneipenbummel durch Montmartre.
Die Morgenzeitungen würden nicht vor fünf Uhr in den Straßenverkauf kommen. Kurz vor fünf Uhr wartete Robert bereits an einem Zeitungskiosk. Ein roter Lieferwagen fuhr vor, und ein junger Mann warf einen Packen Zeitungen auf den Gehsteig. Robert verlangte den Matin und schlug den Anzeigenteil auf. Seine Anzeige stand unter Verschiedenes.
Mittags betrat Robert einen kleinen Tabakladen, in dem an einer Pinnwand private Kleinanzeigen hingen — Stellenangebote für Hauspersonal. Mietgesuche. Angebote von Wohngemeinschaften. Fahrradverkäufe. Ziemlich in der Mitte fand Robert die Nachricht, auf die er gewartet hatte: Tilly erwartet dringend deinen Besuch. Bitte 58 74 76 80 anrufen.
Li Po meldete sich beim ersten Klingeln.»Robert?«
«Zao, Po.«
«Mein Freund, du hältst mehr Leute auf Trab als der französische Präsident. Was hast du angestellt? Nein, sag’s mir lieber nicht. Jedenfalls ist die Sache verdammt ernst. Mein Telefon in der Botschaft wird überwacht, mein Privatanschluß wird abgehört, meine Wohnung wird observiert. Ich bin systematisch nach dir ausgefragt worden.«
«Po, hör zu, ich…«
«Nicht am Telefon! Weißt du noch, wo Me-ying wohnt?«
Li Pos Freundin.
«Ja.«
«Wir treffen uns dort in einer halben Stunde.«
«Danke. «Robert war sich sehr wohl darüber im klaren, in welche Gefahr Li Po sich damit begab.
Das Apartment lag in einem ruhigen Pariser Arrondissement in der Rue Benouville. Als Robert dort ankam, hatte der Himmel sich mit dunklen Regenwolken bedeckt, und er hörte fernes Donnergrollen. Er fuhr in den dritten Stock hinauf und klingelte an der Wohnungstür. Li Po machte ihm sofort auf.
«Herein mit dir«, sagte er.»Schnell!«Er sperrte die Tür hinter Robert ab.
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
«Po, weißt du, was eigentlich los ist, verdammt noch mal?«
Der Chinese musterte ihn einen Augenblick.»Hast du schon mal von der Operation Doomsday gehört?«
Robert runzelte die Stirn.»Nein. Hat sie denn irgendwas mit UFOs zu tun?«
«Sie hat fast ausschließlich mit UFOs zu tun. Die Welt steht vor einer Katastrophe, Robert.«
Li Po begann zwischen Tür und Fenster auf und ab zu gehen.
«Außerirdische Lebewesen kommen auf unseren Planeten, um uns zu vernichten. Vor fünf Jahren sind sie auf der Erde gelandet und haben in Gesprächen mit Regierungsvertretern gefordert, die Industrienationen müßten alle Kernkraftwerke abschalten und die Verwendung fossiler Brennstoffe einstellen. Sie behaupten, wir vergifteten die Atmosphäre, die Böden und die Meere… Sie fordern, daß wir aufhören, Waffen herzustellen und Kriege zu führen.«
«Po.«
«Eine Gruppe von einflußreichen Männern aus einem Dutzend Staaten hat sich zusammengeschlossen — führende Industrielle aus den USA, Japan, Europa, Rußland und China… Ein Mann mit Decknamen Janus hat die Operation Doomsday — die Zusammenarbeit von Geheimdiensten in aller Welt — organisiert, um die Außerirdischen zu stoppen. «Er blieb stehen und drehte sich nach Robert um.»Du weißt, was man unter SDI versteht?«
«Reagans >Strategic Defense Initiative««, antwortete Robert.»Ein Satellitenabwehrsystem im Weltraum gegen sowjetische Raketen.«
Li Po schüttelte den Kopf.»Nein, das wurde nur zur Tarnung behauptet. SDI ist nicht zur Abwehr russischer Raketenangriffe entwickelt worden. Es wird speziell zur Bekämpfung von UFOs aufgebaut. Das ist unsere einzige Chance, die Außerirdischen zu stoppen.«
Robert schwieg benommen und versuchte die Tragweite dessen zu begreifen, was sein Freund gesagt hatte. Das Donnergrollen wurde immer lauter.»Soll das heißen, daß die Regierungen hinter diesem…?«:
«Nein, aber die Verschwörer sitzen in allen Regierungen. Die Operation Doomsday ist eine private Initiative. Begreifst du jetzt, was gespielt wird?«
«Großer Gott! Die Regierungen wissen nicht, daß. «Er sah zu Li auf.»Po, wie… woher weißt du das alles?«
«Ganz einfach, Robert«, sagte Li gelassen,»weil ich China im Koordinationsausschuß vertrete. «Er hielt plötzlich eine Beretta in der Hand.
Robert starrte auf die Waffe.»Po…!«:
Ein Blitz erhellte den Himmel, als Li Po abdrückte. Der Knall des Schusses ging in einem ohrenbetäubenden Donnern unter.