»Nun sieh sich das einer an!« Harry ließ ihrer Bemerkung eine Reihe Flüche folgen. Ein Kugellager an der alten Egge, die dazu diente, den Boden zu zerkrümeln, war gebrochen, kleine Kügelchen lagen darunter verstreut. Der Regen prasselte auf das Blechdach des Geräteschuppens. Harry war eben von der Arbeit nach Hause gekommen, und da sie nicht im Freien arbeiten konnte, hatte sie beschlossen, den Düngerstreuer und die Egge zu ölen, die Zinken der schweren Egge sowie den Öl- und Wasserstand des 1958er John-Deere-Traktors zu kontrollieren.
Meistens war ihr der Gedanke unerträglich, auch nur eine Minute länger im Haus zu sein. Am Ende des Arbeitstages im Postamt wollte sie sich so lange wie möglich draußen aufhalten.
Die Katzen, von Harrys Arbeitsmoral im Regen weniger begeistert, hatten sich ins Haus verzogen. Nur Tucker begleitete Harry. Der Schuppen, aufgeräumt und voll gepackt, schützte vor dem Regen, aber der Wind förderte die trübe Stimmung.
»Stockfinster da draußen.« Tucker spürte die aufkommende Elektrizität des Gewitters.
Harry bückte sich und rieb Tuckers Ohr zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Die Egge ist fast so alt wie der Traktor. Bei den neuen werden die Kugellager versiegelt, nachdem sie in Schmiere gebettet wurden. Ob das funktioniert, weiß ich nicht. Wie viel die Reparatur wohl kosten wird? O je.« Sie lehnte sich an den Traktor. »Was wir brauchten, wäre eine Drillmaschine. Keine Chance.« Sie lachte, weil das Gerät, das sie benötigte, im Einzelhandel 22000 Dollar kostete. Das entsprach praktisch einem Jahresgehalt von Harry.
Sie klappte die Motorhaube des Kombis hoch, kontrollierte das Öl, die Scheibenwischerflüssigkeit und den Reifendruck. Sie wiederholte den Vorgang bei dem 1978er Ford Fl50, den sie im Schuppen untergestellt hatte. Zufrieden, weil alles in Ordnung war, sprintete sie zum Stall. Sie hatte die hinteren Boxentüren offen gelassen, und die drei Pferde waren so klug gewesen, aus dem Gewitter hereinzukommen.
»Das Telefon hat sich doof und dämlich geklingelt«, berichtete Poptart Tucker.
Die Corgihündin sprang auf die Satteltruhe, um Auge in Auge mit dem jüngsten Pferd zu sprechen. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und steckte den Kopf durch die quadratische Öffnung mit dem großen Futtereimer darunter.»Hast du dir schon mal gewünscht, du könntest ans Telefon gehn?«
»Nein.« Poptart lachte.»Macht mehr Arbeit. Jedes Mal, wenn ein Mensch einen anderen anruft, hat es entweder mit Arbeit zu tun oder es ist was, das Harry in Windeseile von hier verschwinden lässt. Ich kapier nicht, wieso ein vernünftiger Mensch sich derart unterbrechen lassen mag. «
»Und wer würde dich anrufen?«, fragte Gin Fizz, das älteste von den drei Pferden.
»Anne Kursinski.« Lachend nannte Poptart eine der berühmtesten Springreiterinnen der Welt.
»Prinzessin Anne würde mich anrufen«, gab Tomahawk seinen Senf dazu.
»Oh, ich bin sicher, wenn die Prinzessin das nächste Mal Amerika besucht, wird sie darauf bestehen, dass man ihr gewöhnliche Jagdpferde hier in Crozet zeigt.« Gin Fizz lachte schallend.
»Und warum nicht?«, erwiderte Tomahawk stur.»Die meisten Pferdesportarten kommen von der Fuchsjagd. Geländejagdrennen, Hindernisrennen, Prüfungen für Jagd- und Springpferde«, schloss er ernsthaft.
»Military«, ergänzte Tucker.
»Danke, Tucker. Das hatte ich vergessen,« rief Tomahawk aus seiner Box.
»Ich dachte, Military käme vom Kavallerie-Drill«, sagte Gin Fizz.
»Die Kavalleristen sind auf Fuchsjagd gegangen. Military ist noch mit der Fuchsjagd verwandt«, erklärte Tucker; die Erklärung war allerdings dürftig.
Harry ging hinein, um die hintere Tür von Tomahawks Box zu schließen. Der Wind blies mit solcher Gewalt, dass sie dachte, die Türen würden sich biegen. »Ihr seid ja so gesprächig.«
»Ist schlimm da draußen, Mom.« Tomahawk rieb sich an ihr.
Sie küsste ihn auf die Nase und gab ihm ein Melasseplätzchen. Sie hatte zwei für jedes Pferd.
»Dressurreiten kommt nicht von der Fuchsjagd,« dachte Poptart laut.»Hohe Schule. Jahrhunderte alt, schätze ich. Ich kann das nicht. Ich kann keinen Galopp auf der Stelle, keine halbe Parade bei B oder was. Ich kann's einfach nicht. Ich will rennen!«
»Wollen wir doch alle.« Gin Fizz wartete ungeduldig auf Harrys Besuch in seiner Box.»Der Trick, Poppy, ist das Anhalten. «
Hierauf lachten alle vier Tiere laut, sogar Poptart, die dazu neigte, mir nichts, dir nichts durchzugehen. Wenn die anderen Pferde losliefen, wurde die junge Stute so aufgeregt, dass sie alle überholen wollte. Das durfte nicht sein. Harry bildete sie aus, aber das dauerte seine Zeit. Perfekte Pferde gibt es so wenig wie perfekte Menschen. Poptarts einziger Makel wog wenig im Vergleich zu ihrem Sprungtalent. Kein Hindernis war ihr zu hoch oder zu breit, und sie setzte ihre Hufe geschickt ein.
Gin Fizz bewunderte das Talent der jungen Stute, wünschte jedoch, ihr etwas von seiner Weisheit abgeben zu können. Jedes Mal, wenn sie über die Stränge schlug, seufzte der alte Knabe und murmelte:»Die Jugend.«
Tomahawk, der selbst recht talentiert und deshalb von Poppys Talent weniger beeindruckt war, entgegnete gewöhnlich:
»Stuten.«
Die zwei Hengste fanden, dass Stuten gefühlsduselige, launische Nervensägen waren. Aber sie liebten Poptart trotz ihrer Launenhaftigkeit.
Sie hielt auch selbst große Stücke auf sich.
»Mit Mom solltest du lieber nicht durchgeben«, warnte Tucker sie.
»Mach ich nicht«, sagte Poppy halbherzig.
»Ich kann dich in die Knöchel beißen, bevor du mich treten kannst. Fesseln, wollte ich sagen. Jedenfalls, ich kann beißen, und zwar kräftig.«
»Kleiner Wicht.« Poptart legte die Ohren an, aber nur aus Spaß.
Harry schloss die letzte Außentür. »Was ist los mit euch? So einen Tumult hab ich noch nie gehört.«
»Wirplaudern bloß.« Gin Fizz lachte.
Das Telefon klingelte wieder.
»Geh lieber dran, Mom. Es hat sich doof und dämlich geklingelt«, riet Tomahawk dem Menschen.
Mit einem tiefen Seufzer trottete Harry in die Sattelkammer und nahm den Hörer ab. »Hallo.«
»Hey, Don Clatterbuck ist erschossen worden.« Susan kam gleich zur Sache.
»Was?«
»Es muss eben erst passiert sein. Big Mim hat mich angerufen, und ich hab zuerst versucht dich anzurufen und dann hab ich Miranda angerufen. Wo hast du denn gesteckt?«
»Im Geräteschuppen.« Sie holte Atem, überlegte kurz.
»Susan, wo war er? Ich meine, was weißt du?«
»Man hat ihn in Culpeper am Straßenrand gefunden. Durch die Schläfe geschossen. Oh, er hatte deinen Specht.«
»Was!«
»Mim sagt, er hatte deinen Specht und er war in dem Transporter, nach dem Rick gefahndet hat. Der von Wesley Partlow gefahren wurde. Drücke ich mich verständlich aus?«
»So lala. Wer sagt es seinen Eltern? Oh, das ist einfach schrecklich.«
»Rick.«
»Bin ich froh, dass das nicht meine Aufgabe ist. Ich kann nicht glauben, dass jemand Don Clatterbuck erschießen wollte. Und was hat er in dem GMC gemacht?«
Tucker spitzte die Ohren, weil sie Susans Stimme hörte, dann stürmte sie aus der Sattelkammer, den Mittelgang im Stall entlang, durch den sintflutartigen Regen, stieß die Fliegentür auf und schoss durch das Tiertürchen in die Küche.
»Mrs. Murphy, Pewter, man hat Don Clatterbuck tot aufgefunden, erschossen, in dem Farmwagen.«
Mrs. Murphy, die im Bücherregal im Wohnzimmer döste, hob den Kopf, die Augen jetzt weit offen.»Ich hab 's gewusst, dass noch was auf uns zukommt. Zu nah an zu Hause.«
»Nichts hast du gewusst.« Pewter, die jetzt auch wach war, setzte sich auf dem Sofa auf.
»Wer Wesley Partlow aufgeknüpft hat, ist in Crozet gewesen, richtig?«, folgerte die Tigerkatze.
»Ja, aber das heißt nicht, dass derjenige in Crozet wohnt«, entgegnete Pewter.
»Nein, aber Donny hat in Crozet gewohnt. Ich kann mir nicht denken, was Wesley Partlow und Donny verbunden hat. «
»Vielleicht nichts. Menschen sterben, ohne dass eine Verbindung besteht.«
»Pewter, sie sind nicht einfach gestorben, sie sind ermordet worden, und zwar im Abstand von wenigen Tagen. Denk mal drüber nach ... und man hat Partlow in dem Transporter gesehn. Hab ich Recht, Tucker? Es war Bootys Farmwagen?«
»So hat Susan es Mom erzählt.« Tucker ging zum Bücherregal, als Murphy heruntersprang.»Hoffentlich ist Booty nicht in Gefahr. Der Transporter ist verflucht.«
»Ach, Tucker.« Pewter rümpfte die Nase.»Leblose Gegenstände sind nicht verflucht.«
»Die Pyramiden. Der Fluch der Pharaonen.« Tucker glaubte, Gegenstände seien tatsächlich mit Flüchen belegt.
In gewisser Weise hatte Tucker Recht.