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Marcus Hauser saß am Feuer auf einem Baumstamm. Zwischen seinen Zähnen steckte eine Churchill. Er nahm gerade seine Steyr AUG auseinander. Es war zwar nicht nötig, aber für Hauser war eine sich wiederholende körperliche Tätigkeit fast so etwas wie Meditation. Das Gewehr bestand hauptsächlich aus ausgezeichnet fabriziertem Kunststoff, und das gefiel ihm. Er zog den Spannhebel zurück, packte die Griffschale, nahm den linken Daumen zu Hilfe und drückte den Verschlussriegel herunter. Dann drehte er den Lauf im Uhrzeigersinn und zog ihn nach vorn. Er rutschte mit zufrieden stellender Leichtigkeit heraus.

Hin und wieder warf Hauser einen Blick in den Wald, in dem Philip angebunden war. Aber er vernahm keinen Laut.

In den Morgenstunden hatte er einen Jaguar brüllen hören.

Das Gebrüll hatte Frustration und Hunger signalisiert, aber Hauser wollte nicht, dass sein Gefangener aufgefressen wurde - jedenfalls nicht, bevor er nicht wusste, wohin der alte Max sich gewendet hatte. Hauser warf noch etwas Holz ins Feuer, um die Dunkelheit und den umherschleichenden Jaguar zu verscheuchen. Rechts von ihm floss der Río Macaturi am Lagerplatz vorbei. Er erzeugte leise plätschernde und strudelnde Geräusche. Es war zur Abwechslung mal eine wunderschöne Nacht. Am samtenen Himmel leuchteten Sterne, die sich als matt tanzende Lichter auf der Wasseroberfläche spiegelten. Es war fast zwei Uhr morgens, doch Hauser gehörte zu den Glücklichen, denen vier Stunden Schlaf pro Nacht reichten.

Er schob einen weiteren Ast ins Feuer, um mehr Licht zu haben, dann ließ er den Verbindungsbolzen aus dem Ver-schlussgehäuse gleiten. Seine Hand streichelte behutsam die glatten Teile aus Kunststoff und Metall - die einen waren warm, die anderen kalt - und genoss den Geruch des Waffenöls sowie das Klicken der von fachmännischer Hand fabrizierten, sich voneinander lösenden Teile. Noch ein paar geübte Bewegungen, und das Gewehr würde in seine sechs Hauptteile zerlegt vor ihm liegen. Er nahm jedes Teil in die Hand, untersuchte es, reinigte es und fuhr mit den Händen darüber. Dann setzte er die Waffe wieder zusammen. Er arbeitete langsam, fast wie im Traum: Hier gab es keine Hetzerei wie im Ausbildungslager.

Hauser vernahm ein leises Geräusch: das Quietschen der zurückkehrenden Boote. Das Unternehmen war abgeschlossen, die Männer kamen pünktlich zurück. Hauser freute sich. Nicht mal ein halbgescheiter Trupp honduranischer Soldaten konnte einen so simplen Auftrag vermasseln.

Oder doch? Er sah den Einbaum, der sich aus dem dunklen Leib des Flusses materialisierte. Doch an Bord befanden sich keine fünf Soldaten, sondern nur drei. Hauser beobachtete sie mit einem klammen Gefühl in der Brust. Das Boot legte an dem langen Findling an, der ihnen als Landesteg diente. Zwei Männer sprangen heraus. Vom Feuer erhellte Gestalten bewegten sich vor der Dunkelheit und halfen dem dritten Mann an Land. Er ging mit steifen Schritten.

Hauser hörte ein von Schmerzen kündendes Stöhnen. Drei Männer - und er hatte fünf ausgeschickt.

Hauser schob die Kolbenplatte hinein, ließ den Montage-block einfahren und drehte die Gehäuseklappe nach links.

Er arbeitete nach Gefühl, denn sein Blick war auf die Gestalten gerichtet, die sich nun dem Lagerfeuer näherten. Die Männer kamen ihm verlegen und nervös vor. Einer der Soldaten stützte seinen verwundeten Kameraden. Ein meterlanger Pfeil hatte den Oberschenkel des Mannes durchschlagen. Das gefiederte Ende ragte an der anderen Seite heraus, die entblößte Metallspitze vorn. Sein Hosenbein war zerrissen und steif vom getrockneten Blut.

Die Männer standen wortlos da, schauten mehr oder weniger zu Boden und scharrten mit den Füßen. Hauser wartete ab. Die Ungeheuerlichkeit seines Fehlers - diesen Leuten zuzutrauen, einen absolut simplen Auftrag zu erledigen - war nun offensichtlich. Er baute das Gewehr weiter zusammen, drehte den Lauf wieder an Ort und Stelle und schob mit einem Klicken das Magazin ein. Dann wartete er wieder ab. Die Waffe ruhte auf seinen Knien. In seinem Herzen war ein eisiges Gefühl.

Die Stille wurde langsam unerträglich. Jemand musste nun etwas sagen.

»Jefe ...«, setzte der Leutnant an. Hauser wartete auf seine Ausrede.

»Wir haben zwei von ihnen getötet, Jefe, und ihre Boote und Vorräte verbrannt. Ihre Leichen sind im Kanu.« »Wer sind die Toten?«, fragte Hauser nach einer Weile. Nervöses Schweigen. »Die beiden Tawahka-Indianer.« Hauser schwieg. Es war eine Katastrophe. »Der Alte, der bei ihnen ist, hat die Falle bemerkt, bevor wir das Feuer eröffnen konnten«, fuhr der Teniente fort. »Sie haben gewendet. Wir haben sie flussabwärts verfolgt, aber es ist ihnen gelungen, an Land zu gehen und im Dschungel zu verschwinden. Wir haben ihre Boote und Vorräte verbrannt. Als wir sie dann im Dschungel verfolgt haben, hat einer der Tawahka uns aufgelauert. Er hatte Pfeil und Bogen, und das war ziemlich schlimm für uns. Wir konnten ihn erst lokalisieren, nachdem er zwei von uns erledigt und den dritten verwundet hatte. Dann haben wir ihn getötet. Sie wissen ja, wie diese Dschungelindianer sind, Jefe ... So leise wie ein Jaguar ...«

Seine Stimme klang elend. Seine Bewegungen zeugten von Nervosität. Der Mann, in dessen Bein der Pfeil steckte, stieß ein unfreiwilliges Stöhnen aus.

»Sie sehen also, Jefe, wir haben zwei getötet und die anderen ohne Vorräte in den Dschungel gejagt. Sie haben nichts mehr ... Sie werden bestimmt sterben ...«

Hauser stand auf. »Entschuldigen Sie, Teniente, aber dieser Mann muss sofort behandelt werden.«

»Si, Señor.«

Mit dem Gewehr in der Hand legte Hauser den freien Arm um den Verwundeten und nahm ihn dem Soldaten ab, der ihn bislang gestützt hatte. Er beugte sich vor und sagte freundlich: »Komm mit. Ich kümmere mich um dich.«

Der Teniente wartete am Feuer. Er sah nicht fröhlich aus.

Hauser stützte den Mann und führte ihn vom Lagerfeuer fort. Der Soldat hinkte und stöhnte. Seine Haut war heiß und trocken. Er hatte Fieber.

»Sachte, sachte«, sagte Hauser. »Wir bringen dich da rüber und machen dich wieder heil.« Er führte ihn etwa fünfzig Meter in die Dunkelheit hinter dem Lagerfeuer hinein und bugsierte ihn auf einen Baumstamm. Der Mann wankte, stöhnte, doch mit Hausers Hilfe konnte er sich hinsetzen.

Hauser nahm ihm die Machete ab.

»Bevor Sie den Pfeil herausschneiden, geben Sie mir einen Whiskey, Señor.« Der Mann winselte, die Schmerzen machten ihn fertig.

»Es wird nur eine Sekunde dauern.« Hauser klopfte dem Soldaten freundlich auf die Schulter. »In Kürze bist du wieder auf dem Damm. Ich garantiere dir, dass der Eingriff völlig schmerzlos ist.«

»Nein, Señor, bitte, zuerst einen Whiskey ...«

Hauser beugte sich mit der Machete über den Pfeil. Der Mann verkrampfte sich und knirschte mit den Zähnen. Er schaute nur auf die Machete, sonst sah er nichts. Inzwischen hob Hauser die Mündung der Steyr AUG und schob sie bis auf drei Zentimeter an den Hinterkopf des Mannes heran. Er stellte den Abzug auf Schnellfeuer und gab eine kurze Salve ab. Der Beschuss traf den Mann schräg, und seine Wucht warf ihn nach hinten über den Baumstamm, wo er, alle viere von sich gestreckt, reglos liegen blieb. Absolute Stille breitete sich aus.

Hauser kehrte ins Lager zurück, wusch sich die Hände und nahm wieder am Feuer Platz. Er griff sich die halb ge-rauchte Churchill und zündete sie mit einem Ast an, den er aus den Flammen zog. Die beiden Soldaten sahen ihn nicht an, doch einige andere, die den Schuss gehört hatten, kamen aus den Zelten. Sie hatten die Waffen gezückt und schauten sich verwirrt und alarmiert um.

»Es ist nichts«, sagte Hauser und winkte sie fort. »Der Mann brauchte einen chirurgischen Eingriff. So war es kurz, schmerzlos und erfolgreich.«

Hauser nahm die Zigarre aus dem Mund und trank einen Schluck aus seiner Feldflasche. Dann klemmte er sich die Zigarre zwischen die Zähne und inhalierte den Rauch. Er fühlte sich nur teilweise erfrischt. Es war nicht das erste Mal, dass er den Fehler begangen hatte, die honduranischen Soldaten mit einem einfachen Auftrag zu betrauen, den sie dann vermasselten. Leider gab es hier nur einen von seiner Sorte, aber er konnte ja nicht alles selbst machen. Es war immer und immer wieder das gleiche Problem.

Hauser wandte sich um und lächelte den Teniente an. »Ich bin ein sehr guter Chirurg, Teniente. Falls Sie je einen brauchen ...?«

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