SPALTUNG IM ZK

Filmträume * Eine prinzipielle Frage * Der Rauchkonflikt * Der „Tag“ * Sein oder Nichtsein * Spaltung im ZK * Der Kampf um die Massen * Waffenstillstand.


Eine Stunde nach Mitternacht. Von den Anstrengungen des Tages erschöpft, liegen die Schkider in tiefem, gesundem Schlaf. Im Raum ist es still. Ruhig atmen die Schläfer. Der leichte Nachtwind bringt durch das offene Fenster einen frischen Hauch herein. Nur Ljonka und Jankel sind noch wach. Verträumt sehen sie in die Nacht hinaus und unterhalten sich flüsternd. Die Blutsbrüder mögen noch nicht schlafen. Ihre Betten stehen dicht am Fenster, und die Luft kühlt den erhitzten Körper. „Was für'n Wetter!“ seufzt Jankel. „Ja, schön“, antwortet Ljonka. Jankel kratzt sich schweigend den Kopf.

„Ach, Ljonka“, fängt er plötzlich an. „Ob ich es dir sage? Ich hab' mir was ausgedacht.“

„Was denn?“

„Du darfst mich aber nicht auslachen.“

„Warum sollte ich?“ Ljonka ist empört. „Wir sind doch Blutsbrüder.“

„Stimmt. Beinahe richtige Brüder.“

„Na?“

„Was heißt 'na'?“

„Was hast du dir ausgedacht?“

„Weißt du, ich hab' einen Traum…“ Jankel blickt entrückt auf das Stückchen Himmel hinter dem Fensterkreuz. „Ich will Filmschauspieler werden, Mann.“

Ljonka fährt zusammen und hebt hastig den Kopf vom Kissen. „Du auch?“

„Wieso?“

„Das willst du auch werden?“ „Du etwa ebenfalls?“ staunt Jankel.

„Ja“, bekennt Ljonka verlegen. „Aber Regisseur, nicht Schauspieler.

Das hab' ich einmal in Menselinsk probiert, aber es war 'n Reinfall — ich hab' keine richtige Diktion.“

„Und ich? Hab' ich eine richtige?“ erkundigt sich Jankel, der von Wesen und Wirkung des Begriffes „Diktion“ nur eine reichlich dunkle Vorstellung hat.

„Du ja“, erklärt Ljonka. „Du sprichst alle Buchstaben richtig aus. Ich nicht.“ Trotz der Dunkelheit ist zu erkennen, daß er errötet. Jankel hat Mitleid mit ihm.

„Macht nichts“, sagt er, um den Blutsbruder zu trösten. Nach kurzer Pause fügt er großzügig hinzu: „Dafür kann ich nicht malen. Ich bin farbenblind.“

Das ist noch schlimmer als die Sache mit der Diktion. Ljonka ist erschüttert. Er überlegt.

„Bist du kurzsichtig?“ fragt er dann.

„Nein, ich kann nur nicht unterscheiden, was rot und was grün ist. Aber weißt du, ich freue mich wirklich, daß wir beide den gleichen Berufswunsch haben.“

„Natürlich!“ stimmt Ljonka zu. „Zu Zweit kommen wir schneller ans Ziel. Ich hab' nämlich schon lange den Entschluß gefaßt, gleich nach meiner Entlassung nach Odessa zum Filmstudio zu gehen. Sie sollen mich da wenigstens als Lehrling einstellen. Dann kann ich Regisseur lernen.“

„Nimmst du mich mit?“

„Wohin?“

„Nach Odessa.“

„Klar. Ich nehme dich nicht nur nach Odessa mit, ich geb' dir auch die Hauptrolle.“

„Was für Filme willst du denn machen?“

„Darüber zerbrechen wir uns noch den Kopf. Revolutionsfilme selbstverständlich.“

„Wie die 'Roten Teufel'?“ „Sicher! Sogar noch bessere.“ Jankel ist Feuer und Flamme. „Weißt du, das ist gar nicht schwierig. Mit dem Entlassungsschein der Schkid fahren wir sofort nach Süden. Großartiger Gedanke!.. Sonne… Palmen… Weintrauben… und das Schwarze Meer… Ein prima Leben werden wir führen, Ljonka, was?“

Jankel ist bisher noch nicht weiter aus Petrograd herausgekommen als bis Ligow und Petershof. Er macht sich deshalb recht rosige Vorstellungen von einer Reise in den Süden. Der lebenserfahrene Ljonka dämpft seinen Eifer.

„Und das Geld?“ fragt er mit ironischem Lächeln. „Was für Geld?“

„Ja, wovon sollen wir denn leben? Und auch die Reise kostet einen Haufen Geld. Als Schwarzfahrer wollen wir doch nicht reisen.“

„Ist das so schwierig?“

„Mir langt's.“ Ljonkas Gesicht verdüstert sich.

Tief beeindruckt von den gewichtigen Argumenten seines Blutsbruders, starrt Jankel nachdenklich in den blauen Nachthimmel Petrograds. „Ich hab's!“ ruft er plötzlich vergnügt. „Wir müssen das Geld zusammensparen.“

„Vielen Dank! Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden. Eine sehr geistreiche Idee.“

„Natürlich, was denn sonst! Mit dem Sparen fangen wir gleich jetzt, in diesem Augenblick, an. Paß auf, dann haben wir bei unserer Entlassung eine anständige Summe zusammen.“

Jankel springt aus dem Bett, nimmt seine Hose vom Schemel und wühlt sachlich in den Taschen. Dann fördert er zwei Geldscheine zutage und zeigt sie dem Blutsbruder.

„Da. Vom Wort zur Tat. Dies ist mein erster Sparbeitrag. Zwei 'Eier'. Wenn du auch welche hast, dann zahl sie in die gemeinsame Kasse.“ Ljonka zahlt drei Millionen Rubel in die gemeinsame Kasse. „Der Grundstein ist gelegt“, erklärt Jankel feierlich und steckt die fünf Millionen Rubel in eine zerschrammte Streichholzschachtel. Um der noch größeren Feierlichkeit willen bestätigen die Blutsbrüder ihre Abmachung mit einem kräftigen Händedruck. Lange tuscheln sie noch in der Stille, lange bleiben sie noch wach, um alles zu besprechen, um Pläne zu schmieden und von der Zukunft zu träumen. Zuweilen wird ihre Unterhaltung von Hundegebell unterbrochen, vom Pfiff eines Milizionärs oder vom Grölen eines Trunkenboldes, der sich im Rausch hierher verirrt hat.


Immer häufiger bemerkten die Schkider, daß sich die Blutsbrüder Jankel und Ljonka absonderten und dann miteinander flüsterten. Sie hockten in einem verlassenen Winkel und führten endlose, leidenschaftliche Gespräche. Anfangs kümmerte sich niemand darum. Es waren schließlich Blutsbrüder — warum sollten sie nicht gemeinsame Interessen haben. Aber es wurde immer schlimmer mit ihnen — sie zogen sich vollständig vom Kollektiv zurück. Ja, es kam so weit, daß beide bei einer Sitzung des ZK fehlten.

Das ZK bestand aus fünf Personen, und es machte sich natürlich bemerkbar, wenn fast die Hälfte fehlte. Die Jungen waren empört und rügten die Blutsbrüder, stießen jedoch auf vollständige Gleichgültigkeit.

Jankel und Ljonka entfremdeten sich dem „Junkom“ immer mehr. Ihre „Idee“ hielt sie gänzlich gefangen.

„Es wird Zeit, unsere 'Junkom'-Zeitung herauszugeben“, mahnte Japs mehrmals den Redakteur Jankel. „Schon seit zwei Wochen ist sie nicht mehr erschienen. Auf der Versammlung kriegen wir eins auf den Deckel.“

Aber Jankel hörte nur mit halbem Ohr hin.

„Gut, ich mache das schon irgendwann“, antwortete er und guckte in die Gegend.

Die Blutsbrüder wurden immer zerstreuter und streitsüchtiger. Die Zirkel des „Junkom“ besuchten sie schon längst nicht mehr. In ihren Köpfen hatte nur ein Gedanke Platz: Wir müssen Geld für die Entlassung sammeln und dann nach Süden reisen, zum Filmstudio! Abends hockten sie in ihrem Winkel und träumten. Im „Junkom“ wuchs unterdessen die Unzufriedenheit — dumpf, aber drohend.

„Was heißt das? Soll das noch lange so weitergehen?“

„Sie sabotieren die Arbeit.“, Undisziplinierte Mitglieder! „Und sitzen außerdem noch im ZK!“ Die Zelle war in heller Aufregung.

Eines Tages wurde in einer allgemeinen Versammlung der Jungkommunarden über die Aufnahme neuer Mitglieder diskutiert. Unter den Neuhinzugekommenen gab es viele Unreife, über die man sich unbedingt erst eine Meinung bilden mußte, bevor man sie im „Junkom“ arbeiten ließ. Bei der Diskussion über die Aufnahmeanträge sprachen sich die meisten Jungkommunarden in diesem Sinne aus. Die andere Seite — sie bestand aus Jankel, Ljonka und Dse, der sich ihnen angeschlossen hatte — verfocht energisch den entgegengesetzten Standpunkt.

„Ihr habt unrecht, Genossen!“ rief Jankel hitzig. „Unsere Organisation ist doch an sich noch ganz unvollkommen. Wir selbst sind noch unreif.“

„Wie man's nimmt. Vielleicht meint Jankel damit sich selber“, spottete Japs giftig.

„Nein, ich meine nicht nur mich, sondern alle. Wir sind unreif, wenn auch entwickelter als die übrigen. Deshalb haben wir die Aufgabe, so viele neue Mitglieder wie nur möglich heranzuziehen, wenn sie auch noch wenig wissen. Hauptsache, sie wollen arbeiten. Hier bei uns, in unserer Organisation, bekommen sie dann den richtigen Schliff.“

„Und wer soll sie schleifen?“ piepste Falke ironisch dazwischen. Jankel fuhr herum.

„Natürlich nicht Falke mit seinen vorsintflutlichen Anschauungen“, parierte er. „Die Umwelt und das gemeinsame Streben nach einem Ziel werden die neuen Mitglieder entwickeln. Dafür haben wir ja schon ein Beispiel.“

„Zeig es!“ rief einer von den Sitzenden.

„Bitte!“ Jankel drehte sich zu Ljonka um. „Ljonka, berichte mal vom Nackten.“

Ljonka erhob sich und schnupfte auf.

„Das ist Tatsache“, bestätigte er. „Der Nackte hat sich gut entwickelt. Von Kutschers Abenteuern bis zum, Junkom' war ein weiter Weg. Und ihr wißt alle, daß er diesen Weg erfolgreich zurückgelegt hat. Guckt euch den Nackten an — da sitzt er. Kann man sich jetzt noch vorstellen, daß er einmal Kaffee geklaut hat? Nein, das kann man nicht. Er gehört jetzt zu unseren besten Mitgliedern. Was soll ich noch lange darüber reden.“ Der Anblick des verlegenen Nackten Herrn überzeugte im Moment alle, daß die Meinung der Minderheit richtig war. Doch Japs und Sascha Pylnikow, die anschließend sprachen, widerlegten Jankels und L jonkas Beweise gründlich.

Die Versammlung faßte folgenden Beschluß:

„Die Aufnahme von Mitgliedern ist zu beschränken. Jeder Antragsteller muß einen Probemonat durchmachen. Dann wird er mit den Empfehlungen von drei Mitgliedern für einen Monat Kandidat, und schließlich muß er sich vor der endgültigen Aufnahme noch einen dritten Monat im Politunterricht vorbereiten.“

Aus Ärger über ihre Niederlage stimmte die Minderheit dagegen. Dann kletterten alle drei auf die Fensterbank, zogen Zigaretten aus der Tasche und weigerten sich, an der Versammlung weiterhin teilzunehmen.

„Das ist verkehrt! Das ist eine Schwächung der Zelle, eine gewaltsame Einengung!“ protestierte Jankel. Er verlor vor Wut beinahe die Nerven, biß ein Stück von seiner Zigarette ab und spuckte es direkt auf die Straße. Dse und Ljonka pflichteten ihm bei. Anschließend wurde über eine Theateraufführung am Tage der Oktoberrevolution diskutiert. Nachdem alle ihre Meinung dazu gesagt hatten, machte Japs einen Versuch, die Minderheit zu versöhnen.

„He, ihr da auf dem Fensterbrett! Was denkt ihr über den Abend?“

„Wir enthalten uns jeder Meinung“, brummte Ljonka. „Und raucht lieber?“

„Allerdings.“

Japs versuchte, sich seinen Zorn nicht anmerken zu lassen. „Übrigens glaube ich“, sagte er scheinbar gleichgültig, „daß man sich einmal überlegen sollte, ob im 'Junkom' geraucht werden darf, ob die Mitglieder unserer Organisation nicht überhaupt das Rauchen lieber lassen sollten.“

„Ach, du Idiot!“ Jankel kicherte höhnisch. „Raucht selbst nicht und will es uns abgewöhnen. Der Trick zieht nicht. Entscheidet meinetwegen, wie ihr wollt — wir rauchen trotzdem.“

„Ja, wir werden eine Entscheidung treffen“, versetzte Japs gedehnt. Jankel riß die Geduld. Er verließ den Raum. Ljonka folgte ihm. Dse blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, trat seinen Zigarettenstummel dann mit dem Absatz aus und setzte sich an den Tisch. Die Rauchfrage wurde auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Mehrheitsbeschluß bestimmte, daß im Raum des „Junkom“ nicht geraucht werden dürfe.


„Also Rauchverbot! Na gut, dann werden wir im 'Junkom' eben nicht rauchen“, knurrte Ljonka wütend, als er das Protokoll der Versammlung an der Wandzeitung gelesen hatte.

„Das geht speziell gegen uns. Japs will seinen Einfluß deutlich machen und uns einschüchtern“, brummte Jankel.

Beide ärgerten sich dermaßen über die Entschließung, daß sie vor lauter Wut ihre „Idee“ vergaßen.

„Dagegen muß man sich zur Wehr setzen. Sie sollen erkennen, daß wir ein Recht haben, unseren Mund aufzumachen. Wir werden ihnen beweisen, daß sie im Unrecht sind“, rief Jankel hitzig. „Richtig!“ pflichtete ihm Ljonka bei. „Wir müssen den Mund aufmachen. Und seine Meinung überlegt und nachdrücklich vertreten kann man nur durch ein Presseorgan, folglich…“

„Na?“

„Folglich…“

Jankel wurde aufmerksam.

„Folglich muß man eine Zeitung herausgeben, in der wir uns mit dem 'Junkom' auseinandersetzen, wolltest du sagen?“

„Ja, mein Freund, du hast recht!“ Ljonka lächelte herablassend. Jankel kratzte sich nachdenklich die Nasenwurzel, dann versuchte er zu protestieren.

„Und die Zeitung 'Junkom'? Die gebe ich doch heraus. Folglich…“

„Ja, wieder folglich… Folglich muß man die Zeitung 'Junkom' entweder sausen lassen oder noch eine herausgeben. Was machst du dir Gedanken? Du schaffst doch beide. Und wir brauchen unbedingt ein neues Presseorgan.“

„Ja, du hast recht.“

Am Abend saßen beide in der Klasse, abseits von den anderen, und schrieben wie wild.

Niemand achtete auf die still in der Ecke hockenden Blutsbrüder. Nur Japs, der ihren Charakter kannte, wurde unruhig. Er witterte Unheil. Mehrfach versuchte er herauszubekommen, was die Opposition im Schilde führte, aber vergebens. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als abzuwarten und seine Gesinnungsgenossen vorsorglich zu warnen.

„Falls etwas Besonderes passieren sollte, müssen wir das schädliche Element nach revolutionärer Taktik mit der Wurzel ausrotten.“

„Klar!“ piepste Falke.

„Richtig!“ bestätigte auch Sascha. Dann runzelte er die Stirn und fügte zögernd hinzu: „Aber schade ist es, Japs, es sind tüchtige Burschen.“

„Kann sein, aber wenn sie uns stören, müssen wir sie unschädlich machen“, beharrte Japs finster, und seine kleine Gestalt sprühte vor so viel Entschlossenheit, daß Sascha trotz seiner Sympathie für die beiden Aufrührer nicht mehr die Kraft zu einem ernsthaften Protest aufbrachte.

Am nächsten Morgen erschien die neue Zeitung „Der Tag“. In ihrem Leitartikel wurde mitgeteilt, daß sie nicht regelmäßig herauskommen würde, sondern nur dann, wenn genügend Material vorhanden sei. Dennoch würde sie ihre Linie genau einhalten. Jeder könne die Schulmaßnahmen im „Tag“ erörtern oder kritisieren.

„Alle sollen sich in unserer Zeitung frei äußern“, hieß es nachdrücklich im Leitartikel. „Der 'Tag' wird alles beobachten und kommentieren.“ Darunter stand ein Artikel, dessen Inhalt den gesamten „Junkom“ in helle Aufregung versetzte. Er enthielt mehrere scharfe Angriffe gegen die Führung des „Junkom“. Überhaupt war die ganze Nummer mit geringen Ausnahmen dem „Junkom“ gewidmet, selbst die Karikatur. Sie verspottete die Manie des „Junkom“-Sekretärs, Protokolle zu schreiben. Sie stellte Sascha Pylnikow dar, der in einer Hand eine Zigarette, in der anderen einen Packen Protokolle hält und sich fragt: „Was ist schädlicher — das Rauchen oder das Protokollschreiben?“

Diese Schärfe des oppositionellen Angriffs empörte den „Junkom“, besonders das „Baby“ Sascha, der sich schrecklich ärgerte. Am unerhörtesten fand die Zelle, daß unter der Zeitung stand: „Redakteur Pantelejew, Herausgeber Tschornych.“ Das war eine offene Herausforderung.

Noch niemals waren Mitglieder des „Junkom“ gegen ihr Kollektiv aufgetreten, deshalb war die Überraschung desto größer. Die Jungkommunarden beschlossen, ein erweitertes Plenum einzuberufen. Angesichts der Wichtigkeit der Frage mußte der Arbeitssamstag abgesagt werden. Eine heftige Auseinandersetzung stand bevor. „Seht euch vor, Jungens, haltet den Nacken steif!“ mahnte Japs aufgeregt, als sich die gewählten Delegierten versammelt hatten. „Unser Vorbild ist der Komsomol. Wir müssen bolschewistisch entscheiden. Entweder dafür oder dagegen. Damit basta.“

Das Plenum war bereits vollzählig. Es bestand aus sieben Personen. Nur Ljonka und Jankel fehlten noch. Man ließ sie rufen. Kurz darauf kamen sie mit finsteren Gesichtern ins Zimmer und setzten sich. Japs eröffnete die Sitzung und nahm das Wort.

„Genossen! Wir waren heute überraschend gezwungen, eine Sitzung einzuberufen, weil zwei Genossen aus dem ZK ohne unser Einverständnis die Zeitung 'Der Tag' herausgegeben haben. Diese Zeitung hat offensichtlich das Ziel, die Autorität des 'Junkom' zu untergraben. Dadurch wurde eine sehr gefährliche Situation geschaffen. Wir wollen offen miteinander reden. Der 'Tag' könnte unsere Organisation zersetzen-wenn auch nicht ganz, so doch zur Hälfte — denn, ich muß das wiederholen, es sind Jungkommunarden, Mitglieder des ZK, die sich gegen den Junkom' wenden. Wir wissen natürlich, was Ljonka und Jankel für ZK-Mitglieder sind, wir haben ihre heiteren Orgien mit Kutscher nicht vergessen, aber die Massen wissen es nicht. Die Massen werden ihnen glauben, denn die Presse ist ein äußerst wirksames Kampfmittel, und wir müssen Jankel und Ljonka zugestehen, daß sie die begabtesten Journalisten der Schkid sind.“ Japs hielt inne, um die Wirkung seiner Worte festzustellen. Er erkannte, daß die Situation hoffnungslos war. Seine Schmeichelei hatte nicht gefruchtet. Die Blutsbrüder dachten offensichtlich nicht daran, zu Kreuze zu kriechen. Sie saßen gelassen da und beobachteten ihre Gegner mit dreisten Augen.

Da holte Japs zum Schlage aus.


Also, Genossen!


„Jungeiis, wir müssen eine klare Entscheidung herbeiführen. Entweder lassen Jankel und Ljonka sofort ihre Zeitung eingehen und geben die nächste Nummer der Zeitung 'Junkom' heraus, in der sie sich öffentlich zu ihren Fehlern äußern, oder…“

„Was heißt — oder?“ forschte Jankel mit eisiger Wut. „Oder wir sind gezwungen, die Vergangenheit der ZK-Mitglieder aufzudecken, sie von ihrem Posten abzusetzen und sie mindestens für einen Monat aus dem 'Junkom' auszuschließen. Wir müssen unbedingte Disziplin halten.“

„Na, dann haltet sie doch, Leute!“ schrie Jankel außer sich. „Wir lassen den 'Tag' nicht eingehen, im Gegenteil, wir werden ihn jetzt zu einer Tageszeitung machen. Wiedersehn!“

Die Tür knallte hinter den Blutsbrüdern zu. Der „Junkom“ setzte den Ausschluß Jankels und Ljonkas sofort auf die Tagesordnung, stimmte darüber ab und beschloß ihn. Anschließend wurde ein neues Redaktionskollegium gewählt und beauftragt, eine Sondernummer des „Junkom“ mit einer Polemik herauszugeben. Spatz sollte Herausgeber, Sascha Pylnikow Redakteur der Zeitung werden. Als die Versammlung beendet war und die Jungkommunarden den Raum verlassen hatten, setzte sich das neue Redaktionskollegium sofort an die Arbeit, und am nächsten Tage kam die Zeitung „Junkom“ mit Ach und Krach heraus. Zwei Wochen lang beobachtete die Republik Schkid in fiebernder Erregung den Kampf der beiden Richtungen. Der „Junkom“ stützte sich dabei auf seine schon früher errungene Autorität; die Blutsbrüder hatten die Technik, die journalistische Begabung und die Sympathie der Jungen, denen Japs und seine Gruppe den Eintritt in den „Junkom“ verwehrt hatten, auf ihrer Seite.

Nach dem Erscheinen der neuen Nummer des „Junkom“ schlugen Jankel und Ljonka ein wildes Tempo an. Der „Tag“ erschien zuerst einmal täglich und bekam in der Folge außerdem noch eine Abendausgabe.

Die neue „Junkom“ reagierte allzu schleppend und schwach, um es mit einer Zeitung aufnehmen zu können, die im Umsehen Popularität und weite Verbreitung errang. Die Situation der Zelle wurde immer schwieriger. Langsam, aber beharrlich prägte der „Tag“ den Schkidern ein, die Linie des „Junkom“ sei falsch. Der „Junkom“ selbst konnte die Angriffe der Opposition nur auf den Versammlungen abwehren, denn seine Zeitung hatte nicht die Kraft, es mit dem Presseorgan der Blutsbrüder aufzunehmen. Die Massen wurden mißtrauisch, sie verließen den „Junkom“, und nur der Lesesaal half dem „Junkom“ abends, gegen Ljonka und Jankel zu kämpfen. Doch auch das hing an einem seidenen Faden. Die Jungkommunarden wußten genau, daß drei Viertel aller Bücher im Lesesaal der Opposition gehörten. Früher oder später würden die Blutsbrüder den Lesesaal sprengen. Das geschah auch. Eines Abends kamen Jankel und Ljonka zum „Junkom“. Im Lesesaal war Hochbetrieb. Dutzende von Schkidern saßen an den Tischen und betrachteten die Bilder in Zeitschriften und Büchern. Jankel blieb an der Tür stehen. Ljonka ging zu Japs hin. „Dürfen wir unsere Bücher nehmen?“ fragte er mit makelloser Korrektheit. Japs erblaßte.

Er hatte das schon lange erwartet, aber nun bekam er doch einen Schreck. Die Auflösung des Lesesaales nahm dem „Junkom“ die letzte Möglichkeit, die Massen heranzuziehen und zu halten. Doch er mußte die Bücher herausgeben.

„Nehmt sie euch“, warf er scheinbar gleichgültig hin. Sascha stand daneben. Er hörte zu seinem Erstaunen Japs' Stimme zittern. „Nehmt sie“, wiederholte Japs.

Die Blutsbrüder kicherten spöttisch über die bankrotte „Junkom“-Führung, während sie ihre Bücher zusammensuchten. Aber eigentlich interessierte sie der Niedergang des „Junkom“ schon nicht mehr. Sie holten ihr Eigentum nur, um es zur Vervollständigung ihres „Südfonds“ auf dem Trödelmarkt zu verhökern.

Sie hatten den Kampf satt. Ihre „Idee“ wurde ihnen wieder wichtiger, und in ihrer Zeitung führten sie eine Rubrik „Film“ ein, in der sie Filmkritiken und Porträts bekannter Filmschauspieler abdruckten. Der „Junkom“ bekam eine Atempause und konnte sich erholen.

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