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Ich habe Geflammte Feder und Schmetterling Ohnegleichen, Auxilas Töchter, als mein Eigentum übernommen. Haniba gehorchte dem Befehl der Götter und richtete sich mit einem Messer. Die Mädchen besuchen ihr Grab jede zweite Sonne. Es ist mit einem Kreuz als Sinnbild für die vier Himmelsrichtungen gekennzeichnet. Die Mitglieder des königlichen Rats, die glauben, die Götter hätten Auxila als Opfer auserwählt, begrüßten die Selbsttötung seiner Witwe.

Doch wie entsetzt waren sie, als sie hörten, dass ich seine Töchter zu meinen Konkubinen gemacht hatte. Denn sie kannten mich nicht als einen Mann der Fleischeslust. Verdunkelte Sonne glaubte mir erst, als ich ihm sagte, dass meine Enthaltsamkeit in Wirklichkeit von einer Vorliebe für unverdorbene Jugend herrühre und dass ich beabsichtige, zuerst mit der Jüngeren der beiden Mädchen den Beischlaf zu vollziehen. Ich trug Geflammter Feder auf, unter den anderen Mädchen von Kanuataba das Gerücht zu verbreiten, dass ihre junge Schwester meine unersättliche Begierde gehorsamst stille.

Ich beruhigte die beiden Mädchen jedoch: Ich würde sie niemals zum Beischlaf zwingen. Vor allem Schmetterling Ohnegleichen, die erst neun Jahre alt war, hatte zuerst schreckliche Angst. Aber als sie einen Zahn verlor und ich ihr das Zahnfleisch schröpfte, um ihr Erleichterung zu verschaffen, war sie mir dankbar und sah mich mit sanfterem Blick an, nur um dann ihren Kummer ihren Sorgenpuppen anzuvertrauen. Geflammte Feder brauchte länger, um sich einzugewöhnen. Es dauerte Wochen, bis sie Vertrauen zu mir fasste. Aber die letzten vier Abende haben wir die großen Bücher von Kanuataba zusammen gelesen.

Es erfüllt mich nicht mit Stolz, diese Mädchen zu besitzen, aber es ist, wie Haniba gesagt hatte: Ich konnte nicht zulassen, dass Auxilas Töchter geschändet werden. Ihr Vater war ein heiliger Mann, dessen Familie mich, eine Waise, bei sich aufnahm. Durch ihn wurde mir der Weg zum Adel geebnet, dafür stehe ich für alle Zeit in seiner Schuld. Dennoch weiß ich nicht, wie ich die Kinder trösten soll, wenn ihnen nach dem Besuch am Grab ihrer Mutter die Tränen aus den Augen schießen. Ich habe nie viel von Frauen verstanden.

Ich gebe ihnen Krumen, damit sie mein Vogel-Ich füttern können. Der Ara hat es sich angewöhnt, in meine Höhle zu kommen. Ihn zu füttern muntert das kleinere der beiden Mädchen ein wenig auf. Sie ist zu jung, um zu verstehen, dass der Ara mein Geist-Ich ist, aber wenn er krächzt, bringt sie fast ein Lächeln zustande und ihre Tränen versiegen wenigstens für eine kleine Weile. Ich gebe mir große Mühe, aber ich kann den beiden die Mutter nicht ersetzen.

Vor zwei Sonnen erwies uns Rauch Lied, der heilige Prinz, die Ehre seines Besuches. Normalerweise findet der Unterricht nicht außerhalb des Palastes statt, es sei denn, wir beobachten ein Naturschauspiel. Aber der König gewährte mir meine Bitte und erlaubte dem Prinzen, hierherzukommen. Der König ist mit seinen Kriegern vor drei Sonnen schon in die Schlacht gegen Sakamil gezogen. Glücklicherweise hatte er sich entschlossen, seinen jungen Sohn doch nicht mitzunehmen.

Als der Prinz eintraf, war sofort klar, dass Geflammte Feder ihn ablenken würde. Seine Augen leuchteten auf, als er sie erblickte, und er konnte sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Er hatte gedacht, er würde dieses Mädchen, dem er seit Jahren zugetan war, nie mehr wiedersehen.

Als der Prinz zu dem Mädchen sprach, küsste sie den Boden unter seinen Füßen, so wie es Brauch war. Ich hörte zu, wie die beiden voller Bewunderung über den Vogel sprachen, der auf die Schulter von Geflammte Feder kletterte und sich putzte. Der Vogel erholte sich zusehends von seiner Verletzung, und in ein paar Wochen würde er aufbrechen und sich auf die Suche nach seinem Schwarm machen. Den Blick auf den Ara gerichtet, warf der Prinz sich in Pose, indem er seinen kleinen Zopf, der immer noch mit der weißen Perle als Zeichen der Ergebenheit gegenüber seinem Vater geschmückt war, nach vorn schob.

Dann sprach er:

– Dieser Vogel ist nichts verglichen mit meinem Krafttier, dem mächtigen Jaguar. Hast du jemals einen mit eigenen Augen gesehen? Er ist flinker als jedes andere Tier im Dschungel, er packt seine Beute sicherer, als der beste Bogenschütze sein Ziel je treffen könnte. Er ist schneller als ein Pfeil und auch leiser. Ich kann dir zeigen, wo Jaguarknochen begraben liegen, und dich wird ein Schauder erfüllen, den du so bald nicht vergessen wirst. Es ist gut möglich, dass dir bei dem Anblick die Sinne schwinden, aber ich werde da sein und dich auffangen, denn mein Herz und mein Geist sind stärker als die deinigen, kleines Mädchen. –

Was dann zwischen diesen beiden Kindern geschah, erstaunte mich und gemahnte mich von Neuem daran, auf welch wunderbare und eigentümliche Weise die Götter uns, die vierten Menschen, erschaffen haben.

Als der Prinz ihr in die Augen sah, senkte Geflammte Feder den Blick nicht, so wie der Brauch es vorschrieb. Im königlichen Palast hätte sie für diese Ungebührlichkeit den Göttern geopfert werden können. Doch es lag keine Angst in ihrem Gesicht, und es war keine Furcht in ihrem Herzen. Sie lächelte, sodass man die beiden Schneidezähne mit den Verzierungen aus Jade sehen konnte, doch sie verbarg sie sogleich wieder. Es war das erste Lächeln seit dem Tag, als ich die beiden Mädchen im Haus ihrer Eltern aufgesucht hatte, um ihnen zu sagen, dass ihre Mutter tot war.

Dann sprach sie, wie ich noch nie ein Mädchen zu einem Prinzen hatte sprechen hören:

– Aber heiliger Prinz, Rauch Lied, Erhabener, wie kann der mächtige Jaguar einen Fuchs schneller töten als ein Köcher Pfeile, wo ich doch selbst schon gesehen habe, wie Jaguare von ebendiesen Pfeilen, die unsere Bogenschützen abschossen, getötet wurden? Kannst du jemandem mit einem so armseligen Verstand wie meinem diesen Widerspruch erklären? –

Ich konnte nicht vorhersagen, wie der Junge auf diese unerhörten Worte reagieren würde. Auf seinem Gesicht malte sich Verwirrung über ihren Einwand. Doch als er lächelte und die Jadeverzierung seiner Zähne zeigte, begriff ich, wie wenig Ähnlichkeit er mit seinem Vater hatte. Er wird eines Tages ein ausgezeichneter Herrscher sein, falls es uns gelingt, die Katastrophe abzuwenden, die unser mächtiges Reich zu vernichten droht. Ich war erfüllt von Stolz auf ihn.

Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, wie edelmütig und willensstark Geflammte Feder ist. Es ist kein Geheimnis, dass der Prinz ihre Gesellschaft sehr schätzt. Doch kann niemals etwas daraus erwachsen. Ihr Vater wurde den Göttern geopfert, und so ist sie gefangen zwischen den Welten, zu gering für einen König, nicht besser als ein Bastard. Der Anblick der beiden brachte mich den Tränen näher, als ich seit vielen Sonnen gewesen war.

Der Prinz griff in seinen Beutel. Ich dachte, er werde eines der Bücher aus der königlichen Bibliothek herausnehmen, das mitzubringen ich ihn gebeten hatte. Ich wartete mit stolzgeschwellter Brust, weil ich glaubte, er werde uns zeigen, was ich ihn so lange gelehrt hatte, nämlich wie gut er lesen konnte.

Doch statt eines Buches hielt er ein verziertes Tongefäß in der Hand, mehr als zwei Handbreit tief, so als wäre es gemacht, um Wasser zu fassen. Es war bemalt in den Farben des Todes und der Wiedergeburt, und er hielt es mit beiden Händen Geflammte Feder hin und sprach:

– Siehe, dies ist Akabalam, der meinem Vater die Ehre erweist, ihn mit seiner Macht auszustatten, und zu dessen Ehren wir den neuen Tempel errichten werden. Hast du Akabalam jemals mit eigenen Augen gesehen, Mädchen? –

Geflammte Feder war ganz still geworden, als der Name des Gottes fiel, der das Leben ihres Vaters gefordert hatte. Ich dagegen wurde von aufgeregter Wissbegierde erfasst. Konnte der König seinem Sohn gezeigt haben, wodurch dieser geheimnisvolle Gott sich offenbarte? Und würde ich es verstehen können?

Der Prinz sprach zu dem Mädchen:

– Fürchte dich nicht. Ich habe Macht über diese Wesen, die Verkörperung Akabalams. Fürchte dich nicht. Ich werde dich beschützen. –

Rauch Lied öffnete das Gefäß. Darin zählte ich sechs Insekten, jedes so lang wie ein Finger. Sie hatten die Farbe von Blättern der kräftigsten Bäume, die einst unseren Wald beherrschten. Die Insekten kletterten übereinander und versuchten, an der Wand des Gefäßes hochzuklettern, doch es gelang ihnen nicht. Ihre langen abgeknickten Beine hatten sie unter den Körper gezogen. Ihre hervorstehenden Augen hatten die Farbe der Nacht.

Der Prinz sprach:

– Ich habe gesehen, wie er diese Wesen anbetete, ich habe sie aus dem Thronsaal genommen, wo sie ihr königliches Festmahl halten, und jetzt kann auch ich ihre Macht spüren. –

Ich betrachtete die Insekten, diese Wesen, die mit dem Wald verschmelzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, zu welchem Zweck wir diese Kreaturen anbeten sollten! Sie stellten keinen Honig her. Sie konnten nicht geröstet und gegessen werden. Warum sollte der König einem nutzlosen Insekt zu Ehren einen Tempel errichten und den Verwalter seiner Vorräte im Namen dieses Insekts töten lassen?

Warum sollte der König uns, die heilige Schöpfung der Götter, die Maismenschen, im Namen dieses Insekts herabwürdigen?

Ich sprach:

– Das ist es, was dein Vater Akabalam nennt? Nur das? –

– Ja. –

– Und hat er dir auch den Grund genannt, warum wir diese Kreaturen verherrlichen sollen? –

– Natürlich hat er das. Aber du, Schreiber, würdest niemals empfinden, was ein König im Angesicht so großer Macht empfindet. –

Doch als ich die Insekten noch einmal näher betrachtete und sah, wie sie die winzigen Vorderbeine in der Luft langsam aneinanderrieben, da glaubte ich zu verstehen. Durch diese Haltung ähnelten sie einem Menschen, der mit den Göttern spricht. Noch nie habe ich in unserem Reich ein Wesen gesehen, das frommer zu sein scheint. Kein anderes Wesen zeigt den Menschen eindrücklicher, wie sie zu den Göttern beten sollen.

Ist das der Grund, weshalb der König sie so verehrt? Weil er glaubt, unsere Frömmigkeit sei uns in der anhaltenden Trockenheit abhandengekommen, und weil er in diesen Wesen ein Sinnbild bedingungsloser Hingabe zu den Göttern sieht?

Der Prinz wandte sich dem Mädchen zu und sprach:

– Nur ein von unseren Vorfahren geweihter Mann kann Akabalam erkennen und verstehen. –

Rauch Lied ist trotz des Einflusses, den sein Vater auf ihn hat, ein gutes Kind und reinen Herzens. Unsere Vorfahren im Urwald hätten seine Seele geliebt und geachtet. Sein Vater, der König, hätte mich vielleicht köpfen lassen, wenn er geglaubt hätte, dass ich ein Mädchen geschändet habe, das er begehrte. Rauch Lied hingegen wollte das Mädchen nur beeindrucken und ihr Herz gewinnen. Er hatte die Insekten aus dem Palast gestohlen, um Geflammte Feder zu zeigen, wie viel größer seine Macht war als meine. Ich wollte ihm dieses Vergnügen lassen.

Das Mädchen schaute zu, wie ich mich hinunterbeugte und dem Prinzen die Füße küsste.

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