Das Paradies auf dem Friedhof * Nat Pinkerton In Aktion * Grischka ist reingeschlittert * Das Geld der Muflergottes * Das Sowjefpferdchen * Grischka als Hosenzugabe * Jankel ist da.
Schon als kleine Rotznase liebte Grischka die Freiheit und Selbständigkeit. Er war immer schrecklich wütend, wenn die Mutter ihn bestrafte, weil er im Frühling in den Regenpfützen herumgewatet war und dann naß und schmutzig nach Hause kam.
Strafen konnte er nicht aushalten — schmollend verließ er das Haus. Auf dem Hof scharte er eine Horde von Kindern um sich und zog mit ihr weit hinaus aus der Stadt, über einen großen Friedhof mit schiefen Kreuzen und eingesunkenen Gräbern bis zu einem kleinen, trüben Fluß. Dort genoß er sein Leben.
Die Freiheit beruhigte seine Nerven. Er zog sich aus, rannte johlend am Ufer entlang und plantschte in dem schmutzigen Wasser. Wenn er dann spätabends heimkam, wickelte er sich gleich in seine Decke und sank auf seiner Truhe in tiefen Schlaf. Auf der Straße wuchs Grischka auf. An seinen Vater konnte er sich nicht mehr erinnern. Nur zuweilen kamen ihm undeutliche Bilder ins Gedächtnis: Er sah sich mitten auf der Straße auf einem weißen Leichenwagen sitzen, hoch über allen anderen. Hinter ihm gingen die Mutter, die Großmutter und noch jemand, den er nicht kannte. Zwei träge Pferde zogen den Leichenwagen. Er, Grischka, wurde auf den Holzbrettern hochgeschleudert, und das machte ihm Spaß. Dies war alles, was er noch vom Vater wußte. Mehr war ihm nicht im Gedächtnis geblieben.
Die Schmiede mit der lodernden Esse auf dem Hof wurde sein eigentlicher Vater. Die Mutter arbeitete als Wäscherin bei „Herrschaften“. Sie hatte keine Zeit, sich um ihren Sohn zu kümmern. Grischka liebte die Schmiede. Besonders schön fand er es, abends die blutrot glühende Feueresse zu betrachten, den ätzenden, aber angenehmen Rauch einzuatmen oder zuzusehen, wie der Meister einen glühenden Eisenstab aus dem Feuer holte, ihn auf den Amboß legte und zwei Schmiedegesellen ihn mit wuchtigen Hammerschlägen wie Wachs breit schlugen. Dumpf dröhnten die schweren Vorschlaghämmer auf das weiche Eisen, und hell schlug der kleine Handhammer den Takt dazu. Das klang so schön wie Musik.
Grischka gewöhnte sich so sehr an die Schmiede, daß er sogar bei den Gesellen übernachtete. Im Sommer kletterten sie in eine Kutsche, die zur Reparatur auf dem Hof stand, und hockten dort zusammen. Das war gemütlich. Die Gesellen erzählten Schauergeschichten — von Teufeln, von Leichen, von einem finsteren Glockenturm mit zwölf Gespenstern.
Grischka lauschte, bis er eine Gänsehaut bekam. Aber er wich nicht von der Stelle — er konnte doch die Geschichte nicht mittendrin verlassen, ohne zu wissen, wie sie ausging. So verlief seine Kindheit.
Dann brachte ihn die Mutter zur Schule. Es wurde Zeit, daß er etwas Vernünftiges lernte. Grischka sträubte sich nicht dagegen. Er ging bereitwillig mit.
Lust zum Lernen hatte er aus verschiedenen Gründen, vor allem aber wegen der Bücher seines Bruders. Sie hatten so schöne Umschläge: Wutverzerrte Gesichter waren darauf abgebildet, blitzende Dolche, Revolver, Tiger und rot gedruckte Blutströme.
Grischka erwies sich als begabt. Das Pensum, zu dem seine Klassengefährten zwei, ja drei Unterrichtsstunden brauchten, eignete er sich im Handumdrehen an, und die Lehrerin konnte seinen Eifer gar nicht hoch genug rühmen.
Allerdings gingen Grischkas Erfolge schon im ersten Jahr zu Ende. Lesen und schreiben lernte er. Dann kam er plötzlich zu dem Schluß, damit sei es genug, und von nun an vertiefte er sich ausschließlich in Detektivromane. Strafen und Vorwürfe fruchteten nichts. Hingerissen, mit angehaltenem Atem, begleitete Grischka den ruhmbedeckten amerikanischen Detektiv Pinkerton bei der Verfolgung von spurlos verschwundenen Mördern, Einbrechern und Kindesräubern, oder er machte sich zusammen mit Bob Ruhland, dem Assistenten des genialen Detektivs, auf die Suche nach Nat Pinkerton selbst, der in die Gewalt der blutdürstigen Verbrecher geraten war. So reiste er mit Pinkerton zwei Jahre lang durch die amerikanischen Staaten, bis ihm die Mutter eines Tages bekümmert sagte: „Nun bist du reingeschlittert, du Ochse. Wegen Dummheit haben sie dich aus der Schule geworfen. Was soll ich jetzt mit dir machen?“ Grischka war aufrichtig betrübt, gab jedoch der Mutter keinen Rat. Er enthielt sich überhaupt jeder weiteren Erörterung dieser Frage. Mit Müh und Not brachte die Mutter den „verwilderten“ Jungen in einer anderen Schule unter, aber Grischka hielt das Lernen endgültig für überflüssig. Wenn er das Haus verließ, versteckte er die Büchertasche im Keller und ging auf die Straße, zu seiner Lieblingsecke am Juwelierladen. Dort stand eine kleine Kapelle. Er hockte sich vor den Opferstock und ging seinem Inhalt mit zwei Fingern zu Leibe. Ein kleiner Stock half ihm bei diesen Manipulationen. Es war ein sicherer Verdienst: je Tag zwanzig Kopeken oder mehr. Dann kam der Krieg. Grischkas Bruder wurde an die Front geschickt. Grischka flog zum zweitenmal wegen mangelhaften Unterrichtsbesuchs aus der Schule. Eine Zeitlang saß er zu Hause herum, aber die Mutter beharrte auf ihrem Willen, und so sah sich Grischka eines Tages vor der dritten Wandtafel. Gleichzeitig mit der Revolution führte Grischka auch in seinem eigenen Leben eine Umwälzung durch. Er sagte der Mutter gerade ins Gesicht, daß er nicht mehr zur Schule gehen wolle, und warf ihr den abgeschabten, strapazierten Ranzen vor die Füße.
Vergeblich schalt ihn die Mutter aus, vergeblich drohte sie ihm mit Prügeln. Eigensinnig blieb er bei seinem Entschluß. Schließlich gab die Mutter es auf, und Grischka erhielt seine Freiheit zurück.
Er trieb sich in der Gegend herum, handelte mit Zigaretten, kaufte später sogar einen Schlitten und betätigte sich als „Sowjetpferdchen“. Stundenlang stand er am Bahnhof und wartete auf die Ankunft von Spekulanten, vonsogenannten „Sackträgern“, denenerfür Brot und Geld das Gepäck zu der angegebenen Adresse brachte. Doch diese Arbeit nahm sehr bald ein Ende: Das „Pferdchen“ war nicht kräftig genug. An einem düsteren Winterabend säuberte Grischka wieder einmal seinen Schlitten, zog die zerfetzte Joppe des Bruders über und ging zum Warschauer Bahnhof, zur Ankunft des Fernzuges. Die Straßen waren schon leer. Leise vor sich hin pfeifend, zog Grischka den Schlitten zum Bahnhof und stellte sich auf seinen gewohnten Platz am Eingang. Es hatten sich bereits viele „Pferdchen“ versammelt. Grischka begrüßte seine Nachbarn, machte es sich auf seinem Schlitten bequem und begann zu warten.
Neue Schlittenbesitzer strömten von allen Seiten zum Empfang des „Brotzuges“ herbei.
An der Ecke der Treppe fielen einige „Pferdchen“ wütend über die Neulinge her, die auf der Suche nach Verdienst ebenfalls mit ihren Schlitten zum Bahnhof gekommen waren.
„Was drückt ihr euch auf anderer Leute Bahnhof herum? Verduftet!“
Schüchtern traten die Neuen von einem Fuß auf den anderen. „Schubs mich nicht! Hier ist Platz genug. Du hast den Bahnhof nicht gepachtet. Wir stellen uns hin, wo es uns paßt!“
Der Zug lief ein. Ein allgemeines Gedrängel begann. Die Schlittenfahrer schoben sich dazwischen und rissen den verdutzten Fahrgästen mit Gewalt die Säcke aus der Hand. „Darf ich Ihr Gepäck fahren, Landsmann?“
„Ich hab' einen stabilen ausländischen Schlitten!“
„Für anderthalb Pfund bringe ich die Sachen bis zum Petrograder Viertel.“
Grischka zerrte seinen Schlitten hinter sich her und wollte ebenfalls den Koffer einer Frau an sich reißen.
„Wohin soll ich ihn bringen, Bürgerin?“ bot er zaghaft seine Dienste an.
Doch die Frau mißverstand seine Absichten.
„Du Gauner!“ jammerte sie. „Polizei! Er nimmt mir den Koffer weg!“
Erschrocken ließ Grischka den Koffer los. Unmittelbar danach sah er, daß sich ein langer Kerl den gleichen Koffer aneignete. „Regen Sie sich nicht so auf, Bürgerin“, redete er mit geübter Zungenfertigkeit auf die verschüchterte alte Frau ein. „Mit mir fahren Sie prima — wie in einer Luxusdroschke!“
Der Lärm flaute ab. Die „Pferdchen“ zogen nach allen Richtungen davon, aber Grischka stand noch immer wartend da. Nur er und zwei alte Weiblein mit Kinderschlitten waren übriggeblieben. Er hatte schon jede Hoffnung auf Verdienst verloren, scheute sich aber, mit leeren Händen heimzukehren. Da kam ein Bauer aus dem Bahnhof und blickte sich suchend um. „He, Sowjetpferdchen!“ grölte er. „Hier, Väterchen!“ stotterten die alten Frauen. „Bitte, Bürger!“ stieß Grischka leise hervor. Der Bauer musterte die drei Schlittenbesitzer zweifelnd. „Könnt ihr denn überhaupt eine Last ziehen?“ brummte er. Er wählte Grischka und schleppte dann die Säcke heraus. Sie waren bis obenhin mit Kartoffeln vollgestopft. Grischka bekam es mit der Angst. Sein Schlitten krachte unter der Last in allen Fugen, aber der Bauer brachte immer neue Säcke. Sie hatten kaum noch Platz. Sollte Grischka auf die Fuhre verzichten? Nein, entschloß er sich verzweifelt, ich will es doch riskieren!
Und er zog den Schlitten davon. Es war eine lange Fahrt, bis zum Stadttor. Er wurde klitschnaß vor Schweiß, seine Hände starben ab, der Strick schnitt ihm in die Brust, aber er hielt durch. Abends kam er wie zerschlagen heim. Er hatte drei Pfund schwarzes, mit Hafer vermischtes Brot bekommen. Das war für die damalige Zeit ein hoher Verdienst, aber dafür war es auch der letzte. Grischka hatte sich überanstrengt.
Doch es kam noch schlimmer. Sie hatten kein Stück Brot im Hause, Grischka aber brauchte Geld. Er hatte sich das Rauchen angewöhnt und naschte gern die Fettplätzchen, die es auf dem Trödelmarkt zu kaufen gab. Insgeheim stahl er aus dem Elternhaus alle möglichen Dinge — eine Goldmünze, die der Großmutter gehörte, oder eine Kaffeekanne.
Das kam heraus. Der Mutter riß die Geduld. Sie lief eine Woche lang zu den Behörden, bis sie die Erlaubnis erhalten hatte, Grischka aus der Stadt zu bringen — in eine Arbeitskolonie für Kinder. Die Kolonie befand sich in einem Kloster, zu dem ein Friedhof gehörte.
Dort war es kalt, aber lustig. Grischka freundete sich mit den anderen Zöglingen an, hatte sich mit den Gräbern abgefunden und sein Zuhause schon ganz vergessen, als ein neues Unglück hereinbrach. Die Weißen näherten sich der Stadt.
Truppen kamen, Troß und Artillerie zogen heran. Die Insassen der Kolonie flohen in die Gemüsegärten. Sie benutzten die günstige Gelegenheit, um sich mit Kartoffeln, Kohl, Rüben und sonstigem Gemüse einzudecken.
Grischka wurde plötzlich von Liebe zu seinen Angehörigen übermannt, und er begann, sie mit gestohlenen Lebensmitteln zu versorgen. In der Stadt herrschte Alarmzustand. In unmittelbarer Nähe dröhnten die Geschütze. Die Fensterscheiben klirrten. Die Straßen waren mit Stacheldraht und Sandsäcken versperrt.
Jedermann war gehobener Stimmung. Grischka ebenfalls. Noch einmal ging er in sein geliebtes Kloster, betrachtete zum letztenmal die geschnitzten Fensterrahmen und die weißen Grabkreuze, holte sich zwei Paar Filzstiefel aus der Kleiderkammer und verließ den Ort, um niemals zurückzukehren. Neue Heimaufenthalte, neue Diebstähle folgten.
Die Sammelstelle hatte Mühe, den Jungen loszuwerden, als sie ihn in die Schkid einwies. Dort wurde er erst dann aufgenommen, als er zwei Hosen, Bettwäsche, eine Matratze und ein Bett als Mitgift bekam. Zu jener Zeit besaß Grischka bereits eine festumrissene Lebensanschauung. Er verhielt sich seiner Umwelt gegenüber kalt. Nichts vermochte ihn zu rühren oder in Erstaunen zu setzen. Obwohl kaum vierzehn Jahre alt, hatte er schon die Urteilsfähigkeit eines Erwachsenen. Seine Devise lautete: Lebe so, daß es dir gut geht! So stand es um Grischka, als er in der Schkid eintraf. Das geschah an einem Morgen. Er wurde in das Arbeitszimmer des Direktors geführt. Das Aussehen der Schule hatte ihm gefallen, doch beim Eintritt ins Zimmer rutschte ihm das Herz in die Hosen. Der lebt wie ein Reicher! dachte er beim Anblick der weichen Sessel und Sofas, der Fotos, die in strengen schwarzen Rahmen an der Wand hingen.
Vikniksor saß am Schreibtisch. Als er den Neuen erblickte, wies er auf einen Sessel. „Setz dich.“
Grischka nahm wortlos Platz. „Lebt deine Mutter noch?“
„Ja.“
„Was ist sie von Beruf?“
„Wäscherin.“
„So, so.“ Nachdenklich trommelte Vikniksor mit den Fingern auf dem Tisch. „Na, und du? Lernst du gern oder nicht?“ Grischka wollte schon verneinen. Aber dann bedachte er sich — ein Nein würde wohl unvorteilhaft sein.
„Sehr gern“, erklärte er deshalb. „Am liebsten zeichne ich.“ „Zeichnen?“ wiederholte der Direktor verwundert. „Hast du irgendwo zeichnen gelernt?“
Grischka zermarterte sich den Kopf, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen, aber er rutschte noch tiefer hinein. „Ja, in einem Zirkel. Ich bin auch gelobt worden.“
„Oh, das ist ausgezeichnet. Wir brauchen Zeichner“, sagte Vikniksor. Seine Stimme klang viel freundlicher als zuvor. „Bei uns wirst du zeichnen und lernen.“ Er kramte in seinen Papieren, fischte ein Schreiben heraus und überflog es. „Tschornych heißt du also mit Nachnamen“, stellte er fest. „Gut, dann komm, Tschornych. Ich bringe dich zu deinen Kameraden.“
Vikniksor ging mit großen Schritten voraus. Grischka trottete hinterher und beäugte den Direktor kritisch. Er bemerkte, daß dessen kariertes Jackett schlecht saß und daß ein Stiefelschaft eingerissen war. Unwillkürlich wunderte er sich darüber.
So was! Haust in einem pikfeinen Zimmer und trägt nichts Anständiges auf dem Leibe!
Sie gingen durch den Eßraum. Dann öffnete Vikniksor die Tür zum Klassenzimmer. Zuerst wurde Grischka von dem unwahrscheinlichen Lärm betäubt, dann von der Stille, die unmittelbar danach eintrat. Er erblickte einige Bankreihen und etwa fünfzehn Schüler, die wie auf Kommando zu Salzsäulen erstarrt waren.
Vikniksor hatte unterdessen den Neuen vergessen. Er betrachtete die Klasse eine Weile.
„Gromonoszew!“ sagte er schließlich ruhig, ja gleichgültig, ohne die Stimme zu erheben. „Du bekommst kein Mittagessen. Sorokin, gib die Stiefel ab, du hast heute Hausarrest. Worobjow, geh aus der Klasse.“
„Warum denn, Viktor Nikolajewitsch?“
„Wir haben doch gar nichts angestellt!“
„Warum schikanieren Sie uns?“ jammerten die Bestraften im Chor.
Vikniksor kratzte sich hinter dem Ohr.
„Ihr habt in der Klasse randaliert!“ erklärte er in einem Ton, der jeden Widerspruch von vornherein ausschloß. „Deshalb geschieht euch recht! Und jetzt stelle ich euch einen Neuen vor. Er heißt Grischka Tschornych, ist ein begabter Junge und kann zeichnen. Er wird in eurer Abteilung den Unterricht besuchen, weil sein Wissensniveau dem eurigen entspricht.“ Schweigend musterte die Klasse den Neuen. Auf den ersten Blick sah Grischka trotz seiner hellen Haare ein wenig jüdisch aus, besonders wegen seiner langen Hakennase.
So standen sie sich ein Weilchen gegenüber — die Klasse auf der einen und Grischka mit Vikniksor auf der anderen Seite. Dann kratzte sich der Direktor noch einmal hinter dem Ohr und verließ den Raum, ohne noch etwas zu sagen.
Grischka war auf seiner Hut. Zigeuner trat auf ihn zu, fixierte ihn wortlos, wandte sich dann plötzlich ab und wies prustend vor Lachen mit dem Finger auf ihn.
„Ein Jankel ist da!“ kicherte er. „Guckt ihn euch an, Halunken! Eine blonde Krummnase!“
„Was lachst du so blöde!“ schnaubte Grischka beleidigt. „Na, wenn schon! Und du — wie siehst du denn aus, du Zigeunerfresse?“
Diesen Gegenangriff hatte niemand erwartet.
„Bravo, Jankel!“ grölte die Klasse lachend. „Hast den Zigeuner gleich erkannt!“
„Hörst du, Kolka? Zigeuner!“
„Dir sieht man den Zigeuner auf sieben Meilen an.“
Kolka war von der Antwort genauso verblüfft. Er schickte sich an, dem Neuen Respekt beizubringen, aber da legte sich Spatz ins Mittel. „Was hackt ihr auf ihm herum! Verdammte Nervensägen! Der Junge muß doch erst mal Luft holen.“ Zu Grischka gewandt, fügte er hinzu: „Komm her, Jankel, setz dich neben mich.“ „Ich bin doch kein Jankel“, protestierte Grischka, aber Spatz winkte gelassen ab.
„Das macht uns nichts aus, mein Junge! Wenn wir dich Jankel getauft haben, bleibt es auch dabei. Ein für allemal!“
Grischka starrte Zigeuner in die boshaften Augen — er überlegte, ob es einen Sinn habe, sich mit ihm zu raufen. Aber das war wohl doch unvorteilhaft. Deshalb ging er hinter Spatz her.
„Du, vor Zigeuner brauchst du keine Angst zu haben“, flüsterte Spatz, als er neben Grischka saß. „Er ist ein ausgekochter Strolch, aber wir ducken ihn, keine Sorge! Jetzt krümmt er dir kein Haar mehr.“ Grischka antwortete nicht. Hinter sich hörte er seinen schwarzen Gegner manchmal boshaft tuscheln: „Jankel ist da! Jankel will Krieg!“
Aber die Klasse nahm nicht für Zigeuner Partei. Jankel hatte sich die Sympathien der Jungen bereits erobert, und außerdem war es bei den Schkidern nicht Sitte, den Neuen eins auszuwischen. Draußen schrillte eine Klingel.
„Der Unterricht beginnt!“ erklärte Spatz. Dann fügte er hinzu: „Jetzt sitzen wir immer auf dieser Bank zusammen, Jankel. Einverstanden?“
„Einverstanden!“ Jankel nickte befriedigt. Er spürte zum erstenmal, daß er Boden unter den Füßen, daß er einen friedlichen Hafen gefunden hatte, aus dem er in absehbarer Zeit nicht wieder auslaufen würde. Draußen schrillte die Klingel.