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Marcus Hauser saß auf einem Campinghocker im Türrahmen der Tempelruine und blickte in den Morgen hinaus.

Ein Tukan hüpfte kreischend in einem Baum in der Nähe herum und schüttelte seinen riesigen Schnabel. Es war ein prächtiger Tag, der Himmel hellblau, der Dschungel ein gedämpftes Grün. Hier in den Bergen war es kühler, und die Luft wirkte frischer. Der Duft einer unbekannten Blüte wehte an ihm vorbei. Hauser hatte ein Gefühl von zurück-kehrendem Frieden. Hinter ihm lag eine lange Nacht. Er fühlte sich ausgelaugt, leer und enttäuscht.

Schritte ließen den Blätterteppich rascheln. Ein Soldat brachte ihm das Frühstück - Speck, Eier, Kaffee, gebratene Bananen - auf einem emaillierten Teller. Die Portion war sogar mit irgendeinem Kraut garniert. Hauser balancierte den Teller auf den Knien. Die Garnierung passte ihm nicht, also schnippte er sie fort. Dann griff er nach der Gabel und begann zu essen. Seine Gedanken galten den Ereignissen der vergangenen Nacht. Es war Zeit gewesen, die Sache mit dem Häuptling voranzutreiben oder aufzugeben. Er hatte zwar schon nach zehn Minuten gewusst, dass er den Willen des alten Burschen nicht brechen würde, aber aufgegeben hatte er nicht. Es war wie beim Betrachten pornographi-scher Filme: Man konnte sie nicht abschalten, aber am Ende verwünschte man die Zeit und die Energie, die man mit ihnen vergeudet hatte. Hauser hatte sich wirklich Mühe gegeben. Er hatte sein Bestes getan. Nun musste er sich eine andere Lösung für sein Problem einfallen lassen.

Zwei Soldaten tauchten im Türrahmen auf. Die Leiche hing schlaff zwischen ihnen. »Was sollen wir mit ihm machen, Jefe?«

Hauser wies ihnen mit der Gabel die Richtung, denn er hatte den Mund voller Ei. »In die Schlucht.«

Sie gingen hinaus, und er setzte sein Frühstück fort, bis zum letzten Bissen. Die Weiße Stadt war groß und überwuchert. Max konnte fast überall bestattet worden sein. Das Problem bestand darin, dass die Indianer nun so aufgebracht waren, dass keine große Chance bestand, sich eine neue Geisel zu holen und die Lage der Gruft aus ihr her-auszupressen. Andererseits hatte Hauser keine Lust, in den nächsten zwei Wochen selbst in den von Ratten wimmeln-den Ruinen herumzugraben.

Er beendete seine Mahlzeit, kramte in seinen Taschen und zog einen schlanken Aluminiumbehälter hervor. Nach einer Minute war dem Ritual Genüge getan: die Zigarre brannte.

Hauser inhalierte tief und spürte die beruhigende Wirkung des sich von seiner Lunge in seinem Körper ausbreitenden Nikotins. Es ließ sich jedes Problem in Optionen und Un-teroptionen zerlegen. Er hatte zwei: Er konnte die Grabkammer allein ausfindig machen oder sie von jemand aufspüren lassen. Wenn er sie suchen ließ, wer könnte dies sein?

»Teniente?«

Der Leutnant, der draußen auf seine Tagesbefehle wartete, kam herein und salutierte. »Si, Señor?«

»Ich möchte, dass Sie einen Mann zurückschicken, um in Erfahrung zu bringen, wie weit die Gebrüder Broadbent gekommen sind.«

»Jawohl, Sir.«

»Er soll sie nicht belästigen. Außerdem dürfen sie ihn nicht bemerken. Ich möchte wissen, in welchem Zustand sie sind -ob sie weiterziehen oder aufgegeben haben. Er soll so viel rauskriegen wie möglich.«

»Jawohl, Sir.«

»Heute nehmen wir uns die Pyramide vor. Wir öffnen das eine Ende mit Dynamit und arbeiten uns dann voran. Teilen Sie den Sprengstoff und die Männer ein. Sie sollen in einer Stunde fertig sein.« Er stellte den Teller auf dem Boden ab, stand auf und hängte sich die Steyr AUG über die Schulter. Dann trat er in den Sonnenschein hinaus, warf einen Blick auf die Spitze der Pyramide und berechnete, wo die Ladungen befestigt werden mussten. Ob er Max in der Pyramide fand oder nicht: Die Arbeit würde die Soldaten zumindest beschäftigen und unterhalten. Laute Explosionen hörte schließlich jeder gern.

Sonnenschein. Es war der erste, den er seit Wochen zu Gesicht bekam. Zur Abwechslung würde es mal Spaß machen, im Sonnenschein tätig zu werden.

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