Leslie Mothershed hing goldenen Tagträumen nach. Gerade gab er eine internationale Pressekonferenz. Die Journalisten fragten ihn nach dem riesigen schottischen Schloß, das er soeben gekauft hatte, nach seinem Chateau in Südfrankreich, nach seiner Luxusjacht. >Und ist es wahr, daß die Queen Ihnen die Position des Hoffotografen angeboten hat?< — >Ja, aber ich habe mich noch nicht entschieden. Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, meine Damen und Herrn, sonst komme ich zu spät zu meiner BBC-Show…<
Das Schrillen der Türklingel riß ihn aus seinen Träumen. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. 21.10 Uhr. Ist der Kerl etwa zurückgekommen? Er ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Im Flur stand ein Mann mit blassem, schmalem Gesicht und einer dicken Brille. Mothershed fiel sogleich auf, daß der Fremde kleiner als er selbst war.
«Entschuldigen Sie bitte«, sagte der Mann verlegen,»daß ich Sie um diese Zeit noch störe. Ich wohne gleich um die Ecke. Auf Ihrem Schild am Hauseingang steht, daß Sie Fotograf sind. Machen Sie vielleicht auch Paßfotos?«
Macht Leslie Mothershed, der Mann, dem bald die Welt gehören wird, Paßfotos? Das wäre, als wollte man Michelangelo auffordern, einem das Bad zu streichen!
«Nein«, sagte er grob.
«Ich belästige Sie nicht gern, aber ich sitze schrecklich in der Patsche. Ich muß morgen früh um acht nach Tokio fliegen, und als ich vorhin einen Blick in meinen Paß geworfen habe, hab’ ich gesehen, daß das Foto sich irgendwie abgelöst hat. Es ist verschwunden! Ich hab’s überall gesucht. Und ohne Paßfoto lassen sie mich nicht durch die Kontrolle. «Der kleine Mann war den Tränen nahe.
«Sorry«, erwiderte Mothershed,»ich kann Ihnen nicht helfen.«
«Ein Foto wäre mir hundert Pfund wert!«
Hundert Pfund? für einen Mann mit einem schottischen Schloß, einem französischen Chäteau und einer Luxusjacht? Das war eine Beleidigung.
«Ich könnte Ihnen sogar noch mehr zahlen«, jammerte der Kleine.»Zwei- oder dreihundert Pfund. Ich muß dieses Flugzeug unbedingt nehmen, wissen Sie, sonst bin ich meinen Job los!«
Dreihundert Pfund für ein Paßbild? Die reine Aufnahme ohne die Arbeit in der Dunkelkammer würde nicht mehr als eine halbe Minute in Anspruch nehmen. Mothershed begann zu rechnen. Das waren 600 Pfund pro Minute — oder ein Stundenlohn von 36000 Pfund. Wenn man von einem Achtstundentag ausging, ergab das 288000 pro Tag. Und bei einer Fünftagewoche.
«Tun Sie mir den Gefallen?«
Mothershed Ego lag im Kampf mit seiner Geldgier, und die Geldgier siegte. Ein bißchen Taschengeld könnte ich gut brauchen.
«Gut, kommen Sie rein«, sagte er.»Stellen Sie sich dort drüben an die Wand.«
«Vielen Dank. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.«
Mothershed wünschte sich, er hätte eine Polaroid gehabt. Mit der wäre alles ganz einfach gewesen. Er griff nach seiner Konica mit eingebautem Blitz und sagte:»Den Kopf ein bißchen nach rechts drehen… so ist’s gut!«
Binnen zehn Sekunden war die Aufnahme gemacht.
«Das Entwickeln dauert ‘ne Weile«, sagte Mothershed.»Am besten kommen Sie in…«
«Ich warte lieber, wenn’s Ihnen recht ist.«
«Wie Sie wollen.«
Mothershed ging mit der Kamera in seine provisorische Dunkelkammer, schaltete die Deckenbeleuchtung aus, ließ nur die kleine rote Lampe brennen und nahm den Film heraus. Er würde rasch arbeiten, ohne sonderlich auf Qualität zu achten. Paßfotos sahen sowieso immer gräßlich aus.
Als Mothershed zehn Minuten später das Negativ begutachtete, glaubte er plötzlich, Rauch zu riechen. Er holte prüfend Luft. Bildete er sich das nur ein? Nein, der Brandgeruch wurde sogar immer stärker. Er drehte sich um und wollte die Tür öffnen. Sie schien zu klemmen. Mothershed warf sich dagegen. Sie gab nicht nach.
«Hallo!«rief er ängstlich.»Was ist dort draußen los?«
Keine Antwort.
«Hallo?«Er warf sich erneut gegen die Tür, die aber durch irgend etwas Schweres von außen blockiert schien.»Mister?«
Wieder keine Antwort. Das einzige Geräusch war ein ständig lauter werdendes Prasseln. Der Brandgeruch wurde überwältigend stark. Die Wohnung brannte! Bestimmt ist der Mann weggegangen, um Hilfe zu holen! Leslie Mothershed warf sich erneut gegen die Tür, die aber keinen Millimeter nachgab.»Hilfe!«brüllte er.»Holt mich hier raus!«
Unter der Tür quollen Rauchschwaden in den kleinen Raum. Mothershed spürte bereits die Hitze der Flammen. Er bekam kaum noch Luft. Als er spürte, daß ihm die Sinne schwanden, sank er auf die Knie.»Lieber Gott, laß mich nicht sterben. Nicht jetzt, wo ich reich und berühmt werden könnte…«»Hier Reggie.«
«Ist der Auftrag ausgeführt?«
«Ja, Sir. Ein bißchen zu sehr durchgebraten, aber rechtzeitig serviert.«
«Ausgezeichnet.«
BLITZMELDUNG
TOP SECRET ULTRA SIS AN DIREKTOR NSA PERSÖNLICH 1. AUSFERTIGUNG VON 1 AUSFERTIGUNG(EN)
BETREFF: OPERATION DOOMSDAY
3. LESLIE MOTHERSHED — LIQUIDIERT TEXTENDE
Als Robert Bellamy gegen zwei Uhr morgens in die Grove Road zurückkam, um den Eingang zu überwachen, herrschte dort ein völliges Verkehrschaos. Auf der Straße standen ein halbes Dutzend Löschfahrzeuge, ein Krankenwagen und drei Streifenwagen mit eingeschalteten Blinklichtern. Er arbeitete sich bis in die erste Reihe der Neugierigen vor.
Ein Feuer hatte das Haus 213A Grove Street verwüstet. Die Wohnung des Fotografen im ersten Stock war nur noch ein gähnendes schwarzes Loch.
«Um Gottes willen, wie ist das passiert?«fragte Robert einen Feuerwehrmann.
«Wissen wir noch nicht. Bitte zurücktreten!«
«Die Wohnung dort oben gehört meinem Cousin. Ihm ist hoffentlich nichts passiert?«
«Leider doch, Sir«, sagte der Mann in mitfühlendem Tonfall.»Er wird gerade abtransportiert.«
Robert beobachtete, wie zwei Sanitäter eine Tragbahre mit einer zugedeckten Gestalt in den Krankenwagen schoben.
«Ich habe bei ihm gewohnt«, behauptete er.»Meine ganzen Sachen sind noch in seiner Wohnung. Am besten gehe ich kurz rauf und.«
Der Feuerwehrmann schüttelte den Kopf.»Das würde nichts nützen, Sir. Die Wohnung ist völlig ausgebrannt.«
Völlig ausgebrannt. Mitsamt den Fotos und der kostbaren Liste mit den Namen und Adressen der Fahrgäste des Busses.
Soviel zu deinem vermeintlichen Glückstreffer, dachte Robert bedrückt.