Robert Bellamy hielt den Telefonhörer an sein Ohr und lauschte. Am anderen Ende der Leitung klingelte es bereits zum fünften Mal. In Washington, D. C., war es jetzt gerade sechs Uhr morgens. Das ist schon das zweite Mal, daß ich den Alten wecke, dachte Robert.
Admiral Whittaker meldete sich nach dem sechsten Klingeln.
«Admiral, hier ist Robert Bellamy. Ihr Telefon wird vermutlich abgehört, daher muß ich mich kurz fassen. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß Sie nichts von dem glauben dürfen, was über mich verbreitet wird. Ich möchte, daß Sie herauszukriegen versuchen, was überhaupt gespielt wird. Vielleicht brauche ich später Ihre Hilfe.«
«Selbstverständlich. Ich tue, was ich kann, Robert.«
«Ja, ich weiß. Ich rufe Sie später noch mal an. «Robert legte auf. Während des kurzen Gesprächs konnten sie unmöglich festgestellt haben, woher der Anruf kam.
Ein dunkelblauer Fiat fuhr vor der Bar vor. Pier saß am Steuer.
«Fahren wir jetzt nach Venedig?«wollte das Mädchen wissen.
«Mmh-hmm. Aber erst müssen wir noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. «Es wurde Zeit für weitere Ablenkungsmanöver. Robert bog auf die Via Rossini ab. Vor ihnen lag das Reisebüro Rossini. Robert fand eine Parklücke, in die der Fiat knapp hineinpaßte.»Ich bin gleich wieder da.«
Pier beobachtete, wie er in dem Reisebüro verschwand. Ich könnte einfach wegfahren, überlegte sie sich, und die zweitausend Dollar und das Armband behalten. Wiederfinden würd’ er mich hier nie! Aber das verdammte Auto ist auf meinen Namen gemietet. Cacchio!
«Fahren wir jetzt endlich?«fragte Pier ungeduldig, als Robert wieder in den Wagen stieg. In der Hand hielt er drei Briefkuverts.
«Wir müssen bloß noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, dann geht’s los«, versicherte Robert ihr.
Pier beobachtete, wie er wieder die Straße mit den Augen absuchte, bevor er rückwärts aus der Parklücke fuhr und sich in den Verkehr einordnete.
Sie parkten vor dem Hotel Victoria. Robert gab Pier einen der Umschläge aus dem Reisebüro.»Könntest du bitte an die Reception gehen und eine Suite für Commander Robert Bellamy reservieren lassen. Sag’ ihnen, daß du seine Sekretärin bist, daß er in einer Stunde eintreffen wird und daß du die Suite vorher sehen möchtest. Dabei läßt du diesen Umschlag auf einem Tisch in der Suite liegen.«
Sie starrte ihn verblüfft an.»Das ist alles?«
«Das ist alles.«
Der Teufel mochte aus diesem Mann schlau werden! »Bene.«Sie hätte gern gewußt, was der verrückte Amerikaner damit bezweckte. Und wer ist Commander Robert Bellamy? Pier stieg aus und betrat die Hotelhalle. Sie war ein bißchen nervös, denn als Nutte war sie schon aus einigen erstklassigen Hotels hinausgeflogen. Aber der soignierte grauhaarige Mann hinter der Reception begrüßte sie freundlich.»Sie wünschen, Signora?«
«Ich bin Commander Robert Bellamys Sekretärin. Ich möchte eine Suite für ihn reservieren lassen. Er trifft in etwa einer Stunde ein.«
Der Empfangschef warf einen Blick auf den Belegungsplan.»Wir haben zufällig eine sehr hübsche Suite frei.«
«Darf ich Sie mir bitte ansehen?«fragte Pier.
«Gewiß.«
Ein Hotelpage fuhr mit Pier in den ersten Stock. Nachdem sie einen Blick in das Bad und das Schlafzimmer geworfen hatte, blieb sie im Wohnzimmer stehen und sah sich ein wenig schüchtern um.»Sind Sie zufrieden, Signora?«
Pier nickte hastig.»Ja, sehr hübsch«, murmelte sie. Dann holte sie den Briefumschlag aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Couchtisch.»Den möchte ich für den Commander hierlassen.«
«Gewiß, Signora.«
Dann siegte Piers Neugier, und sie öffnete den nicht zugeklebten Umschlag. Er enthielt ein auf den Namen Robert Bellamy ausgestelltes einfaches Flugticket Erster Klasse RomPeking.
Der blaue Fiat stand im Halteverbot vor dem Hotel.
«Irgendwelche Schwierigkeiten?«fragte Robert.
«Nein.«
Als nächstes hielten sie vor dem Hotel Valadier. Auch hier mußte Pier eine Suite für Commander Robert Bellamy reservieren und einen Umschlag in einem der Zimmer deponieren. Dann fuhren sie weiter zum Hotel Leonardo da Vinci. Mittlerweile hatte Pier ihre Scheu überwunden. Tritt einfach wie ‘ne Dame auf, sagte sie sich. Cool und ein bißchen abweisend. Das ist das ganze Geheimnis.
Auch hier begleitete sie ein Hotelpage hinauf.»Dies ist unsere beste Suite, Signora«, teilte er ihr beflissen mit. Und Pier mußte ihm rechtgeben: Sie war geradezu feudal!
«Sie dürfte genügen«, meinte Pier von oben herab.»Der Commander ist sehr anspruchsvoll, müssen Sie wissen. «Sie nahm den dritten Umschlag aus ihrer Handtasche, konnte wie bei den beiden anderen der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu öffnen, schüttelte irritiert den Kopf und legte ihn auf den Glastisch im Wohnzimmer.
Der Hotelpage hatte mittlerweile den riesigen Farbfernseher eingeschaltet, um die offensichtlich äußerst verwöhnte Dame ein wenig mehr für die Vorzüge der besten Suite des Hauses einzunehmen.
Plötzlich erschien auf dem Bildschirm der Amerikaner, den sie als Henry kannte, und der Reporter sagte:»… der sich nach Auskunft von Interpol gegenwärtig in Rom aufhält. Er wird im Zusammenhang mit internationalen Drogengeschäften gesucht.«
Pier starrte wie gebannt auf den Bildschirm.
Der Hotelangestellte schaltete den Fernseher aus.»Sind Sie zufrieden, Signora?«
«Ja«, sagte Pier langsam. Ein Drogenschmuggler!
Als sie wieder zu Robert in den Wagen stieg, betrachtete sie ihn mit ganz anderen Augen.
«Jetzt können wir fahren«, sagte Robert lächelnd.
Im Hotel Victoria kontrollierte ein Mann in einem dunklen Anzug das Gästebuch.»Wann ist Commander Bellamy angekommen?«fragte er den Mann an der Reception.
«Er ist noch nicht da. Die Suite ist von seiner Sekretärin reserviert worden. Sie hat gesagt, er werde in etwa einer Stunde eintreffen.«
Der Mann wandte sich an seinen Begleiter.»Lassen Sie das Hotel umstellen. Fordern Sie Verstärkung an. Ich warte oben.«
Drei Minuten später sperrte der Hotelangestellte die Tür der Suite auf. Der Mann in dem dunklen Anzug trat vorsichtig mit gezogener Pistole über die Schwelle. Die Suite war leer. Dann erblickte er den Umschlag auf dem Couchtisch und griff danach. Auf dem Briefumschlag stand Commander Robert
Bellamy. Er öffnete ihn und warf einen Blick hinein. Eine Sekunde später wählte er die Nummer der SIFAR-Zentrale.
Francesco Cesare sprach gerade mit Oberst Frank Johnson. Der schwarze Hüne war erst vor zwei Stunden auf dem Flughafen Leonardo da Vinci angekommen, aber man merkte ihm keine Müdigkeit an.
«Soviel wir wissen«, erklärte Cesare dem Besucher,»hält Bellamy sich noch immer in Rom auf. Uns liegen über dreißig Aussagen von Zeugen vor, die ihn gesehen haben wollen.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon.»Hier ist Luigi«, meldete sich eine Männerstimme.»Wir haben ihn! Ich bin in seiner Suite im Hotel Victoria. Dort liegt ein Ticket, mit dem er am Freitagabend nach Peking fliegen will.«
«Gut gemacht!«sagte Cesare aufgeregt.»Wir kommen sofort rüber. «Er legte auf und wandte sich an Johnson.»Ihre Reise hätten Sie sich sparen können, fürchte ich. Wir haben ihn! Er wohnt im Hotel Victoria. Meine Leute haben ein auf seinen Namen ausgestelltes Ticket für einen Flug nach Peking gefunden.«
«Bellamy hat sich im Hotel auf seinen richtigen Namen angemeldet?«fragte Oberst Johnson ruhig.
«Ja.«
«Und das Flugticket lautet auf seinen Namen?«
«Ja. «Oberst Cesare stand auf.»Kommen Sie, wir fahren sofort hin!«
Johnson schüttelte den Kopf.»Das wäre Zeitverschwendung.«
«Wie meinen Sie das?«
«Bellamy würde niemals…«
Das Telefon klingelte erneut. Cesare riß den Hörer von der Gabel.»Oberst, hier ist Mario. Wir haben Bellamy aufgespürt. Er ist im Hotel Valadier. Kommenden Montag will er mit dem Zug nach Budapest fahren. Was sollen wir jetzt tun?«»Ich rufe zurück!«Oberst Cesare legte auf. Er sah zu dem Amerikaner hinüber.»Meine Leute haben eine für Bellamy ausgestellte Bahnfahrkarte nach Budapest gefunden. Ich verstehe nicht, was.«
Wieder klingelte das Telefon.
«Hier ist Bruno. Wir haben Bellamy gefunden. Er wohnt im Hotel Leonardo da Vinci. Am Sonntag will er nach Miami fliegen. Was soll ich.«
«Kommen Sie hierher zurück!«knurrte der Oberst und knallte den Hörer auf die Gabel.»Was beabsichtigt er damit, verdammt noch mal?«
«Er sorgt dafür, daß Sie ‘ne Menge Arbeitskraft vergeuden, nicht wahr?«sagte Oberst Johnson grimmig.
«Was tun wir jetzt?«
«Wir stellen dem Hundesohn eine Falle.«
Sie waren bei Olgiata auf der Via Cassia nach Norden in Richtung Venedig unterwegs. Die Polizei würde alle großen Grenzübergänge kontrollieren, aber sie würde damit rechnen, daß er nach Westen in die Schweiz oder nach Frankreich zu flüchten versuchen würde. Von Venedig aus, dachte Robert, kann ich mit dem Tragflächenboot nach Triest fahren und mich nach Österreich absetzen. Und von dort aus…
Piers Stimme riß ihn aus seinen Überlegungen.»Ich hab’ Hunger.«
«Was?«
«Ich hab’ weder Frühstück noch Mittagessen gehabt.«
«Entschuldigung«, murmelte Robert. Er war zu beschäftigt gewesen, um an Essen zu denken.»Wir halten beim nächsten Restaurant.«
Pier beobachtete ihn, während er fuhr. Robert gab ihr immer mehr Rätsel auf. Sie kannte genügend Zuhälter, Diebe und Drogenschmuggler. Und daher wußte sie, daß dieser Mann kein Krimineller war.
Im nächsten Ort hielten sie vor einer kleinen Trattoria. Robert wählte einen Tisch an der Wand und setzte sich so hin, daß er den Eingang im Auge behalten konnte. Ein Ober brachte ihnen die Speisekarte.
Susan müßte inzwischen auf der Jacht sein, überlegte Robert sich. Vielleicht habe ich nicht so schnell wieder eine Gelegenheit, mit ihr zu reden.»Such dir was aus«, sagte er zu dem Mädchen und stand auf.»Ich bin gleich wieder da.«
Pier sah zu, wie er zu dem Telefon ging, das auf der Bartheke stand.
«Geben Sie mir bitte die Seefunkvermittlung in Gibraltar. Danke. «Einige Sekunden verstrichen.
«Vermittlung, ich möchte ein R-Gespräch mit der amerikanischen Jacht Halcyon vor Gibraltar anmelden. Das Rufzeichen ist Whiskey Sierra drei-drei-sieben… Danke.«
Robert wartete. Das dauert ja eine Ewigkeit, dachte er ungeduldig.
Dann hörte er Susans Stimme.
«Susan.«
«Robert! Ist bei dir alles in Ordnung?«
«Mir geht’s gut. Ich wollte dir bloß sagen…«
«Ich weiß, was du mir sagen willst. Ich hab’s in den Nachrichten gehört. Warum fahndet Interpol nach dir?«
«Das ist eine lange Geschichte.«
«Laß dir ruhig Zeit. Ich möchte es wissen.«
Er zögerte.»Das hat politische Hintergründe, Susan. Ich besitze Informationen, die einige Staaten unterdrücken wollen. Deshalb ist Interpol hinter mir her.«
«Was kann ich tun, um dir zu helfen?«fragte Susan.
«Nichts, Darling. Ich wollte nur noch mal deine Stimme hören, falls ich… für den Fall, daß mir was zustößt.«
«Das darfst du nicht sagen!«Ihre Stimme klang ängstlich.»Kannst du mir sagen, in welchem Land du bist?«»Italien.«
Am anderen Ende herrschte kurzes Schweigen.»Dann sind wir nicht allzu weit von dir entfernt. Wir liegen vor Gibraltar im Mittelmeer. Wir können dich an Bord nehmen, wo du willst.«
«Nein, ich.«
«Sei bitte vernünftig. Das ist wahrscheinlich deine einzige Chance zur Flucht.«
«Ich kann dein Angebot nicht annehmen, Susan. Das könnte dich in Gefahr bringen.«
«Augenblick, Robert: Monte will mit dir reden.«
«Susan.«
Dann war Monte am Apparat.»Robert, soviel ich gehört habe, haben Sie ziemliche Probleme.«
Das ist die Untertreibung des Jahres.»Ja, das könnte man so sagen.«
«Wir möchten Ihnen gern helfen. Auf meiner Jacht suchen sie Sie nicht. Wo könnten wir Sie abholen?«
«Danke, Monte. Ich weiß Ihr Angebot zu würdigen. Aber ich möchte es lieber nicht annehmen.«
«Das ist ein Fehler. Hier wären Sie in Sicherheit.«
Warum will er mir nur unbedingt helfen?» Trotzdem vielen Dank. Ich versuche lieber, mich allein durchzuschlagen. Jetzt möchte ich noch mal mit Susan reden.«
«Natürlich. «Monte Banks gab ihr den Hörer zurück.»Vielleicht kannst du ihn überreden«, flüsterte er ihr so laut zu, daß Robert es hören konnte.
Dann hörte er wieder Susans Stimme.»Bitte, laß dir von uns helfen, Robert.«
«Du hast mir schon geholfen, Susan. «Er räusperte sich und schwieg einen Augenblick.»Und du sollst wissen, daß ich dich lieben werde, solange ich lebe. «Er lachte gezwungen.»Na ja, vielleicht ist das nicht mehr allzu lange.«
«Rufst du mich wieder an?«»Wenn ich kann.«
«Versprich’s mir!«
«Gut, ich versprech’s dir.«
Robert legte langsam auf. Weshalb hast du ihr das angetan? Weshalb hast du dir das angetan? Bellamy, du bist ein sentimentaler alter Trottel. Er ging an den Tisch zurück.
«Hast du schon was gefunden?«fragte er Pier. Sie bestellten.
«Ich weiß, daß die Polizei nach dir fahndet. Vorhin haben sie im Fernsehen eine Suchmeldung ausgegeben«, sagte sie plötzlich.
Robert erstarrte.»Das Ganze ist ein Mißverständnis. Ich…«
«Bitte versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen, Robert — so heißt du doch? Ich möchte dir helfen.«
Er musterte sie mißtrauisch.»Weshalb solltest du mir helfen wollen?«
Pier beugte sich über den Tisch.»Weil du sehr großzügig gewesen bist. Und weil ich die Polizei hasse. Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn eine von uns in eine Razzia der Bullen gerät. Sie behandeln uns wie den letzten Dreck! Oft schleppen sie eine von uns aufs nächste Revier und lassen sie dann rumgehen. Ich hasse diese Bestien! Ich würde alles tun, um mich an ihnen zu rächen. Alles! Und ich kann dir helfen.«
«Pier, du kannst nichts für mich tun.«
«In Venedig schnappt die Polizei dich todsicher. Bleibst du in einem Hotel, findet sie dich. Versuchst du, auf irgendein Schiff zu kommen, fängt sie dich ab. Aber ich weiß einen Ort, an dem du sicher bist. Meine Mutter und mein Bruder leben in Neapel. Du könntest dich in ihrem Haus verstecken. Dort sucht die Polizei dich bestimmt nicht.«
Robert dachte einen Augenblick nach. Ein Privathaus war natürlich viel sicherer als jede andere Unterkunft. Und Neapel war eine große Hafenstadt: Dort würde es leicht sein, an Bord eines Schiffs zu gelangen.
«Pier, falls sie mich erwischen, könntest du als meine Komplizin angesehen werden und dadurch Schwierigkeiten bekommen.«
«Dagegen weiß ich ein gutes Mittel«, meinte sie und lächelte aufmunternd.»Wir sorgen dafür, daß sie dich nicht finden.«
Robert erwiderte ihr Lächeln. Sein Entschluß stand fest.»Einverstanden. Wir fahren nach Neapel.«
«Ihre Leute haben keine Ahnung, wohin er unterwegs sein könnte?«fragte Oberst Johnson.
«Im Augenblick nicht«, gab Francesco Cesare seufzend zu.»Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis.«
«Leider haben wir keine Zeit. Haben Sie prüfen lassen, wo seine Exfrau sich aufhält?«
«Seine Exfrau? Nein. Ich sehe keinen Zusammenhang mit.«
«Dann haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht«, knurrte der Amerikaner.»Sie ist mit einem gewissen Monte Banks verheiratet. An Ihrer Stelle würde ich den Aufenthaltsort der beiden schnellstens feststellen lassen.«