Auf dem diskret in die Kirschholztäfelung seines Büros eingebauten Monitor beobachtete Lewis Skiba den Fort-schritt von Lampe-Denison Pharmaceuticals an der New Yorker Börse. Die Investoren hatten der Aktie den ganzen Tag über gewaltig Zunder gegeben. Nun wurde sie um die Zehn gehandelt. Während er zuschaute, ging sie um einen weiteren Achtelpunkt runter und landete genau bei zehn.
Skiba wollte sein Unternehmen nicht in den einstelligen Bereich rutschen sehen. Er schaltete den Monitor aus. Sein Blick huschte zu der Holzpaneele, die den Macallan verhüllte. Aber dazu war es noch zu früh. Zu früh. Für den Anruf brauchte er einen klaren Kopf.
Es gingen Gerüchte, das Phloxatan sei bei der FDA in Schwierigkeiten. Die Leerverkäufer fielen über die Aktie her wie Maden über eine Leiche. Zweihundert Millionen Dollar Forschung und Entwicklung hatte man in das Medikament gesteckt. Sie hatten mit den besten medizinischen Wissenschaftlern der drei Ivy-League-Universitäten zu-sammengearbeitet. Die streng geheimen Versuche waren gut gelaufen, man hatte die Daten in die bestmögliche Form gebracht und aufbereitet. Sie waren ihren Freunden bei der FDA um den Bart gegangen wie noch nie. Doch jetzt war das Phloxatan nicht mehr zu retten. Wie man die Daten auch drehte, das Medikament war ein Flop. Jetzt saß Skiba auf sechs Millionen Lampe-Aktien, die er nicht loswerden konnte - niemand hatte vergessen, was mit Martha Stewart passiert war - und auf zwei Millionen Optionen, die so wertlos waren, dass sie als Toilettenpapier in seinem Carra-ra-Marmorbad nützlicher gewesen wären.
Skiba hasste Leerverkäufer mehr als alles auf der Welt. Sie waren die Geier, die Maden, die Aasfliegen des Marktes. Er hätte alles dafür gegeben, um zu sehen, dass die Lampe-Aktie sich gegen sie wandte und stieg. Er hätte gern ihre Panik gesehen, wenn sie gezwungen wären, ihre Positionen zu schützen. Er hätte gern an all die Anrufe gedacht, die sie zum Nachschuss aufforderten. Es wäre wunderschön gewesen. Sobald er den Codex in die Hände bekam und das bekannt machte, würden diese wunderschönen Dinge wahr werden. Die Leerverkäufer würden sich so schlimm verbrennen, dass es Monate, wenn nicht gar Jahre dauern würde, bis sie sich erholten.
Das Schreibtischtelefon erzeugte ein leises Trillern. Skiba schaute kurz auf seine Armbanduhr. Das Satellitengespräch kam pünktlich. Eigentlich gefiel es ihm gar nicht, mit Hauser zu reden. Er verabscheute diesen Menschen und seine Prinzipien. Aber er musste sich mit ihm abgeben. Hauser hatte darauf bestanden, ihn auf dem Laufenden zu halten.
Obwohl Skiba ein Geschäftsführer war, der in der Regel nicht lange fackelte, hatte er gezögert. Es gab Dinge, die besser im Dunkeln blieben. Am Ende hatte er jedoch zuge-stimmt - wenn auch nur, um Hauser daran zu hindern, etwas Dummes oder Ungesetzliches zu tun. Wenn er den Codex bekam, musste er sauber sein.
Skiba nahm den Hörer ab.
»Skiba.«
Hauser klang aufgrund der Verschlüsselung fast wie Donald Duck. Wie üblich vergeudete der Privatdetektiv keine Zeit mit Nettigkeiten.
»Maxwell Broadbent ist mit einer Truppe Hochlandindia-ner den Rio Patuco hinaufgefahren. Wir sind auf seiner Spur. Wir wissen zwar noch nicht, wo sein Ziel lag, aber ich schätze, es wird irgendwo im Inlandgebirge sein.«
»Gibt's irgendwelche Probleme?«
»Vernon, einer seiner Söhne, hat sich vorgedrängelt und ist uns ein Stück voraus. Könnte aber gut sein, dass der Dschungel das Problem für uns erledigt.« »Ich verstehe nicht.«
»Er hat in Puerto Lempira zwei Trunkenbolde als Führer angeheuert und sich im Meambar-Sumpf verirrt. Ist un-wahrscheinlich, dass sie den ... ähm ... Sonnenschein je wieder sehen.«
Skiba schluckte. So viele Informationen hatte er eigentlich gar nicht haben wollen. »Hören Sie, Mr. Hauser, bleiben Sie einfach bei den Fakten und überlassen Sie die Meinungen den anderen.«
»Wir hatten einen kleineren Rückschlag mit Tom, dem anderen Sohn. Er hat eine Frau bei sich, eine Doktorandin aus dem Bereich Ethnopharmakologie von der Universität Yale.« »Ethnopharmakologie? Weiß sie von dem Codex?« »Da können Sie Ihren Arsch drauf wetten.« Skiba zuckte zusammen. »Das ist aber sehr lästig.« »Yeah, aber nichts, wo-mit ich nicht fertig würde.« »Hören Sie, Mr. Hauser«, sagte Skiba schroff. »Ich überlasse alles Ihren kompetenten Händen. Ich muss jetzt zu einer Konferenz.«
»Man wird sich um diese Leute kümmern müssen.« Es behagte Skiba nicht, dass das Thema damit nicht abgeschlossen war. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, und ich möchte es auch gar nicht wissen. Ich bin zufrieden, wenn Sie sich um die Einzelheiten kümmern.«
Am anderen Ende ertönte ein leises Kichern. »Wie viele Menschen sterben in diesem Moment in Afrika, weil Sie darauf bestehen, dreiundzwanzigtausend Dollar pro Jahr für das neue Tbc-Medikament in Rechnung zu stellen, das in der Produktion gerade mal hundertzehn kostet? Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Wenn ich sage, dass ich mich darum kümmere, meine ich damit nur, dass ich Ihrer Ge-samtsumme ein paar Zahlen hinzufüge.«
»Das ist unerhört, Hauser! Verdammt noch mal ...« Skiba brach ab und schluckte. Er wollte sich doch nicht provozie-ren lassen. Das hier war eine Unterhaltung, mehr nicht.
»Sie sind wirklich nett, Skiba. Sie wollen den Codex schön sauber und legal haben. Sie wollen nicht, dass plötzlich jemand den Hals reckt und behauptet, er gehört ihm. Sie wollen auch nicht, dass sich jemand wehtut. Machen Sie sich keine Sorgen: Ohne Ihre Erlaubnis werden keine weißen Menschen ums Leben kommen.«
»Jetzt hören Sie mal zu. Ich werde es nicht hinnehmen, dass jemand getötet wird - ob es nun ein Weißer ist oder nicht. Hören Sie mit diesem rücksichtslosen Gerede auf.«
Skiba spürte, wie ihm Schweißtropfen am Hals hinabliefen.
Womit hatte er Hauser erlaubt, die Situation derart zu kont-rollieren? Seine Hand tastete nach dem Schlüssel. Die Schublade glitt auf.
»Ich verstehe«, sagte Hauser. »Wie schon gesagt ...«
»Ich muss in eine Konferenz.« Skiba unterbrach die Verbindung. Sein Herz pochte heftig. Hauser war in Mittelamerika, komplett außer Kontrolle. Niemand überwachte ihn. Er konnte tun, was er wollte. Der Mann war ein Psychopath. Skiba schluckte die Pille, spülte ihre Bitterkeit mit einem Schluck Macallan hinunter, lehnte sich zurück und rang nach Luft. Das Feuer im Kamin brannte fröhlich vor sich hin. Das Gerede vom Töten hatte ihn so aufgeregt, dass ihm übel war. Er blickte in die Flammen, in der Hoffnung auf ihren beruhigenden Einfluss. Hauser hatte zwar versprochen, seine Erlaubnis einzuholen, doch die würde er nie kriegen. Weder die Firma noch sein persönliches Glück waren es wert, zu solchen Maßnahmen zu greifen. Skibas Blick wanderte über die Reihe der silbern eingerahmten Fotos auf dem Schreibtisch: Seine drei Kinder schauten ihn mit einem schiefen Grinsen an. Sein Atem normalisierte sich. Hauser schwafelte viel brutales Zeug, aber es war eben doch nur Geschwafel. Niemand würde umgebracht werden. Hauser würde den Codex an sich bringen, Lampe würde sich erholen, und in zwei oder drei Jahren würde die Wall Street Lewis Skiba feiern, weil er sein Unternehmen vor dem Abgrund bewahrt hatte.
Skiba schaute auf die Uhr. Die Börsen hatten geschlossen.
Mit einem ängstlichen, zögernden Gefühl schaltete er den Monitor wieder ein. Späte Schnäppchenjäger hatten die Aktie in den letzten zwanzig Minuten steigen lassen. Sie hatte bei zehneinhalb geschlossen.
Skiba empfand einen Anflug von Erleichterung. So schlecht war der Tag nun eigentlich auch wieder nicht verlaufen.