51

Vater lebt noch?«, rief Philip laut.

»Ja.«

»Heißt das, er ist noch nicht bestattet worden?«

»Ich Geschichte beenden, bitte. Nachdem Vater bleiben in Tara ein Jahr, meine Mutter mich geboren. Doch Vater reden über Weiße Stadt und gehen zu ihr. Viele Tage oder sogar Wochen. Häuptling sagt, ist verboten, aber Vater nicht auf ihn hören. Er suchen und graben nach Gold. Dann er finden Platz von Gräber, öffnen Grab von alte Tara-König und rauben aus. Schlechte Tara-Männer ihm helfen, er entwischen mit Schatz flussabwärts und verschwinden.«

»Und er ließ deine Mutter mit einem Säugling allein zurück«, sagte Philip ironisch. »Wie auch seine anderen Frauen.«

Borabay drehte sich um und schaute Philip an. »Ich erzählen Geschichte, Bruder. Du machen Gesicht zu.«

Tom empfand plötzlich ein Dejá-vu-Gefühl. Mach das Gesicht zu war ein typischer Maxwellismus, ein Lieblings-ausdruck seines Vaters. Nun kam er aus dem Mund dieses eigenartigen tätowierten, halbnackten Indianers mit den verlängerten Ohrläppchen. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Er war praktisch ans Ende der Welt gegangen - und worauf war er gestoßen? Auf einen Bruder.

»Ich Vater nie mehr sehen - bis jetzt. Mutter sterben vor zwei Jahren. Dann vor kleine Weile Vater kommen zurück.

Große Überraschung. Ich sehr freuen, ihn treffen. Er sagen, er sterben. Er sagen, ihm Leid tun. Er sagen, er bringen zurück gestohlenen Schatz zu Tara-Volk. Dafür er wollen sein bestattet in Grabkammer von Tara-König zusammen mit Schatz von weiße Mann. Er sprechen mit Cah, Häuptling von Tara-Volk. Cah sagen yes, okay, wir dich bestatten in Grabkammer. Du kommen zurück mit Schatz; wir dich begraben wie uralte König. So Vater gehen weg und später kommen zurück mit viele Kisten. Cah schicken Männer an Küste, um zu holen Schatz.«

»Hat Vater sich an dich erinnert?«, fragte Tom.

»Oh, ja. Er sehr glücklich. Wir angeln gehen.«

»Wirklich?«, sagte Philip. »Angeln? Und wer hat den dicksten Fisch gefangen?«

»Ich«, sagte Borabay stolz. »Mit Speer.«

»Klasse.« Philip schnaubte ironisch.

»Philip ...«, begann Tom.

»Wenn Vater eine gewisse Zeit mit Borabay verbracht hätte«, sagte Philip, »hätte er ihn bestimmt ebenso gehasst wie uns.«

»Philip, du weißt doch, dass Vater uns nicht gehasst hat«, sagte Tom.

»Ich bin fast draufgegangen! Ich wurde gefoltert! Weißt du, was das für ein Gefühl ist, wenn man weiß, dass man stirbt? Das war Vaters Vermächtnis an mich. Und jetzt haben wir plötzlich einen bemalten Indianer als älteren Bruder, der mit Vater zum Angeln geht, während ich im Dschungel im Sterben liege.«

»Du fertig mit Wut, Bruder?«, sagte Borabay.

»Damit werde ich nie fertig.«

»Vater auch wütender Mann.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Du echter Sohn von Vater.«

Philip verdrehte die Augen. »Das ist aber jetzt völlig neu: ein Dschungelindianer als Psychoanalytiker.«

»Weil du Vater am ähnlichsten, du ihn am meisten lieben und er dich am meisten verletzen. Und jetzt du wieder verletzt, weil du hören, doch nicht ältester Sohn sein. Ich ältester Sohn.«

Eine Weile sagte niemand ein Wort, dann stieß Philip ein heiser klingendes Gelächter aus. »Das ist zu viel. Wie könnte ich je eifersüchtig auf einen analphabetischen tätowierten Indianer mit angespitzten Zähnen sein?«

Nach einer kurzen Pause sagte Borabay: »Ich Geschichte jetzt weitererzählen.«

»Dann mal los.«

»Cah sorgen für alles - wegen Vaters Tod und Bestattung.

Als Tag kommt, wir machen großes Bestattungsfest für Vater. Großes, sehr großes Fest. Alia Tara-Leute kommen. Vater sein auch da. Vater viel Vergnügen an seine Bestattungsfeier. Er machen viele Geschenke. Alle kriegen Kochtöpfe, Pfannen und Messer.«

Tom und Sally wechselten einen Blick.

»Daran hat er bestimmt seinen Spaß gehabt«, meinte Philip. »Ich sehe es förmlich vor mir, wie der alte Mistkerl über seine eigene Totenfeier präsidiert.«

»Du Recht, Philip. Vater haben Spaß. Er essen, trinken zu viel, lachen und singen. Vater machen Kisten auf, damit alle können sehen heilige Schätze von weiße Mann. Alle lieben heilige Mutter Maria mit Baby Jesus auf Arm. Weiße Menschen haben schöne Götter.«

»Der Lippi!«, schrie Philip. »War er in gutem Zustand?

Hat er die Reise überstanden?«

»Es ist schönstes Ding, ich je sehen, Bruder. Wenn ich sehen, ich sehen etwas in weiße Mann, ich nie gesehen zuvor.«

»Ja, ja, es ist eines der schönsten Bilder, die Lippi je gemalt hat. Wenn ich mir nur vorstelle, dass es in einer feuchten Gruft liegt!«

»Aber Cah Vater foppen«, fuhr Borabay fort. »An Ende von Bestattung er so tun, als geben Vater besonderen Gift-trank, damit er sterben schmerzlosen Tod. Aber Cah nicht wirklich tun. Cah geben Vater Getränk, damit er schlafen.

Niemand außer Cah davon wissen.«

»Das klingt ganz eindeutig nach Shakespeare«, sagte Philip.

»Dann schlafender Vater wird gebracht mit Schatz in Gruft. Leute machen Tür zu, schließen ihn in Grabkammer ein. Wir alle glauben, er tot. Nur Cah wissen, er nicht tot; er nur schlafen. So er später wachen auf in dunkles Grab.«

»Moment mal«, sagte Vernon. »Jetzt komm ich nicht mehr mit.«

»Ich schon«, sagte Philip. »Sie haben Vater lebendig begraben.«

Stille.

»Nicht sie«, sagte Borabay. »Cah! Tara-Leute nichts wissen von Trick.«

»Ohne Nahrung und Wasser«, sagte Philip. »Mein Gott, wie grauenhaft.«

»Brüder«, sagte Borabay, »Tara-Tradition verlangen, viel Essen und Wasser in Grab legen, für Leben in Jenseits.«

Tom spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinablief, als ihm bewusst wurde, was dies bedeutete. Schließlich ergriff er das Wort: »Dann glaubst du also, Vater lebt noch und ist in die Grabkammer eingeschlossen?«

»Ja.«

Niemand sagte etwas. In der Dunkelheit heulte klagend eine Eule.

»Wie lange ist er schon dort eingeschlossen?«, fragte Tom.

»Zweiunddreißig Tage.«

Tom würde übel. Es war unvorstellbar.

»Es schreckliche Sache, Brüder«, sagte Borabay.

»Warum hat Cah das getan, verdammt?«, fragte Vernon.

»Cah wütend, weil Vater damals Grabkammer ausrauben.

Cah war damals Knabe, Sohn von Häuptling. Vater demütigen Vater von Cah, weil ausrauben Grab. Dies sein Cahs Rache.«

»Konntest du es nicht verhindern?«

»Ich Cahs Plan erst später erfahren. Dann ich versuchen, zu retten Vater. An Grabeingang ist große Steintür. Ich nicht bewegen kann. Cah erfahren, dass ich gehen nach Su-lia Tara, um zu retten Vater. Er sehr wütend. Cah mich gefangen nehmen und töten wollen. Er sagen, ich Schmutz-

fink, halb Tara, halb weiß. Dann verrückte weiße Männer und Soldaten kommen und fangen Cah. Bringen Cah in Weiße Stadt. Ich entwischen. Ich hören Soldaten über euch sprechen. Ich zurückkommen, euch suchen.«

»Woher hast du gewusst, dass wir hier sind?«

»Ich hören Soldaten reden.«

Das Feuer flackerte, und die Nacht senkte sich über die fünf schweigend am Boden sitzenden Menschen. Nachdem Borabay seine Geschichte beendet hatte, schienen seine Worte lange in der Luft zu hängen, und er schaute einen nach dem anderen an. »Es sein schrecklicher Tod, Brüder.

Dies ist Tod für Ratte, nicht für Menschenwesen. Er unser Vater.«

»Was können wir tun?«, fragte Philip.

Borabay legte eine lange Pause ein, und als er dann sprach, klang seine Stimme leise und widerhallend: »Wir ihn retten.«

52

Hauser betrachtete die primitive grafische Darstellung der Stadt, die er in den letzten zwei Tagen angefertigt hatte.

Seine Männer hatten das Areal zweimal durchsucht, doch es war so zugewachsen, dass es fast ein Ding der Unmöglichkeit war, einen akkuraten Stadtplan anzulegen. Es gab mehrere Pyramiden sowie Dutzende von Tempeln und andere Gebäude: mehrere hundert Stellen, an denen sich Grabkammern verbergen konnten. Wenn ihnen das Glück nicht zu Hilfe kam, konnte es Wochen dauern.

Ein Soldat trat in den Türrahmen und salutierte.

»Meldung.«

»Die Söhne sind noch dreißig Kilometer entfernt, Sir, hinter der Río-Ocata-Furt.«

Hauser legte den Stadtplan langsam hin. »Sind sie gesund und munter?«

»Sie erholen sich von einer Krankheit. Bei ihnen ist ein Tara-Indianer, der sich um sie kümmert.«

»Waffen?«

»Die Frau hat ein nutzloses altes Jagdgewehr. Pfeil und Bogen, und natürlich ein Blasrohr ...«

»Ja, ja.« Hauser empfand eine Art neidischen Respekt für die Söhne, besonders für Philip. Normalerweise hätten sie alle tot sein müssen. Max war so gewesen wie sie: ein sturer Glückspilz. Es war eine starke Mischung. In Hausers Geist blitzte ein Bild von Max auf: Er war bis zur Taille nackt und bahnte sich mit einer Machete seinen Weg durch den Ur-

wald. Holzspäne, Ästchen und Blätter klebten ihm am ver-schwitzten Leib. Sie hatten sich monatelang einen Weg durch den Dschungel gebahnt. Sie waren gestochen worden und hatten sich infiziert und geschnitten. Trotzdem hatten sie nichts gefunden. Dann hatte Max ihm den Laufpass gegeben, war flussaufwärts gezogen und hatte endlich das entdeckt, wonach sie über ein Jahr lang gesucht hatten.

Hauser war pleite nach Hause zurückgekehrt und hatte sich freiwillig melden müssen ... Er schüttelte den Kopf, um seinem Ärger Luft zu machen. Das war Vergangenheit. Die Zukunft gehörte ihm -und Broadbents Vermögen auch.

Der Teniente meldete sich zu Wort: »Soll ich einen Trupp in Marsch setzen, um sie zu töten? Ich bin mir ganz sicher, dass wir sie diesmal erledigen können, Jefe.«

»Nein«, sagte Hauser. »Sie sollen ruhig nach Hause kommen. «

»Ich verstehe nicht.«

Hauser schaute den Teniente an. »Tun Sie ihnen nichts.

Lassen Sie sie in Ruhe. Sie sollen ruhig kommen.«

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