Der Tod kam zu Tom Broadbent, doch er war nicht in eine schwarze Kutte gehüllt und hatte auch keine Sense. Er kam in Form eines abscheulich barbarischen, rotgelb gestreiften Gesichts und einer Gestalt, an der sich grüne Federn sträub-ten. Sie hatte grüne Augen, schwarzes Haar und spitze weiße Zähne. Die Gestalt blickte Tom ins Gesicht und berührte ihn mit den Fingern. Doch der Tod, den Tom erwartet hatte, ließ sich nicht blicken. Vielmehr zwang die grässlich anzusehende Gestalt ihn pausenlos, eine heiße Flüssigkeit zu trinken. Tom setzte sich schwach zur Wehr, dann ergab er sich seinem Schicksal und schlief wieder ein.
Als er erwachte, hatte er ein trockenes Gefühl in der Kehle und pochende Kopfschmerzen. Er lag in einer trockenen Hängematte in einem Unterstand mit einem Schilfdach und trug ein frisches T-Shirt und Shorts. Vor dem Unterstand schien die Sonne. Der Dschungel ließ allerlei Geräusche hören. Eine ziemliche Weile wusste Tom nicht einmal mehr, wer er war und was er hier machte. Dann fiel ihm eins nach dem anderen wieder ein: das Verschwinden seines Vaters; das seltsame Testament; die Fahrt flussaufwärts; Don Alfonsos Scherze und Sprüche; die kleine Lichtung mit dem Ausblick auf die Sierra Azul - und das Sterben unter dem Riesenbaum im Regen.
Alles schien vor unendlich langer Zeit passiert zu sein.
Tom fühlte sich erfrischt, wie neu geboren - und so schwach wie ein Säugling.
Er hob vorsichtig den Kopf, doch nur so weit, wie der hämmernde Kopfschmerz es erlaubte. Die Hängematte neben ihm war leer. Sein Herz tat einen Sprung. Wer hatte in ihr gelegen? Sally? Vernon? Wer war gestorben?
»Hallo?«, fragte er und versuchte sich aufzusetzen. »Ist hier jemand?«
Draußen ertönte ein Geräusch, dann hob Sally die Klappe hoch und trat ein. Sie wirkte wie ein plötzlicher Strahl aus Gold auf ihn. »Tom! Wie schön, dass es dir besser geht!«
»Ach, Sally ... Ich hab die leere Hängematte gesehen und dachte schon ...«
Sally kam zu ihm und nahm seine Hand. »Wir sind noch alle da.«
»Philip auch?«
»Er ist zwar noch krank, aber es geht ihm viel besser. Vernon dürfte morgen wieder auf dem Damm sein.«
»Was ist passiert? Wo sind wir?«
»Noch immer am gleichen Ort. Du kannst Borabay danken, wenn er zurückkommt. Er ist auf der Jagd.«
»Borabay?«
»Ein Bergindianer. Er hat uns gefunden und gerettet. Er hat uns alle gesund gepflegt.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht.«
»Wie lange war ich weg?«
»Wir waren alle ungefähr eine Woche krank. Wir haben uns ein Fieber eingefangen, das er Bisi nennt. Er ist ein Cu-randero. Nicht so einer wie ich, sondern ein echter. Er hat uns Medizin eingeflößt, uns gefüttert und uns das Leben gerettet. Er spricht außerdem ein ziemlich seltsames Englisch.«
Tom versuchte, sich hinzusetzen.
»Noch nicht.« Sally drückte ihn wieder nach unten. »Trink das hier.«
Sie reichte ihm einen Becher, der mit einem süßen Getränk gefüllt war. Tom leerte ihn bis auf den Grund und spürte, wie sein Hunger zunahm. »Ich rieche, dass da etwas kocht, das ungeheuer lecker duftet.«
»Schildkröteneintopf à la Borabay. Ich bring dir eine Portion.« Sie streichelte ihm die Wange. Tom schaute zu ihr auf. Nun erinnerte er sich an alles. Sally beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss. »Wir haben noch immer einen weiten Weg vor uns, bevor alles vorbei ist.«
»Ja.«
»Gehen wir also schrittweise vor.«
Tom nickte. Sie reichte ihm eine Portion Schildkrötensup-pe. Tom verzehrte sie, dann fiel er in einen gesunden Schlaf. Als er das nächste Mal erwachte, war der Kopfschmerz weg. Er konnte die Hängematte verlassen und trat leicht wankend ins Freie. Seine Beine fühlten sich wie Gummi an. Sie befanden sich auf der alten Lichtung mit dem umgekippten Baum, doch das nasskalte Dickicht hatte sich in ein vergnügtes offenes Lager verwandelt. Ausge-rupfte Farne bedeckten den schlammigen Boden und bildeten einen angenehm federnden Teppich. Tom erblickte zwei ordentliche Unterstände aus Palmwedeln und ein Lager-
feuer mit Baumstämmen, auf denen man sitzen konnte.
Sonnenlicht strömte zwischen den Wipfeln hindurch. Die Sierra Azul schaute in dunklem Violett vor dem blauen Himmel durch die Lücke. Sally saß am Feuer, und als Tom ins Freie trat, sprang sie auf, nahm ihn am Arm und half ihm, sich hinzusetzen.
»Wie spät ist es?«
»Zehn Uhr morgens«, sagte Sally.
»Wie geht's Philip?«
»Er liegt in der Hängematte. Er ist zwar noch schwach, aber er wird gesund. Vernon schläft gerade das letzte Sta-dium des Fiebers aus. Nimm noch von dem Eintopf. Borabay hat gesagt, wir sollen so viel essen, wie wir nur können.«
»Wo ist dieser geheimnisvolle Borabay?«
»Auf der Jagd.«
Tom aß noch etwas Schildkrötenfleisch. Über dem Feuer blubberte ein großer Topf, der nicht nur mit Fleischbrocken, sondern auch mit vielen eigenartigen Wurzeln und Gemüse gefüllt war. Als er fertig war, machte er sich zum anderen Unterstand auf, um nach Philip zu sehen. Er zog die Tür aus Palmwedeln auf, duckte sich und trat ein.
Philip lag rauchend in einer Hängematte. Er war zwar noch immer erschreckend dünn, aber seine Wunden hatten Schorf gebildet und seine Augen lagen nicht mehr so tief in den Höhlen.
»Freut mich, dass du wieder auf den Beinen bist, Tom«, sagte er.
»Wie geht's dir?«
»Bin zwar noch ein bisschen schwach in den Knien, aber sonst so fit wie ein Turnschuh. Ich fühle mich fast gesund.
In ein, zwei Tagen kann ich wieder laufen.«
»Hast du diesen Borabay schon gesehen?«
»Oh, ja. Ein irrer Typ, voll angemalt. Hat kleine Scheiben in den Ohrläppchen, ist tätowiert, das ganze Programm.
Sally wollte ihn schon zur Seligsprechung nominieren, aber ich bezweifle, dass er katholisch ist.«
»Du wirkst wie ein neuer Mensch, Philip.«
»Du auch, Tom.«
Verlegenes Schweigen machte sich breit, das ein Ruf von draußen unterbrach: »Hallo, Brüder!«
»Ah, Borabay ist wieder da«, sagte Philip.
Tom huschte aus dem Unterstand und sah einen erstaunlichen kleinen Indianer über die Wiese kommen. Sein Oberkörper und sein Gesicht waren rot angemalt. Schwarze Kreise umgaben seine Augen; wilde Streifen liefen ihm quer über den Brustkorb. Federn raschelten an Bändern an seinen Oberarmen, und er war bis auf einen Lendenschurz nackt. Zwei riesige Stöpsel steckten in seinen lang gezoge-nen Ohrläppchen, die bei jedem Schritt wippten. Ein kompliziertes Narbenmuster verlief über seinen Bauch. Seine Vorderzähne waren spitz zugefeilt, er hatte stumpf abgeschnittenes schwarzes Haar, und seine Augen waren von einem sehr ungewöhnlichen Haselnussbraun, fast grün.
Sein Gesicht war überraschend schön und fein geschnitten, seine Haut glatt und wie gemeißelt.
Er blieb würdevoll am Feuer stehen. In der einen Hand hielt er ein zwei Meter langes Blasrohr, in der anderen den Kadaver eines Tieres unbekannter Spezies.
»Ich Fleisch bringen, Bruder«, sagte Borabay grinsend auf Englisch. Er ließ seine Beute zu Boden fallen, kam zu Tom herüber, umarmte ihn zweimal und küsste ihn auf beide Wangen. Es war wohl irgendein indianischer Ritualgruß.
Dann trat er zurück und legte eine Hand auf seinen Brustkorb. »Mein Name Borabay, Bruder.«
»Ich bin Tom.«
»Ich Jane«, sagte Sally.
Borabay drehte sich um. »Jane? Du nicht Sally?«
Sally lachte. »Das war ein Witzchen.«
»Du, ich, ihm, wir Brüder.« Borabay umarmte Tom noch einige Male und küsste ihn seitlich auf den Hals.
»Danke, dass du uns das Leben gerettet hast«, sagte Tom.
Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm auffiel, wie schwach er klang. Aber Borabay wirkte erfreut.
»Danki. Danki. Du essen Suppe?«
»Ja. Köstlich.«
»Borabay guter Koch. Du essen mehr.«
»Wo hast du Englisch gelernt?«
»Meine Mutter mir beibringen.«
»Du sprichst es gut.«
»Ich sprechen schlecht. Aber ich von euch lernen, dann sprechen guter.«
»Besser«, sagte Sally.
»Danke. Ich irgendwann geh nach Amerika mit dir, Bru-
der.«
Es erstaunte Tom, dass hier draußen, so fern von jeglicher Zivilisation, jedermann nach Amerika auswandern wollte.
Borabay warf einen Blick auf Knilch, der an seinem üblichen Platz in Toms Hemdtasche saß.
»Das Äffchen immer schreien, wenn du krank. Was sein Name?«
»Knilch«, sagte Tom.
»Warum du nicht essen Äffchen, wenn du verhungern?«
»Tja, ich kann es eben gut leiden«, sagte Tom. »Außerdem ist er doch nur ein Häppchen.«
»Warum du ihn nennen Knilch? Was ist Knilch?«
»Ahm ... Es ist nur ein Kosename für so ein kleines Kerl-chen. «
»Gut. Ich lerne neues Wort. Knilch. Ich möchte lernen Englisch.«
»Ich möchte Englisch lernen«, sagte Sally.
»Danki! Ihr mir immer sagen, wenn ich mache Fehler.«
Borabay hielt dem Äffchen einen Finger hin. Knilch ergriff ihn mit seiner winzigen Hand und begaffte ihn. Dann quäkte er und duckte sich in Toms Tasche.
Borabay lachte. »Knilch denken, ich wollen ihn essen. Er wissen, dass wir Tara mögen Affen. Jetzt ich mache Essen.«
Er ging an die Stelle zurück, wo seine Beute lag, und nahm sie und einen Topf an sich. Anschließend entfernte er sich ein Stück, hockte sich hin und zog dem Tier das Fell ab.
Dann zerlegte er es in vier Teile und warf sie - einschließlich der Innereien und Knochen - in den Topf. Tom gesellte sich zu Sally ans Feuer.
»Ich bin noch immer leicht daneben«, sagte er. »Was ist passiert? Woher ist Borabay gekommen?«
»Ich weiß auch nicht mehr als du. Borabay hat uns gefunden, als wir sterbenskrank unter dem Baum lagen. Er hat alles aufgeräumt, die Unterstände gebaut, uns reingetragen, gefüttert, uns verarztet. Er hat eine riesige Menge Kräuter und sogar ein paar bizarre Insekten gesammelt - du kannst sie alle an den Sparren seines Quartiers baumeln sehen -
und eine Medizin aus ihnen gebraut. Ich war als Erste wieder auf den Beinen. Das war vor zwei Tagen. Dann habe ich ihm geholfen, für euch zu kochen und euch zu pflegen. Das Fieber, das wir alle hatten, dieses Bisi, hält zwar nur kurz an, ist aber ziemlich heftig. Gott sei Dank ist es keine Mala-ria. Borabay sagt, es hat keine bleibenden Wirkungen und kommt auch nicht wieder. Wenn man in den ersten zwei Tagen nicht stirbt, hat man es überstanden. Es sieht so aus, als sei Don Alfonso ihm erlegen. Borabay sagt, alte Leute haben nicht genügend Widerstandskraft.«
Bei der Erinnerung an ihren Reisegefährten empfand Tom einen schmerzlichen Stich.
»Ich weiß«, sagte Sally. »Mir fehlt er auch.«
»Ich werde diesen klugen alten Mann nie vergessen. Ich kann's gar nicht fassen, dass er nicht mehr lebt.«
Sie schauten Borabay beim Zerkleinern seiner Beute zu. Er warf die Stücke in den Topf. Dabei sang er ein Lied, das je nach der Intensität des Windes lauter und leiser wurde.
»Hat er irgendwas über Hauser erzählt - und über das, was sich in der Sierra Azul abspielt?«
»Nein. Er will nicht darüber reden.« Sally schaute Tom zögernd an. »Eine Weile habe ich geglaubt, es wäre aus mit uns.«
»Yeah.«
»Weißt du noch, was ich gesagt habe?«
»Aber ja.«
Sally errötete heftig.
»Willst du es zurücknehmen?«, fragte Tom.
Sally schüttelte den Kopf. Ihr blondes Haar wirbelte ihr um die Schultern. Dann schaute sie ihn an. Ihre Wangen waren gerötet. »Niemals.«
Tom lächelte. »Gut.« Er nahm ihre Hand. Das, was sie durchgemacht hatten, hatte Sallys Schönheit irgendwie noch verstärkt. Sie wirkte auf eine Weise vergeistigt, die er sich nicht erklären konnte. Ihre Kratzbürstigkeit schien verschwunden zu sein. Dass sie dem Tod so nahe gewesen waren, hatte sie alle verändert.
Borabay kam mit einigen Leckerbissen zu ihnen. Er hatte sie in ein Blatt gepackt. »Kniich!«, rief er und schnalzte so mit der Zunge, wie Tom es bisher nur von dem Äffchen gehört hatte. Kniich schob den Kopf aus der Hemdtasche hervor. Borabay streckte die Hand aus. Nachdem Kniich ein wenig genörgelt und gequäkt hatte, griff er hinaus, schnappte sich ein Fleischstückchen und schob es sich in den Mund. Dann nahm er das nächste und übernächste. Er haute mit beiden Händen rein und stieß beim Kauen gedämpfte Freudenlaute aus.
»Kniich und ich jetzt Freunde«, sagte Borabay lächelnd.
Vernons Fieber legte sich in dieser Nacht. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er zwar schwach, jedoch bei klarem Verstand. Borabay kümmerte sich um ihn, flößte ihm eine Vielzahl von Kräutern ein und zwang ihn, ein Gebräu zu trinken. Sie verbrachten den Tag damit, sich auszu-ruhen, und Borabay machte sich auf die Suche nach weiterer Nahrung. Der Indianer kehrte am Nachmittag mit einem Sack aus Palmwedeln zurück, aus dem er Wurzeln, Obst, Nüsse und frischen Fisch holte. Den Rest des Tages widmete er dem Braten, Räuchern und Einpökeln der Le-bensmittel. Schließlich verpackte er alles in trockene Gräser und Blätter.
»Gehen wir irgendwo hin?«, fragte Tom Borabay.
»Ja.«
»Und wohin?«
»Wir sprechen später«, sagte Borabay.
Philip kam mit der Bruyere-Pfeife zwischen den Zähnen aus seinem Unterstand gehinkt. Seine Füße waren noch bandagiert. »Was für ein prächtiger Nachmittag«, sagte er.
Er trat ans Feuer und nahm Platz. Als er sich einen Becher mit Borabays Tee einschenkte, meinte er: »Dieser Indianer müsste das Titelbild von National Geographic zieren.«
Vernon gesellte sich ebenfalls zu ihnen und setzte sich leicht schlotternd auf den Baumstamm.
»Vernon, essen!« Borabay füllte sofort eine Schale mit Eintopf und reichte sie ihm. Vernon nahm sie mit zittrigen Händen entgegen, ein Dankeschön murmelnd.
»Willkommen im Land der Lebenden«, sagte Philip.
Vernon wischte sich über die Stirn, erwiderte aber nichts.
Er war blass und dünn und schob sich den nächsten Löffel in den Mund.
»Tja, da sind wir nun also«, sagte Philip. »Wie in der Serie
>Meine drei Söhne<.«
Wie Tom unbehaglich feststellte, klang in Philips Stimme eine gewisse Ironie mit. Im Feuer knackte laut ein Stück Holz.
»Und in welch eine beschissene Lage haben wir uns da bloß manövriert«, meinte Philip. »Dank unseres geliebten alten Herrn.« Er hob seinen Becher in einem spöttischen Salut. »Auf dich, alter Knabe.« Er kippte seinen Tee aus.
Tom musterte Philip etwas genauer. Er hatte sich erstaunlich gut erholt. Sein Blick war nun wieder lebendig - und zwar vor Verärgerung.
Philip schaute sich um. »Was jetzt, meine lieben Brüder?«
Vernon zuckte die Achseln. Er war blass, sein Gesicht ein-gesunken, unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Flek-ken ab. Er aß den nächsten Löffel Eintopf.
»Machen wir jetzt mit eingezogenem Schwanz die Fliege?
Und lassen zu, dass Hauser sich den Lippi, die Braques, den Monet und alles andere unter den Nagel reißt?« Philip hielt inne. »Oder marschieren wir in die Sierra Azul, bis unsere Eingeweide vielleicht irgendwo im Gestrüpp hängen?« Er steckte die erloschene Pfeife an. »Tja, wir haben die Wahl.«
Niemand antwortete. Philip schaute seine Brüder der Reihe nach an.
»Nun?«, fragte er. »Ich stelle euch eine ernsthafte Frage: Lassen wir zu, dass dieser feiste Cortez hier sein Ding durchzieht und uns das Erbe klaut?«
Vernon schaute auf. Sein Gesicht war noch von der Krankheit gezeichnet und seine Stimme schwach. »Diese Frage beantwortest du am besten selbst. Du hast Hauser doch erst ins Spiel gebracht.«
Philip maß ihn mit einem kühlen Blick. »Ich habe gedacht, die Zeit der Schuldzuweisungen läge hinter uns.«
»Was mich betrifft, hat sie gerade erst angefangen.«
»Aber nicht hier und jetzt«, sagte Tom.
Vernon wandte sich Tom zu. »Philip hat diesen Psychopa-then ins Spiel gebracht, und dafür muss er geradestehen.«
»Ich habe in gutem Glauben gehandelt. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Hauser sich als Ungeheuer entpuppt.
Und ich habe schon dafür geradegestanden, Vernon. Schau mich doch nur an.«
Vernon schüttelte den Kopf.
»Der wahre Schuldige«, fuhr Philip fort, »ist Vater, auch wenn niemand es zugeben will. Ist denn keiner unter uns ein kleines bisschen wütend über das, was er uns angetan hat? Er hat uns fast ins Jenseits befördert.«
»Er wollte uns prüfen«, meinte Tom.
»Ich hoffe doch nicht, dass du ihn verteidigen willst.«
»Ich bemühe mich nur, ihn zu verstehen.«
»Ich verstehe ihn nur zu gut. Dieser Grabräuber-Scheiß ist nur eine weitere Herausforderung auf seiner langen Liste.
Erinnert ihr euch noch an unsere Sportlehrer, den Kunstgeschichte-Unterricht, die Reit-, Musik- und Schachstunden, die Ermahnungen, Reden und Drohungen? Wisst ihr noch, wie es war, wenn wir unsere Zeugnisse kriegten? Wir sind Nieten für ihn, Tom. Er hat uns immer für Nieten gehalten.
Und vielleicht hat er ja Recht. Schaut mich an: Ich bin sie-benunddreißig Jahre alt und noch immer Assistent am Durchschnittsheimer-College. Du verarztest Indianerpferde in Hinterwald, Utah, und Vernon verbringt die reifste Zeit seines Lebens damit, Swami Wu-Wu Liedchen zu singen.
Wir sind Verlierer.« Er brach in ein heiseres Lachen aus.
Borabay stand auf. Die Handlung an sich war einfach, aber er tat es mit solch langsamer Bedächtigkeit, dass es alle zum Schweigen brachte. »Das keine gute Rede.«
»Du warst auch nicht gemeint, Borabay«, sagte Philip.
»Keine schlechte Rede mehr.«
Philip ignorierte ihn. Er wandte sich an Tom: »Vater hätte uns wie jeder andere normale Mensch sein Geld hinterlassen können. Er hätte es auch verschenken können. Schön.
Ich hätte damit leben können. Es ist schließlich sein Geld.
Aber nein, er musste sich einen Plan ausdenken, um uns zu quälen.«
Borabay musterte ihn finster.
»Bruder halten Klappe.«
Philip wandte sich zu ihm um. »Auch wenn du uns das Leben gerettet hast - halt dich aus unseren Familienangelegen-heiten raus!« Auf seiner Stirn pochte eine Ader. Tom hatte ihn nur selten so wütend gesehen.
»Du mir zuhören, Brüderchen, oder ich dir Arsch versoh-len«, sagte Borabay trotzig. Er reckte seine ganzen ein Meter sechzig in die Höhe und ballte die Fäuste.
Eine Sekunde verstrich, dann fing Philip an zu lachen und schüttelte den Kopf. Er entspannte sich. »Gott im Himmel, ist der Bursche echt?«
»Wir sind alle ein wenig angespannt«, sagte Tom. »Aber Borabay hat Recht. Hier ist nicht der Ort, um sich zu streiten.«
»Heute Abend«, sagte Borabay, »wir reden über wichtige Dinge.«
»Und worüber?«, erkundigte sich Philip.
Borabay wandte sich wieder dem Kochtopf zu und rührte erneut in ihm herum. Sein bemaltes Gesicht war undurchdringlich. »Ihr werden sehen.«