Sonntagmorgen um sieben fuhr Fair Haristeen durch die Pfützen in Harrys Zufahrt. Er hielt vor dem Stall, weil er wusste, dass sie beim Pferdefüttern war. Als die Tür seines Transporters zuschlug, sauste Tucker freudig hinaus, um den Tierarzt zu begrüßen. Tucker liebte Fair.
»War das nicht ein fürchterliches Unwetter?« Der Corgi wackelte mit dem schwanzlosen Hinterteil.
Kleine Zweige waren über den Hof verstreut und Blätter von Hartriegelblüten bedeckten die Erde.
»Du bist der allerbeste Hund.« Fair bückte sich, um den seidigen Kopf zu streicheln.
»Ich bin hier drin«, rief Harry aus dem Mittelgang des schönen alten Stalls.
»Hab ich mir gedacht.« Fair sprang über eine Pfütze. »Du solltest das Dach von BoomBooms Stall sehen. Schweizer Käse.«
»Dein erster Besuch heute?«
»Nicht direkt. Als ich vorbeifuhr, sah ich sie und Thomas draußen vorm Stall stehen, drum hab ich angehalten. Als Kelley« - Fair sprach von BoomBooms verstorbenem Ehemann - »damals den Stall gebaut hat, konnte ich nicht glauben, dass er so ein billiges Dach draufsetzt. Der Mann war Bauunternehmer. Er wusste es besser.«
»Ja, aber Reiten war nicht seine Sache, drum hat er einen billigen Stall gebaut. Ziemlich schäbig von ihm.«
Fair setzte seine Baseballkappe ab. »Ist mir nie in den Sinn gekommen. Er hatte mehr Geld als Gott.« »Nur eine kleine Rache seinerseits. Kontrolle. Und welchem Umstand habe ich deine Gesellschaft zu verdanken?«
»Hat das Wort Kontrolle was damit zu tun?«
Mrs. Murphy, die bei Simon, dem Opossum, auf dem Heuboden herumtrödelte, bemerkte:»»Weißt du was, ich glaube, er wird einsichtig.«
»M-m-m.« Simon zeigte wenig Interesse für menschliche Paarungen und Trennungen.»Hab ich dir schon die Perlen gezeigt, die ich gefunden habe?« Er rollte seinen Schatz heraus.
»»Simon, das sind keine Perlen, das sind Kugellagerkugeln, und wenn du die hier irgendwo gefunden hast, bedeutet das, dass eins von Moms Geräten bald einen grässlichen Tod sterben wird.«
»»Echt?«
»»Echt. Wo hast du sie gefunden? Ich nehme an, es ist schon ein paar Tage her. Du warst bestimmt nicht so dämlich, bei dem Unwetter rauszugehn.«
»Sag ich nicht.«
»Na gut. Sag 's nicht, aber bring sie zurück - vielleicht sieht sie sie, bevor der Schaden irreparabel ist. Irgendwas ist kaputt. «
»»Ich bring sie nicht zurück und ich sag's nicht. Und vielleicht hab ich sie ja gar nicht hier gefunden. Sie glänzen, und ich hab sie ehrlich gefunden. Ich mag glänzende Sachen.«
»»Beuteltiere sind anormal.« Mrs. Murphy peitschte ihren schönen Schwanz hin und her. Es passte ihr nicht, wenn man ihr nicht gehorchte.
»Dass Pewter sich einen toten Specht schnappt und Harry ihn dann nimmt, das ist ziemlich anormal.«
»Sie hat ihn zum Präparator gebracht.« Mrs. Murphy lachte, ihre gute Laune war wiederhergestellt.»Und weißt du was, Pewter wird den ausgestopften Vogel in Fetzen reißen, sobald er ins Haus gebracht wird.« Die Katze schlich auf Zehenspitzen an die Kante des Heubodens, da sie zu dem Schluss gekommen war, die Unterhaltung der Menschen könne interessanter sein als ihre eigene. Nicht, dass sie Simon nicht mochte, aber er war zuweilen ein bisschen einfältig.
Pewter ruhte in der Sattelkammer auf einer ordentlich zusammengelegten Stalldecke. Sie hatte sich beim Frühstück voll gestopft und würde den halben Tag zum Verdauen brauchen.
»War das ein Hartriegelfest.« Fair tauchte ein sauberes altes Handtuch ins Wasser, strich damit über ein Stück Glycerinseife und fing an, Harrys Jagdsattel abzureiben.
»Das musst du nicht machen.«
»Nein, aber ich mache mich gern nützlich.« Er summte eine Billy-Ray-Cyrus-Melodie, dann räusperte er sich. »Du scheinst gut mit Diego auszukommen.«
»Ja«, lautete die knappe Antwort.
Fair war klug genug, von Harry keine Erklärung zu erwarten. Er kannte sie sein Leben lang, und da er mit ihr verheiratet gewesen war, glaubte er sie besser zu kennen als sonst irgendjemand, ausgenommen vielleicht Susan Tucker. Aber Frauenfreundschaften existierten auf einer anderen Ebene als eheliche Beziehungen. Er lachte oft in sich hinein, wenn er müßiges Gewäsch über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen hörte. Den Experten zufolge waren Frauen, was ihre Gefühle betraf, mitteilsamer als Männer, und sie waren einander verbunden, indem sie sich gegenseitig an ihren Gefühlen teilhaben ließen, wogegen Männer durch Aktionen verbunden waren. In all den Jahren, die er Mary Minor kannte, hatte sie nie aus freien Stücken mitgeteilt, was sie empfand. Man musste es ihr aus der Nase ziehen. Sie erzählte munter, was sie dachte, las, sah, tat, aber nicht was sie fühlte. Susan hatte ihr einst deswegen Vorhaltungen gemacht, aber Harry war eben Harry und damit basta. »Nimm mich oder lass mich« lautete ihre Devise, und als Fair darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass sie Recht hatte. Entweder nimmt man die Menschen wie sie sind, oder man lässt es bleiben, und kein Lamentieren und Zureden wird sie ändern oder einem näher bringen.
»Der Typ sieht aus wie ein Filmstar.« Fair schnippte den Steigbügel über die Sitzfläche des Sattels, damit er die Seitenblätter besser putzen konnte. Der Sattel war sauber, aber er musste was zu tun haben.
»Stimmt, aber du siehst auch toll aus.« Sie zwinkerte ihm zu.
»Das sagst du zu allen Männern.« Er lachte, froh, bei ihr zu sein. »Übrigens, Lottie Pearson ist auf dem Kriegspfad.«
»Gegen mich oder BoomBoom?«
»Alle, die ihr über den Weg laufen, aber ich denke, du und BoomBoom, hm, sagen wir mal, haltet eure Skalps fest.«
»Was ist Lotties Problem?« Harry schrubbte im Ausguss der Sattelkammer einen Wassereimer sauber. Es gab heißes und kaltes Wasser, ein hübscher Komfort in einer Sattelkammer. »Es ist ja nicht so, dass ich eines Morgens aufgewacht bin und gesagt habe, >heute bring ich Lottie Pearson in Weißglut. Und ich habe nur zugesagt, Diego zu begleiten, weil BoomBoom mir so zugesetzt hat. Sie hat gesagt, Lottie würde ihn zu Tode langweilen, wogegen ich über Landwirtschaft sprechen könnte.«
»Lottie gerät in Panik und sie ist verbittert.«
Harry hob den Kopf, um in Fairs blaue Augen zu sehen.
»Panik, wieso?«
»Sie ist über dreißig, war nie verheiratet und hat nichts in Aussicht.«
Harry ließ den Eimer in den Ausguss fallen und stemmte die Hände in die Hüften. »Ach komm, das glaubst du doch selbst nicht.«
»Doch, bei Lottie glaub ich das. Mannstoll.«
»Sagt ein Mann.« Harry kicherte.
»Hey, wir mögen ja das langsamere Geschlecht sein, aber ich kenne keinen Mann, der keine Antenne für eine Frau hat, die verrückt aufs Heiraten ist. Sie verströmt den Angst- oder Paarungs- oder sonst einen Lockstoff. Nichts vertreibt einen Mann schneller als das, abgesehen von persönlicher Unsauberkeit, nehme ich an.«
Harry machte sich wieder ans Schrubben. »Darüber hab ich nie nachgedacht, aber vermutlich hast du Recht. Was gibt es da in Panik zu geraten, Fair? Man kann nicht einfach losgehen und einen Partner finden. Das ist nicht wie ein Autokauf.«
»Nein, aber es ist eine größere Anschaffung.« Er lächelte.
»Was ich bei Lottie anstößig finde, ist, dass sie heiraten will, ihr aber keiner gut genug ist. Roger O'Bannon war verrückt nach ihr und, hm, jetzt ist er tot. Er war ihr nicht fein genug.«
Fair unterbrach seinen Gedankengang. »Es ist schwer, in der Vergangenheit von ihm zu sprechen.«
»Ich weiß, was du meinst.«
»Sie will einen von den Feinen Familien Virginias. So ein oberflächliches Getue.«
»Wir haben gut reden, weil wir selbst dazugehören.«
»Hast du dir jemals auch nur einen Moment etwas daraus gemacht, dass deine Vorfahren 1620 hierher gekommen sind? Nein, 1640. Gutes Gedächtnis.« Er tippte sich an die Stirn.
»Nein. Ich bin stolz auf sie, aber deswegen bin ich nicht besser als alle anderen. Und der Sklavenhandel hat Ende des siebzehnten Jahrhunderts stark zugenommen, insofern sind für mich die afroamerikanischen Familien ebenfalls F.F.V.«
»Wenn es etwas gibt, das ich an Virginia richtig hasse, dann ist es die übertriebene Ahnenverehrung.« Er schnippte den anderen Steigbügel über den Sitz. »Andererseits schenkt es uns Beständigkeit, nehme ich an. Wie auch immer, wenn Lottie einen von uns heiratet, ist sie trotzdem nicht F.F.V.«
»Nein, aber ihre Kinder.«
»Na großartig. Eine neue Generation von Snobs.« Fair lachte wieder. »Mein liebster blamabler Moment der Virginier war, als die Nachfahren von Thomas Jefferson sich bei einem Familientreffen darüber stritten, ob sie Sally Hemings Nachkommen teilnehmen lassen sollten, nachdem die DNA-Proben ergeben hatten, dass sie Jeffersons Blut in sich trugen. Ich meine, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und da streiten sich Leute wegen so was.«
»Du bist heute Morgen so redselig.« Sie schüttelte den Kopf.
»Tatsächlich«, er atmete aus, »bin ich froh, Diego nicht hier zu finden.«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Oh, ob ich gleich bei der ersten Verabredung mit ihm ins Bett gehen würde? Meintest du das?«
»Äh - ja.«
»Fair, mein Körper gehört mir.«
»Ich liebe deinen Körper.«
»Ach Fair ...« Sie hob die Hände.
»Deinen Geist liebe ich auch.«
»»Jetzt wird's spannend.« Mrs. Murphy beugte sich weit über die Heubodenkante.
Sogar Pewter wachte auf. Tucker saß da mit heraushängender Zunge und lauschte auf jede Silbe.
»Du kannst richtig schmeichlerisch sein, wenn du willst. Hör zu, ich tu was ich will, wann ich will und mit wem ich will. Setz mir keine Grenzen.«
»Hab ich nicht getan.«
»Ja, und du hast auch nie Rivalen gehabt.«
»Oh, und jetzt hab ich einen?«
»Schon möglich.«
»Ich kann's nicht ausstehen, wenn du kokett bist.«
»Und ich kann's nicht ausstehen, wenn du mich zu gängeln versuchst.«
»Ich gängel dich nicht.« Er beugte sich über den Sattel.
»Ich bin ehrlich.«
»Dann will ich auch ehrlich sein. Ich mag Diego und ich werde ihn höchstwahrscheinlich Wiedersehen. Davon abgesehen weiß ich gar nichts.«
»Geh nicht mit ihm ins Bett.« Fairs Ton wurde bestimmter.
»Ich tu was ich will, verdammt noch mal.« »Die lateinamerikanischen Männer sind ihrer Mutter treu und sonst keiner. Du weißt nicht, mit wem er alles geschlafen hat. Du kannst nicht vorsichtig genug sein.«
»Das ist ausgesprochen rassistisch.« Ihre Stimme war voller Bitterkeit.
»Ist doch wahr. Sie werden von ihren Müttern beherrscht!«
»Fair, red keinen Stuss.« Harry lachte. Er war unabsichtlich komisch.
»Ich versuche nur dich zu beschützen.«
»Nein, tust du nicht. Du willst nicht, dass ich mit einem anderem ins Bett gehe als mit dir.«
»Zugegeben.«
»Krieg dich wieder ein.«
»Harry, mach langsam. Überleg doch mal. Was für eine Zukunft könnte ein Mann aus einem Land voller Ex-Nazis dir bieten?«
»Fair, um Himmels willen!«
»Stimmt doch.«
»Das trifft auch auf Argentinien und Paraguay zu und übrigens auch auf die Vereinigten Staaten. Hat unsere Regierung nach dem Krieg nicht jedem Deutschen Unterschlupf gewährt, der über Wissen verfügte, das wir brauchten oder wollten? Und außerdem ist das über fünfzig Jahre her. Ich nehme an, dass die meisten von diesen Knilchen tot sind. Und du bist also jetzt UruguayExperte?«
»Man kann's einem Mann nicht verdenken, wenn er sich bemüht.«
»Ja, ja. Um das Thema zu wechseln, gehst du heute Abend auf die Waschbärjagd?«
»Hatte ich vor.«
Die beste Zeit für die Waschbärjagd ist der Herbst, aber manchmal trainiert ein Jäger seine jungen Jagdhunde schon früher an derselben Leine mit einem älteren Hund. Im Sommer war es zu heiß, deshalb war der Frühling oft eine gute Zeit, um junge Jagdhunde arbeiten zu lassen. Die tragenden Waschbärweibchen werfen gewöhnlich zwischen April und Mai ein bis acht Junge. Sie würden nur Männchen jagen.
Harry füllte den ausgespülten Eimer mit sauberen Schwämmen und stellte ihn unter den Ausguss. »Wann wird Rogers Beerdigung sein?«
»Mittwoch oder Donnerstag. Es sei denn, Sean meint, er muss bis zum Wochenende warten wegen Leuten von außerhalb. Bezweifle ich aber. Herb dürfte es wissen. Bringt einem den Tod ein bisschen näher, nicht?«
»Nee.« Sie schüttelte den Kopf. »Man kann nicht darüber nachdenken. Das tut nicht gut. Man kann mit vier Jahren sterben oder mit hundert. Aber man kann nicht darüber nachdenken.«
»Du hörst dich an wie dein Dad.«
»Ist aber wahr.«
»Mag ja sein, aber Rogers Tod lässt mich darüber nachdenken. Eben sitzt er noch auf dem Stuhl, und im nächsten Moment liegt er auf dem Boden und Mim zerrt an seinem Arm und Lottie kreischt.«
»Das war vielleicht ein Wochenende. Lottie kippt vom Festwagen. Nein, warte, es fing damit an, dass Mirandas Radkappen gestohlen wurden und bei O'Bannon landeten. Dann segelt Lottie vom Festwagen. Bei dem Reifrock wundert's mich, dass sie nicht gleich wieder hochgesegelt ist, sonst hätte sie ein lebendiges Taco-Bell-Logo abgeben können. Dann segnet Roger das Zeitliche. Der Heini, der Mirandas Radkappen geklaut hat, tritt auf Mims Party als Wagenparker auf. Tracy stellt ihn. Dann rast ein Höllensturm durch Albemarle County. Und du fürchtest, dass ich mit einem anderen schlafe statt mit dir? Gibt's da nicht einen chinesischen Fluch, >Mögest du in interessanten Zeiten leben«