DIE „SECHSTE GROSSMACHT“

Von großen und kleinen Dingen * Sechzig auf sechzig * Folgenschwerer Skandal Beginn der „Mücke“ * Brofkantens Lyrik * Die sechste Großmacht ersteht * Drei Redakteure.


Es klingt unglaublich, aber während der Blockade, der Hungersnot und Papierkrise, als die sowjetische Bevölkerung nur Zeitungen lesen konnte, die an den Hausmauern klebten, erschienen in der kleinen Republik Schkid mit ihrer Bevölkerung von sechzig Köpfen sage und schreibe sechzig periodische Druckerzeugnisse aller Arten, Typen und Richtungen.

Das kam folgendermaßen.

Der „Spiegel“, die älteste Zeitung der Republik Schkid, hatte sich fest eingebürgert. Pünktlich hingen ihre neuen Nummern allwöchentlich am Schwarzen Brett, bis der Brand sie beinahe vernichtete. Ersetzt wurde sie durch eine Zeitschrift. Wieder schrieb Jankel mit Druckbuchstaben die Artikel ab, wieder verfaßte Japs den Inhalt, und auch der Titel — „Spiegel“ — war derselbe geblieben. Nur der Umfang hatte sich erweitert. Niemand vermutete, daß es dem glänzenden „Spiegel“ schon nach kurzer Zeit beschieden sein würde, zu zerplatzen und in viele Dutzend großer und kleiner Teile zu zersplittern.

Ursache der Katastrophe war die mangelnde Übereinstimmung der Ansichten beider Zeitschriftenredakteure. Jankel und Japs bekamen Krach miteinander.

Japs war ein seriöser Journalist, der eine bestimmte Linie verfolgte. Die wöchentliche Schülerzeitschrift, die Leben und Alltag der Schule in Poesie und Prosa kommentierte, gefiel ihm nicht mehr, o nein! Er wünschte, aus dem „Spiegel“ eine dicke, gewichtige Monatszeitschrift mit Abhandlungen und Referaten über Geschichte, Kunst und Philosophie zu machen. Und weil er hartnäckig seine Linie verfolgte, veränderte sich das Gesicht der Zeitschrift. Die Anzahl der Seiten stieg auf dreißig, das Blatt erschien alle zehn Tage, dann alle zwei Wochen, die Schulchronik und der Humor wurden daraus verbannt. Sie gehörten nicht in eine „geistige“ Zeitschrift. Dafür schrieb Jankel eine umfangreiche historische Arbeit in Fortsetzungen: „Die Gerichtsbarkeit im alten Rußland.“

Die gewichtige Arbeit erschien in drei „Spiegel“-Nummern und umfaßte jedesmal fünfzehn bis zwanzig Seiten.

Jankel wurde an die Wand gedrückt. Er verwandelte sich in eine Dauerdruckerei. Ihm blieb nur der technische Teil — die Nummern zu drucken, zu illustrieren und herauszugeben. Aber es langweilte ihn außerordentlich, die endlosen Artikel über das alte Rußland abzuschreiben. Er wußte genau, daß niemand außer dem Verfasser und dem unglücklichen Typographen sie lesen würde. Er schrieb sich die Finger wund. Dreißig Seiten mit sauberen Druckbuchstaben abzumalen, sie zu illustrieren, mit Vignetten zu versehen und alles in sechs bis acht Tagen — das war zu schwierig. Die technische Arbeit machte ihn stumpfsinnig und war ihm bald gründlich zuwider. Nachdem auf diese Weise sechs Nummern erschienen waren, überlegte sich Jankel die Sache. Er hatte ebenfalls das Bedürfnis, schöpferisch zu arbeiten, Gedichte und Erzählungen zu schreiben, lustige Glossen über das Schulleben zu verfassen, aber dazu fehlte ihm die Zeit, Das „alte Rußland“ verschlang sie, Da beschloß Jankel, die Zeitschrift im Stich zu lassen. Zum Teufel damit! dachte er. Das bezog sich im gleichen Maße auf Japs wie auf die Gerichtsbarkeit des alten Rußlands. Mehrere Tage befaßte sich Jankel überhaupt nicht mit der Zeitschrift. Der „Spiegel“ lag halbfertig auf dem Tisch. Die zweite Hälfte strahlte in fleckenlos weißen Blättern. Japs wurde nervös und böse. Er hatte bereits drei neue Artikel fertig, während Jankel pfeifend herumschlenderte.

Der Erscheinungstag rückte näher. Schließlich verlor Japs die Geduld. Entschlossen ging er zu Jankel.

„Du mußt die Zeitschrift abschreiben. Sonst erscheint sie nicht rechtzeitig.“

Jankel runzelte die Stirn und reckte sich.

„Zum Teufel mit der Zeitschrift“, sagte er gelassen. „Ich habe keine Lust.“

„Wieso nicht?“

„Ganz einfach. Ich hab' keine Lust, und damit Schluß.“ Japs wurde wütend. „Willst du gar nicht mehr arbeiten?“

„Was geht dich das an?“ fragte Jankel ebenso gelassen wie vorher. „Was heißt das? Bist du Redakteur oder nicht?“

„Ja, Redakteur bin ich.“

„Willst du arbeiten?“

„Keine Lust.“

„Also nicht!“

„Nee.“

„Warum nicht?“

„Weil es mir bis zum Halse steht.“ Japs errötete und schnupfte auf. „Mach, was du willst.“ Damit ging er beleidigt weg. Die Klasse kicherte, als sie sah, daß der Hader die Einheit der Redaktion zerfraß.

Seitdem erschien der „Spiegel“ nicht mehr. Die Republik war ohne Presse. Sogar Vikniksor kam, um sich besorgt nach dem Grund zu erkundigen; doch die Jungen stritten verlegen alles ab und versprachen, den früheren Zustand wiederherzustellen. Aber dieser Zustand war endgültig dahin. Eine Woche lang genossen die Redakteure ihre Ruhe und gingen spazieren. Dann wurde es beiden zu langweilig. Ihnen fehlte etwas, und sie ließen den Kopf hängen.

Keiner wollte sich wieder mit dem anderen zusammentun. Sie mochten sich nicht mehr. Die Klasse bemerkte, daß jeder — Jankel wie Japs — versunken in seiner Bank saß und wieder Papier bekritzelte. Man erkundigte sich, was beide fesselte.

Jankels Platz war am Ofen. Eines Tages entfaltete er nach dem Unterricht eine eifrige Tätigkeit.

Er holte einen Bindfaden hervor, ging um den Ofen herum, maß etwas aus, schlug zwischen zwei Kacheln je einen Nagel ein und befestigte den Bindfaden daran.

„Wozu machst du das?“ erkundigten sich die Jungen erstaunt, aber Jankel lächelte nur vielsagend.

„Immer mit der Ruhe, ihr werdet es schon erfahren“, antwortete er geheimnisvoll.

Dann malte er lange Zeit mit Aquarellfarben an einem Plakat. Diese Schöpfung befestigte er feierlich über seiner Bank am Ofen. In eine Ecke des leuchtenden Plakats war ein Insekt mit langer Nase gemalt. In der Mitte stand:



Gleichzeitig wurde an dem Bindfaden die erste Nummer der „satirischen und humoristischen“ Zeitung „Die Mücke“ in Heftblattformat und mit einem Umfang von acht Seiten feierlich aufgehängt. „Was ist denn das?“ Neugierig betrachteten und befühlten die Jungen Jankels Werk. Er lächelte.

„Das ist 'Die Mücke'“, erklärte er herablassend. „Sie erscheint wie 'Ogonjok' oder das 'Rote Panorama' einmal in der Woche oder häufiger. 'Warum ist sie so dünn?' brummte Kaufmann und betastete verächtlich die vier Blätter.

'Sie ist so dünn, weil sie nicht dicker ist', witzelte der Redakteur. Die ganze Klasse las die 'Mücke'. Das Blatt gefiel. Nur Japs würdigte es keines Blickes. Er saß vertieft in seiner Bank und schrieb wie ein Wilder. Er war entschlossen, seinen Plan mit der dicken Monatszeitschrift um jeden Preis zu verwirklichen. Schon am nächsten Tage tat er seine Absicht kund. Überall — in den Sälen, in den Klassenzimmern und sogar in den Toiletten — hingen plötzlich handgeschriebene Ankündigungen an der Wand:



Der neue Verlag ging mit aller Energie ans Werk, und noch am gleichen Tage erschien die erste Nummer der 'Woche'. Ihr unschönes Aussehen wurde durch den reichen Inhalt wettgemacht und durch den Überfluß an Mitarbeitern, die versprochen hatten, für sie zu schreiben. Zu den Mitarbeitern, die sich hinter der geheimnisvollen Chiffre 'und andere' verbargen, gehörte auch der neue Zögling Pantelejew. In der ersten Nummer waren seine berühmten Knüttelverse veröffentlicht, die von der 'Roten Zeitung' seinerzeit abgelehnt worden waren. Japs triumphierte.; Jetzt machte er sich; mit verdoppeltem Eifer an die Herausgabe der Monatszeitschrift. Sie sollte einen grandiosen Umfang bekommen — sechs bis sieben Hefte dick mit ganzseitigen Illustrationen. Jankel verzehrte sich vor ohnmächtiger Wut. Er vermochte den neuen Verlag nicht zu übertrumpfen. Er stand allein. Immer häufiger fragten Jungen aus anderen Klassen bei Japs an: 'Kommt die 'Woche' bald heraus?'

'Wird der 'Vorwärts' bald erscheinen?'

Japs schielte hochmütig zu Jankel hin, während er absichtlich laut antwortete: 'Es ist unser Prinzip, daß Zeitung und Zeitschrift immer rechtzeitig zur festgesetzten Frist erscheinen.'

Aber Jankel war nicht gewillt, die Waffen zu strecken. Nachdem er die Situation gründlich durchdacht hatte, faßte er den festen Entschluß, zu kämpfen und die 'Mücke' häufiger erscheinen zu lassen. Er entfaltete eine emsige Tätigkeit. Nach unwahrscheinlichen Tagesmühen hängte er allabendlich voller Stolz immer neue Nummern an den Bindfaden am Ofen. Er verbesserte die Technik, er versah die Artikel mit farbigen Illustrationen und erreichte schließlich sein Ziel. Den Jungen wurde es langweilig, auf die dicke Monatszeitschrift zu warten — sie gewöhnten sich immer mehr an die 'Mücke'. Es bürgerte sich ein, morgens in die vierte Abteilung zu gehen, um die letzte Nummer der Zeitung zu lesen. Doch dieser Sieg kam Jankel teuer zu stehen. Er wurde hohlwangig und mager, er verlor Schlaf und Appetit…


Da passen keine Rätsel rein.


Nach einer Woche erschien die zweite Nummer von Japs' 'Woche'. Diesmal erregte sie keine Aufmerksamkeit, denn sie war nicht illustriert und nur mit der Hand — mit Bleistift — geschrieben. Dennoch zeitigte Japs' Mißerfolg überraschende Folgen. Kaufmann war in dieser Woche gedankenversunken umhergelaufen. 'Verdammt!' grölte er durch die Klasse, als er die unansehnliche 'Woche' erblickte. 'So eine Zeitung kann ich ebenfalls rausgeben. Sogar noch besser. Eine richtige Zeitschrift!'

Seine Erklärung stieß auf allgemeines Erstaunen, um so mehr, als er sich noch vor zehn Tagen über die Dummheit der Redakteure lustig gemacht hatte: 'Ihr seid ja blöd, wie die heiligen Märtyrer eure Zeit zu vergeuden! Kein Mensch bezahlt euch was dafür.' Nun stellte sich Kaufmann plötzlich als Redakteur der Zeitschrift 'Mein Masdlinengewehr' vor und sammelte einen Mitarbeiterstab. Er hatte sie so genannt, weil sie ebensoschnell hintereinander erscheinen sollte, wie ein Maschinengewehr schießt. Um das neue Presseorgan bildete sich sogleich ein Kreis aus wenig bekannten journalistischen Anfängern — Mamachen und Brotkanten. Bald überwarf sich Ljonka Pantelejew mit Japs und ging ebenfalls zu Kaufmanns jungem, aber vielversprechendem Verlag über. 'Mein Maschinengewehr' machte Karriere.

Jetzt erschienen laufend drei Presseerzeugnisse: die 'Mücke' von Jankel, die 'Woche' von Japs und 'Mein Maschinengewehr' von Kaufmann.

Kein einziges genügte jedoch Zigeuners Ansprüchen. 'Was sind das bloß für Blätter, Halunken? Ganz ohne Rätsel oder Denkaufgaben. So'n Quatsch!'

Zigeuner schäumte vor Mißbilligung. Er hatte versucht, in allen drei Zeitungen seine Rätselecke unterzubringen, war aber überall höflich abgewiesen worden. Daraufhin brachte er seinen Vorschlag im 'Vorwärts' vor, wo er Redakteur und aktiver Mitarbeiter war.

'Leute, Japs, Falke! Ich beantrage, eine Rubrik 'Zum Kopfzerbrechen' in der Zeitschrift einzuführen. Ich werde sie redigieren.'

Der Dichter Kostja Finkelstein (Falke) protestierte als erster. 'Das geht nicht. Wir haben eine seriöse, wissenschaftlich-literarische Monatszeitschrift, da passen keine Rätsel rein.'

'Ja, das lohnt sich nicht', bestätigte Japs und brachte damit den Rätselfreund endgültig gegen sich auf.

'Gut', sagte Zigeuner. 'Wenn ihr nicht wollt, dann laßt es bleiben.

Ich komme auch ohne euch aus.'

Er verließ die Redaktion des 'Vorwärts', und kurz darauf erschien in der 'Mücke' die Ankündigung:



'Zum Kopfzerbrechen' erschien am nächsten Tage. Dann verließen Mamachen und Brotkanten ebenso überraschend das Redaktionskollegium von Kaufmanns 'Maschinengewehr', um eigene Zeitschriften herauszugeben. Mamachens Blatt hatte den klugen Titel 'Der Gedanke' und trug als Motto einen Aphorismus, den Zigeuner einmal in einer Russischstunde von sich gegeben hatte. Als er gefragt wurde, was ein Gedanke sei, hatte er mit frechem Lächeln geantwortet: 'Der Gedanke ist der intellektuelle Exzeß eines bestimmten Individuums.' Seitdem verfolgte ihn dieser unsinnige Ausspruch, wo er ging und stand, bis er schließlich als Motto über Mamachens hochkünstlerischem Presseorgan prangte.

Brotkanten verachtete Erörterungen über hohe Materien. Er neigte eher zur Poesie und nannte seine Zeitung deshalb lyrisch: 'Morgenröte'. Trotz seiner poetischen Talente war Brotkanten jedoch unbeleckt von orthographischem Wissen und machte schon in der ersten Nummer skandalöse Schnitzer. Anläßlich einer Theateraufführung, die vor drei Monaten stattgefunden hatte, prangte auf der ersten Seite von Brotkantens Blatt eine Illustration zu Puschkins 'Boris Godunow'.

Sie stellte Japs mit einem langen Eisenstab in der Hand als Godunow dar.

Doch nicht die Illustration veranlaßte die gesamte Schule zu wieherndem Gelächter, sondern die Erklärung, die darunter stand: 'Ülistratjon zur Troge die 'Barris Godunw'.'

Brotkanten hatte es also geschafft, in fünf Wörtern zehn Fehler zu machen. Das mußte er schwer büßen.

Die poetischen Ergüsse der 'Morgenröte' wurden nicht etwa gelesen, weil sich die Schkider für Lyrik interessierten, sondern wegen ihrer humoristischen Form. Selbst Jankel meinte beleidigt: 'Brotkanten ist ein Halunke — ein schmutziger Konkurrent!' Brotkantens Lyrik rief ein so einträchtiges Gelächter hervor, daß die geistreichsten Glossen der 'Mücke' vor Neid erblassen konnten. Aber Brotkanten konnte einfach nicht begreifen, worüber die Schkider lachten. Er war tief beleidigt. So was aber auch! Nächtelang hatte er über seiner Zeitung gesessen, sein ganzes Herz hatte er in die Verse gelegt, und sie waren seiner Meinung nach ausgezeichnet gelungen. Er war Lyriker von Natur, faßte jedoch den Begriff Lyrik auf seine eigene Weise auf. 'Lyrik ist', pflegte er zu sagen, 'wenn man von sich aus und aus Langeweile schreibt.' Er schrieb seine langweiligen Gedichte nur dann, wenn er bestraft worden war. So lautete eines:

Gelb und schäbig ist das Haus.

Rauch steigt aus dem Schornstein raus.

Der Direktor ist famos,

trotzdem ist hier gar nichts los.

Aus dem leeren Fenster blicken,

tut mir fast das Herz zerknicken.

Rasen möcht ich in die Ferne,

um zu sehen neue Sterne.

Als Brotkanten diese Schöpfung mit vielen Rechtschreibfehlern in seiner 'Morgenröte' veröffentlichte, wälzte sich die ganze Schule vor Lachen, und die 'Mücke' machte sich in der neuen Rubrik 'Aus Schkider Zeitungen' erbarmungslos über Brotkantens Lyrik lustig: 'Anscheinend ist der Poet Brotkanterich ein Mann von überaus feiner Beobachtungsgabe, denn er erwähnt die bemerkenswerte Erscheinung, daß,Rauch aus dem Schornstein raussteigt'. Wir befürchten nur, daß der Rauch eines Tages aus einer anderen Stelle raussteigt, etwa aus der 'Morgenröte' oder aus Brotkantens Kopf, der so leer zu sein scheint wie seine Fenster. Außerdem will Brotkanten 'in die Ferne rasen'. Wir würden ihm seinen Wunsch mit Vergnügen erfüllen, damit er seine Verse dort weiterschreibt.'


Lyrik ist, wenn man aus Langeweile schreibt.


Brotkanten ließ sich jedoch nicht beirren. Er setzte seine lyrischen Bemühungen fort und gab die 'Morgenröte' regelmäßig heraus. Allein in der vierten Abteilung erschienen nun schon sechs Zeitungen. Dieser Überfluß an Druckerzeugnissen erregte die Aufmerksamkeit der ganzen Schule und erhöhte den Ruhm der Großen. In erster Linie interessierte sich natürlich Vikniksor für die neue Zeitungsepidemie. Eines Tages kam er in die Klasse und hielt eine geistsprühende Rede über die Schuljournalistik. Sie sei eine ganz ausgezeichnete Sache, denn Zeitungen entwickeln die Talente, erweitern den Gesichtskreis, verbessern das Benehmen, bilden einen guten Stil heraus, beflügeln die Phantasie usw. usw. Zum Schluß erklärte er, er würde in nächster Zeit ein Schulmuseum eröffnen, in dem die Zeitungen als wichtigste Ausstellungsstücke enthalten sein würden. Außerdem versprach er, die Journalisten mit Schreibutensilien zu unterstützen, und händigte Jankel zur Bestätigung dieser Worte noch am gleichen Tage Papier und Farben aus. Vikniksors Großzügigkeit verblüffte und ermutigte die Jungen, und schon am folgenden Tage kamen drei neue Zeitungen heraus: der 'Sonnenaufgang', der 'Technische Bote' und der 'Clown'. Spatzens 'Sonnenaufgang' unterschied sich von Brotkantens 'Morgenröte' eigentlich nur dadurch, daß er weniger Fehler enthielt. Der 'Clown' war nur für die Lehrer interessant, weil er von Pierre, dem faulsten und unwissendsten Schüler der vierten Abteilung, herausgegeben wurde. Pierre — sein eigentlicher Name lautete Sokolow — befand sich dauernd im Zustand der Geistesabwesenheit. Nur dreimal am Tage — zu den Mahlzeiten — wurde er lebendig. Als die Lehrer erfuhren, daß er eine Zeitung herausgäbe, kamen sie, um sich von dieser Tatsache zu überzeugen, betrachteten verwundert den Jungen, der sich schnaufend über ein Blatt Papier beugte, und stellten ihm, nicht ohne Zaghaftigkeit, einige prüfende Fragen. 'Sokolow! Was machst du da?' Pierre blies würdevoll die Backen auf. 'Eine Zeitung', antwortete er, ohne den Kopf zu heben. 'Was für eine Zeitung?'

'Ich gebe sie raus.'

'Wie soll sie denn heißen?'

'Clown!'

'Warum?'

Aber Pierre war von seinen Auskünften schon zu erschöpft, um auf diese und die folgenden Fragen noch antworten zu können. Die dritte Zeitung, der 'Technische Bote', verblüffte allgemein. Alle möglichen Gerüchte gingen durch die Schkid. 'Was ist das für ein 'Technischer Bote'?'

'Wer braucht so was?'

'Wir beschäftigen uns doch gar nicht mit Technik.'

'Was sollen wir damit?'

Kaum einer konnte das verstehen, und das erstaunlichste war, daß Ljonka Pantelejew, der doch keinerlei Beziehung zur Technik besaß, den 'Technischen Boten' herausgab. Man hielt das für einen Scherz, für eine Finte, und man vermutete hinter dem merkwürdigen Titel einen neuen Konkurrenten der 'Mücke'. Die Schkider waren durchaus bereit, über die neuen Versschöpfungen des namhaften Satirikers zu lachen. Außerdem erwarteten sie neue Knüttelverse. Aber das Komische war, daß sich die Zeitung von Anfang bis Ende tatsächlich mit technischen Dingen beschäftigte. Schnell wurde sie bei den Lesern populär, obgleich sie weder Knüttelverse noch Gedichte, Erzählungen oder gelehrte Artikel über die Gerichtsbarkeit im alten Rußland enthielt. Der Redakteur des 'Technischen Boten' war nämlich kein schlechter Journalist. Er hatte begriffen, daß der Zeitungsmarkt in der Schkid mit literarisch-künstlerischen. Erzeugnissen gesättigt war, daß man mit Belletristik keinen Leser mehr hinter dem Ofen hervorlocken konnte, und sich deshalb entschlossen, einen neuen Zeitungstyp ausfindig zu machen. Seine eigenen technischen Kenntnisse beschränkten sich zwar auf die Fähigkeit, in anderer Leute Treppenhäusern Glühbirnen herauszudrehen, aber dafür verstand er es, die Jungen, die sich für technische und wissenschaftliche Fragen interessierten, die in Physik gute Zeugnisse bekamen, zur Mitarbeit heranzuziehen. Die erste Nummer des 'Boten' enthielt die Artikel 'Wie man eine elektrische Leitung legt', 'Die Technik des Großen Stummen' und 'Radio der Zukunft'.

In der Rubrik 'Vermischtes' brachte der Herausgeber alle möglichen fesselnden Meldungen aus alten und neuen Zeitschriften. Die letzten Seiten wurden von der Rubrik 'Wissenschaft und Technik in der Schkid' gefüllt. Dort stand unter anderem eine bescheidene Notiz folgenden Inhalts:

'Holzklischees. G. Tschornych und L. Pantelejew erfanden ein neues, leichtes Mittel, um Holzklischees für Titelköpfe und Vignetten herzustellen. Das Mittel ist jedem zugänglich. Man nimmt ein glattes Holzbrett, schnitzt mit dem Messer die betreffende Figur hinein, bestreicht das Brett mit Tinte und drückt es auf das Papier. Die neuen Klischees werden bereits mit Erfolg für Titel im Verlag 'Die Mücke' und für Ankündigungen in unserer Zeitschrift verwendet.'

Die Anzahl der Zeitschriften erhöhte sich ruckartig von sechs auf neun, aber die journalistische Epidemie war noch nicht zu Ende. Im Gegenteil — sie hatte erst begonnen.


Die Herausgebersucht griff von der vierten Abteilung auf die dritte über. Die Jüngeren taten es den 'Großen' nach. Ustinowitsch gab den 'Jungen Bären', die erste große Zeitung der dritten Abteilung, heraus. Dann wurden seine Klassenkameraden vom Schreibfieber gepackt. Bald hatte die dritte Abteilung eine ganze Reihe von Zeitschriften, von denen der 'Stern', der 'Rote Morgen', der. 'Nebel' und der 'Bote' besonders erwähnenswert waren.

Nun kam die zweite Abteilung an die Reihe. Auch dort breitete sich die Epidemie aus. Den Jungen gefiel der Einfall der Älteren, und bald saßen sämtliche unverdrossenen Skandalbrüder und Raufbolde der zweiten Klasse über der Herausgabe von Zeitungen. Die lange Liste der Presseerzeugnisse wurde erweitert. Es erschienen der 'Leuchtturm', der 'Rote Schüler' und die 'Chronik'. Als das in der vierten Abteilung bekannt wurde, scherzte einer: 'Jetzt fehlt bloß noch, daß auch die erste Abteilung eigene Zeitungen herausgibt.'

Das war ein prophetischer Scherz. Wenige Tage später zeigte der kleine Kusja den Großen seine Zeitung 'Pilz' und berichtete, in seiner Klasse erschienen die Blätter 'Sonne', 'Fliegenpilz' und 'Rote Fahne'. Zusätzlich faßte der Pädagogische Rat den Beschluß, in jeder Klasse ein offizielles Klassentagebuch herauszugeben.

Die Republik Schkid tat alles spontan, nervös, ungestüm. Periodisch wurde randaliert oder gelernt, und ebenso periodisch beschäftigte man sich mit der Veröffentlichung von Zeitungen. Anfangs ging alles gut. Die Erzieher waren zufrieden. Nach Unterrichtsschluß lärmten die Zöglinge nicht mehr, niemand rannte im Saal herum, niemand schaukelte an den Türen, niemand rutschte das Treppengeländer hinunter, und niemand prügelte sich oder randalierte.

Wenn es geklingelt hatte, blieben die Jungen auf den Bänken sitzen, nur die Pultdeckel klappten, und die ausgeschnitzten schwarzen Brettchen bumsten.

Gesprochen wurde nur in gesittetem Flüsterton.

In den Klassen herrschte Stille. Die Federhalter kratzten, die Papierbogen raschelten.

Viele Dutzend Köpfe neigten sich über die Bänke. Sie dichteten und druckten, sie malten und schrieben.

Sie verfaßten samt und sonders Zeitungen. Die Epidemie hatte sich bis in den letzten Winkel verbreitet.

Es waren so viele Zeitungen geworden, daß es keine Leser mehr dafür gab.

Jedermann schrieb — zum Lesen blieb keine Zeit. Jeder bildete sich ein, seine Zeitung würde gelesen, jeder bemühte sich, seine Zeitung möglichst auffallend und fesselnd zu machen. Dazu brauchte man nicht nur Talent, sondern auch Zeit. Doch die Zeit reichte nicht aus. Daher wurde die Herausgebertätigkeit auch während des Unterrichts nicht eingestellt…

Es klingelt. Alnikpop kommt in die vierte Klasse, aber sein Erscheinen bleibt unbemerkt. Alnikpop wird böse. Er mag es nicht, wenn man in seinem Fach — der Geschichte — nichts lernt. 'Aufstehen!' donnert er.

Die Klasse klappert mit den Pultdeckeln und erhebt sich. Die Jungen machen Gesichter, als habe er sie aus dem Schlaf geweckt. 'Setzen! Nehmt das Papier und die übrigen Dinge, die nicht zum Unterricht gehören, vom Tisch.'

Alnikpop setzt sich an den Tisch, legt seine Bücher aus, hebt den Kopf, fährt sich über die beginnende Glatze und blickt die bewegungslos dasitzenden Schüler prüfend an.

Wir wollen uns heute das bisher Durchgenommene noch einmal kurz ins Gedächtnis zurückrufen. Tschornych soll uns erzählen, was er von Iwan dem Schrecklichen weiß.“

Aber Jankel hört nicht. Er arbeitet eifrig an der neuen Nummer der „Mücke“. Was geht Jankel die Geschichte an? Alnikpop sieht, daß er den Kopf über die Bank geneigt hat. Sein Gesicht verfinstert sich. „Tschornych!“ ruft er. Jankel fährt zusammen. „Was ist, Onkel Sascha?“

„Berichte bitte von Iwan dem Schrecklichen. Beim letztenmal habe ich euch umständlich alles wiederholt; deshalb müßt ihr es wissen.“ Doch Jankel weiß nur noch, daß er beim letztenmal seine „Mücke“ geschrieben hat. Er muß sich irgendwie herauswinden. „Onkel Sascha, ich habe ein schlechtes Gedächtnis.“ „Rede keinen Unsinn.“

„Ehrenwort. Ich weiß nur, daß er junge Katzen aus dem Fenster geschmissen hat, sonst nichts.“ Alnikpop ist niedergeschlagen. „Setz dich“, brummt er mürrisch. Dann geht er zu Kaufmann und ertappt ihn auf frischer Tat.

„Was machst du da?“

„Ich schreibe“, versetzt Kaufmann in gelassenem Baß. „Zeig her!“

„Jaaa… aber nehmen Sie es mir nicht weg.“

„Du sollst es mir zeigen!“

Mit stolzem Lächeln holt Kaufmann eine Nummer des „Maschinengewehrs“ hervor. Sie ist naß von Aquarellfarben. „Da! Ich arbeite an meiner Zeitung.“

In seiner Wut möchte Alnikpop dem Jungen die knallbunten Blätter wegreißen.

Weil er aber mit Kaufmann nicht fertig wird, beschränkt er sich auf den eindrucksvollen Satz: „Ich werde dich in die 'Chronik' einschreiben, weil du dich mit Dingen beschäftigst, die nicht zum Unterricht gehören.“

Während er zum Lehrerpult zurückgeht, bemerkt er, daß in den übrigen Bänken die gleichen Dinge vor sich gehen. Da greift der Prophet zum äußersten Mittel.

„Kinder, ich schreibe die ganze Klasse wegen Unaufmerksamkeit beim Unterricht ein.“

Jedoch auch diese für alltägliche Verhältnisse starke Drohung fruchtet diesmal nicht. Öde und qualvoll zieht sich der Unterricht hin. Die Schüler antworten unzutreffend oder gar nicht.

„So kann man unmöglich arbeiten“, beklagt sich Alnikpop nach dem Klingeln im Lehrerzimmer. „Diese Zeitungen untergraben die ganze Disziplin!“

In der Klasse herrscht großes Durcheinander.

In der einen Ecke streitet sich Japs schimpfend mit Zigeuner um das Recht, über den Illustrator Jankel verfügen zu können. Jankel soll Japs ein Bild für den „Vorwärts“ malen; das gleiche verlangt Zigeuner, der einen „Almanach der besten Werke der Schkid“ herausgibt, von ihm.

In der anderen Ecke kreischt der Lyriker Finkelstein. Die Ursache ist Kaufmann, der Material für sein „Maschinengewehr“ sammelt.

„Gibst du mir die Verse?“ brüllt er. „Ja oder nein?“

„Ich habe keine Verse“, verteidigt sich Falke.

„Du lügst, du hast welche! Wenn du sie mir nicht gibst, schinde ich dich!“

„Laß das, Kaufmann. Au!“

„Gibst du sie mir?“

„Ja, du kriegst welche.“

„Na, warum nicht gleich so.“

Befriedigt läßt Kaufmann Finkelstein los und stürzt sich auf Jankel.

„Gibst du mir eine Geschichte oder nicht?“

Wieder Gekreische: „Ich hab' zu tun!“

„Ja oder nein?“

„Ja!“

Kaufmann ist von all seinen Mitarbeitern verlassen worden, deshalb hat er sich dieses einfache Mittel zur Materialbeschaffung erdacht.

Am Fenster sitzt Pantelejew, in die „Rote Zeitung“ vertieft. Verbissen sucht er seinen „Technischen Boten“ zu einer richtigen Zeitung zu machen. Alles ist fertig, nur die Anzeigen fehlen, und dafür hat er den Umschlag frei gelassen. Er hat schon bei allen Verlegern vorgesprochen und mehrere Anzeigen sammeln können, aber sie reichen nicht aus, zwei Ecken sind noch frei.

„Ach!“ seufzt er niedergeschlagen. „Ein paar Zeilen in der kleinsten Schriftgröße müßte ich noch haben, dann war alles voll.“

Da findet er Material in der „Roten“. Kurz darauf schreibt er bereits:

„Gesucht wird eine Maschinenschreiberin für die Verwaltung der ÄRA.“

Plötzlich stürzt der kleine Kusja aus der ersten Abteilung in die Klasse und rennt stracks auf Jankel zu.

„Nun?“ Fragend blickt Jankel von seiner Zeichnung auf. „Einverstanden!“ sagt Kusja aufgeregt.

„Gut“, erwidert Jankel kurz. Beide laufen in die erste Abteilung. Da werden sie schon von mehreren Neugierigen erwartet.

„Es bleibt also bei unserer Verabredung“, erklärt Jankel. „Ich schreibe euch jetzt ein Poem von sechzig Zeilen, und dafür gebt ihr mir ein Taschenmesser. Klar?“

„Klar!“ stimmen die Kleinen zu.

Jankel setzt sich hin und beginnt auf der Stelle, ein Poem für den „Fliegenpilz“ zu schreiben:

Ich fange jetzt zu schreiben an,

ist auch mein Kopf so leer wie'n Faß,

so daß mir gar nichts einfall'n kann.

Doch trotzdem schreib' ich euch nun was…

Die Feder fliegt über das Papier, und die Strophen reihen sich aneinander.


Die Jungen aus der ersten Klasse sind tief befriedigt, so angesehene Mitarbeiter zu haben. Das Poem kostet allerdings ein Taschenmesser, das als Honorar in Jankels Tasche wandert, aber der angesehene Name bedeutet schließlich etwas für eine Zeitung!

Nach einer halben Stunde hat Jankel den Auftrag erledigt. Das Poem von sechzig Zeilen wird dem Redakteur eingehändigt, und der berühmte Literat rast davon, um seine Zeichnung zu vollenden. Still ist es in der Schule, niemand rennt im Saal umher, niemand schaukelt an der Tür, rutscht das Treppengeländer hinunter oder prügelt sich. Alle sind in die Arbeit vertieft.


Drei Monate lang ist die Schule einzig und allein von dem Streben besessen, immer neue und neue Zeitungen herauszugeben. Drei Monate lang werden saubere Bogen Tag für Tag mit Druckbuchstaben, handschriftlichen Notizen, fehlerhaften Krakeln bedeckt.

Jede Zeitung hat ihr eigenes Gesicht.

Ein Redakteur veröffentlicht eine Erzählung in folgendem Stil:

DER BÄR Eine Erzählung

Es war eine kalte Nacht. Der Schneesturm heulte. Der Rotarmist Iwan Sacharow stand Posten. Es war kalt. Plötzlich kam ein Bär herbei und lief gerade auf Iwan zu. Iwan wollte wegrennen, aber da fielen ihm die Feinde ein, die die Patronenlager anzünden könnten. Er blieb. Der Bär kam nahe heran, aber Iwan holte Streichhölzer heraus und zündete sie an. Der Bär erschrak und blieb stehen, weil er sich fürchtete, zum Feuer hinzugehen. Am Morgen lief der Bär weg, und Iwan hatte das Lager gerettet.

Verfasser der Erzählung: Kusmin.

Ein anderer Redakteur, ein Lyriker, schreibt so:

Ich betrachte die Mimosen,

atme tief den Duft der Rosen.

Glück verschleiert meine Augen,

die zum Sehen nicht mehr taugen.

Warme Strahlen schickt die Sonne,

taucht die Welt in lauter Wonne.

Und mein Herz fühlt nichts als Liebe,

wenn es ewig doch so bliebe!

Ein dritter Redakteur ist ganz anders eingestellt:

Laßt die Sturmesglocke schallen,

weithin übers Feld,

daß sie den Millionen allen

in den Ohren gellt!

Proletarierland im Dämmer,

strebe stolz zum Licht des Mai!

Hell ertönt im Klang der Hämmer

unser Mailied endlich frei!

Drei Monate lang tobte sich die Republik Schkid aus. Dann schwand das Fieber allmählich. Wie Sterne im Morgenrot erloschen nacheinander „Fliegenpilz“, „Clown“, „Fackel“, „Sonnenaufgang“ und andere Zeitungen und Zeitschriften. Die Jungen ermüdeten. Rechtzeitig gab Vikniksor ihnen einen guten Gedanken ein: Es war an der Zeit, eine große Wandzeitung gemeinsam für alle Klassen zu gründen. So entstand der „Pfeffer“, eine gesunde, stabile Schulzeitung, deren Material aus der ganzen Schule, aus allen Abteilungen stammte, die nicht von einem einzigen Redakteur, sondern von fünfzehn bis zwanzig Korrespondenten geschrieben wurde. Von sechzig Presseorganen blieben nur vier übrig. Das Spiel war zu Ende. Es machte ernsthafter Arbeit Platz, und von den früheren Vergnügungen kündete nur noch das Schulmuseum, das eine vollständige Sammlung aller Zeitungen enthielt.

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