Tom schaute den winzigen Offizier an. Ein kleiner Hund, der wohl etwas gegen einen der Soldaten hatte, kauerte sich vor den Mann und fletschte knurrend die Zähne. Der Offizier versetzte ihm mit seinem schnieken Stiefel einen Tritt, und die Soldaten lachten.
»Wessen beschuldigt man uns?«, fragte Tom.
»Das werden wir in San Pedro Sula besprechen. Wenn Sie jetzt bitte mitkommen wollen?«
Ein unbehagliches Schweigen trat ein. »Nein«, sagte Sally.
»Machen Sie uns doch keine Schwierigkeiten, Señorita.«
»Ich mache keine Schwierigkeiten. Ich gehe einfach nicht mit. Sie können mich nicht zwingen.«
»Sally«, sagte Tom. »Muss ich darauf hinweisen, dass diese Männer Waffen haben?«
»Na gut. Dann sollen sie mich eben erschießen und das dann der amerikanischen Regierung erklären.« Sally breitete die Arme aus, um ein besseres Ziel abzugeben.
»Ich bitte Sie, Señorita.«
Die beiden Soldaten, die zu dem Offizier gehörten, traten nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Na los, tun Sie mir doch den Gefallen!«
Der Offizier nickte den Soldaten zu. Die Männer senkten ihre Waffen, traten zackig vor und packten Sally. Sally stieß einen Schrei aus und wehrte sich.
Tom machte einen Schritt nach vorn. »Lassen Sie sie los!«
Die beiden Soldaten hoben Sally hoch und trugen sie trotz ihrer Gegenwehr zum Jeep. Tom versetzte dem ersten Mann einen Schwinger und schickte ihn zu Boden. Sally riss sich los, und Tom nahm sich den zweiten Mann vor.
Dann fand er sich zu seiner Überraschung auf dem Rük-ken liegend wieder und schaute zum heißen blauen Himmel empor. Der Offizier ragte über ihm auf. Sein Gesicht war rot und wütend. Tom spürte an seinem Hinterkopf ein heftiges Pochen. Der Mann hatte ihn mit dem Knauf seiner Waffe niedergeschlagen.
Die Soldaten rissen ihn grob auf die Beine. Sally wehrte sich nun nicht mehr. Sie sah blass aus.
»Machoschweine«, sagte sie. »Wir werden Ihren Angriff der amerikanischen Botschaft melden.«
Leutnant Vespán schüttelte traurig den Kopf, als könne er diese Narretei nicht verstehen. »Könnten wir jetzt in Frieden abrücken?«
Tom und Sally ließen sich zum Jeep bringen. Der Leutnant verfrachtete Tom auf den Rücksitz und schubste Sally neben ihn. Ihre Rucksäcke und ihr Gepäck waren schon aus dem Hotel geholt und im hinteren Teil des Fahrzeugs verstaut worden. Der Jeep fuhr über die Straße, die zur Landebahn führte. Dort wartete im Gras ein schäbiger Militär-hubschrauber auf sie. Eine Metallplatte an der Seite des Hubschraubers fehlte, und ein Mann fummelte mit einem Schraubenschlüssel am Triebwerk herum. Der Jeep kam schlitternd zum Stehen.
»Was machen Sie da?«, fragte der Leutnant jäh auf Spanisch.
»Tut mir Leid, Teniente, aber wir haben ein kleines Problem. «
»Was für ein Problem?«
»Wir brauchen ein Ersatzteil.«
»Können Sie ohne nicht fliegen?«
»Nein, Teniente.«
»Gottverdammte Scheiße! Wie oft geht dieser Hubschrauber denn noch aus dem Leim?«
»Soll ich per Funk darum ersuchen, dass man uns eine Maschine mit dem Ersatzteil schickt?«
»Bei Josefs Klöten! Ja, Sie Null, funken Sie nach dem Teil!«
Der Pilot kletterte in den Hubschrauber, setzte seinen Funkspruch ab und kam wieder heraus. »Wir kriegen es morgen früh, Teniente. Eher geht es nicht.«
Der Leutnant schloss sie in eine Holzhütte ein, die neben der Landebahn stand, und ließ die beiden Soldaten davor Posten beziehen. Nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, setzte sich Tom auf ein leeres 150-Liter-Fass und hielt sich seinen schmerzenden Schädel.
»Wie geht's Ihnen?«, fragte Sally.
»Als wäre mein Kopf ein Messinggong, den gerade jemand geschlagen hat.«
»Er hat wirklich böse zugehauen.«
Tom nickte.
Es klapperte, dann wurde die Tür wieder aufgerissen. Der Leutnant stand draußen und beobachtete, wie seine Männer ihre Schlafsäcke und eine Taschenlampe zu ihnen her-einwarfen. »Ich bedauere diese Umstände wirklich.«
»Sie werden Sie erst richtig bedauern, wenn ich Sie ange-zeigt habe«, erwiderte Sally.
Der Leutnant ignorierte sie. »Ich möchte Ihnen raten, nichts Dummes zu tun. Es wäre bedauerlich, wenn jemand erschossen würde.«
»Sie würden es nicht wagen, uns zu erschießen, Sie Möch-tegern-Nazi«, sagte Sally.
Die Zähne des Leutnants glitzerten silbergelb im schwachen Licht. »Bekanntlich ist Amerikanern, die nach La Mosquitia kommen, ohne sich ausreichend auf den Dschungel vorbereitet zu haben, schon so mancher Unfall zugestoßen.«
Er zog sich zurück, und die Soldaten knallten die Tür zu.
Tom hörte die gedämpfte Stimme des Leutnants, die den Soldaten klar machte, dass er ihnen eigenhändig die Eier abschneiden würde, wenn sie während der Wache ein-schliefen oder tranken. Anschließend würde er sie trocknen und als Türklopfer verwenden.
»Verdammte Nazis«, schimpfte Sally. »Danke, dass Sie mich verteidigt haben.«
»Hat ja nicht viel gebracht.«
»Hat er Sie fest geschlagen?« Sally schaute sich seinen Kopf an. »Die Beule da ist echt fies.«
»Mir fehlt nichts weiter.«
Sally nahm neben ihm Platz. Tom spürte die Wärme ihrer Nähe. Er schaute sie an und sah ihr sich im Halbdunkel der Hütte schwach abzeichnendes Profil. Sie schaute ihn ebenfalls an. Sie waren sich so nahe, dass er die Wärme ihres Gesichts an dem seinen spürte und das Kräuseln ihrer Lippen und das kleine Grübchen auf ihrer Wange und ein paar Sommersprossen auf ihrer Nase sah. Sie duftete noch immer nach Pfefferminz. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was er tat, beugte er sich vor und seine Lippen streiften die ihren. Einen Moment lang rührte sich keiner, dann wich Sally jäh zurück. »Das ist keine gute Idee!«
Ja, was glaubt sie denn, verdammt? Tom wich ebenfalls zurück. Er war wütend und fühlte sich gedemütigt.
Der unbehagliche Augenblick wurde durch ein plötzliches Klopfen an die Tür unterbrochen. »Abendessen«, brüllte einer der Soldaten. Die Tür flog kurz auf. Licht fiel hinein, dann wurde die Tür wieder zugeworfen. Tom hörte, wie der Mann sie verschloss.
Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Tür, dann nahm er das Tablett an sich. Das Abendessen bestand aus zwei Dosen warmer Pepsi, einigen Tortillas mit Bohnen und einem Häufchen lauwarmem Reis. Keinem war nach Essen zumute, also saßen sie nur eine Weile in der Dunkelheit da. Der Schmerz in Toms Schädel ließ nach, und je mehr er nachließ, desto wütender wurde er. Die Soldaten hatten kein Recht, so mit ihnen umzuspringen. Sally und er hatten nichts getan. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass ihre Scheinfestnahme von eben von dem namenlosen Gegner bewerkstelligt worden war,
der Barnaby und Fenton umgebracht hatte. Seine Brüder waren in größerer Gefahr, als er angenommen hatte. »Geben Sie mir doch mal die Taschenlampe.« Tom leuchtete ihr Gefängnis aus. Unbeholfener hätte man eine Hütte kaum bauen können. Sie bestand nur aus Balken, daran festgena-gelten Brettern und einem Blechdach. Langsam nahm eine Idee in seinem Kopf Gestalt an - ein Fluchtplan.