11

Hummeln umsummten die Glyzinie, ihre dicken Leiber waren ein Triumph über Physik und Logik. Da waren sie, ein ganzes Geschwader, die schwarzgelben Leiber schossen in der Spätnachmittagssonne zielstrebig hierhin und dorthin.

Harry und Susan hatten sich nach draußen gesetzt. Mims Wohltätigkeitsball würde in zwei Stunden beginnen. Die zwei Frauen beklagten das Ereignis. Mim hatte kaum eine andere Wahl, als es stattfinden zu lassen, weil es sich um eine Benefizveranstaltung handelte. Zumal der Todesfall nicht ihre Familie betraf. Niemand erwartete, dass sie die Sache abblies.

»Wir müssen hin«, sagte Susan.

»Sicher. Wir gehen hin. Alle werden dort sein, aber es wird bleischwer werden. Du weißt ja, wie Big Mim ist, wenn eine Wohltätigkeitsveranstaltung ausfällt.«

»Sie wird dieses Fest besonnen angehen. Schließlich kann keiner solche Dinge steuern.« Susan zog das Minzeblatt aus ihrem Tee und kaute es. »Ich mag Pfefferminze. Du hast das beste Minzebeet.«

»Ich ziehe diese Minze auf der Fensterbank. Es wird noch einen Monat dauern, bis mein Kräutergarten genug abwirft.«

Sie legte die Hand über die Augen, um ihre drei Pferde auf der Wiese zu betrachten. Sie hatte sie auf die größere Weidefläche hinausgebracht.

»Es war grässlich, wie Little Mim Roger vom Stuhl gezerrt hat.« Susan senkte den Blick, was bei Harry ein Kichern hervorrief. »Harry, du bist schrecklich.« »Na ja - es war ulkig. Wer sagt, dass der Tod nicht ulkig sein kann? Nicht, dass ich Roger tot sehen wollte«, fügte Harry hastig hinzu. »Immerhin hat er mir gezeigt, wie man die Abrissbirne steuert, und er konnte lustig sein, wenn er nicht grade ... du weißt, was ich meine. Hätte er seinen Tod sehen können, er hätte ihn als komisch empfunden. Echt.«

»Du bist furchtbar.«

»Nein, bin ich nicht. Ich bin ehrlich. Dass Lottie Pearson so schwachsinnig geschrien hat wie am Spieß, hat es nur noch verstärkt. Und eins muss ich BoomBoom lassen.« Sie lächelte Susan durchtrieben an. »Sie hat die dämliche Lottie aus dem Zimmer bugsiert. Hätte Lottie noch lauter geschrien, wär das Kristall zu Bruch gegangen.«

Susan dachte darüber nach, während Mrs. Murphy sich in dem frisch gemähten Gras herumwälzte. »Murphy, hast du einen hübschen Bauch.«

»»Meiner ist netter.« Pewter wälzte sich ebenfalls herum.

»»Fetter.«

»Netter.« Pewter schloss die Augen.

»»Meiner ist weißer.« Auch Tucker wälzte sich herum.

»Guck dir das an. Drei verwöhnte Kinder. Ach, könnte ich doch eins von meinen Tieren sein.« Harry lächelte. »Was für ein Leben.«

»Keine Rechnungen. Keine Steuern. Kein Stress. Keine unrealistischen Erwartungen an die Zukunft. Sie leben im Augenblick.« Susan seufzte. »Ich wäre besser dran, wenn ich mehr wie sie sein könnte.«

»Ich auch.« Harry rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Miranda und Tracy haben gesagt, sie bringen Sean was zu essen und gehen dann zu Big Mim. Meinst du, wir sollen auch was zu essen hinbringen?« »Morgen. Es wird schwer werden für Ida O'Bannon. Sie hat sich noch nicht ganz vom Tod ihres Mannes erholt. Ich weiß nicht, ob Sean das alles bewältigen kann. Männer werden gewöhnlich nicht so gut mit so was fertig.«

»Nein.« Harry kniff die Augen zusammen, als eine Hummel sie anflog, feststellte, dass sie keine Blume war und davonsummte. »Lottie Pearson ist wütend auf BoomBoom.«

Sie brauchte es nicht näher zu erklären, weil Susan wusste, warum. »Aber sie hat sich von Boom wegführen lassen. Sie will was, aber ich kann mir nicht denken, was.«

»Dein Gehirn ist ein Grashüpfer.«

»Ich weiß. War schon immer so. Ich hatte nicht die Absicht, das Thema zu wechseln, und ich bedauere Ida und Sean.«

»Was meinst du, ist Thomas Steinmetz verheiratet?«

Harry zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Wenn ja, dann ist es ganz schön gewagt von ihm, hierher zu kommen und bei Boom zu wohnen. Washington ist nicht sehr weit weg. Er scheint mir eh ein draufgängerischer Typ zu sein.«

»Herzchen, mit Telefon, E-mail und Fernsehen ist nichts sehr weit weg. Das ist wunderbar und beängstigend zugleich.«

Sie schwiegen ein Weilchen, während auf der Wiese die Regenpfeifer riefen, deren helle Stimmen klar zu erkennen waren.

»Hatte Roger Feinde?«

»Harry.« Susan hob die Stimme, in der Belustigung und ein leichter Vorwurf mitschwangen. »Du guckst zu viel Mystery Theater.«

Kleinlaut erwiderte die schlanke Frau: »Die Serie ist gut.«

»Wer würde Roger O'Bannon umbringen wollen? Falls er überhaupt einen Feind hatte, dann sich selbst. Er hockte da in seiner Werkstatt wie eine Ameisenlarve in ihrem Nest. Sein Gesellschaftsleben beschränkte sich auf Stockcarrennen. Er war sehr nett, aber wer von oben bis unten voller Schmiere ist, kann nicht erwarten, dass jemand wie Lottie Pearson auf ihn fliegt.«

»Lottie ist ein Snob.«

»Halb Albemarle County ist so.«

»Vermutlich.« Harry atmete aus. »Ging mir nur so durch den Kopf, das ist alles. Sag, hast du die Skulptur von dem fliegenden Blaureiher in Tante Tallys Garten gesehn?«

»Ja.«

»Die hat BoomBoom aus Schrott gemacht. Verblüffend, was?«

»H-m-m.« Susan nahm genüsslich noch einen großen Schluck. »Diego Aybar.« Dank ihrer langen Freundschaft mit Harry brauchte Susan keinen Übergang. Sie konnte so schnell wie Harry von einem Thema zum anderen springen, dabei sah sie sich selbst als logischen, systematischen Menschen.

»Ja?«

»Du bist in ihn verknallt.«

»Du hast ja 'ne Meise.«

»Das muss ich wohl, um deine beste Freundin zu sein. Erzähl schon, Harry, das gehört zur Freundschaft dazu.«

»Also - er sieht gut aus .«

»Umwerfend.«

»Okay, Susan, er ist umwerfend.«

»Und charmant.« »Ja, aber er hat was an sich, so was Süßes, wirklich, mir fällt kein anderes Wort dafür ein. Ich wünschte, die amerikanischen Männer würden nicht dauernd versuchen, sich so, äh, männlich zu geben, sondern einfach nur sie selbst sein, verstehst du.«

»Hey, das war ja ein richtiger kleiner Ausbruch«, sagte Susan lachend, »jedenfalls für deine Verhältnisse.«

»Diego hat eben« - sie dachte scharf nach, konnte jedoch keinen Ersatzbegriff finden - »was Süßes.« Sie atmete ein.

»Aber ich kenne ihn kaum.«

»Genau.«

»Entdecke ich da einen bissigen Ton in deiner Stimme?«

»Nein, sicher nicht. Ich hoffe nur, dass du eines Tages fliegst. Dass du dich gehen lässt. Außerdem glaube ich nicht mehr an Fehler.« Susan setzte ihr Glas so heftig ab, dass die Eiswürfel zusammenstießen.

»Häh?«

»Fehler. Es gibt keine Fehler. Egal was man tut, egal, wie schrecklich es einem zu dem Zeitpunkt vorkommt, es ist kein Fehler, weil man diese Lektion lernen musste, drum - lass los.«

»Das glaube ich nicht.«

»Harry, ich hab gewusst, dass du das sagen würdest.«

»Ja, weil es so ist. Mord ist ein Fehler. Man kann nicht jemanden ermorden und dann sagen, man musste diese Lektion lernen. Die Lektion lautet, nehme ich an, dass das Leben eines Menschen wertvoll ist und niemand das Recht hat, es ihm zu nehmen, außer in Notwehr natürlich.«

»Wir sprechen nicht von Mord.«

»Ich führe deine Fehlertheorie nur zu ihrem extremen Schluss.« »Und beweist damit die Richtigkeit meines Standpunkts.«

Susan warf den Kopf zurück, und schallendes Gelächter erfüllte die duftende Luft. »Du musst loslassen.«

Harry saß einen Moment still und dachte über Susans Gedanken nach, dann lächelte sie zaghaft. Antworten war nicht nötig.

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