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Siebter Tag Orvieto, Italien

Er hielt in einer Haarnadelkurve der S-71, um den atemberaubenden Blick auf die Stadt zu genießen, die sich jenseits des Tals auf einem einzelnen Tuff-Felsen erhob. Orvieto war eine uralte Etruskerstadt mit einer weltberühmten Kathedrale, zahlreichen Kirchen und einem Geistlichen, der Augenzeuge eines UFO-Absturzes gewesen war. In dieser Stadt mit ihren gepflasterten Straßen, prächtigen alten Gebäuden und dem Marktplatz, auf dem die Landbevölkerung Obst, Kleinvieh und frisches Gemüse verkaufte, schien die Zeit stillzustehen.

Robert fand einen Parkplatz auf der Piazza del Duomo vor der Kathedrale. Dann betrat er den gewaltigen Bau und näherte sich einem ältlichen Priester, der eben den Altarraum verließ.

«Entschuldigen Sie, Pater«, sagte Robert,»ich suche einen

Geistlichen aus Orvieto, der letzte Woche in der Schweiz gewesen ist.«

Das Gesicht des Priesters verdüsterte sich.»Ach ja. Der arme Pater Patrini. Er hat einen Nervenzusammenbruch erlitten.«

«Wie schrecklich! Weiß man, warum?«

Der Pfarrer senkte die Stimme zu einem Flüstern.»Er hat des Teufels Streitwagen gesehen.«

«Und wo ist er jetzt? Ich hätte ihn gern gesprochen.«

«Er liegt im Krankenhaus an der Piazza di San Patrizio — aber ich glaube nicht, daß er Besuch empfangen darf.«

Das Krankenhaus war ein schlichter ebenerdiger Bau in einem Außenbezirk am Stadtrand.

«Guten Morgen«, sagte Robert zu der Krankenschwester am Empfang.»Ich möchte zu Pater Patrini.«

«Es tut mir leid, aber das ist unmöglich. Er kann mit niemandem sprechen.«

«Entschuldigen Sie, aber Pater Patrini hat mich gebeten, ihn zu besuchen. Ich bin eigens auf seinen Wunsch nach Orvieto gekommen. «

«Er hat um Ihren Besuch gebeten?«

«Ja. Er hat mir nach Amerika geschrieben. Ich habe diese weite Reise nur seinetwegen gemacht.«

Die Schwester zögerte. Dann gab sie ihrem Herzen einen Stoß.»Gut. Sie dürfen zu ihm, signore — aber nur für ein paar Minuten.«

«Die genügen mir«, versicherte Robert ihr.

«Kommen Sie bitte mit.«

Sie gingen einen Flur entlang. Vor einer der Türen blieb die Krankenschwester stehen und sagte:»Nur ein paar Minuten, signore.«

«Grazie

Robert betrat den kleinen Raum und erblickte einen Mann, der nur noch wie ein Schatten seiner selbst aussah. Robert blieb vor seinem Bett stehen und sagte halblaut:»Pater…«

Der Geistliche sah zu ihm auf. Robert hatte noch nie solche Seelenpein im Blick eines Menschen gesehen.

«Pater, ich bin…«

Die Hand des Kranken umklammerte Roberts Arm.»Helfen Sie mir!«murmelte der Priester.»Sie müssen mir helfen. Ich habe meinen Glauben verloren. Mein ganzes Leben habe ich in den Dienst des einen, allmächtigen Gottes gestellt. Doch jetzt weiß ich, daß es keinen Gott gibt. Es gibt nur den Teufel! Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen! Im Wagen des Satans sind nur zwei gewesen — aber andere werden folgen! Warten Sie’s nur ab! Wir sind alle zum Fegefeuer verdammt.«

«Bitte hören Sie mir zu, Pater. Sie haben keinen Teufelswagen, sondern ein Raumschiff gesehen, das.«

Der Geistliche ließ Roberts Arm los und starrte ihn plötzlich ernüchtert an.»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

«Ich meine es gut mit Ihnen«, versicherte Robert ihm.»Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen zu der Busfahrt stellen, die Sie in der Schweiz gemacht haben.«

«Ah, der Bus! Ich wollte, ich wäre nie eingestiegen!«

«Sie haben in dem Bus neben einem Texaner gesessen. Sie haben lange mit ihm gesprochen, wissen Sie das noch?«

«Gesprochen. Mit dem Texaner. Ja, ich erinnere mich.«

«Hat er Ihnen gesagt, wo er in Texas lebt?«

«Ja, ja. Er hat es mir gesagt.«

«Wo ist er daheim, Pater?«

«In Texas. Er hat von Texas gesprochen.«

Robert nickte aufmunternd.»Richtig! Und wo — «

«Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Ich wollte, Gott hätte mich zuvor geblendet. Ich.«

«Bleiben wir bei dem Mann aus Texas, Pater. Hat er gesagt, wo er lebt?«

Der Geistliche verfiel wieder ins Delirium.»Sie kommen! Der Armageddon ist nahe! Die Bibel lügt! Satan wird sich die

Erde Untertan machen. Nehmt euch in acht! Nehmt euch in acht!«

Die Krankenschwester kam hereingestürzt. Vorwurfsvoll blickte sie Robert an.»Sie müssen sofort gehen, signore.«

«Ich brauche nur noch eine Minute, um.«

«Nein, signore. Bitte gehen Sie!«

Robert warf einen letzten Blick auf den Priester, der unzusammenhängende Worte vor sich hinbrabbelte, und wandte sich ab.

Die» Ponderosa«- das war die Ranch der mythischen Cartwrights. Der alte Knabe hat zuviel ferngesehen und im Delirium Texas mit der früher so beliebten Fernsehserie >Bonanza< gleichgesetzt, dachte Robert erbittert.

Trotzdem — ein Versuch konnte nicht schaden. Also rief Robert Bellamy Admiral Whittaker an.

«Robert, nett, daß Sie sich bei mir melden. «Die Stimme des Alten klang müde.»Wo stecken Sie?«

«Das darf ich nicht sagen, Sir.«

Eine kurze Pause.»Ja, ich verstehe. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«

«Ja, Sir. Das ist mir ein bißchen peinlich, weil ich Befehl habe, völlig selbständig zu arbeiten. Aber ich brauche Hilfe von außen. Ich muß unbedingt wissen, ob es irgendwo in Texas eine Ranch gibt, die >Ponderosa< heißt.«

«Wie in der Fernsehserie >Bonanza

«Ja, Sir.«

«Das läßt sich feststellen. Wo sind Sie zu erreichen?«

«Es ist besser, wenn ich noch mal anrufe, Admiral.«

Robert hatte den Eindruck, daß die Müdigkeit in der Stimme des Alten sich verflüchtigt hatte. Wenigstens hat er jetzt wieder einmal eine Aufgabe, dachte Robert. Selbst wenn es sich um etwas so Triviales wie das Aufspüren einer Ranch handelt.

Nach zwei Stunden rief Robert Bellamy erneut den Admiral an.

«Ich habe schon auf Ihren Anruf gewartet«, sagte der Admiral, und in seiner Stimme schwang ein leiser Triumph mit.»In Texas gibt’s tatsächlich eine Ranch, die >Ponderosa< heißt. Sie liegt bei Waco. Der Besitzer ist ein gewisser Dan Wayne.«

Robert seufzte erleichtert auf.»Vielen Dank, Admiral«, sagte er.»Dafür bin ich Ihnen ein Abendessen schuldig, wenn ich zurückkomme.«

«Darauf freue ich mich schon, Robert.«

Als nächstes rief Robert Bellamy General Hilliard an.»Ich habe in Italien einen weiteren Zeugen aufgespürt. Einen Pater Patrini.«

«Ein katholischer Geistlicher?«

«Ja. Er liegt mit einem Nervenzusammenbruch in Orvieto im Krankenhaus. Ich fürchte, daß er auch für die italienischen Behörden nicht ansprechbar sein wird.«

«Das gebe ich weiter. Besten Dank, Commander.«

Eine Minute später telefonierte General Hilliard bereits mit Janus.

«Commander Bellamy hat sich wieder gemeldet. Der nächste Zeuge ist ein Geistlicher. Ein Pater Patrini in Orvieto.«»Veranlassen Sie das nötige.«

BLITZMELDUNG

TOP SECRET ULTRA NSA AN DIREKTOR SIFAR PERSÖNLICH 1. AUSFÜHRUNG VON 1 AUSFÜHRUNG(EN)

BETREFF: OPERATION DOOMSDAY

5. PATER PATRINI — ORVIETO TEXTENDE

Es war nach Mitternacht, als die Nonne am Stationszimmer der beiden Nachtschwestern in dem kleinen Krankenhaus in Orvieto vorbeiging.

«Wahrscheinlich besucht sie Signora Filippi«, sagte Schwester Giulia.

«Oder den alten Rigano. Beide werden nicht mehr lange unter uns weilen.«

Die Nonne glitt lautlos um die Ecke und betrat das Zimmer des Geistlichen. Pater Patrini schlief friedlich, und seine Hände lagen wie zum Gebet gefaltet auf seiner Brust. Ein durch die Jalousie fallender Streifen Mondlicht lag wie ein mattsilbernes Band auf seinem Gesicht.

Aus einer Rocktasche ihrer Ordenstracht zog die Nonne ein kleines Etui, entnahm ihm einen Rosenkranz und legte ihn zwischen die Hände des alten Priesters. Während sie die Perlen zurechtschob, ritzte sie mit einer die Haut der Daumenkuppe, so daß ein dünner Blutstreifen austrat. Dann entnahm sie dem Etui ein winziges Fläschchen und träufelte mit einer Pipette drei Tropfen einer wasserklaren Flüssigkeit in die Schnittwunde.

Wenige Minuten später hatte das tödliche Gift seine Wirkung getan. Mit einem tiefen Seufzer schlug die Nonne das Kreuz über dem Toten und entfernte sich.

BLITZMELDUNG

SIFAR AN DIREKTOR NSA PERSÖNLICH 1. AUSFERTIGUNG VON 1 AUSFERTIGUNG(EN)

BETREFF: OPERATION DOOMSDAY

5. PATER PATRINI–LIQUIDIERT TEXTENDE

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