Sitztl der Assi in der Klasse * Langeweile * Karamsin und Glücksspiele * Dse hol einen Einfall * Lotteriefieber * Urlaub * Die Sehkid wäscht sich * „Ohne Mechanismus“ * Die Ziehung * Betrübliches Ende Der betrügerische Schatzmeister * Spielfieber Schluß!!
„Tub-tub-tub-tub…“, trommelt der Herbstregen ans Fenster.
Es ist drei Uhr nachmittags, und die Zehnwattlampen kämpfen in der Klasse gegen die Dämmerung.
Assi gibt russischen Unterricht.
Assi ist ein Prophet. Sein Kopf sitzt direkt auf den Schultern, er trägt einen speckigen Wattemantel, dessen Taschen immer angeschwollen sind. Gerüchtweise verlautet, daß sie Brotreste enthalten, die Assi zum Abendessen sammelt.
„Karamsin… Empfindsamkeit… Romantik…“ Assis Stimme ist dumpf und schwer verständlich.
Die Hooliganier hockten in ihren Bänken, aber niemand hört Assi zu.
Japs singt mißtönend:
Sitzt der Assi
in der Klasse
mit der Strolchenmasse,
ach, du armer Assi!
Happen hat die Beine auf die Bank geflegelt und murmelt: „Happen windiwappen windiwampampappen, hat windiwat windiwampampat, Hunger windiwunger windiwampampunger…“
In der Ecke hocken Nackter Herr und Pantelejew.
„Spiel aus!“
Spiel aus! — Sieben… Dame… König!
„Sieben… Dame… König!“
„As!“
„Stich!“
Sie kloppen Karten. Niemand hört Assi zu. Langeweile…
„Die arme Lisa…“ Assis Stimme scheint aus dem Grab zu tönen. „Der Geschmack der herrschenden Klasse… eine Epoche…“ Er ist heiser und hat den Schlucken. Langeweile…
Sitzt der Assi
in der Klasse
mit der Strolchenmasse,
ach, du armer Assi!
Kaufmann packt den wiederkäuenden Admiral beim Schöpf. „Soll ich dich mal aufmischen?“ Seine Hand fährt über den dreieckigen Admirals-schädel und zerzaust die ohnehin schon strubbligen Haare. So was Langweiliges!
„Die arme Lisa… Beginn des 19. Jahrhunderts… Pantheon der Literatur… die arme Lisa…“
„Spatz windiwatz windiwampampatz, ist windi-wist windiwampampist, dof windiwof windi-wampampof…“
Sitzt der Assi
in der Klasse
mit der Strolchenmasse,
ach, du armer Assi!
„Spiel aus!“
„Trumpf… da hab' ich Schwein!“
„Na?“
„Sieben…“
„Stich!“
„Ich misch dich auf!“
Sitzt der Assi
in der Klasse…
Niederdrückende Langeweile.
„Hurra! Ich hab' einen Einfall!“ ruft Dse plötzlich.
…mit der Strolchenmasse.
Ach, du armer Assi!
Die Pikzehn fällt zu Boden, Kaufmanns Hand bleibt mitten im Admiralsschopf stecken. Und Assis Stimme wird laut und vernehmlich: „Seit dem Jahre 1774 gab Nikolai Michailowitsch Karamsin das 'Moskauer Journal' heraus, in dem er seine 'Briefe eines russischen Reisenden' veröffentlichte. Im Jahre 1795 ist Nikolai Michailowitsch…“ „Ein Einfall!“ schreit Dse wieder. Fünfzehn Paar Augen wenden sich ihm zu. „Wie?“
„Was für einen?“
„Drucks nicht lange rum! Rede!“
„Langweilt ihr euch?“ forscht Dse prüfend.
„Und wie!“ antworten fünfzehn Kehlen. Dse hebt den warzenbedeckten Finger.
„Eine Lotterie!“
Und wieder versinkt Assis Stimme im Grabe.
„Im Jahre 1803… des russischen… hick… Staates… ein Geschichtsschreiber… hick… des Zaren…“
Die Klasse hat sich in einen aufgestörten Ameisenhaufen verwandelt. Japs rasselt sein monotones Lied in irrsinnigem Tempo herunter:
Sitzt der Assi
in der Klasse
mit der Strolchenmasse.
ach, du armer Assi!
Assi!
Assi!
Die Klasse tobt. Die Langeweile ist wie weggeblasen — was hat sie auch in den Köpfen zu suchen, in denen der Gedanke rumort:
„Eine Lotterie!“
Futsch ist die Langeweile, Karten, Haarstrubbeln und Japsens mißtönender Tenor sind überflüssig.
„Ja, eine Lotterie!“
Die Klassentür geht auf, eine Hand mit Glocke reckt sich herein. Die Hand schwingt rhythmisch rauf und runter, rauf und runter, und die Glocke klingelt ohrenbetäubend, aber erfreulich. Assi klappt Solodownikows Literaturgeschichte zu, zieht den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, steckt die Hände in die angeschwollenen Taschen und verläßt in dem allgemeinen Lärm unbemerkt die Klasse.
Jankel, Pantelejew und Japs rennen zu Dses Bank.
„Machen wir's?“
„Na klar!“
Der Generalrat tagt: „Du, ich, der und der… in Gemeinschaft. Einverstanden?“
„Natürlich.“
„Eine Lotterie! Verdammt! Daß vorher niemand daran gedacht hat!“
„Prima!“
„Tolle Sache!“
„Und womit?“
„Wieso? Ach ja… wir sammeln. jeder gibt, was er kann.“ „Ich geh' auf Urlaub“, schreit Jankel „ich bring' einen Haufen Zeug mit.“
„Ich auch“, sagt Pantelejew.
Hingerissen entschließt sich Japs zu einer Heldentat, einem Opfer.
„Hundertzwanzig Blatt Papier und Bleistifte. das spende ich alles für die Lotterie!“
Dse, der Initiator, beißt sich auf die Lippen. Er ist in der fünften Gruppe und darf nicht auf Urlaub gehen.
„Ich stifte, was ich kann“, erklärt er.
Morgen ist Sonnabend, da gibt es Urlaub. Heute ist der langweiligste Tag der Woche, trotzdem langweilen sich die Jungen nicht — hingerissen von dem Einfall, der wohl für lange Zeit die Mußestunden Hooliganiens ausfüllen wird. Dse spaziert durch die Klasse, den dicken, warzenbedeckten Finger stolz emporgereckt, und verkündet: „Ich war's!“
Das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage und zweiundfünfzig Wochen.
An jedem Tage in jeder Woche läutet in der Schkid die Glocke. Sie läutet morgens, um die Republik zu wecken; sie läutet zu den Mahlzeiten, zum Unterricht, zum Schlafengehen. Doch am lieblichsten klingt sie den Schkidern in den Ohren, wenn sie sonnabends den Unterrichtsschluß verkündet und damit erklärt: „Urlaub!“
Wenn der Unterricht sonst zu Ende ist, bleiben alle in der Klasse auf ihren Plätzen. Heute aber gleicht die Schkid der Tobsüchtigenabteilung eines Irrenhauses.
In der vierten Abteilung herrscht wüstes Durcheinander.
„Den Fußboden aufwischen!“ schreit Spatz, der Klassenälteste. „Fußboden aufwischen!“ klingt es wie ein Echo zurück.
„Wer denn?“
Spatz hat eine alphabetische Liste der Klasse in der Hand. „Einer von oben, einer von unten: Jeonin, Tschornych, Pantelejew und Offenbach.“
„Das mach' ich nicht!“
„Und wenn du dich auf den Kopf stellst!“
„Ich hab' den Fußboden letztes Mal aufgewischt!“
Allgemeines Geschimpfe, Gejammer, Gezanke.
Pantelejew, Jankel und Kaufmann haben nicht das geringste Bedürfnis, den Fußboden aufzuwischen — sie wollen auf Urlaub. Kaufmann kauft sich sofort los, das heißt, er findet einen Stellvertreter.
„Würfel!“
Der dicke Würfel — sein eigentlicher Name lautet Molotow — taucht blitzschnell vor ihm auf.
„Wischst du den Fußboden auf?“
„Für wieviel?“
„Ein Viertelbrot.“
„Denkste!“
„Was willst du haben?“
„Ein Pfund!“
Es kommt Kaufmann hart an, ein Pfund Brot fürs Aufwischen zu geben, aber das Verlangen, möglichst schnell auf Urlaub zu gehen, siegt.
„Gut. Hol dich der Teufel!“
Aber bei einem ganzen Pfund hat er doch das Bedürfnis, sich irgendwie zu erleichtern. Er schnippt Würfel energisch gegen die Stirn: „Das kriegst du als Zugabe.“
Jankel und Pantelejew sind außer sich vor Wut.
„Was soll denn das?.. Wir wollen doch auf Urlaubl… Und die Lotterie?“
Dse — der Vorsitzende der Lotteriegemeinschaft — überwindet sich.
„Zum Teufel mit euch! Haut ab! Ich und Japs machen es. Ja?“ „Geht in Ordnung.“
Pantelejew und Jankel strahlen über das ganze Gesicht.
„Prima!“
Sie rennen die Treppe hinauf. Im Schlafraum werden Decken und Bettwäsche zusammengerafft. Dann geht es in die Kleiderkammer. Dort steht eine Schlange. Die in Urlaub gehenden Schkider müssen die Heimwäsche abgeben und Mütze und Mantel in Empfang nehmen. „Hinten anstellen! Nicht vordrängeln!“
„Scher dich weg!“
Körperkraft und Autorität der „Großen“ obsiegen — die Hooligan-städter kommen außer der Reihe dran.
In der Kleiderkammer regieren Zischa und Brotkanten, der Kleiderkammerdiensthabende. „Brotkanten, nimm mich dran, bitte!“ Brotkanten strotzt vor Würde. „Warte!“
Die Wäsche ist abgegeben, Mantel und Mütze, die wie ein Rotarmistenhelm aussieht, sind in Empfang genommen. „Ins Prophetenzimmer!“
In der Kanzlei thront Alnikpop, der diensthabende Prophet, majestätisch auf einem wackligen Wiener Stuhl, den Zwicker auf der Nase. „Onkel Sascha, wir gehen auf Urlaub. Schreiben Sie uns bitte einen Urlaubsschein aus!“
Aufmerksam sieht der Prophet die „Chronik“ durch. Jankel und Pantelejew sind in der zweiten Gruppe, sie dürfen in Urlaub gehen. Er holt ein Formular aus dem Tischkasten und schreibt: „Hierdurch wird bestätigt, daß der Zögling der vierten Abteilung der Dostojewski-Schule bis Montag, den 20. Oktober dieses Jahres, Urlaub hat.“
Die Formalitäten sind erledigt, der Bürger der Republik hat seine Pflichten erfüllt.
„Diensthabender, den Schlüssel!“ Und nun raus auf die Straße. In der Schkid beginnt das Aufwischen.
Der gerissene Würfel hat ein Pfund Brot bekommen, denkt aber nicht daran, den Fußboden zu säubern. Er holt sich Kusja aus der ersten Klasse.
„Wisch den Fußboden auf.“
„Was gibst du mir dafür?“ „Brot.“
„Wieviel?“
„Ein Viertelpfund.“
Kusjas wortloses Nicken bestätigt den Abschluß des Geschäftes. Würfel geht in die Klasse, setzt sich auf Jankels Platz und holt den sonst unerreichbaren „Nat Pinkerton“ aus dem Fach. Er hat dreiviertel Pfund Brot verdient und kann sich Erholung gönnen.
Japs und Dse, die kein überflüssiges Brot besitzen, sind gezwungen, ihre heroisch übernommene Pflicht zu erfüllen.
Sie gehen in die Küche. Andere Reinigungskräfte haben sich Eimer und Wischtücher bereits in weiser Voraussicht besorgt, und die Helden müssen warten, bis einer fertig ist.
Nachdem sie schließlich je einen Eimer erbeutet und ihn mit kochendheißem Wasser gefüllt haben, gehen sie die Treppe hinauf. Dort hat Anmischka, die alte Putzfrau, das Kommando. Sie verteilt die Säuberungsarbeit.
„Ihr wischt den Weißen Saal auf“, sagt sie.
Japs und Dse laufen die Treppe hinunter und gehen in den Weißen Saal. Es ist ein schrecklich großer Raum — man hat Angst, überhaupt anzufangen. Der Befehl lautet, ihn sorgfältig zu säubern, ihn zweimal aufzuwischen und das Parkett so lange trockenzureiben, bis es nicht mehr glänzt.
Doch die Hooliganier sind unbeobachtet und erledigen die Arbeit deshalb auf andere Weise. „Fang an!“
Japs nimmt den Eimer, hält ihn schief und läuft damit durch den Saal. In einem gleichmäßigen Strahl rinnt das Wasser aus dem Eimer. Dse kriecht auf allen vieren hinter Japs her und wischt das Wasser auseinander. Fünf Minuten später ist der Parkettboden dunkel vor Nässe und sieht wie frisch gesäubert aus. „Fertig.“
Die Freunde setzen sich ans Fenster. Dse steckt sich eine Zigarette an und bläst den Rauch mit verrenktem Hals vorsichtig an der Wand entlang.
Nachdem sie die Zeit, die für eine gründliche Säuberung erforderlich wäre, abgesessen haben, gehen sie in die Kanzlei. „Onkel Sascha, nehmen Sie bitte den Saal ab.“
Der kurzsichtige Alnikpop geht in den Saal, wirft einen flüchtigen Blick auf den Fußboden und kehrt ins „Prophetenzimmer“ zurück. Japs und Dse begeben sich in die Klasse, heizen den Ofen, hocken sich ans Feuer, schwatzen über die Lotterie und warten auf den Montag.
In der Frühe des nebligen Oktobertages kehrte Ljonka Pantelejew vom Urlaub in die Schkid zurück. Der Schmutz drang ihm in die zerrissenen „amerikanischen“ Stiefel, während er durch die Pfützen platschte und über den holprigen Bürgersteig rannte.
Auf den Straßen herrschte bereits Alltagsleben; die Rolläden vor den Schaufenstern wurden hochgezogen, und aus den Lebensmittelläden duftete es nach frischem Weißbrot, nach Kaffee und nach etwas Undefinierbarem, aber Appetitanregendem.
Ljonka hatte es eilig; er fürchtete, zu spät in die Schkid zu kommen. In einem Juwelierladen an der Pokrowka hing eine Uhr im Schaufenster. Ljonka erschrak. Die Uhr zeigte fünf Minuten nach zehn, und er mußte pünktlich um zehn Uhr zur ersten Unterrichtsstunde in der Schkid sein.
Er beschleunigte den Schritt und preßte das dicke Bündel mit den für die Lotterie bestimmten Sachen an sich.
Es enthielt ein Buch von Saltykow-Stschedrin, verrostete Schlittschuhe, eine Gipsbüste von Leo Tolstoi, einen zerbrochenen Wecker, ein Feuerzeug und eine Menge Kleinigkeiten, die Ljonka seiner kleinen Schwester teils abgebettelt, teils entführt hatte.
„Hat der Unterricht schon angefangen?“ fragte Pantelejew keuchend und erschöpft, als ihm der Küchendiensthabende Zigeuner die Tür öffnete. „Ja“, erwiderte Zigeuner. „Schon lange?“ „Seit einer halben Stunde.“
Reingerasselt! dachte Pantelejew. Ich weiß bloß nicht, wer die erste Stunde gibt. Wenn es Alnikpop oder Vikniksor sind, komme ich unweigerlich in die fünfte Gruppe.
Aus Angst, Vikniksor oder Elanljum in die Arme zu laufen, schlich er lautlos zur Klassentür, preßte das Ohr ans Schlüsselloch und lauschte. Erleichtert atmete er auf. Er hörte eine dumpfe Stimme und Satzfetzen wie: „Karamsin… im Jahre 1803… kam die Bojarentochter Natalia…“
Ljonka öffnete die Tür einen Spalt weit. „Darf ich eintreten?“ fragte er. „Bitte“, antwortete Assi. „Kommen Sie herein.“
Er war der einzige Prophet, der die Schkider siezte. Ljonka ging in die Klasse. Beim Anblick seines dicken Bündels riefen die Jungen durcheinander:
„Fein, da ist der Einbrecher!“
„Bravo!“
„Hurra!“
Ljonka ging zu seinem Platz, setzte sich, schnappte nach Luft und knotete das Bündel auf. Japs und Dse rückten zu ihm hin. „Zeig mal her!“
Ljonka breitete die mitgebrachten Sachen auf der Bank aus. „Ist Jankel schon zurück?“ fragte er. „Noch nicht“, antwortete Japs und blätterte in dem Buch. Spatz, Brotkanten und Happen drängten sich um Ljonkas Bank. „Verduftet!“ schnauzte Ljonka. „Hier gibt es nichts zu sehen. Das ist Berufsgeheimnis.“
Die Neugierigen verzogen sich. Ljonka schob die Sachen ins Fach und legte die mitgebrachten Lebensmittel — Brot, Zucker, ein Stück Pastete und ein Achtel Machorka — beiseite.
Da stürzte Jankel mit gerötetem, verschwitztem Gesicht in die Klasse. Er trug ein riesengroßes Paket, das mit einem Bindfaden verschnürt war. Die Hooliganier empfingen ihn mit einem noch lauteren Hurra. Jankel lief zu seinem Platz und keuchte atemlos: „Verdammt, und ich glaubte, wir hätten beim Gänserich Unterricht, aber…“ Assi war einen Augenblick verstummt. Jetzt zog er den Kopf zwischen die Schultern und brabbelte weiter: „Karamsin… ein Vertreter seiner Epoche… wenn wir seine Werke in chronologischer Reihenfolge aufzählen, dann…“
Es läutete. Assi stockte mitten im Satz, stand auf und schlich aus der Klasse.
„Gemeinschaftsleitung, hierher!“ rief Japs.
Das vierblättrige Kleeblatt versammelte sich auf Ljonkas Bank. Jankel schleppte sein Paket herbei, knotete es auf und förderte etwa zwanzig verschiedene Bücher, eine Unmenge von Bleistifthülsen und Nippessachen, eine Farbenpalette und einen vollständigen Jahrgang der „Niwa“ von 1909 zutage. Auch Japs brachte seine Sachen zu Ljonkas Bank. Er spendete hundertzwanzig Blatt Schreibpapier, das er innerhalb eines Jahres zusammengespart hatte, und ein Dutzend Faberbleistifte. Dse wickelte seine Gamaschen ab. Wickelgamaschen galten in der Schkid als Gipfel der Eleganz, deshalb war seine Spende äußerst wertvoll.
Schließlich war alles beisammen.
„Kommen wir zum technischen Teil“, schlug Jankel vor. „Wir müssen einen Katalog zusammenstellen.“ Zuerst kamen die Schlittschuhe dran:
1. Erstklassige Rennschlittschuhe, Marke „Jackson“. Dann folgten Dses Wickelgamaschen:
2. Prachtvolle Wickelgamaschen aus Tuch. Neueste Londoner Mode. Anschließend wurde die zehn Zentimeter hohe Büste Tolstois als „nahezu in Lebensgröße“ aufgeführt.
Die Klassifizierung der folgenden Dinge war ziemlich kompliziert. Sie nahmen sich den Wecker vor. Er bestand nur aus einer leeren Blechhülle mit Zifferblatt. Ein Uhrwerk hatte er nicht. „Ich weiß“, sagte Japs. Schreib hin: „Elegante Weckeruhr“ und dann auf deutsch: „ohne Mechanismus“. „Klingt verdammt gut“, meinte Dse. „Aber was heißt das auf russisch?“
„Daß die Uhr keinen Mechanismus hat. Die Jungen werden das nicht verstehen und meinen 'ohne Mechanismus' sei der Firmenname.“ Dann notierten sie: „Ein vollständiger Jahrgang der 'Niwa' aus xiem Jahre 1909 in einem Prachteinband aus Kaliko“, ein zerbrochenes Obstmesser, das als „Damaszener Dolch aus brüniertem Stahl“ definiert wurde, das Feuerzeug und die Bücher.
Nun kamen die Kleinigkeiten — Figürchen, Bleistifte, Bleistifthülsen — und schließlich das Papier:
51. 5 Bogen erstklassiges Velinpapier
52. 5 Bogen erstklassiges Velinpapier
Vierundsiebzig Nummern enthielt der Katalog. „Wie teuer wollen wir die Lose verkaufen?“ fragte Ljonka. „Für zwei Portionen Streuzucker oder ein halbes Pfund Brot oder fünf Kopeken in Goldwährung“, meinte Japs.
„Zu billig“, stellte Jankel, der nachgerechnet hatte, fest. „Es macht insgesamt drei Rubel siebzig Kopeken. Das wäre unrentabel. Allein die Schlittschuhe kosten schon zwei Rubel.“ „Aber Nieten verkaufen wir nicht“, gab Dse zu bedenken. „Nein, wir machen es ohne Nieten.“
Sie beschlossen, den Katalog zu ändern. So schrieben sie statt „5 Bogen erstklassiges Velinpapier“ jetzt „2 Bogen“. Auf diese Weise verlängerten sie die Liste auf hundertzehn Nummern. Nachdem der Katalog fertig war, entwarf Jankel die Lose:
Mit Ljonka und Dse druckte Jankel hundertzehn Stück. „Wer wird Schatzmeister?“ fragte Ljonka. „Ich schlage Jankel vor.“ „Nein, verdammt!“ widersprach Japs. „Lieber Dse.“ Sie einigten sich auf Dse. Der frischgebackene Schatzmeister unterschrieb die Lose.
Bis zum Abend dauerte die Arbeit — die Lose wurden fertiggestellt, Nummern auf die Sachen geklebt, und dann grenzten sie eine Zimmer-ecke mit dem Lehrerpult ab und bauten alles in den Fächern des leeren Bücherschranks auf.
Und als die Hooliganier am Dienstagmorgen nach dem Frühstück in die Klasse kamen, fiel ihnen ein riesengroßes Plakat in die Augen. Es hing am Lehrerpult und lautete:
Eine unübersehbare Menschenmenge versammelte sich vor dem Plakat. Mit Windeseile hatte sich die Neuigkeit in der ganzen Republik verbreitet. Als Alnikpop zum Unterricht in die vierte Abteilung kam, gelang es ihm nur mit Mühle, die Horden der Schlammanier, Sumpfonier und Dschungelinier hinauszujagen.
In den Unterrichtsstunden herrschte allgemeine Aufregung. Selbst Vikniksor, der bei den Hooliganiern „Geschichte des Altertums“ gab, konnte die brodelnden Massen nur mit Anstrengung zur Disziplin veranlassen. Nach dem Klingeln erkundigte er sich, was die Klasse in solchen Aufruhr versetzt habe. Jemand wies wortlos auf das grelle Plakat am Lehrerpult. Vikniksor las es lächelnd, runzelte aber dann die Stirn. „Ihr hättet mich um Erlaubnis bitten sollen, bevor ihr es aufhängt“, sagte er.
Jankel sprang auf.
„Verzeihen Sie, Viktor Nikolajewitsch, daran haben wir nicht gedacht.“
„Na schön“, der Direktor lachte gutmütig, „meinetwegen. Ihr sollt euren Spaß haben.“ Er überlegte und holte das Portemonnaie aus der Tasche. „Ich will mein Glück versuchen. Gebt mir ein paar Lose.“ Brausender Beifall war die Antwort, und Dse überreichte Vikniksor die ersten beiden Lose.
Nach Schulschluß füllte sich die Klasse wieder mit Schkidern. Brot und Streuzucker hatten sie bereits mitgebracht. Einer besaß sogar Geld, das er daheim geschenkt bekommen hatte. Die meisten kauften nur ein bis zwei Lose, manche bezahlten mit Erlaubnis der „Ziehungskommission“ in Saccharin, Zigaretten oder anderen Dingen. Zigeuner besaß in seiner Eigenschaft als Küchendiensthabender reichlich Brot. Er opferte zehn Pfünd, um zwanzig Lose zu kaufen. „Ich will die Schlittschuhe gewinnen“, erklärte er. „Und die Wickelgamaschen.“ Assi, der nach dem Mittagessen unterrichtete, wurde gezwungen, fünf Lose zu nehmen. Abends waren einhundertzwei Lose verkauft. In, auf und unter Dses Bank türmten sich Brot und Streuzucker. Außerdem knisterten in seiner Tasche vierzig „Eier“ — der Schkider Ausdruck für Geld.
Am nächsten Abend sollte im Weißen Saal die Ziehung stattfinden.
Die Republik war vollzählig im Weißen Saal versammelt. Mitten im Raum stand ein Tisch mit den Gewinnen, daneben ein zweiter mit einer Kiste. Sie enthielt die zusammengerollten Lose. Dahinter hatte sich die „Ziehungskommission“ aufgebaut. Die Schkider drängten sich um sie.
„In einer Reihe aufstellen!“ schrie Japs.
Das geschah. Vikniksor stand vorn, hinter ihm die anderen Propheten, und dann kamen die Jungen.
„Hiermit ist die Ziehung eröffnet!“ verkündete Dse. Lächelnd steckte Vikniksor die Hand in die Kiste und holte zwei Lose heraus. Sie wurden aufgerollt. Es waren die Nummern 6 und 69. Dse sah auf der Liste nach.
„Ein Damaszener Dolch aus brüniertem Stahl und zwei Bogen Papier.“ Vikniksor griff nach dem Papier, verzichtete jedoch auf den „Dolch“, als er ihn in Augenschein genommen hatte. Dann zog Alnikpop ein Los. Er gewann zwei Bogen Papier. Assi bekam vier Bogen Papier und das Buch „Wie man Honigpilze in trockenen Gegenden züchtet“. Kostalmed erbeutete einen Bleistift, mit dem er stracks Rabindin (einen Schüler aus der zweiten Klasse, der den Spitznamen „Rabindranath Tagore“ hatte) aufschrieb, weil dieser im weihevollen Augenblick der Ziehung Unfug trieb. Nun kamen die Jungen an die Reihe.
Kaufmann, der sich die Wickelgamaschen gewünscht hatte, gewann den Wecker „ohne Mechanismus“. Er strahlte. Als er die Uhr aber genauer betrachtete, wurde er unbeschreiblich wütend.
„Ich bring' euch um!“ brüllte er. „Ihr Hochstapler, Gauner, Betrüger!“
Die Ziehung wurde unterbrochen. Die „Kommission“ drängte sich zitternd an die Wand. Nachdem Kaufmann sich satt gebrüllt hatte, schmiß er den „Ohne-Mechanismus“ in rasender Wut zu Boden und rannte aus dem Saal.
Daraufhin wurde die Ziehung fortgesetzt.
Jakuschka, der winzigste Bürger der Republik, gewann die Schlittschuhe. Die Wickelgamaschen fielen an den Nackten Herrn. Die Ziehung war nahezu beendet, als Zigeuner in den Saal stürmte. Er hatte Küchendienst gehabt und war erst jetzt fertig geworden. „Her mit den Schlittschuhen!“ rief er. „Sind schon weg“, antwortete jemand. „Weg? Wieso?“
„Die hat einer gewonnen.“
„Und die Wickelgamaschen?“
„Auch.“
„Ihr Halunken!“ Zigeuner rannte zum Tisch, um seine zwanzig Lose zu ziehen. Doch die Kiste enthielt nur noch zwölf Röllchen. Acht Lose waren rätselhafterweise verschwunden. Und das, was Zigeuner bekam, war lauter Plunder: Auf zehn Lose gewann er Papier, auf das elfte das Buch „Kusma Krjukow“ und auf das zwölfte einen Nippeselefanten mit abgebrochenem Rüssel. „Halunken!“ schimpfte er. „Halunken! Schurken! Übers Ohr hauen wolltet ihr uns nur, hochstapeln, Brot ergaunern!“ Er packte den Tisch, warf ihn um und stürzte sich auf die Ziehungskommission. Die Kommission spritzte auseinander. Bloß Jankel kam nicht mehr rechtzeitig weg. Er preßte sich an die Wand. Zigeuner warf sich auf ihn und verdrosch ihn dermaßen, daß er zwei Stunden hinterher noch mit verbundener Wange und verquollenen Augen herumlief. Aber nur zwei Stunden lang.
Dann spazierte er wieder munter und vergnügt durch die Gegend. Er hatte einen Einfall, den er großartig fand. Er wollte sich für Zigeuners Prügel entschädigen. Zu diesem Zweck tuschelte er ausgiebig mitDse. Japs und Ljonka räumten den Saal auf. Dann gingen sie in die Klasse. Das erste, was ihnen auffiel, war Dses blasses, leidverzerrtes Gesicht. „Was ist passiert?“ rief Japs. Er ahnte Böses. „Das Brot…“, stammelte Dse, „Brot, Zucker… alles…“
„Was?“
„Geraubt… geklaut…“
„Alles?“
„Nein… hier ist noch ein Happen.“ Dse holte einen etwa fünf Pfund schweren Brotlaib aus dem Fach. Ljonka und Japs sahen sich seufzend an. „Und das Geld?“ forschte Japs.
Dse überlegte. Dann drehte er die rechte Hosentasche um und antwortete: „Das Geld ist auch futsch.“
Ljonka und Japs nahmen das Brot und verließen die Klasse. „Das sind doch Halunken!“ stöhnte Japs. „Und was für welche!“ bestätigte Ljonka.
Der betrügerische Schatzmeister zahlte dem erfinderischen Jankel inzwischen das Schmiergeld aus. Genauer gesagt, er teilte mit ihm das unterschlagene Kapital — Brot, Zucker und „Eier“. So endete die erste Lotterie.
Aber ihr Beispiel fand Nachahmung.
Kurz darauf veranstalteten Kaufmann, Zigeuner und Spatz ebenfalls eine Lotterie. Sie hatte nur mäßigen Erfolg, erzielte jedoch einen Gewinn. Das veranlaßte die vierte Abteilung, eine Glücksspielindustrie zu entwickeln.
„Sascha Pylnikow“ kam auf ein anderes Spiel — das Roulette oder „Rad der Fortuna“. Ljonka, der früher einmal nähere Bekanntschaft mit Falschspielern gemacht hatte, brachte den Freunden die betreffenden Tricks bei. Die vierte Abteilung verwandelte sich in eine regelrechte Spielhölle. Allmählich gab es sogar zuwenig Spieler, weil jeder ein „Spielhaus“ besaß, vor seiner „Spielbank“ saß und auf „Klienten“ wartete. Vor lauter Langeweile gingen die Spielbankbesitzer zum Konkurrenten, spielten bei ihm und luden ihn dann zu sich ein. Die Jüngeren ahmten das Beispiel der „Großen“ nach. Bald gab es auch in den unteren Klassen „Spielhöllen“.
Doch bald verlor sich das Spielfieber. Die Schkider zog es zu vernünftigerem Zeitvertreib.
Die Periode des Radaus ging zu Ende, und die Republik bekam das Bedürfnis zu lernen.