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Die Gentests wurden im Zentrum für Prionenforschung noch einmal durchgeführt. John Does Hirnstromkurve, seine Laborwerte und die Aufnahmen der Kernspintomografie wurden von den Experten im Seuchenzentrum in Atlanta genauestens unter die Lupe genommen. Nach zahllosen Konferenzschaltungen und Debatten, die die ganze Nacht dauerten, waren alle Ärzte der gleichen Meinung wie Stanton: Der Patient litt an einer neuen Variante der Prionenkrankheit und musste sich durch verseuchtes Fleisch infiziert haben.
Draußen war es gerade hell geworden, als Stanton und sein Stellvertreter Alan Davies die Ergebnisse noch einmal zusammenfassten. Die beiden Männer hatten sich in Stantons Büro im Zentrum für Prionenforschung zurückgezogen. Davies, ein hervorragender Arzt, stammte aus England und hatte jenseits des Atlantik jahrelang über den Rinderwahnsinn geforscht.
»Ich habe gerade mit dem Landwirtschaftsministerium telefoniert«, sagte Davies. Das USDA war nicht nur zuständig für die Landwirtschaft, sondern auch für Ernährung und Lebensmittelkontrolle. »Keine positiven Prionentests bei den großen Fleischverpackungsfirmen. Nichts Verdächtiges bei den Rindermastbetrieben oder bei den Futtermittelherstellern.«
Davies trug einen dreiteiligen Nadelstreifenanzug und hatte das Jackett ausgezogen. Seine langen braunen Haare waren so perfekt frisiert, dass man hätte glauben können, er trüge ein Toupet. Er war die einzige »Laborratte«, die Stanton kannte, die einen Anzug trug. Das war Davies’ Art, den Amerikanern zu zeigen, wie viel kultivierter ihre britischen Verwandten waren.
»Ich will mir die Tests selbst ansehen«, sagte Stanton müde und rieb sich die Augen. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten vor Erschöpfung.
»Das sind ja nur die großen Betriebe«, meinte Davies. »Die Leute können nicht jede kleine Farm überprüfen, auch wenn sie ein ganzes Jahr Zeit hätten. Ganz zu schweigen von den Schaffarmen und den Schweinemastbetrieben. Irgendwo da draußen verarbeitet irgend so ein leichtsinniger Idiot immer noch das Hirn oder weiß der Teufel was von Schlachttieren und liefert es Gott weiß wohin.«
Das Entscheidende bei jeder lebensmittelbedingten Erkrankung war, den Infektionsherd ausfindig zu machen. Gemüse, das mit Escherichia coli verseucht war, musste zurückverfolgt werden bis zu den Gemüsebauern, die es angebaut hatten, damit die Betriebe geschlossen und die Ware aus dem Handel genommen werden konnte. Mit Salmonellen belastete Eier mussten bis in den Hühnerstall zurückverfolgt werden, von dem sie stammten, damit die Verbraucher vor dem Verzehr der bereits in den Handel gelangten Eier gewarnt werden konnten. Das rasche Aufspüren des Infektionsherds konnte darüber entscheiden, ob es ein Opfer gab oder Tausende.
Doch Stanton und sein Team wussten nicht einmal, auf welche tierische Quelle sie sich konzentrieren sollten. Da die Prionen von Rindern nachweislich auf andere Spezies übertragen werden konnten, waren sie die Hauptverdächtigen. Aber die Prionen von Schweinen waren denen von Rindern auffallend ähnlich. Und eine Prionenkrankheit namens Scrapie hatte in Europa mehrere Hunderttausend Schafe getötet. Stanton hatte schon lange die Befürchtung, dass eines Tages mutierte Prionen auch von Schafen auf den Menschen übertragen werden könnten.
Die eigentliche Arbeit begann jedoch, sobald sie herausgefunden hatten, was genau John Doe krank gemacht hatte. Durch die unnatürliche Art und Weise, wie Fleisch verarbeitet und verpackt wurde, konnte das Fleisch eines einzigen Tieres in unzähligen Produkten auftauchen und über die ganze Welt verteilt werden. Stanton hatte Fleisch von ein und derselben Kuh in Hackfleisch in Columbus, Ohio, gefunden und in Hamburgern in Düsseldorf.
»Unsere Leute sollen alle Krankenhäuser in der Stadt überprüfen«, sagte er. Eine Prionenerkrankung war schwer zu diagnostizieren, und Stanton war sich ziemlich sicher, dass John Doe nicht der einzige Fall bleiben würde. »Sie sollen auf ungewöhnliche Fälle von Insomnie achten. Oder auf Patienten mit anderen ungewöhnlichen Symptomen. Und frag bei den Notfallpsychologen nach, ob jemand mit auffälligem Verhalten oder mit Wahnvorstellungen zu ihnen gekommen ist.«
Davies lächelte verzagt. »Das wär dann wohl jeder Einwohner von L.A.« Sich über die Südkalifornier lustig zu machen war sein zweitliebster Zeitvertreib nach der sorgfältigen Auswahl seiner Kleidung.
»Sonst noch was?«, fragte Stanton.
»Cavanagh hat angerufen.«
Da das Zentrum für Prionenforschung dem Seuchenzentrum angegliedert war, war Emily Cavanagh, die Stellvertretende Direktorin, Stantons Vorgesetzte. Sie war bekannt für ihre geradezu übernatürliche Ruhe, nahm andererseits aber auch nichts auf die leichte Schulter. Sie wusste um die potenziellen Gefahren einer Prionenerkrankung. Stanton hatte sich mit zahllosen Leuten in Atlanta überworfen, weil ihm Forschungsgelder verweigert oder weil seine Therapieansätze nicht akzeptiert worden waren. Cavanagh war eine seiner wenigen Verbündeten geblieben.
»Wie wollen wir das Ding eigentlich nennen?«, fragte Davies.
»Vorläufig einmal VFI«, antwortete Stanton. »Variante der familiären Insomnie. Aber sobald du herausgefunden hast, woher der Erreger stammt, werden wir sie Davies’ Krankheit nennen. Versprochen.«
***
Stanton hörte seine Mailbox ab. Nach einem Dutzend neuen Nachrichten, die alle mit seinen Nachforschungen zu tun hatten, hörte er endlich Ninas Stimme.
»Ich hab deine Nachrichten bekommen«, sagte sie. »Ich nehme an, du willst mich mal wieder dazu bringen, dass ich Veganerin werde. Keine Bange. Das meiste von dem Fleisch im Kühlschrank war eh schon hinüber und ist in den Müll gewandert. Ich schätze, dein vierbeiniger Freund und ich werden uns hier draußen eine Weile von Fisch ernähren. Ruf an, wenn du kannst. Und pass auf dich auf.«
Stanton streifte seine Leute, die an ihren Laborplätzen saßen, mit einem flüchtigen Blick. Das Seuchenzentrum in Atlanta hatte strikte Anweisung erteilt, den Fall vorerst geheim zu halten. Sobald auch nur der leiseste Verdacht aufkam, dass durch den Verzehr von Fleisch BSE übertragen werden könnte, entstand in der Öffentlichkeit Panik, der Markt für Rindfleisch brach ein, und es gab wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Stanton hatte Nina daher nichts von John Doe erzählt, sondern nur angedeutet, dass es eine sehr gute Idee wäre, seine zahllosen Warnungen vor dem Verzehr von Fleisch zu beherzigen.
»Dr. Stanton, ich hab was für Sie.«
Eine seiner Assistentinnen winkte ihn zu sich. Stanton schaltete sein Telefon aus und eilte zu der Sicherheitswerkbank auf der anderen Seite des Labors. Neben Jiao Chen saß Michaela Thane. Stanton hatte sie gebeten, nach ihrer Schicht im Krankenhaus ins Labor zu kommen, damit sie die weitere Entwicklung aus nächster Nähe verfolgen konnte. Falls sich ihr Verdacht bestätigte und sie es tatsächlich mit einem durch den Verzehr von verseuchtem Fleisch übertragenen neuen Erreger vom Typ FFI zu tun haben sollten, wollte Stanton dafür sorgen, dass Thane die Anerkennung bekam, die ihr gebührte.
»Die Form ist identisch mit der von FFI«, sagte Jiao und machte ihren Platz für ihn frei. »Aber Sie werden es nicht glauben, wie der Verlauf ist. Sie bewegen sich viel schneller.«
Stanton blickte durch das Okular des leistungsstarken Elektronenmikroskops. Normale Prionen-Proteine waren spiralförmig angeordnet wie DNA-Bausteine, aber hier hatten sich die Helices aufgedröselt und neu zusammengefaltet, sodass sie aussahen wie der Balg eines Akkordeons.
»Wie alt ist die Probe?«, fragte Stanton.
»Gerade mal zwei Stunden«, antwortete Jiao.
Bei den Prionen, die Stanton bis jetzt kannte, dauerte es Wochen oder sogar Monate, bis sie andere Eiweißmoleküle in pathogene Formen umgewandelt hatten. Bei den von ihm untersuchten Fällen von Rinderwahnsinn hatte er nicht selten drei oder vier Jahre zurückgehen müssen, bis er den Ursprung – das verseuchte Fleisch – gefunden hatte. Doch diese Proteine hier veränderten sich schneller als alles, was er je gesehen hatte. Mit der Geschwindigkeit eines Virus.
»Bei dem Tempo wird es höchstens ein paar Tage dauern, bis der Thalamus vollständig ausgeschaltet ist«, sagte Jiao. »Und noch mal ein paar Tage später wird der Hirntod eintreten.«
»Er kann sich also erst vor Kurzem infiziert haben«, sagte Stanton nachdenklich.
Jiao nickte. »Sonst wäre er schon längst tot.«
Stanton blickte zu Davies auf. »Wir müssen die Antikörper einsetzen.«
»Gabe …«
»Welche Antikörper?«, fragte Thane.
Es handle sich dabei um einen völlig neuen Therapieansatz, erklärte Stanton. Das menschliche Immunsystem konnte keine Antikörper gegen fremde Prionen bilden, weil es diese mit den normalen Prionen-Proteinen verwechselte, die im Hirngewebe vorkamen. Das Team des Zentrums für Prionenforschung hatte nun im Laborversuch bei Mäusen die normalen Prionen quasi ausgeschaltet (mit dem Nebeneffekt, dass die Tiere keine Angst mehr vor Schlangen zeigten) und ihnen anschließend pathogene Prionen injiziert. Die Mäuse produzierten daraufhin Antikörper gegen die fremden Prionen, die aus dem Blutserum extrahiert und theoretisch zu Therapiezwecken verwendet werden konnten. Stanton und sein Team hatten die Methode zwar noch nicht am Menschen getestet, aber in einer Petrischale hatte sie sich als äußerst vielversprechend erwiesen.
»Glaub mir, ich würde diesen Bürohengsten von der FDA nur zu gern sagen, sie können uns mal«, meinte Davies. »Aber du brauchst nicht noch einen Prozess, Gabe.«
»Was für ein Prozess?«, fragte Thane.
»Das tut nichts zur Sache«, antwortete Stanton.
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach Davies. An Thane gewandt fuhr er fort: »Er hat einen an einer genetisch bedingten Prionenkrankheit Leidenden mit einem nicht zugelassenen Medikament behandelt.«
»Die Familie hat gesagt, er sollte alles versuchen, auch die Antikörpertherapie«, warf Jiao ein. »Aber nachdem er ihm das Präparat injiziert hatte und der Patient es nicht schaffte, haben sie ihre Meinung geändert und ihn verklagt.«
Thane schüttelte den Kopf. »Solche Leute muss man einfach gern haben«, knurrte sie.
Ein weiterer von Stantons Assistenten trat zu ihnen. Dass Christian sogar die Kopfhörer abgenommen hatte, durch die er sich normalerweise zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten von hartem Rap beschallen ließ, war der beste Hinweis auf die erhöhte Anspannung im Labor. »Die Polizei hat gerade angerufen«, sagte er. »Sie haben das Motelzimmer durchsucht, in dem man unseren John Doe gefunden hat, und die Quittung eines mexikanischen Restaurants gefunden. Das liegt gleich neben dem Hotel.«
»Woher beziehen die ihr Fleisch?«, fragte Stanton.
»Von einem Großbetrieb im San Joaquin Valley. Die produzieren ungefähr eine Million Pfund Rindfleisch im Jahr. Bis jetzt haben sie nie gegen die Bestimmungen verstoßen, aber sie schlachten nicht nur, sondern haben auch ihre eigene Tierkörperverwertung.«
Stanton warf seinem Partner einen vielsagenden Blick zu.
»Möglich wär’s«, meinte Davies.
Thane schaute von einem zum anderen. »Ich verstehe nicht ganz.«
»Wissen Sie, was in der Zahnpasta ist, die Sie benutzen?«, sagte Davies, der nur zu gern über die hässlichen Seiten der Fleischproduktion sprach. »Oder in dem Mundwasser, mit dem Sie gurgeln? Ach ja, nicht zu vergessen die Spielsachen für Kleinkinder. Da sind überall Abfallprodukte von geschlachteten Tieren drin.«
»So kam es wahrscheinlich zum Ausbruch des Rinderwahnsinns«, fügte Stanton hinzu. »Rinder wurden mit dem infizierten Hirn anderer Rinder gefüttert.«
»Zwangskannibalismus«, murmelte Thane.
Stanton wandte sich wieder seinem Assistenten zu. »Wie heißt der Betrieb?«
»Havermore Farms«, antwortete Christian.
Stanton setzte sich kerzengerade auf. »Diese mexikanische Kneipe wird von Havermore beliefert?«
»Warum? Sagt Ihnen der Name etwas?«, fragte Thane.
Stanton griff nach seinem Telefon. »Die liefern das ganze Fleisch für den gesamten Schulbezirk von Los Angeles.«
***
Havermore Farms schmiegte sich in das Tal der San Emigdio Mountains, von wo seine Ausdünstungen nicht in die Nähe der Wohngebiete geweht werden konnten. Im morgendlichen Berufsverkehr dauerte die Fahrt dorthin eine Stunde. Falls es Stanton und Davies nicht innerhalb der nächsten zwei Stunden gelang, den Nachweis dafür zu erbringen, dass das mutierte Prion von dort stammte, konnten sie nicht verhindern, dass an den öffentlichen Schulen von L.A. zum Mittagessen Fleisch an eine Million Schüler ausgegeben wurde.
Die beiden Ärzte rasten vorbei an den Pferchen, in denen Tausende Rinder gehalten wurden. Das waren die Schlachttiere, die Stanton am meisten Sorgen machten. Sie wurden mit Mais gemästet, und wahrscheinlich wurden Proteinkuchen, die von der anderen Seite des Betriebs stammten, unter das Futter gemischt – eine mögliche Quelle für die neue Variante des Prions.
Sie gingen direkt zur Verwertungsanlage, wo die Proteinkuchen hergestellt wurden, der wahrscheinlichste Ort für eine Verseuchung. Stanton und Davies folgten Mastras, dem Vorarbeiter, vorbei an Fließbändern, auf denen Köpfe, Hufe und Füße von Schweinen, Rindern, Pferden befördert wurden sowie Katzen und Hunde, die eingeschläfert worden waren. Männer, die bunte Halstücher und Schutzbrillen und Halbmasken trugen und sich auf Spanisch laute Befehle zubrüllten, schoben mit ihren Bulldozern gehäutete, fleischlose Gerippe in eine große Grube, wo sich Rinderknochen mit Schweinekiefern, Borsten und Gliedmaßen vermischten. Wenn Stanton und Davies sich, als sie angekommen waren, nicht Wick Vaporub unter die Nase geschmiert hätten, wäre der Gestank nicht auszuhalten gewesen.
»Wir haben den Kontrolleuren nie etwas verheimlicht«, beteuerte Mastras. »Sie gucken sich hier um, und sie kriegen alles von uns, was sie haben wollen, sämtliche Unterlagen. Wir waren immer sauber.«
»Sie meinen, der winzige Bruchteil von Proben, die kontrolliert worden sind, ist sauber gewesen«, entgegnete Davies.
»Ihr wisst ganz genau, dass wir am Arsch sind, wenn sich herumspricht, dass ihr Jungs bei uns herumschnüffelt«, brüllte Mastras über den Lärm der Bulldozer hinweg. Er hatte rote Haare und eine kränklich blasse Haut, und er war Stanton sofort unsympathisch gewesen. »Irgendwas bleibt immer hängen, auch wenn sich hinterher herausstellt, dass der Verdacht unbegründet war.«
»Die Öffentlichkeit wird nichts erfahren, bis wir den Seuchenherd gefunden haben«, versicherte Davies. »Das Seuchenzentrum hält die Angelegenheit unter Verschluss.«
Stanton versuchte anhand der Überreste zu schätzen, wie viele Tierkadaver sich in der Grube befanden. »Das ist viel mehr, als hier geschlachtet wird«, sagte er dann. »Nehmen Sie auch Schlachtabfälle von anderen Farmen an?«
»Ja, manchmal«, antwortete Mastras. »Aber wir nehmen kein abgepacktes Fleisch aus den Supermärkten, und diese Flohhalsbänder mit Insektiziden dran werden auch nicht mit vermahlen. Im Tierheim werden die Halsbänder abgenommen, bevor sie die Kadaver anliefern. Sonst nehmen wir sie nicht. Die Bosse legen Wert darauf, dass die Richtlinien eingehalten werden.«
»Oder, wie wir es nennen, das Gesetz«, sagte Davies trocken.
Sie blieben vor einer Reihe von Fließbändern stehen, auf denen die gehäuteten Kadaver verschiedener Tiere von den Lastwagen hereinkamen, die sie angeliefert hatten. Alle Fließbänder waren überzogen mit einer breiigen Masse aus Organen, blutigen Häuten, Knochen, zerschmetterten Gebissen. Davies wandte sich zu dem Band hin, auf dem die Überreste von Schweinen hereinbefördert wurden, während sich Stanton auf die Rinder konzentrierte.
Mit einer Zange und mit einem Schablonenmesser säbelte Davies Proben von verschiedenen Stücken ab und gab sie in einen Probenbehälter für das antikörperbasierte Nachweisverfahren ELISA. Er hatte diese Methode vor etlichen Jahren als Test zur Bestimmung von BSE entwickelt. Stanton hatte eine Plastikschale mit zwanzig Vertiefungen vor sich, von der jede mit einer klaren eiweißhaltigen Flüssigkeit gefüllt war. Er gab kleine Fleischstückchen in jede Vertiefung. Wenn sie mutierte Prionen enthielten, würde sich die Lösung dunkelgrün färben.
Zehn Minuten später hatten sie etwa ein Dutzend Proben genommen und untersucht. Keine einzige Lösung hatte reagiert. Stanton wiederholte den Vorgang, doch das Ergebnis blieb das gleiche.
»Keine Reaktion«, meinte Davies achselzuckend. »Vielleicht spricht der Erreger auf ELISA nicht an.«
Stanton wandte sich an Mastras. »Wo sind Ihre Lastwagen?«
Mastras führte sie zu den Verladerampen, wo sie jeden Quadratzentimeter der Fahrzeuge untersuchten, in denen die Tierkadaver aus den Schlachthöfen hertransportiert wurden. Stanton und Davies tupften mit Wattestäbchen die blutverschmierten Wände und den Boden von zweiundzwanzig Lkw ab. Jede Probe war negativ. Keine der ELISA-Lösungen hatte sich verfärbt.
Jetzt lächelte Mastras. Er sprang von der Ladefläche des letzten Lastwagens, griff zum Telefon und gab seinem Vorgesetzten Bescheid, dass unverzüglich mit der Auslieferung des Fleisches an die Schulkantinen begonnen werden konnte. Eine Million Kinder und Jugendliche würden an diesem Tag Fleisch von Havermore auf dem Teller haben, und Stanton konnte nichts dagegen tun.
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt«, triumphierte Mastras. »Wir sind sauber.«
Stanton hoffte inständig, dass sie nichts übersehen hatten, und machte sich Vorwürfe, weil er allen Ernstes geglaubt hatte, sie würden den Fall im Handumdrehen aufklären. Die Verarbeitung von Schlachtabfällen war nur eine von vielen gefährlichen Arten, wie der Mensch das Fleisch, das er aß, manipulierte. Sie würden ihre Suche nach dem Infektionsherd ausweiten müssen. Mit jeder Stunde konnten sich weitere Menschen infizieren.
Als Stanton aus dem Lastwagen kletterte, sah er, dass Mastras von der Laderampe gesprungen war und ein Stück die Straße hinunterging. Er starrte auf irgendetwas in der Ferne. Stanton folgte ihm. Dann sah er es auch. In Staubwolken gehüllte Vans, auf deren Dach Antennen in alle Richtungen zeigten, näherten sich mit hoher Geschwindigkeit.
Mastras drehte sich zu Stanton um und knurrte: »Dreckskerl.«
Fernsehteams rasten auf sie zu.