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Seitdem Pier im Fernsehen das Fahndungsbild Robert Bellamys gesehen hatte, wußte sie, daß sie reich werden würde. Wenn Interpol nach Robert fahndete, würde für sachdienliche Hinweise bestimmt eine riesige Belohnung ausgesetzt sein. Und sie war die einzige, die wußte, wo er steckte! Deshalb stand die Belohnung ganz allein ihr zu. Daß sie Robert dazu überredet hatte, mit ihr nach Neapel zu kommen, wo sie ihn im Auge behalten konnte, war ein Geniestreich gewesen.

«Interpol-Außenstelle Rom«, meldete sich eine Männerstimme am Telefon.

Pier blickte rasch zum Wagen, um sich davon zu überzeugen, daß Robert noch an der Zapfsäule stand.»Sie fahnden nach einem Commander Robert Bellamy, stimmt’s?«

Am anderen Ende herrschte kurzes Schweigen.»Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«

«Der tut nichts zur Sache!«wehrte sie ab.»Sind Sie hinter ihm her oder nicht?«

«Augenblick, ich muß Sie weiterverbinden. Bleiben Sie bitte am Apparat?«

Eine halbe Minute später sprach Pier mit einem höheren Beamten.

«Sie suchen Commander Robert Bellamy, nicht wahr? Er ist bei mir. Wieviel ist er Ihnen wert?«

«Sprechen Sie von einer Belohnung?«

«Natürlich spreche ich von einer Belohnung!«Wieder blickte sie zum Auto hinüber. Mit was für Idioten telefoniere ich da?

Der Interpol-Beamte zögerte.»Wir haben noch keinen Betrag festgesetzt, Signora, deshalb.«

«Gut, dann setzen Sie ihn eben jetzt fest! Ich hab’s eilig.«

«Wieviel haben Sie sich denn vorgestellt?«

«Hmmm, das muß ich mir erst überlegen. «Pier dachte kurz nach.»Wie wär’s mit zehntausend Dollar?«

«Zehntausend Dollar sind eine Menge Geld. Wenn Sie mir sagen, wo Sie im Augenblick sind, könnten wir zu Ihnen kommen, um eine Vereinbarung zu treffen, die…«

Kommt nicht in Frage!» Nein. Sie zahlen, was ich verlange, oder ich…«Pier blickte auf und sah, wie Robert auf den Kassenraum zukam.»Schnell! Ja oder nein?«

«Uns bleibt keine andere Wahl, Signorina. Ja. Sie bekommen das Geld, sobald wir…«

Robert kam durch die Tür auf sie zu.

«. und sind dann ungefähr zum Abendessen da, Mama«, sagte Pier in den Hörer.»Ich bin sicher, daß er dir gefällt. Er ist wirklich sehr nett… Gut, dann bis später. Ciao!«

Pier hängte ein und wandte sich an Robert.»Mutter ist ganz wild darauf, dich kennenzulernen.«

In der Interpol-Außenstelle Rom erkundigte sich der Beamte, der mit Pier gesprochen hatte:

«Habt ihr feststellen können, woher der Anruf gekommen ist?«

«Ja — aus einer Raststätte an der Autostrada del Sol. Anscheinend sind die beiden nach Neapel unterwegs.«

Oberst Francesco Cesare und Oberst Frank Johnson studierten die Wandkarte in Cesares Dienstzimmer.

«Neapel ist eine große Stadt«, stellte Cesare fest.»Dort gibt’s tausend Verstecke.«

«Und was ist mit der Frau?«

«Wir haben keine Ahnung, wer sie ist.«

«Wir könnten’s rauskriegen«, schlug Johnson vor.

Cesare zog fragend die Augenbrauen hoch.

«Nehmen wir mal an, Bellamy brauchte zur Tarnung schnellstens eine Begleiterin — was würde er dann tun?«

«Er würde sich ‘ne Nutte anlachen, vermute ich.«»Richtig! Wo fangen wir also an?«

«Tor di Quinto.«

Sie fuhren die Passeggiata Archeologica entlang und beobachteten, wie die Straßenmädchen ihrem Geschäft nachgingen. Cesare und Johnson wurden von Capitano Bellini begleitet, dem Polizeichef dieses Bezirks.

«Das wird nicht einfach werden«, meinte Bellini.»Sie konkurrieren alle miteinander, aber der Polizei gegenüber halten sie eisern zusammen. Da macht keine den Mund auf.«

«Wir werden ja sehen«, sagte Oberst Johnson.

Bellini ließ den Fahrer halten, und die drei Männer stiegen aus dem Dienstwagen. Die Prostituierten beobachteten sie mißtrauisch. Bellini sprach eine von ihnen an. »Ciao, Maria. Wie läuft das Geschäft?«

«Bestimmt läuft es noch besser, wenn ihr abgehauen seid.«

«Wir haben nicht vor, lange zu bleiben. Ich will dich nur was fragen. Wir suchen einen Amerikaner, der neulich nachts eines der Mädchen abgeschleppt hat. Wir vermuten, daß die beiden noch immer zusammen sind, und wüßten gern, wo er jetzt ist. Kannst du uns weiterhelfen?«Er zeigte ihr eine Aufnahme von Robert Bellamy.

Mittlerweile umringte sie ein ganzer Schwarm neugieriger Mädchen.

«Ich kann euch leider nicht helfen«, sagte Maria,»aber ich kenn’ eine, die ihr vielleicht fragen könntet.«

Bellini nickte aufmunternd.»Gut, gut! Wer ist das?«

Maria deutete auf ein Schaufenster gegenüber, in dem ein großes Schild verkündete: Wahrsagerin — Handleserin.

«Madame Lucia kann euch bestimmt weiterhelfen.«

Die Mädchen kicherten.

«Ah, ihr habt Sinn für Humor, was?«meinte Hauptmann Bellini.»Das trifft sich sehr gut, denn wir haben auch einen kleinen Scherz mit euch vor. Diese beiden Gentlemen wüßten sehr gern den Namen des Mädchens, das mit dem Amerikaner gegangen ist. Solltet ihr ihn nicht kennen, schlage ich vor, daß ihr mit euren Kolleginnen redet und mich anruft, wenn ihr ihn wißt.«

«Warum sollten wir das tun?«fragte eine der Prostituierten trotzig.

«Das werdet ihr bald merken.«

Eine Stunde später begann die große Razzia. Einsatzkommandos durchkämmten die Stadt, nahmen alle Straßenmädchen fest und verhafteten auch ihre Zuhälter.

Es kam zu schrillen Protesten.

«Hey, das könnt ihr nicht machen… Ich zahl’ den Bullen doch Schutzgeld!«

«Dies ist seit fünf Jahren mein Revier…«

«Ich hab’s dir und deinen Freunden umsonst gemacht. Ist das der Dank dafür?«

«Wozu hab’ ich eigentlich immer Schutzgeld gezahlt…?«

Am nächsten Tag war auf den Straßen keine einzige Prostituierte zu sehen, aber die Gefängnisse waren voll von ihnen.

Cesare und Johnson saßen in Capitano Bellinis Dienstzimmer.»Wir können sie natürlich nicht ewig hinter Gittern behalten«, meinte Bellini warnend.»Außerdem wäre das ausgesprochen schlecht für den Fremdenverkehr.«

«Keine Angst«, beruhigte Oberst Johnson ihn,»irgend jemand packt bestimmt bald aus. Sie dürfen nur den Druck nicht verringern.«

Die Wende kam am Spätnachmittag, als Bellinis Sekretärin meldete: »Capitano, ein Signore Lorenzo möchte Sie sprechen.«

«Schicken Sie ihn rein.«

Lorenzo, der Zuhälterkönig von Rom, trug einen sehr teuren Maßanzug und hatte an drei Fingern protzige Brillantringe.

«Was kann ich für Sie tun?«fragte Bellini.

Lorenzo bedachte ihn mit einem öligen Lächeln.»Mir geht’s darum, was ich für Sie tun kann, Signori. Wie ich von einigen Mitarbeiterinnen höre, suchen Sie ein bestimmtes Mädchen, das Rom gemeinsam mit einem Amerikaner verlassen hat, und da wir größten Wert auf gute Zusammenarbeit mit den Behörden legen, werde ich Ihnen den Namen gerne nennen.«

«Wie heißt sie also?«fragte Oberst Johnson.

Lorenzo ignorierte seine Frage.»Ich gehe natürlich davon aus, daß Sie sich dafür erkenntlich zeigen, indem Sie meine Mitarbeiterinnen und ihre Freundinnen entlassen.«

«Ihre Nutten interessieren uns nicht«, stellte Oberst Cesare fest.»Wir wollen nur den Namen des Mädchens.«

«Ja, natürlich. Sie heißt Pier, Pier Valli. Der Amerikaner hat die Nacht mit ihr im Hotel L’Incrocio verbracht und ist am nächsten Morgen mit ihr weitergefahren. Sie gehört nicht zu meinen Mädchen, sonst.«

Bellini war bereits am Telefon.»Bringt die Akte Pier Valli rauf! Sofort!«

«Ich hoffe, Sie zeigen sich dafür erkenntlich.«

Der Capitano nickte und sagte ins Telefon:»Und blast das Unternehmen Putana ab.«

Lorenzo strahlte. »Grazie.«

Fünf Minuten später lag die Akte Pier Valli auf dem Schreibtisch des Hauptmanns.»Sie hat mit fünfzehn angefangen, auf den Strich zu gehen. Seither ist sie mindestens zehnmal festgenommen worden. Sie.«

«Woher stammt sie?«unterbrach Oberst Johnson ihn.

«Neapel. «Die beiden Männer wechselten einen Blick.»Dort leben ihre Mutter und ihr Bruder.«

«Können Sie die genaue Adresse rauskriegen?«

«Das müßte zu machen sein.«

«Dann los! Und beeilen Sie sich!«

Sie näherten sich den Außenbezirken Neapels. Mit ihren vielen flatternden Wäschestücken wirkten die alten Mietskasernen entlang der engen Straßen wie farbenprächtig beflaggte Betonberge.

Sie fuhren die Spiaggia di Chiaja entlang und passierten das Castello dell’ Ovo, ein mittelalterliches Kastell auf einer vorgelagerten Insel.

An der Via Toledo verlangte Pier:»Hier abbiegen!«

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