Coop schickte Fotos von Dwayne Fuqua und Donald Clatterbuck an Bill Boojum in Lexington, Kentucky. Bill konnte oder wollte keinen von beiden identifizieren. Er hatte sie nie mit Roger zusammen gesehen.
Coop gab nicht auf. Sie schickte Fotos an den Händler in Newport News. Sie bat ihn, allen Angestellten Fotos von Dwayne, Roger und Donald zu zeigen. Obwohl keiner von diesen Männern jemals in der Autohandlung gearbeitet hatte, wäre es möglich gewesen, dass der eine oder andere ein Fahrzeug gebracht oder eins abgeholt hatte, um es bei Boojum in Lexington abzuliefern; Autovermieter pflegten Autos bei großen Händlern überall in den USA zu kaufen.
Binnen zwei Stunden, nachdem sie die Fotos gefaxt hatte, bekam sie einen Anruf von Fisher McGuire, dem Geschäftsführer. Einer von seinen Büroangestellten erinnerte sich, Dwayne die Zulassungspapiere gegeben zu haben, weil er einen Jaguar zu Boojum bringen sollte. Er erinnerte sich sogar, dass der Wagen für drei Jahre geleast worden war.
Bei großen Leasingfirmen wie Boojum gingen oft Anfragen nach einem bestimmten Fahrzeug ein, in diesem Fall nach einer neuen Jaguar Limousine in BritischJagdgrün mit hellbrauner Innenausstattung. Die Einkäufer bei Boojum nahmen Kontakt zu verschiedenen Jaguarhändlern auf, bis sie einen Wagen fanden, der dem Wunsch ihres Kunden entsprach. Sie bezahlten den Wagen, ließen ihn zur Firma fahren und vermieteten ihn dem Kunden. Wenn der Restwert des Wagens exakt ausgerechnet wird, kann ein Händler bei Leasinggeschäften nicht draufzahlen, weil die Wertminderung zu Lasten des Kunden geht, nicht des Händlers. Der Kunde ist für die Wartung zuständig und hat eine bestimmte Anzahl Kilometer pro Jahr frei, normalerweise zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend. Was darüber ist, wird mit sechs bis zehn Cent pro Kilometer in Rechnung gestellt. Wenn die Abnutzung des Fahrzeugs extrem ist, muss der Kunde für die Kosten aufkommen, wenn die Leasingzeit abläuft. Wenn der Wagen nach Ablauf der Vertragsdauer, gewöhnlich drei Jahre, zurückgegeben wird, verkauft der Händler ihn zum Restwert. Der Kunde hat das Recht, das Auto zum Restwert zu erwerben.
Diese Methode funktioniert bestens bei Leuten, die nicht gewillt sind, einen Haufen Geld in ein Auto zu stecken. Aber da ihnen das Auto nicht gehört, zählt es nicht als Aktivposten, sondern als Verbindlichkeit. Die Steuerabschreibungen und die Wertminderung stellen ein weiteres Labyrinth von Fragen dar, das nur ein Steuerberater enträtseln kann. Ein Leasingkunde braucht einen Anwalt, bevor er den Vertrag unterzeichnet. Er kann unter Umständen die monatliche Leasingrate abschreiben, wenn der Wagen geschäftlich genutzt wird. Doch oft ist es so, was man mit der einen Hand spart, nimmt einem das Finanzamt aus der anderen.
Cooper schnappte sich Rick, als er durch die Tür trat. Er hörte sich aufmerksam an, was sie herausgefunden hatte.
»Boojum kann Dwayne nicht identifizieren?«
»Nein, aber womöglich hat er gar nicht gesehn, wer den Wagen gebracht hat. Dwayne war vielleicht kein Stammfahrer.«
»Kann sein.« Rick ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen.
»Wer hat die Lieferung bezahlt?«
»Boojum hat vorausbezahlt. Sie haben keinen Fahrer benannt. Fisher McGuire, der Geschäftsführer in Newport News, hat den ganzen Papierkram einschließlich Leasingvertrag an Dwayne Fuqua gefaxt. McGuire hatte den Eindruck, dass Dwayne Fahrer bei Boojum war. Bill Boojum sagt, niemand in seinem Laden hat Dwayne Fuqua je gesehn. Oder Wesley Partlow, suchen Sie sich einen Namen aus.«
»Ich garantiere Ihnen, jemand hat ihn gesehn!« Rick knallte aus Frust seine Hand auf den Schreibtisch. Sein Kaffeebecher klirrte.
»Ja, da lügt jemand, dass sich die Balken biegen.« Sie legte ihre Hand auf Ricks Kaffeebecher für den Fall, dass er wieder die Beherrschung verlor. »Also, was haben wir hier? Befördern sie Drogen in den Wagen? Für jede Fahrt über den Berg wird ein anderes Auto benutzt. Vielleicht sogar ein anderer Fahrer. Lexington und Louisville sind florierende Drogenmärkte.«
»Verdammt, in Lexington sind sie so reich, dass sie das Scheißzeug einfliegen können«, grummelte er.
»Nicht alle sind so reich, Chef.«
»Es ist plausibel und auch wieder nicht. Wenn Boojum in der Sache drinsteckt, dann ...« Rick brach mitten im Satz ab, griff nach seinem Adressbuch. »Moment mal.« Er fand die gesuchte Nummer und wählte. »Sheriff Paul Carter bitte.«
Er wartete kurz. »Paul, Rick Shaw aus Albemarle County, Virginia. Kumpel, du musst mir 'nen Gefallen tun.«
»Worum geht's?«, fragte der Sheriff, ein alter Freund aus Washington County.
»Ich faxe dir drei Fotos rüber. Kannst du damit zu Boojum in Lexington gehn, Bill Boojum meiden und sehn, ob jemand diese Männer identifizieren kann?«
»Die große Autofirma dort? Sehr nobel.«
»Genau die«, sagte Rick. »Ich untersuche hier einen Kriminalfall und habe allen Grund zu glauben, dass Boojum was damit zu tun hat.«
»Wie kriminell ist er denn, der Fall?« Paul lachte.
»Zwei Morde, und wenn der Laborbericht von einer Exhumierung kommt, hab ich vielleicht drei.«
»Herrje.« Paul stieß einen Pfiff aus. »Ich geh persönlich hin - in Zivil.«
»Ich bin dir wirklich sehr verbunden, und glaub mir, ich revanchiere mich, wenn sich die Gelegenheit ergibt.«
»Mach ich doch gern.«
Als er aufgelegt hatte, sprang Rick vom Stuhl und ging hinüber zu den Karten, die er an das Korkbrett an der Wand gepinnt hatte. Coop folgte ihm.
»Chef, brauchen Sie eine Karte von Kentucky?«
»Ja.«
Coop summte Sheila an. »Hey, gucken Sie mal in dem metallenen Aktenschrank nach, ob's da eine neuere Karte von Kentucky gibt.«
Sheila fand eine und brachte sie. Rick zog Stecknadeln aus dem Korkbrett, breitete die Karte aus und strich sie glatt. Er pinnte sie an, und Coop, die seine nächste Bitte ahnte, brachte ihm eine Karte vom Staat Virginia. Als sie ans Brett gesteckt war, betrachteten beide sie.
»Hier, das kapier ich nicht.« Cynthia legte den Finger auf Newport News. »Über eine Million Einwohner. Ein großer Marinestützpunkt. Würde man da nicht einen blühenden Drogenmarkt vermuten? Es muss einen geben. Warum unsere Zeit mit Lexington vertrödeln?«
»Das organisierte Verbrechen hat Newport News fest im Griff. Kleine Fische könnten 'ne Weile überleben, aber am Ende würden sie ausgenommen. Vielleicht sind die Städte im mittleren Süden offener.« Er berührte jede Stecknadel, die den Schauplatz eines Mordes verkörperte. »Ich bin nicht überzeugt, dass es hier um Drogen geht, auch nicht um legale Drogen, wie Sie vermutet haben.«
»Was immer sie machen, es muss leicht zu transportieren sein.«
»Nein. Was immer sie machen, darf einfach keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Leicht muss es nicht sein. Sie könnten gestohlene Autos verschieben.«
»Ja, aber wir würden es wissen, wenn hier in der Umgebung Autos gestohlen würden. Außerdem, würde Don von gestohlenen Autos
fünfhundertfünfundzwanzigtausend Dollar in seinem Tresor haben? Für so viel Geld müssten die Kerle eines der größten Schiebergeschäfte in Amerika betreiben - und nur für einen einzigen Knilch. Er war vermutlich nicht mal der Chef vom Ganzen.«
»Ich weiß, ich weiß. Das reimt sich auch nicht zusammen. Als wir zu Rogers Werkstatt gingen, hatte ich nach einer Ausschlachterei gesucht. Keine Spur. Ein Auto reinschleppen, die einzelnen Teile abmontieren und verkaufen, verdammt, da hätte überall Schrott sein müssen. Rogers Laden war makellos.«
»In seiner Werkstatt war es sauberer als in den Häusern mancher Leute«, bemerkte Coop.
»Streichen wir die Ausschlachterei. Ich hab sogar an Geldfälschung gedacht. Aber wenn's da keinen unterirdischen Bunker oder sonst einen versteckten Ort gibt, ist es damit auch nichts. Ich weiß, Drogen sind im Moment das einzig Logische in allem Unlogischen, aber Coop, ich glaube nicht, dass es um Drogen geht. Ich weiß nicht, ob Don Clatterbuck und Roger hätten dealen können, ohne selbst zu konsumieren, und das hätte man ihnen angemerkt.«
»Roger hat gern einen getrunken, aber denken Sie dran, Diana Robb sagt, er hat auch gekokst. Ich erinnere mich, als ich wegen Mrs. Hogendobbers Radkappen dort war, war der Weg zu seiner Werkstatt von Bierdosen gesäumt. Aber von Drogen keine Spur.« Cooper verschränkte die Arme.
Rick ging vor den Karten auf und ab. »Ich kann mir schwer, hm, fast unmöglich vorstellen, dass Don oder Roger irgendwelche kriminellen Geschäfte organisiert hat. Keiner von beiden kam mir gewieft genug vor. Jemand muss an der Spitze stehn, jemand, der intelligenter ist.«
»Die meisten Morde geschehen im Familienkreis oder zwischen Leuten, die sich gut kennen. Und bei den meisten solcher Morde sind Alkohol oder Drogen im Spiel, oder es sind Verbrechen aus Leidenschaft. Diese Morde aber sind leidenschaftslos, kalt. Der Mord an Dwayne war opportunistisch, aber kein Verbrechen aus Leidenschaft. Der Leichnam war nicht verstümmelt, er hatte einen Schlag über den Schädel gekriegt; aus irgendeinem Grund konnte der Mörder ihn nicht mit einem stumpfen Gegenstand erledigen, deshalb hat er ihn aufgeknüpft.«
»Vielleicht war die Waffe nicht schwer genug oder der Mörder nicht stark genug. Das weist auf eine Frau hin.«
»Dwayne über einen Baum hieven kann kein leichtes Unterfangen gewesen sein.«
»Ihn hinten auf einen Transporter laden, den Strick über einen Baum werfen und wegfahren. Es hat so stark geregnet, dass keine Spuren geblieben sind. Ein Transporter hätte dort gewesen sein können oder sogar ein PKW, Dwayne über den Kofferraum geschoben. Ist vertrackt, aber gar nicht so schwierig. Und Dwayne wollte mehr Geld. Nach Dschinn Marks Gespräch mit Ihnen könnte das durchaus ein starkes Motiv sein. Wenn er jetzt mehr wollte, würde er später auch mehr wollen. Oder er wollte eine Beförderung.« Rick schüttelte den Kopf. »Habgier saugt alle anderen Emotionen aus, oder?«
»Ja, scheint so. Sie macht die Leute gefühllos.«
»Ich warte auf den Laborbericht über Roger. Wenn er ermordet wurde, dann muss ich meinen ersten Verdächtigen ins Auge fassen, Sean O'Bannon. Er hatte durch die Ermordung seines Bruders am meisten zu gewinnen, unabhängig davon, in welche Gaunerei Roger verwickelt gewesen sein mag. Sean erbt das ganze lukrative Geschäft. Vielleicht erbt er sogar ein lukratives illegales Geschäft.«
»Vielleicht verleitet der Tresor voll Geld den Mörder, in die Falle zu tappen.«
»Ein Aushang mit der Ankündigung, dass Dons Waren verkauft werden, könnte uns weiterhelfen. Ich hab mit seinen Eltern gesprochen. Sie sind einverstanden, und wir schreiben ihre Telefonnummer nicht drauf. Nur Datum, Ort und Zeit der Versteigerung. Das müsste ihm Feuer unterm Hintern machen.« Rick hob eine Augenbraue. Er konnte schlau sein.