18

Um 3.00 Uhr nachts nahmen sie ihre Plätze ein: Sally an der Tür und Tom an der Wand gegenüber. Er zählte leise bis drei, dann traten sie gleichzeitig zu. Die Tritte, die Sally der Tür verpasste, überlagerten den Lärm, den Tom vollführte, als er gegen die Bretter an der hinteren Wand trat. Ihre gemeinsame Aktion verband sich zu einem Radau, der laut in dem engen Raum widerhallte. Wie Tom gehofft hatte, löste sich das schäbige Brett.

Im nahe liegenden Dorf fingen Hunde an zu bellen. Einer der Soldaten stieß eine Verwünschung aus. »Was macht ihr da?«, schrie er durch die Tür.

»Ich muss mal!«, brüllte Sally.

»Nein, nein, Sie müssen es da drin erledigen!«

Tom legte einen weiteren Countdown vor - eins, zwei, drei: Rums. Sally versetzte der Tür noch einen Tritt, und Tom trat das zweite Brett ab.

»Aufhören!«, schrie der Soldat.

»Aber ich muss doch mal, Cabrón!«

»Tut mir Leid, Señorita, aber Sie müssen es da drin erledigen. Ich habe den Befehl, die Tür nicht zu öffnen.«

Eins, zwei, drei: Rums!

Das dritte Brett löste sich. Die Öffnung war nun groß genug, um sich hindurchzuzwängen. Die Hunde im Ort bellten hysterisch.

»Wenn Sie noch mal treten, rufe ich den Teniente!«

»Aber ich muss mal!«

»Da kann ich auch nichts dran ändern.«

»Ihr Soldaten seid Barbaren.«

»Wir haben Befehle, Señorita.«

»Das haben Hitlers Schergen auch gesagt.«

»Lassen Sie uns abhauen, Sally«, zischte Tom ihr durch die Dunkelheit zu.

»So schlecht war Hitler nun auch wieder nicht, Señorita.

Bei ihm sind die Züge pünktlich gefahren.«

»Das war bei Mussolini, Sie Schwachkopf. Sie und Ihr Kollege werden noch am Galgen enden, dann sind wir Sie Gott sei Dank los!«

»Sally!«, rief Tom.

Sally kehrte zu ihm zurück. »Haben Sie gehört, was dieser Nazi gerade gesagt hat?«

Tom schob Sally durch das Loch und reichte ihr die Schlafsäcke. Sie liefen geduckt über den Dschungelpfad zum Ort. Dort gab es zwar keinen Strom, aber der Himmel war klar und der Mondschein beleuchtete die leeren Straßen. Da die Hunde ohnehin schon bellten, konnten sie den Ort durchqueren, ohne weiteren Alarm auszulösen. Trotz des Lärms rührte sich kein Mensch.

Die Leute haben gelernt, dass es besser ist, wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, dachte Tom.

Fünf Minuten später waren sie bei den Booten. Tom ließ den Strahl der Taschenlampe über den Militär-Einbaum schweifen. Das war das Boot mit dem 18-PS-Motor. Es war gut in Schuss und verfügte über zwei große Kunststoff-tanks, die beide voll waren. Tom löste die Vertäuung am Bug. Plötzlich hörte er eine Stimme, die sich leise aus der Finsternis meldete.

»Sie nicht wollen das Boot da.«

Es war der Mann, den sie heute Morgen angeworben hatten.

»Und ob wir es wollen«, zischte Tom.

»Besser lassen Dummköpfe von Militär Boot nehmen. Hat zu viel Tiefgang. Läuft an jede Flussbiegung auf Grund. Sie mein Boot nehmen. Sie nicht auflaufen. Sie fliehen in die Richtung da.« Der Mann sprang wie eine Katze an Deck und löste die Vertäuung eines schlanken Einbaums mit einem 6-PS-Motor. »Steigen ein.«

»Kommen Sie mit?«, fragte Sally.

»Nein. Ich doofe Soldaten sagen, Sie mich beraubt.« Er löste die Benzintanks des Militärbootes und schaffte sie ins Heck seines eigenen. Außerdem gab er ihnen den Tank des dritten Bootes. Tom und Sally stiegen ein. Tom griff in die Tasche, um dem Mann etwas Geld zu geben.

»Jetzt nicht. Wenn sie mich durchsuchen und finden Geld, sie mich erschießen.«

»Wie können wir Sie bezahlen?«, fragte Tom.

»Sie mir später zahlen eine Million Dollar. Mein Name Manuel Waono. Ich immer hier.«

»Moment mal ... Eine Million?«

»Sie reiche Amerikaner. Sie kein Problem zahlen mir eine Million. Ich Manuel Waono, retten Ihr Leben. Sie jetzt gehen. Schnell.«

»Wie finden wir Pito Solo?«

»Letztes Dorf am Fluss.«

»Aber woher wissen wir ...«

Der Indianer hatte kein Interesse, weitere Erklärungen abzugeben. Er schob das Boot mit dem nackten Fuß ins Wasser, und es glitt in die Schwärze hinaus.

Tom tauchte die Schraube ins Wasser, pumpte Kraftstoff vor, betätigte die Luftklappe und riss an der Startleine. Der Motor brüllte augenblicklich auf. In der Stille klang das Geräusch schrill und laut.

»Abfahren!«, sagte Manuel vom Ufer aus.

Tom legte den Vorwärtsgang ein. Er drehte das Gas so weit wie möglich auf, und der blecherne Motor heulte und bebte. Das lange Holzkanu bewegte sich durchs Wasser.

Tom steuerte, Sally stand derweil am Bug und sondierte den vor ihnen Hegenden Fluss mit der Taschenlampe.

Keine Minute später schrie Manuel am Anlegeplatz: »Hil-fe! Ich bin beraubt worden! Mein Boot! Sie haben mein Boot gestohlen!«

»Herrgott, der hat aber nicht lange gewartet«, murmelte Tom.

Kurz darauf trieb ein aufgeregtes Stimmengewirr über den dunklen Fluss auf sie zu. Dann hüpfte der helle Strahl eines Scheinwerfers die Uferstraße hinunter und beleuchtete im Verein mit diversen Taschenlampen eine Menschen-ansammlung, die an der wackeligen Anlegestelle zusam-mengeströmt war. Eine Stimme schrie etwas in englischer Sprache. Es war Leutnant Vespán. »Drehen Sie um, sonst befehle ich meinen Leuten, das Feuer zu eröffnen!«

»Der blufft doch nur«, sagte Sally.

Tom war sich nicht ganz so sicher.

»Glauben Sie bloß nicht, dass ich scherze!«, schrie der Teniente.

»Der schießt doch nie«, meinte Sally.

»Eins ... zwei ...«

»Das ist doch nur ein Maulheld«, sagte Sally.

»Drei ...«

Stille.

»Na, was hab ich gesagt?«

Urplötzlich knallte eine Salve aus automatischen Waffen über das Wasser hinweg. Sie war entsetzlich laut und sehr nah.

»Scheiße!«, schrie Tom und warf sich zu Boden. Als das Boot vom Kurs abkam, griff er mit einer Hand schnell nach oben und packte den Motorgriff.

Sally stand noch immer unbeeindruckt am Bug. »Die schießen doch nur in die Luft, Tom. Die werden das Risiko nicht eingehen, uns zu treffen. Wir sind doch Amerikaner.«

Eine zweite Feuersalve ertönte. Diesmal hörte Tom deutlich, wie die Kugeln um sie herum ins Wasser klatschten.

Sally warf sich sofort neben ihm auf den Boden des Einbaums. »Gütiger Gott!«, schrie sie. »Die schießen wirklich auf uns!«

Tom schob den Steuerknüppel zur Seite und setzte zu einem jähen Ausweichmanöver an. Noch zweimal wurden kurze Salven abgefeuert. Diesmal hörte er das Jaulen der Kugeln über und links von ihnen. Die Soldaten richteten sich offenbar nach dem Motorengeräusch und schossen mit ihren Automatikwaffen über das Wasser hinweg. Sie hatten eindeutig die Absicht, sie zu töten.

Um den Schützen kein Ziel zu bieten, ließ Tom das Boot einen Zickzackkurs fahren. In jeder Pause hob Sally den Kopf und beleuchtete den Weg mit der Taschenlampe, damit sie sahen, wohin sie fuhren. Sobald die Flussbiegung hinter ihnen lag, würden sie - jedenfalls im Moment - sicher sein.

Wieder ertönte eine Salve. Diesmal schlugen mehrere Kugeln ins Dollbord ein und übersäten sie mit Splittern.

» Scheiße!«

»Wir kriegen euch schon!«, rief die nun schwächer klingende Stimme des Leutnants. »Wir finden euch, und dann wird es euch für den Rest eures kümmerlichen Lebens sehr Leid tun!«

Tom zählte bis zwanzig, dann riskierte er noch einmal einen Blick nach vorn. Das Boot hatte die Biegung nun fast erreicht und befand sich außerhalb der Schussweite. Er steuerte so nahe an die Mauer aus wild wuchernden Pflanzen heran, wie er sich nur traute. Als die Flussbiegung hinter ihnen lag, flackerten die Lichter der kleinen Anlegestelle noch einmal durch die Äste und verschwanden.

Sie hatten es geschafft.

Dann ertönte wieder eine, diesmal jedoch nur halbherzig abgefeuerte Salve. Im Dschungel links von ihnen hörte Tom ein Klicken und Klacken. Die Bäume hielten die Kugeln auf.

Dann erstarben die Geräusche. Der Fluss wurde still.

Tom half Sally auf die Beine. Ihr Gesicht war im matten Licht fast gespenstisch weiß. Er leuchtete mit der Taschenlampe um sich. Zu beiden Seiten des dunklen Flusses ragten dichte Wälder auf. Ein einzelner Stern funkelte kurz an einem freien Stück Himmel, und als sie sich weiterbeweg-ten, blinkte und flackerte er zwischen den Baumwipfeln.

Der kleine Motor heulte vor sich hin. Im Moment waren sie allein auf dem Fluss. Eine finstere, schwüle Nacht hüllte sie ein.

Tom nahm Sallys Hand und bemerkte, dass sie zitterte.

Erst da wurde ihm bewusst, dass es ihm nicht anders erging. Die Soldaten hatten auf sie geschossen. Sie hatten sie töten wollen. Er hatte dergleichen zigtausend Mal im Kino gesehen, aber wenn man selbst das Ziel abgab, erlebte man die Sache doch völlig anders.

Hinter der Dschungelwand ging der Mond unter. Finsternis hüllte den Fluss ein. Tom schaltete die Taschenlampe an, um zu sondieren, was vor ihnen lag. Dann umfuhr er im Wasser liegende Baumstümpfe und seichte Stellen. Eine größer werdende Wolke aus surrenden Moskitos um-schwirrte sie. Ihre Fahrt schien Tausende dieser Biester anzulocken.

»Sie haben wohl nicht zufällig etwas gegen Insekten in der Tasche?«, fragte Tom.

»Ganz im Gegenteil. Es ist mir gelungen, im Jeep mein Notfalltäschchen zu klauen. Ich hab's mir in die Hose geschoben.« Sally zog ein kleines Päckchen aus der riesigen Tasche an ihrem Oberschenkel und öffnete einen Reißverschluss. Sie kramte herum und beförderte diverse Gegenstände zu Tage: ein Fläschchen mit Wasserreinigungstablet-ten, einige wasserdicht verpackte Zündholzbriefchen, einen Packen Hundert-Dollar-Scheine, eine Landkarte, einen Schokoriegel, einen Pass und mehrere nutzlose Kreditkarten.

»Ich weiß nicht genau, was alles hier drin ist.«

Tom hielt die Taschenlampe, während sie ihre Habseligkeiten prüfte. Gegen Insekten hatte sie nichts dabei. Mit einem Fluch packte sie alles wieder ein. Während sie damit beschäftigt war, fiel ein Foto aus dem Täschchen heraus.

Tom richtete die Lampe darauf. Er sah einen äußerst stattli-chen jungen Mann mit dunklen Brauen und einem gemei-

ßelten Kinn. Der ernste Ausdruck, der seine dunklen Brauen furchte, seine straffen Lippen, seine Tweed-Jacke und die Art, wie er den Kopf neigte, vermittelten ihm, dass es sich um einen Mann handelte, der sich wirklich sehr ernst nahm.

»Wer ist das?«, fragte er.

»Ach«, sagte Sally, »das ist Professor Clyve.«

»Das ist Clyve? Wieso ist er noch so jung? Ich hab gedacht, er ist ein schusseliger alter Knabe, der Strickjacken trägt und Pfeife raucht.«

»Es würde ihn nicht freuen, das zu hören. Er ist der jüngste Professor in der Geschichte der Fakultät. Er ist mit sechzehn nach Stanford gegangen und hat mit neunzehn seinen Abschluss und mit zweiundzwanzig seinen Doktor gemacht. Er ist ein echtes Genie.« Sally schob das Foto sorgfäl-

tig wieder in das Täschchen.

»Warum tragen Sie ein Foto Ihres Professors mit sich rum?«

»Na«, sagte Sally, »weil wir verlobt sind. Hab ich Ihnen das nicht erzählt?«

»Nein.«

Sally musterte Tom neugierig. »Sie haben doch wohl kein Problem damit, oder?«

»Natürlich nicht.« Tom spürte, wie er errötete. Er hoffte, dass die Dunkelheit seine Verlegenheit verbarg. Es war ihm jedoch klar, dass Sally ihn in dem matten Licht anschaute.

»Sie haben so überrascht gewirkt.«

»Tja, ich war auch überrascht. Immerhin tragen Sie keinen Verlobungsring.«

»Professor Clyve hält nichts von solchen bürgerlichen Konventionen.«

»Er hatte nicht mal was dagegen, dass Sie einfach so eben mit mir verreisen?« Tom hielt inne. Ihm wurde bewusst, dass er genau das Falsche gesagt hatte.

»Glauben Sie etwa, ich müsste mir die Erlaubnis >meines Mannes< holen, bevor ich einen Ausflug mache? Oder wollen Sie mit dieser Frage etwa andeuten, dass ich sexuell nicht zuverlässig bin?« Sally neigte den Kopf schief und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Tom schaute weg. »Es war 'ne dumme Frage.«

»Das finde ich auch. Ich habe Sie irgendwie für aufgeklär-ter gehalten.«

Tom beschäftigte sich mit der Steuerung des Bootes und versuchte, seine Verlegenheit und Verwirrung zu verbergen. Der Fluss war still. Die sumpfige Nachthitze strömte an ihnen vorbei. In der Finsternis schrie ein Vogel. In der darauf folgenden Stille hörte er ein Geräusch.

Tom schaltete sofort den Motor aus. Sein Herz pochte heftig. Da, schon wieder das Geräusch: das Spucken des Starters eines Außenborders, den jemand zog. Stille senkte sich über den Fluss. Ihr Boot fuhr mit abgestelltem Motor.

»Sie haben irgendwo Benzin aufgetrieben. Sie verfolgen uns.«

Das Boot glitt mit der Strömung allmählich zurück. Tom nahm einen Pfahl vom Bootsboden und schob ihn ins Wasser. Das Boot dümpelte leicht auf der Strömung, doch dann kam es zum Halten. Tom hielt es in der Strömung fest. Sie lauschten. Wieder das Spucken. Dann ein Aufbrüllen. Das Brüllen wurde zu einem leisen Summen. Es gab keinen Zweifel: Es war das Geräusch eines Motorbootes.

Tom machte sich daran, den Motor wieder anzuwerfen.

»Nicht«, sagte Sally. »Sie werden es hören.«

»Mit Staken können wir ihnen nicht entkommen.«

»Mit dem Motor auch nicht. Mit dem 18-PS-Kahn haben sie uns in fünf Minuten eingeholt.« Sally richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Dschungelwand zu beiden Seiten. Das Wasser erstreckte sich zwischen die Bäume hinein und schien den Dschungel ersäuft zu haben. »Wir sollten uns lieber verstecken.«

Tom stakte den Einbaum auf den Rand des über-schwemmten Urwaldes zu. Da war eine schmale Einfahrt -

eine enge Wasserstraße, die so aussah, als sei sie in trocke-neren Zeiten ein Bachbett gewesen. Er stakte darauf zu, und das Boot rammte prompt gegen etwas: ein abgesoffener Baumstamm.

»Feierabend«, sagte Tom.

Das Wasser war ungefähr knietief, darunter lag mehr als ein halber Meter Schlamm, in dem sie in einem Aufwallen von Blasen versanken. Der faulige Gestank von Sumpfgas stieg auf. Das Boot ragte noch in den Fluss hinaus, wo man es sofort erspähen würde.

»Anheben und schieben.«

Sie mühten sich ab, um den Bootsbug über den Baumstamm zu wuchten und hinüberzuschieben. Dann kletterten sie wieder an Bord. Das Geräusch des Evinrude-Motors wurde lauter. Das Militärboot kam schnell den Fluss herauf.

Sally packte den zweiten Pfahl, und gemeinsam stakten sie nun immer tiefer in den überfluteten Wald hinein. Tom schaltete die Taschenlampe aus. Kurz darauf leuchtete ein starker Scheinwerfer durch die Bäume.

»Wir sind noch immer zu nah am Fluss«, sagte er. »Sie werden uns sehen.« Er versuchte zu staken, doch der Pfahl blieb im Schlamm stecken. Er riss ihn heraus und legte ihn auf den Bootsboden. Dann griff er nach ein paar herabhängenden Schlingpflanzen und nutzte sie dazu, um das Boot tiefer in den Wald zu ziehen, damit sie halbwegs in ein Dickicht aus Farnen und Büschen gelangten. Der Evinrude-Motor war nicht mehr weit weg. Im gleichen Moment, in dem Tom Sally packte und auf den Boden des Einbaums zog, blitzte der Scheinwerfer durch den Wald. Dann lagen sie nebeneinander. Sein Arm ruhte über ihr. Tom betete, dass die Soldaten den Motor ihres Bootes nicht sahen.

Die Geräusche des Militärbootes wurden sehr laut. Es hatte die Geschwindigkeit gedrosselt. Ein Scheinwerfer leuchtete den Bereich ab, wo sie sich versteckt hatten. Tom hörte das Knattern eines Walkie-Talkie und das Murmeln von Stimmen. Der Scheinwerfer erhellte den sie umgebenden Dschungel wie eine Filmkulisse - dann wanderte er langsam weiter. Die wunderbare Dunkelheit kehrte zurück. Das Motorengeräusch zog an ihnen vorbei und wurde leiser.

Tom setzte sich hin. Er sah gerade noch das Licht des Scheinwerfers, dann fuhr das Boot in eine Flussbiegung hinein. »Sie sind weg«, sagte er.

Sally setzte sich auf und schob sich das verhedderte Haar aus dem Gesicht. Die Moskitos hatten sich in einer dichten surrenden Wolke um sie versammelt. Tom spürte sie überall in seinen Haaren. Sie krabbelten ihm in die Ohren, versuchten in seine Nase einzudringen und liefen ihm über den Hals. Jeder Schlag tötete ein Dutzend, die auf der Stelle ersetzt wurden. Als er atmen wollte, atmete er Moskitos ein.

»Wir müssen hier raus.« Sally schlug auf sich ein.

Tom riss trockene Zweige von den Büschen ab, die sie umgaben.

»Was machen Sie da?«

»Ich zünde ein Feuer an.«

»Wo denn?«

»Werden Sie schon sehen.« Als er genügend Zweige gesammelt hatte, beugte er sich über die Bordwand und schaufelte Schlamm aus dem Sumpf empor. Am Boden des Einbaums formte er ihn zu einer Art Kuchen. Diesen bedeckte er mit Blättern. Obendrauf baute er ein kleines Tipi aus Ästchen und trockenen Blättern.

»Zündholz.«

Sally reichte ihm eines, und er zündete das Feuer an. Sobald es vor sich hin brannte, legte Tom einige grüne Blätter und Ästchen in die Flammen. Eine Rauchwolke bildete sich und stand in der unbeweglichen Luft. Tom riss ein großes Blatt von einem Busch neben ihnen ab und setzte es als Fächer ein, damit der Rauch Sally einhüllte. Der wütende Moskitoschwarm wurde zurückgetrieben. Der Qualm roch angenehm süß und würzig.

»Wie gerissen«, meinte Sally.

»Mein Vater hat es mir gezeigt, als wir mal im Norden von Maine einen Kanutrip machten.« Tom griff nach oben, riss noch mehr Blätter ab und warf sie ins Feuer.

Sally packte die Landkarte aus und untersuchte sie im Licht der Taschenlampe. »Sieht so aus, als hätte der Fluss jede Menge Seitenarme. Ich glaube, wir sollten einen davon nehmen, bis wir in Pito Solo sind.«

»Gute Idee. Aber ich glaube, von jetzt an müssen wir staken. Wir können das Risiko nicht eingehen, den Motor anzuwerfen.«

Sally nickte.

»Sie kümmern sich ums Feuer«, sagte Tom. »Ich stake, und irgendwann wechseln wir uns ab. Wir halten erst wieder an, wenn wir in Pito Solo sind.«

»Einverstanden.«

Tom schob das Boot in den Fluss zurück, stakte dicht am überfluteten Wald vorbei und lauschte nach dem Motorboot. Bald erreichten sie einen kleinen Seitenarm, der vom Hauptstrom abwich, und bogen ab.

»Ich hab irgendwie das Gefühl, dass Leutnant Vespán gar nicht die Absicht hatte, uns nach San Pedro Sula zurückzubringen«, sagte Tom. »Ich glaube, er wollte uns aus dem Hubschrauber werfen. Hätte er das Ersatzteil nicht gebraucht, wären wir längst tot.«

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