DAS „KROKODIL“

Aiwasowskis Neffe * Kr-r-rokodil * Die Bleistifte * Gib ihm Saures! * Der hinterhältige Tolstoianer Plus + Minus = Null * Ablaljsdieine.


Er kam in die Kanzlei, nahm den verblichenen Filzhut ab, rückte den zu einer Schleife gebundenen Schal gerade und stellte sich vor: „Sergej Petrowitsch Aiwasowski, Neffe meines Onkels Aiwasowski, der die 'Neunte Woge' malte, und überhaupt…“

Er suchte eine Stellung. Längere Arbeitslosigkeit hatte ihm die Nerven zerrüttet, ihn mit Hunger, Kälte und Untätigkeit gequält… Deshalb sprach er im Heim für Schwererziehbare vor.

Vikniksor warf einen flüchtigen Blick auf die Empfehlung der Abteilung Volksbildung und sah sich dann Aiwasowski an. Es war ein ziemlich großer, breitschultriger Mann, dessen stolzes Gesicht mit der aufgeworfenen Nase einen festen Charakter zu verraten schien.

„Gut“, sagte der Direktor, „ich werde Sie als Erzieher einstellen. Aber wir brauchen außerdem einen Zeichenlehrer. Könnten Sie das übernehmen?“

„Ich bin ein Neffe Aiwasowskis“, erwiderte der Mann selbstbewußt. „Überdies habe ich die Akademie der Künste besucht. Ich…“

„Ausgezeichnet“, unterbrach ihn Vikniksor. „Sie sind eingestellt. Treten Sie bitte morgen um zwei Uhr mittags Ihren Dienst an. Hoffentlich können Sie mit den Zöglingen umgehen.“

„Oh!“ rief Aiwasowski. „Das kann ich… ich habe Erfahrung darin… ich…“

Er unterdrückte die letzten Worte „… ich bin der Neffe Aiwasowskis“, weil es draußen zum Unterrichtsschluß klingelte und sich die Kanzlei mit Lehrern und Schülern füllte. Aiwasowski drehte seinen Hut hin und her, während er die Leute betrachtete, die sich mit Vikniksor unterhielten. Er wollte dem Direktor die Hand reichen, überlegte es sich aber anders und sagte nur: „Bis morgen.“ Dann verließ er die Kanzlei. Sein goldener Kneifer blitzte auf der Himmelfahrtsnase.

Am nächsten Tage ging Vikniksor nach dem Unterricht mit Aiwasowski in die Klasse der vierten Abteilung. Die Zöglinge standen auf.

„Jungen“, sagte Vikniksor, „hier ist ein neuer Erzieher, ein Maler. Ein sehr guter Mensch. Ich hoffe, daß ihr euch mit ihm verstehen werdet.“ Nachdem Vikniksor die Klasse verlassen hatte, umringten die Jungen den frischgebackenen Erzieher, der seine neugierigen Schüler musterte, die Aktentasche unter dem Arm. Merkwürdigerweise fühlten sich die Jungen sogleich zum Spotten aufgelegt.

„Wie ist dein Name, o Fremder, du neuer Krieger vom Stamme der Propheten?“ forschte Japs in erheuchelt feierlichem Ton. „Ich heiße Sergej Petrowitsch“, antwortete der Lehrer. „Mit Nachnamen Aiwasowski.“

„Aiwasowski? Wie der Maler?“

„Ja.“ Der Prophet warf den Kopf in den Nacken. „Ich bin der Neffe meines Onkels Aiwasowski, der die 'Neunte Woge' und andere Bilder schuf.“

„Prima!“ rief Jankel.

Die Jungen umdrängten den neuen Lehrer noch enger. Aiwasowski setzte sich in eine leere Bank und legte die Aktentasche vor sich auf den Tisch.

„Und was macht ihr?“ fragte er. „Womit beschäftigt ihr euch in eurer Freizeit?“


Aiwasowski setzte sich auf eine Bank.


„Wir verhauen die Propheten“, brummte Kaufmann. „Wie?“ erkundigte sich Aiwasowski verständnislos. „Wir verhauen die Propheten“, wiederholte Kaufmann. „Außerdem kloppen wir Karten und randalieren.“ „Aha.“ Aiwasowski begriff offensichtlich nichts. „Ich werde euch jedoch anders beschäftigen. Ich habe ein eigenes Erziehungssystem.“

„Was für eines?“ fragte einer. „Vielleicht erzählen Sie uns davon“, schlug Jankel vor. „Ich habe folgendes System: Ich verbringe mit den Zöglingen die Freizeit, lese ihnen vor und spiele mit ihnen.“ Einer kicherte. „Interessant“, meinte Jankel. „Wollen Sie schon heute mit Ihrer Erziehungsarbeit beginnen?“

„Ich denke ja.“

Der „Neffe seines Onkels“ wühlte in der Aktentasche und zog ein Büchlein hervor.

„Ich werde euch jetzt etwas Interessantes vorlesen“, sagte er. „Ich lese gut. Ich habe übrigens einen Deklamationskursus besucht.“

„Los, lesen Sie!“ unterbrach Ljonka Pantelejew. Aiwasowski legte das Buch auf den Tisch.

„Was ist das?“ Japs sah auf den Titel und brach in schallendes Gelächter aus.

„'Das Krokodil' von Tschukowski“, las er vor. „Toll!“

Die Klasse erbebte unter einer Lachsalve.

Verständnislos blickte der Lehrer in die lachenden Gesichter.

„Worüber lacht ihr?“ fragte er. „Das ist ein sehr interessantes Buch!“

„Lesen Sie doch!“ schrie Ljonka dazwischen.

Aiwasowski erhob sich, stützte einen Fuß auf die Bank, warf den Kopf zurück und begann:

Es war einmal ein Krokodil,

ging auf dem Newski ohne Ziel

und rauchte Zigaretten viel,

sprach türkisch mit gewandtem Stil,

Kr-r-rokodil,

Kr-r-rokodil

Kr-r-rokodilowitsch…

Er las diese heiteren Kinderverse mit dröhnendem Pathos, er rollte das „R“ in dem Wort „Krokodil“ dermaßen, daß man nicht ernst bleiben konnte. Die Jungen wälzten sich vor Vergnügen. Beleidigt klappte Aiwasowski das Buch zu.

„Was ist daran so komisch?“ fragte er mit einer Stimme, die vor Gekränktheit bebte. „Ihr seid dumme Knaben und habt keine Ahnung von Poesie.“

„Weiterlesen!“ schrien die Jungen. „Lesen Sie doch, Sergej Petrowitsch!“

Der Erzieher schmollte noch ein wenig, schlug dann aber das Buch wieder auf und las weiter. Jedesmal, wenn er deklamierte: „Kr-r-rokodil, Kr-r-rokodil Kr-r-rokodilowitsch!“ zitterten die Fensterscheiben unter wilden, orkanartigen Lachsalven. Als er fertig war, sprang Japs auf die Bank. „Achtung!“ rief er. „Die Traditionen und Bräuche der hooliganischen Republik im besonderen und der ganzen Schkid im allgemeinen erfordern, daß jeder neue Schkider oder Prophet einen Spitznamen bekommt. Dieser neugebackene Prophet ist keine Ausnahme. Auch er erhält jetzt seine Feuertaufe. Ich glaube, der Name 'Krokodil' paßt am besten zu ihm.“

„Bravo!“ riefen die Jungen und klatschten Beifall.

Dann hielt es jeder für seine Pflicht, zu Aiwasowski hinzugehen, ihm auf die Schulter zu klopfen und zu sagen „Herzlichen Glückwunsch, Krokodil Krokodilowitsch!“

Der Lehrer saß fassungslos da und starrte den Jungen ins Gesicht. Er wußte nicht, was er machen sollte, oder er verstand es vielleicht nicht, seine ausgezeichnete pädagogische Erfahrung anzuwenden.

So begann die pädagogische Karriere von Krokodil Krokodilowitsch, dem Neffen seines Onkels, des großen Landschaftsmalers Aiwasowski.

Schon am ersten Tage verlor er bei den Zöglingen seine Autorität.

„Eine Niete“, sagten die Schkider.


Die erste Zeichenstunde der vierten Abteilung fand am folgenden Tage statt. „Krokodil“ kam in die Klasse, ging zum Lehrerpult und stellte einen kleinen Bleistiftkasten aus karelischer Birke sowie einen stumpfen Gipskegel hin.

Bei seinem Eintritt hatten sich fünf Jungen erhoben. Die übrigen wollten seine Beziehung zur Disziplin ausprobieren und waren sitzen geblieben. Krokodil tadelte niemanden, sondern schüttete nur einen Haufen von Bleistiftstummeln verschiedenen Kalibers aus dem Kasten.

„Nehmt euch jeder einen Bleistift“, sagte er.

Die Jungen gingen zum Tisch und wählten sich die besten, längsten Stummel aus. Etwa fünfundzwanzig Bleistifte blieben liegen. Japs, der an leidenschaftlicher Liebe zu Schreibutensilien — Bleistiften, Federhaltern, Papier — litt, seufzte und zwinkerte dann Jankel zu. „Ganz nett, nicht?“ „Tjaa!“ Gierig starrte Jankel auf den Bleistifthaufen.

„Holt Papier hervor!“ befahl der Lehrer.

„Das ist aber neu“, widersprach Spatz empört. „Unser eigenes Papier sollen wir vollschmieren?“

„Tatsache“, bestätigte Ljonka. „Holen Sie doch was aus der Kanzlei — da gibt es genug.“

„Wirklich?“ fragte Krokodil. „Ist das bei euch so üblich?“ „Natürlich!“

Krokodil ging in die Kanzlei.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stürzten Japs, Jankel und dann alle übrigen zum Lehrerpult.

Nach einer Sekunde waren von dem Bleistifthaufen nur klägliche Reste in Gestalt von fünf oder sechs schlechten, harten Stummeln übrig.

Krokodil bemerkte den Raub gar nicht, als er mit dem Papier zurückkehrte. Er gab die Bogen aus, stellte den stumpfen Kegel oben auf die Klassentafel und forderte die Schüler auf, ihn abzuzeichnen. Die Anhänger der darstellenden Künste begannen zu zeichnen, die anderen holten ihre Bücher hervor und vertieften sich in die Lektüre. Es waren recht verschiedenartige Bücher.

Jankel reiste in Gedanken nach New York und warf dort zusammen mit dem „genialen Detektiv Nat Pinkerton“ den zwölften Verbrecher von der Brooklyn-Brücke in die Fluten des Hudson. Japs ging von der agraren zur permanenten Revolution über und schnupfte, da er anderer Meinung war als Kautsky, gedankenversunken auf.

Ljonka seufzte, von heißem Mitleid mit dem tückisch betrogenen Liebhaber in der „Armen Lisa“ gepackt, während Dse Seite an Seite mit den tapferen „Drei Musketieren“ ein heißes Gefecht bestand — er las hingerissen in einem dicken Band von Dumas.

Die Jungen liatten sich in alle Welt zerstreut: Einer war bei den Indianern in der Prärie, der andere am Nordpol. Niemand hörte das Klingelzeichen, und erst Krokodils Ruf: „Wo sind die Bleistifte?“ brachte sie aus ihrer Traumwelt in die Wirklichkeit zurück. Niemand antwortete.

„Wo sind die Bleistifte?“ wiederholte der Lehrer. Wieder keine Antwort. Die Jungen schlenderten in der Klasse umher, ohne sich um den Lehrer zu kümmern.

„Gebt die Bleistifte zurück!“ Krokodils Stimme klang schon ganz verzweifelt.

„Verschwinde!“ brummte Kaufmann. „Du hättest eben besser aufpassen müssen.“ Die Jungen lachten.

„Du mußt aufpassen, Krokodil Krokodilowitsch!“ Sascha Pylnikow klopfte dem Lehrer auf die Schulter.

„Ach, so ist das!“ rief Krokodil. „Dann schreib' ich euch einen Tadel in die 'Chronik'. Viktor Nikolajewitsch hat mir gesagt, daß ich euch einschreiben soll, wenn ihr ungezogen seid.“ „Machen Sie keinen Quatsch!“ widersprach Ljonka. „Alle können Sie nicht einschreiben.“

„Doch!“ Krokodil zitterte vor Empörung. „Ich schreibe euch einen Kollektivtadel ein… Einen Kollektivtadel!“ wiederholte er, hingerissen von diesem Einfall. Er packte den stumpfen Kegel und den leeren Kasten und rannte aus der Klasse. Tatsächlich schrieb er den folgenden „Kollektivtadel“ in die „Chronik“:

„Die Zöglinge der vierten Abteilung stahlen dem Lehrer Bleistifte und weigerten sich trotz wiederholter Aufforderung, sie zurückzugeben.“ Vikniksor veranlaßte die Klasse, die Bleistiftstummel herauszurücken, und entzog der ganzen Abteilung zwei Tage lang den Spaziergang. Die Klasse schäumte vor Wut.

„Miserabler Petzer!“ schrie Jankel in der oberen Toilette, dem überfüllten „Klubraum“ der Großen.

„Petzer! Angeber! Schmieriges Krokodil!“

„Gebt ihm Saures!“ schlug einer vor. „Den Heiligen Geist!“ „Dem wollen wir die Petzerei austreiben.“ Sie beschlossen, Aiwasowski zu verhauen.

Am Abend, als er in die Klasse kam, warfen sie ihm einen Mantel über den Kopf, knipsten das Licht aus, und dann ertönte der Ruf: „Druff!“

Von allen Bänken flogen dem unglücklichen Propheten schwere Wälzer an den Kopf.

Einer bearbeitete seinen Rücken mit einem Holzscheit. „Au! Au!“ kreischte der Lehrer jämmerlich. „Genug!“ rief Japs.

Das Licht wurde wieder angeknipst. Krokodil hockte auf einer Bank, den Kopf in die Hände gestützt. Der alte zerrissene Anstaltsmantel rutschte ihm von den Schultern.

Die Wut der Jungen verflog — der verprügelte Prophet tat ihnen leid. „Genug“, wiederholte Japs, obgleich niemand die Prügelei fortsetzen wollte.

Aiwasowski hob den Kopf. Das Gesicht des Vierzigjährigen war tränenüberströmt. Den Jungen verging das Mitleid — so ein widerwärtiger Anblick!

„Pfui!“ Kaufmann spuckte aus. „Flennt wie ein Weib. Und so was ist nun Prophet. Nicht mal ein Baby würde dabei heulen. Solche Leute muß man ja geradezu verdreschen.“

„Laßt nur, das macht nichts“, sagte Aiwasowski mit kläglichem Lächeln.

Nun empfanden die Jungen wieder Mitleid. Sie schämten sich sogar. „Verzeihen Sie uns, Sergej Petrowitsch“, brummte Japs. „Schreiben Sie uns der Form halber einen Kollektivtadel ein, aber verzeihen Sie uns als Mensch.“

„Macht nichts“, wiederholte Krokodil. „Ich verzeihe euch und werde niemanden einschreiben.“

„Das ist ein Mann!“ meinte Ljonka. „Er wird verprügelt, doch er verzeiht. Kein Prophet, sondern ein Tolstoianer, wie er im Buche steht.“ Aiwasowski stand auf. „Ich gehe jetzt.“

In der geöffneten Tür drehte er sich plötzlich scharf um und schrie mit blutrotem Gesicht: „Das tränke ich euch ein, ihr Teufel! Ich… ich dreh' euch die Gurgel um!“ Damit rannte er aus der Klasse.


Aiwasowskis Verhalten erregte allgemeine Wut. Die Szene mit der „christlichen Verzeihung“ hatte Folgen: Krokodil bekam auch in der dritten Abteilung „Saures“.

Die Schlammanier verprügelten ihn gründlich, und als er auch bei ihnen die rührende Szene der „allgemeinen Versöhnung“ zu spielen versuchte, bekam er noch eine Zugabe. Sie verdroschen ihn nicht mit Büchern, sondern mit Gymnastikstöcken und mit dem Feuerhaken.

Auf beide Abteilungen prasselte ein Hagel von Tadeln herab, und alle Schüler aus der dritten und vierten Klasse saßen dauernd in der vierten oder fünften Gruppe.

Die Reaktion auf die Verschärfung der Strafen war ein Riesenradau…

Krokodil wurde seine blauen Flecke nicht mehr los.

In der „Chronik“ jener Tage finden sich Eintragungen wie: „Jeonin und Korolew ließen ihre Mitschüler nicht schlafen. Mehrere Stunden lang schrien, lachten und schwatzten sie, beschimpften den Lehrer, belegten ihn mit allen möglichen Namen, besonders Korolew, der wiederholt zum Bett des Erziehers ging und versuchte, ihn zu schlagen und anderes mehr.“

Oder:

„Pantelejew sagte im Schlafraum zu Jeonin: 'Gib mir einen Stiefel, ich will den Erzieher damit verprügeln.'“

Oder:

„Ein Zögling warf einen Stiefel nach dem Erzieher. Die Schüler der dritten und vierten Abteilung billigten diese Tat einmütig.“ Die Überfülle der Eintragungen in die „Chronik“ gab dem Pädagogischen Rat, besonders Vikniksor selbst, schwer zu denken. Es mußte ein Mittel gefunden werden, um die Zöglinge vom Randalieren abzulenken und ihnen zu helfen, endlich aus der fünften Gruppe herauszukommen.

Vikniksor zerbrach sich den Kopf.

„Jungen!“ erklärte er eines Tages beim Abendessen. „Bisher hat es bei uns nur negative Eintragungen gegeben. Jetzt wollen wir auch positive einführen. Jede eurer guten Taten wird in die 'Chronik' eingeschrieben werden. Plus und Minus ist gleich Null. Eine gute Eintragung macht eine schlechte ungültig.“ Die Schkider jubelten, aber nur kurze Zeit.

Schnell stellte sich heraus, daß „gute Tat“ ein verschwommener Begriff war.

Am gleichen Tage setzte sich nämlich Kaufmann, der das Geographiebuch ein halbes Jahr lang nicht mehr zur Hand genommen hatte, hin und paukte achtzehn Seiten des „Europäischen Rußlands“ ein. Er erhielt aber keine positive Eintragung, weil festgestellt wurde, daß es zwar lobenswert ist, seine Aufgaben zu machen, aber nicht außergewöhnlich — man muß lernen, ohne auf Eintragungen zu spekulieren. Alle ließen den Kopf hängen, und Kaufmann, der sich seine Dummheit nicht verzeihen konnte, verdrosch vor Wut das Krokodil. Da fand Vikniksor einen Ausweg.

„Als gute Tat“, sagte er, „wird jede freiwillige Arbeit für die Gemeinschaft angerechnet, also scheuern, fegen, Holz hacken und ähnliches.“ Nun stürzten sich die Schkider auf Schrubber, Sägen und Scheuertücher, um positive Eintragungen einzuheimsen. Häufig schrieben die Erzieher die Eintragungen ohne Nachprüfung in die „Chronik“. Das brachte den listigen, erfindungsreichen Jankel auf eine Idee.

Er ging zum Krokodil.

„Schreiben Sie mich bitte in die 'Chronik'“, sagte er. „Ich habe die Toilette aufgewischt.“

Stracks ging Aiwasowski in die Kanzlei und schrieb: „Tschornych wischte freiwillig die Toilette auf.“

Das gefiel Jankel. Nach einer halben Stunde ging er wieder zum Krokodil.

„Ich hab' den oberen Saal gefegt — schreiben Sie das auf.“ Krokodil warf dem Zögling einen ungläubigen Blick zu, ging aber trotzdem, um diese Tat aufzuschreiben. Jankel, dessen Konto mit einem Dutzend negativer Eintragungen belastet war, wurde frech: „Den unteren Saal hab' ich auch gefegt“, rief er dem Davongehenden nach. „Schreiben Sie das extra auf.“

Aber es gelang Jankel nicht, seine Erfindung zu monopolisieren. Bald setzte die ganze Schkid Krokodil zu. Jeden Tag mußte er fünf bis zehn positive Eintragungen machen.

Die Schkid hatte sich aus der fünften Gruppe herausgearbeitet und war schon auf dem besten Wege zur ersten, als Vikniksor den Mißbrauch, der mit Krokodil getrieben wurde, bemerkte und dem letzteren verbot, positive Eintragungen zu machen. In dieser Zeit tauchten die ersten „Ablaßscheine“ auf. Krokodil war auf der letzten Stufe der Erniedrigung angelangt. Wenn er verdroschen wurde, bettelte und flehte er, man möge ihn nicht prügeln, und entschuldigte sich sogar.

„Ich bitte um Verzeihung“, sagte er zu dem Zögling, der ihm in einer Anwandlung von Humor auf den Fuß getreten hatte. Er hielt sich zurück und machte nur im äußersten Notfall negative Eintragungen. Da kam Japs auf folgenden Gedanken.

„Wir wissen“, sagte er, „daß Vikniksor Sie veranlaßt, uns Tadel einzuschreiben. Sonst hätten Sie Angst, den Propheten zu spielen.“

„Ja, du hast recht, ich bin dazu gezwungen“, pflichtete Aiwasowski bei.

„Und darum“, fuhr Japs fort, „schlage ich vor, daß Sie uns für jede negative Eintragung eine Bescheinigung, einen Ablaßschein, ausstellen, dessen Inhaber Sie jederzeit verprügeln darf, ohne daß Sie Widerstand leisten.“

Kaufmann stand bei dieser Unterhaltung daneben. Daher wagte Krokodil nicht zu mucksen und willigte widerspruchslos ein. Und wenn er nun einen Tadel eintrug, unterschrieb er jedesmal dem betreffenden Zögling folgende Bescheinigung:

Ablaßschein

Der Inhaber dieses Scheines hat das Recht, mich an jedem Tage und zu jeder Stunde zu verprügeln, wenn ich keinen Unterricht gebe und nicht im Lehrerzimmer bin.

S. P. Aiwasowski

Text und Form des „Ablaßscheines“ stammten von Japs. Er war auch der erste, der so einen Schein bekam. Doch er verprügelte Krokodil nicht, sondern hob den Schein auf.


Aiwasowski kam in die Klasse.

„Ich habe ein Anliegen an Sie“, erklärte Japs.

„Was für eines?“ fragte Krokodil und setzte sich auf seinen Platz.

Japs ging zu ihm hin, holte ein Päckchen Scheine aus der Tasche, zählte es nach und legte es auf den Tisch. „Achtundzwanzig Stück, Sir“, stellte er fest.

„Was ist das?“ stammelte Krokodil erblassend.

„Ablaßscheine, geliebter Freund, Ablaßscheine“, erwiderte Japs. „Na, nun stell mir mal deinen Rücken zur Verfügung.“

Es gab einen heillosen Tumult in der Klasse. Alle wollten ihre Ablaßscheine einlösen. Die Jungen drängten sich um den Tisch des kläglichen Propheten, und Kaufmann war gerade dabei, ihn zu verprügeln, als eine donnernde Stimme rief: „Genug!“

Die Jungen wandten sich um. Vikniksor stand an der Tür. Er hatte dem Schauspiel schon länger als eine Minute verblüfft zugesehen. „Genug“, wiederholte er. „Geht auf eure Plätze.“ Er warf einen Blick auf Krokodil, der sich den Rock zurechtzog. „Ich muß einen Augenblick mit Ihnen reden…“

Aiwasowski stand auf und verließ hinter Vikniksor die Klasse. Die Jungen sahen ihn niemals wieder.

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