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Dreiundzwanzigster Tag Paris, Frankreich

Er rief Admiral Whittaker aus Dr. Hilsingers Praxis an.

Die Stimme des Alten klang ziemlich erregt.»Robert! Was ist passiert? Wie ich höre, sollen Sie…«

«Später, Admiral. Ich brauche jetzt dringend Ihre Hilfe. Haben Sie jemals von einem gewissen Janus gehört?«

«Janus?«wiederholte Admiral Whittaker langsam.»Nein, der Name sagt mir nichts.«

«Ich habe rausgekriegt, daß er eine Art Geheimbund leitet, der unschuldige Menschen umbringt — und jetzt hat er’s auf mich abgesehen. Wir müssen ihn daran hindern, weiter zu morden.«

«Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen?«

«Ich muß den Präsidenten sprechen. Könnten Sie das arrangieren?«

Am anderen Ende der Leitung herrschte kurzes Schweigen.»Das läßt sich bestimmt machen.«

«Und noch etwas: General Hilliard ist in diese Sache verwik-kelt.«

«Was? Wie…?«

«Er ist nicht der einzige. Auch die meisten europäischen Geheimdienste sind an dieser Verschwörung beteiligt. Für weitere Erklärungen habe ich im Augenblick keine Zeit. Ich möchte, daß Sie General Hilliard anrufen. Sagen Sie ihm, daß ich eine elfte Zeugin aufgespürt habe.«

«Wie meinen Sie das? Eine elfte Zeugin in welcher Sache?«

«Tut mir leid, Admiral, aber das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären. Hilliard wird schon wissen, was ich meine. Ich möchte, daß er sich mit mir in der Schweiz trifft.«

«In der Schweiz?«

«Sagen Sie ihm, daß ich als einziger weiß, wo diese elfte Zeugin sich aufhält. Sollte er versuchen, mich reinzulegen, ist unsere Vereinbarung hinfällig. Er soll nach Zürich ins Grandhotel Dolder kommen. Dort liegt ein Brief mit weiteren Anweisungen für ihn bereit. Und sagen Sie ihm, ich erwarte von ihm, daß er Janus mitbringt!«

«Robert, wissen Sie denn wirklich genau, was Sie tun?«

«Nein, Sir, das weiß ich nicht. Aber dies ist meine einzige Chance. Meine Bedingungen sind also folgende. Erstens: Ich verlange freie Fahrt in die Schweiz. Zweitens: Ich will, daß General Hilliard und Janus sich dort mit mir treffen. Drittens: Nach diesem Treffen bestehe ich auf einem Gespräch mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten.«

«Ich tue, was ich kann, Robert. Wo sind Sie zu erreichen?«

«Ich rufe wieder an. Wieviel Zeit brauchen Sie?«

«Lassen Sie mir eine Stunde Zeit.«

«Einverstanden.«

«Robert…«Die Besorgnis in der Stimme des alten Mannes war unüberhörbar.»Passen Sie gut auf sich auf!«

«Keine Angst, Sir. Ich bin ein Überlebenskünstler. Hatten Sie das vergessen?«

Nach einer Stunde telefonierte Robert Bellamy erneut mit dem Admiral.

«Ihre Bedingungen sind akzeptiert. Die Nachricht von einer weiteren Zeugin hat General Hilliard ziemlich mitgenommen. Er hat mir sein Wort gegeben, daß die Jagd auf Sie abgeblasen wird. Hilliard trifft morgen abend in Zürich ein.«

«Und Janus?«

«Janus fliegt in seiner Maschine mit.«

Eine ungeheure Erleichterung erfüllte Robert.»Danke, Admiral. Und der Präsident?«

«Mit dem habe ich selbst gesprochen. Seine Mitarbeiter ha-ben Anweisung, ein Treffen zu arrangieren, wann immer Sie’s wünschen.«

Gott sei Dank!

«General Hilliard stellt ein Flugzeug, das Sie.«

«Kommt nicht in Frage!«Er hatte nicht die Absicht, in irgendein Flugzeug zu steigen.»Ich bin in Paris. Ich verlange einen Wagen, den ich selbst fahren werde. Ich möchte, daß er in einer halben Stunde vor dem Hotel Littre am Montparnasse bereitsteht.«

«Gut, ich sorge dafür.«

«Admiral…«Robert hatte Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu behalten.»Vielen Dank für alles.«

Robert Bellamy ging die Rue Littre entlang. Wegen seiner Schmerzen konnte er sich nur langsam vorwärtsbewegen.

Unmittelbar vor dem Eingang des Hotels stand ein schwarzer Mercedes 190E. Der Wagen war leer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte ein blau-weißer Streifenwagen. Am Steuer saß ein uniformierter Polizeibeamter. Auf dem Gehsteig standen zwei Zivilisten, die Robert entgegensahen. Französischer Geheimdienst.

Roberts Atem stockte. Sein Herz begann wild zu hämmern. War er dabei, in eine Falle zu gehen? Seine einzige Lebensversicherung war die geheimnisvolle elfte Zeugin. Wenn aber Hilliard ihm nun nicht glaubte?

Er ging auf die Limousine zu und wartete darauf, daß die Männer sich in Bewegung setzen würden. Aber sie blieben stehen und beobachteten ihn schweigend.

Robert trat an die Fahrertür und sah in den Mercedes. Der Zündschlüssel steckte. Er glaubte, die auf ihn gerichteten Blicke der Männer zu spüren, als er die Tür öffnete und sich ans Steuer setzte. Einen Augenblick lang starrte er auf den Zündschlüssel. Falls General Hilliard den Admiral reingelegt hat, endet im nächsten Augenblick alles mit einer gewaltigen

Detonation.

Okay, also los! Robert griff mit der linken Hand durchs Lenkrad und drehte den Zündschlüssel nach rechts. Der Motor sprang seidenweich an. Die Geheimagenten sahen regungslos zu, wie Robert davonfuhr. An der ersten Kreuzung setzte sich ein Streifenwagen vor ihn. Robert erstarrte. Doch im nächsten Augenblick schalteten die Polizisten ihr Blinklicht ein, das ihnen freie Fahrt verschaffte. Eine Polizeieskorte!

Dann hörte Robert über sich das Knattern eines Hubschraubers. Er sah durchs geöffnete Schiebedach nach oben. Die Maschine trug die Abzeichen der französischen Gendarmerie Nationale. General Hilliard tat alles Menschenmögliche, um dafür zu sorgen, daß er die Schweiz sicher erreichte. Und sobald ich ihm die elfte Zeugin vorgeführt habe, dachte Robert grimmig, wird er mich umlegen lassen wollen. Aber ich habe noch einen Trumpf in der Hinterhand

Kurz nach 16 Uhr erreichte Robert die Schweizer Grenze. Dort kehrte der französische Streifenwagen um, und ein Schweizer Streifenwagen übernahm die Eskorte. Zum ersten Mal seit Tagen begann Robert, sich etwas zu entspannen. Ein Glück, daß ich Admiral Whittaker auf meiner Seite habe! Nachdem der Admiral auf seine Bitte hin den Präsidenten eingeschaltet hatte, würde General Hilliard nicht wagen, ihn liquidieren zu lassen.

Seine Gedanken wandten sich der Frau in Weiß zu, und im selben Augenblick hörte er ihre Stimme. Sie hallte durchs Wageninnere.

Beeil dich, Robert. Wir erwarten dich.

In Zürich fuhr Robert beim Grandhotel Dolder vorbei und hinterließ an der Rezeption eine mühsam mit der linken Hand gekritzelte Mitteilung an Hilliard.

Draußen trat Robert Bellamy an den Streifenwagen, der ihn bisher eskortiert hatte. Er beugte sich zum offenen Fahrerfenster hinunter.»Von hier an verzichte ich dankend auf Ihre Begleitung. «

Der Fahrer zögerte.»Wie Sie wünschen, Commander«, meinte er dann.

Robert setzte sich wieder ans Steuer und fuhr in Richtung Uetendorf, wo das UFO abgestürzt war.

Die Dörfer schienen vorbeizufliegen, und die unberührte Schönheit der Alpen ließ nicht ahnen, wieviel Schrecken, wieviel Blutvergießen hier seinen Anfang genommen hatte. Als der Wagen sich Thun näherte, begann Roberts Herz rascher zu schlagen. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Wiese, auf der Beckermann und er den Wetterballon gefunden hatten.

Robert Bellamy hielt am Straßenrand und schickte ein stummes Stoßgebet gen Himmel. Dann stieg er aus, überquerte die Straße und stieg den kleinen Hügel zu dem Wäldchen hinauf, hinter dem die Absturzstelle lag.

Tausend Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf. Der Anruf um vier Uhr morgens, mit dem er nach Fort Meade bestellt worden war. General Hilliards Worte: Sie müssen diese Zeugen finden. Jeden einzelnen! Die Suche nach den Zeugen, die ihn von Zürich nach Bern, London, München, Rom und Orvieto, von Waco nach Fort Smith, von Kiew nach Washington und Budapest geführt hatte. Die entsetzliche Erkenntnis, daß er unwissentlich zum Komplicen von Mördern geworden war, und seine Flucht von Italien nach Frankreich.

Und nun kehrte er zu dem Ort zurück, an dem das Unheil begonnen hatte.

Sie wartete auf ihn — strahlend schön, wie er sie im Traum gesehen hatte.

Ich danke dir, daß du gekommen bist, Robert.

Hatte er sie tatsächlich sprechen gehört — oder hörte er ihre

Gedanken? Wie redete man mit einem außerirdischen Lebewesen?

«Ich mußte kommen«, sagte er einfach. Die Szene hatte etwas völlig Irreales an sich. Hier stehe ich und spreche mit einem Wesen aus einer anderen Welt. Ich müßte entsetzt oder zumindest ängstlich sein — aber statt dessen ist mir wohler als jemals zuvor in meinem ganzen Leben.»Ich muß dich warnen«, fuhr Robert fort.»Bald werden einige Männer hier sein, die dich quälen oder töten werden. Wenn sie kommen, solltest du lieber nicht mehr dasein.«

Ich kann nicht fort.

Und Robert verstand, was sie meinte. Er griff mit der linken Hand in die Jackentasche und holte das kleine Metallteil mit dem Kristall heraus.

Sie lächelte wieder. Ich danke dir, Robert.

Robert gab ihr das Teil und sah zu, wie sie es in ein Gerät einfügte, das sie in der Hand hielt.

«Was passiert jetzt?«fragte er.

Jetzt kann ich mit meinen Freunden in Verbindung treten. Sie werden kommen, um mich abzuholen.

Schwang in diesem Satz eine Drohung mit? Robert erinnerte sich an General Hilliards Worte: Die Außerirdischen existieren wirklich, und wir sind ihnen hilflos ausgeliefert. Sie bereiten sich darauf vor, uns zu unterjochen. Was war, wenn Hilliard recht hatte? Wenn die Außerirdischen tatsächlich die Menschheit unterjochen wollten?

Robert Bellamy sah auf seine Armbanduhr. General Hilliard und Janus mußten bald eintreffen. Im selben Augenblick hörte er das Rotorengeräusch eines von Norden anfliegenden Hubschraubers. Nur wenig später kam eine Bell 212 Twin Huey in Sicht.

Deine Freunde sind da.

Freunde! Sie waren seine Todfeinde, und er war entschlossen, sie als Mörder zu entlarven, sie zu vernichten.

Der Hubschrauber setzte zur Landung an.

In wenigen Sekunden würde er Janus gegenüberstehen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit mörderischem Zorn.

Die Kabinentür des Hubschraubers wurde geöffnet. Susan stieg aus.

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