4

»Wie Ameisen bei einem Picknick.« Mrs. Murphy staunte über die Menschen, die, etwa zwanzig an der Zahl, über die Freiflächen stiefelten, wo kunstvolle zerbrochene Säulen herumlagen, Ziergiebel und Sarkophage, alle säuberlich nach ihrem jeweiligen Zweck getrennt.

Die kurze Zufahrt zu dem Gebäude war von großen Terrakotta-, Stein- und Keramiktöpfen gesäumt. Neben der Steinabteilung befand sich eine Marmorabteilung mit großen Platten rosafarbenem Marmor, der aus einem alten Hotelfoyer stammen musste, kleineren Stücken grün geädertem Marmor, einer Platte, die vielleicht einmal eine Bartheke war, daneben tiefschwarzer Marmor, alles wiederum ordentlich gestapelt. Die größte Freifläche war angefüllt mit Bruchsteinen von Mauern, Häuserfunda­menten, manche Blöcke kantig behauen, andere naturbelassen.

Die Innenräume des Hauptgebäudes enthielten hölzerne Leisten, Kamineinfassungen, Stützpfeiler, mundge­blasenes Glas, handgehämmerte Nägel. Ein wahres Füllhorn voller Schätze.

Parallel zum Hauptgebäude verlief ein Bahngleis. Neben dem Gebäude stand ein Plattformwagen, beladen mit schweren steinernen Simsen, Türstürzen und Mauerkrönungen. Tieflader lieferten einmal in der Woche Material und vielleicht ein altes Auto an. Hinter dem Wagen stand ein alter roter Eisenbahnwaggon, der noch nicht restauriert war.

Etwas abgelegen im hinteren Bereich des vier Morgen großen Geländes lag Rogers Autowerkstatt. Schnell wachsende Kiefern schirmten sie vor den Blicken ab. Um die diversen Freiflächen gruppierten sich kleine propere Bauten. Sie sahen aus wie Gartenschuppen und enthielten Werkzeug, alte Traktorteile und andere Gegenstände, die vor der Witterung geschützt werden mussten.

Die Tiere waren von dem Gerümpel nicht so fasziniert wie die Menschen, aber manchmal hielt sich ein Duft von einem früheren Bewohner, einem Hund oder einer Katze. Solche olfaktorischen Informationen waren natürlich jüngeren Datums. Mitteilungen dieser Art gingen nicht von Scherben aus, die aus dem späten siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhundert gerettet worden waren.

Harry staunte über die Verwandlung des Altmaterialbetriebes in eine Art architektonischen Abladeplatz. Als sie das letzte Mal hier war, hatte Seans Vater, Tiny Tim, der sein Geld knickerig zusammenhielt, vergnügt über das Gelände geherrscht, einen einzigen großen Hof voller rostender Autos. Tim hatte alte Grabsteine gesammelt, weil er sich für die Steinmetzkunst interessierte. Er sprach gern über die Grabsteine, um dann zum umfassenderen Thema Tod überzugehen. Tiny Tim war entschieden gegen Autopsien gewesen. Als er starb, hatten seine Frau und seine Söhne keine Autopsie gewollt, so dass niemand genau wusste, woran er gestorben war. Aber ein Leben lang rauchen, trinken und alles verzehren, was ihn nicht zuerst verzehrte, das dürfte ihn zugrunde gerichtet haben.

Sean, groß und mager, trug ein ausgebleichtes orangerotes Leinenhemd, das er in eine Zimmermannshose gesteckt hatte. Keine Schmiere war in seine Hände eingezogen, keine Öl- oder Schmutzflecken verunzierten sein Hemd. Er hätte ein Obst- und Gemüsehändler sein können, wenn die Zimmermannshose nicht gewesen wäre.

An einer Wand waren Spezialwerkzeuge zum Restaurieren zu sehen: elegante Meißel, kleine und größere Hämmer, winzige Butanbrenner, um bleihaltige Farbschichten abzutragen. Die Sachen waren imponierend und teuer.

Cynthia und Miranda begaben sich zum Empfangspult.

Sean bat seine Assistentin Isabella Rojas sich der zwei Kunden anzunehmen, die er gerade bediente, und durchschritt den weiten Raum, um die zwei Frauen zu begrüßen. »Willkommen. Ich glaube, Sie haben Glück.«

Harry kam hinzu, die drei Tiere zockelten hinterher.

»Herrlich ist es hier.«

»Danke.« Er richtete sich an Miranda. »Mrs. Hogendobber, folgen Sie mir.«

Menschen und Tiere verließen das Hauptgebäude, gingen etwa vierhundert Meter nach hinten, wo Tausende von an Drähten aufgehängten Radkappen im Sonnenlicht glänzten. Sie waren nach Automodell und Baujahr geordnet.

Der Widerschein von den funkelnden Flächen veranlasste Mrs. Hogendobber, die Hand über die Augen zu legen. »Meine Güte, ich hatte keine Ahnung, dass es auf der Welt so viele Radkappen gibt.«

»Kommt, wir inspizieren die Außengebäude.« Tucker wedelte mit ihrem nicht vorhandenen Schwanz. »Da treibt sich bestimmt 'ne Menge Ungeziefer rum.«

»Hältst dich wohl für 'nen Rattenfänger, was?« Pewter tänzelte umher, ihr graues Fell strahlte Überlegenheit aus. »Du könntest nicht mal eine komatöse Maus fangen.«

»Das musst ausgerechnet du sagen«, rief die Corgihündin über die Schulter zurück, als sie, gefolgt von Mrs. Murphy, zum Werkstattgebäude sprintete. Eine Fährte aus verblassenden Bierdosen gab Zeugnis von Roger O'Bannons Entwicklung. Enthaltsamkeit war keine Tugend, die man mit Roger in Verbindung brachte.

Pewter ging nicht mit. Sie machte sich nicht viel aus Mäusefangen oder aus Roger O'Bannon. Vögelfangen, das war ihr Zeitvertreib, und sie war immer noch sauer, weil Harry den Specht für Don Clatterbucks Kunst gerettet hatte. Sie wollte die Federn rausrupfen. Ehrlich gesagt hatte Pewter noch nie einen Vogel getötet, aber sie klaubte die auf, die tot oder aus dem Nest gefallen waren. Sie riss zu gerne die Federn aus. Sie wollte keinen Vogel fressen. Pewter fraß nichts, was nicht gründlich gekocht war, ausgenommen Sushi. Das Schwirren und Flitzen der Vögel reizte sie, und sie träumte davon, den Blauhäher zu töten, der in dem Ahornbaum hauste. Eines Tages würde der arrogante Bengel zu nahe fliegen, seinen Schnabel zu voll nehmen. Sie wusste, ihr Tag würde kommen und dann würde sie seinen üblen Schmähungen ein Ende bereiten. Doch für den Augenblick war sie es zufrieden, zu Harrys Füßen zu sitzen und sich die Geschichte von den Radkappen anzuhören.

»Meine Radkappen!« Miranda griff nach dem einzigen Satz Ford Falcon-Radkappen an dem Seil.

»Hören Sie, Mrs. H. wenn Sie den Diebstahl anzeigen, muss ich die Radkappen als Beweismittel sicherstellen. Wenn Sie keine Anzeige erstatten, können Sie sie gleich an Ihren Wagen montieren«, riet Cynthia ihr.

»Nein!« Miranda schüttelte ungläubig den Kopf.

»So ist das Gesetz.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Das hängt davon ab, ob wir den Verdächtigen finden oder nicht. Wenn wir ihn finden und es zu einer Vernehmung und dann zu einem Gerichtsverfahren kommt, kann das Monate dauern - viele Monate.« Cooper seufzte, denn die geballten Verhandlungen zermürbten sie ebenso wie ihre Kolleginnen und Kollegen. Sie dachte sich oft, dass die Menschen viel besser dran wären, wenn sie versuchten, Probleme unter sich zu lösen, statt zum Sheriff oder einem Anwalt zu rennen, damit die das für sie erledigten. Irgendwie war den Amerikanern die Fähigkeit abhanden gekommen, sich hinzusetzen und miteinander zu reden, zumindest schien es ihr so.

»Ach du liebe Zeit, was werden die Mädels in der Kirche sagen?« Es bekümmerte Miranda, sozusagen unbekleidet herumzufahren. »Hm ...«

»Vielleicht kommen wir zusammen zu einer Lösung.«

Cynthia wandte sich an Sean, der jetzt die Radkappen von dem Seil nahm. »Die nahe liegende Frage: Wer hat Ihnen die Radkappen verkauft?«

»Normalerweise kümmert Roger sich in der Firma um die Sachen, die mit Autos zu tun haben, aber er ist im Moment nicht hier«, sagte Sean. »Ich war zufällig grade draußen, als ein Bursche mit den Radkappen vorgefahren kam.«

»Kennen Sie ihn?«

»Nein. Den hab ich noch nie im Leben gesehn. Ich wusste, dass Falcon-Radkappen rar sind, deshalb hab ich fünfzig Dollar dafür bezahlt, Großhandelspreis. Ich hab sie mit hundertzwanzig ausgezeichnet und gleich an das Seil gehängt. Wenn ich mir einen Augenblick Zeit zum Überlegen genommen hätte, wäre mir vielleicht klar geworden, dass es Mirandas waren, aber der Bursche sagte, sie wären von dem Falcon seiner Großmutter, der den Geist aufgegeben hat.«

»Wie sah er aus?«

»Schmächtig. Anfang zwanzig. Rötliche Haare, eine jämmerliche Andeutung von einem Schnurrbart.« Sean protzte mit einem roten Schnauzer und einem streng gestutzten Bart von üppiger Dichte, aber die Haare auf seinem Kopf waren schwarz und lang. Er band sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen, den Harry hinter seinem Rücken als Schniepel bezeichnete.

»Irgendwelche charakteristischen Merkmale? Erinnern Sie sich an seine Kleidung oder sein Auto?«

»1987er GMC-Transporter. Grau. Virginia­Kennzeichen. Ah, eine Dallas-Cowboys-Windjacke, vielleicht so alt wie der Wagen und - ja, er hatte ein charakteristisches Merkmal. Sein linkes Auge war nach unten gesackt, eine alte Verletzung. Es war halb zu, und eine schmale rote Narbe verlief von oberhalb der Braue bis unters Auge.«

»Schniefnase? Fahrig?« Cynthia versuchte ein vollständigeres Bild von dem Täter zu bekommen.

»Nein. Ruhig. Hab auch keinen Alkohol gerochen.«

Miranda zog ihr Scheckbuch hervor; Harry hielt die Radkappen, die Sean ihr gereicht hatte. Die ältere Frau kramte in den Tiefen ihrer Handtasche. »Ich hab einen Stift hier drin, ich weiß es genau.«

»Stecken Sie's weg«, schalt Sean sie milde. »Ich lasse Sie nicht bezahlen für etwas, das Ihnen gehört.«

»Aber Sie haben den Dieb bezahlt.«

»Mein Problem. Im Ernst, Miranda. Stecken Sie sofort das Scheckbuch weg.«

Cynthia überlegte kurz. »Warum machen wir's nicht so? Sie schrauben die Radkappen an Ihr Auto. Ich schreibe den Bericht und sehe zu, ob ich den Burschen finde. Wenn Rick Shaw« - sie sprach von ihrem Chef, dem Sheriff - »die Beweismittel besichtigen will, schicke ich ihn zu Ihnen. Ich sehe keinen Sinn darin, dass Ihre Radkappen beschlagnahmt werden und dann Gott weiß wie lange irgendwo rumliegen. Lassen Sie mich nur machen.«

»Ich möchte nicht, dass Sie Ärger bekommen.« Miranda wusste Cynthia Coopers Anteilnahme zu schätzen. Sie hatte sich im Laufe der letzten Jahre mit der jungen Polizistin angefreundet.

»Ein bisschen Ärger wird mir nicht schaden.« Sie lächelte.

»Mir tut diese Geschichte Leid.« Wie die meisten Menschen in Crozet hatte Sean Miranda aufrichtig gern.

»Die Zeiten ändern sich, und wie es scheint, nicht zum Besseren. Sie hatten nichts damit zu tun.« Miranda lächelte ihn an.

»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich wieder ins Lager. Samstags ist immer am meisten los.« Er ging ein paar Schritte, dann blieb er stehen. »Sie kommen doch alle auf den Abbruchball, ja? Am ersten Samstag im Mai. Das ist unsere Wohltätigkeitsveranstaltung für das Projekt >Bauen für das Leben< zugunsten armer Leute, die ein Heim brauchen.«

»Das möchte ich nicht versäumen.« Cynthia klappte ihr Notizbuch zu.

»Mein Ex-Mann hat mich schon vor Monaten auf Ihren Ball eingeladen.« Harry lachte. »Es ist Abfohlzeit, und ich muss damit rechnen, dass mitten im Tanz sein Pieper losgeht. Die Risiken der Veterinärmedizin.«

Fair Haristeen, Harrys einstiger Ehemann, war ein sehr gefragter Pferdearzt. Er hatte sich eine schöne Praxis eingerichtet und eine moderne Klinik mit einem Operationssaal gebaut, »Ungeziefer ausrotten. Ha«, keckerte Pewter, die versuchte, Harry zu ihren pelzigen Freundinnen zu dirigieren.

Harry sah auf die graue Kanonenkugel von einer Katze hinunter. Sie hätte sie ja hochgehoben, aber sie hatte die Arme voll mit Radkappen.

Miranda pfiff nach Tucker.

Ein Jaulen sagte ihnen, wo Tucker war, und auch, dass der Hund keine Eile hatte, sich wieder zu den Menschen zu gesellen.

»Ich bring die Radkappen zu Ihrem Wagen, Miranda. Ich montiere sie auch, aber zuerst sollte ich lieber die zwei holen. Was dagegen?«

»Natürlich nicht. Ich nehme Ihren Samstagnachmittag in Anspruch.«

»Ich wollte sowieso hierher, ehrlich.« Harry ging flugs zu dem Falcon, der vor dem neuen Hauptgebäude parkte. Sie stapelte die Radkappen neben der Fahrertür.

»Hey, ich montiere die Radkappen. Woher wollen wir wissen, dass kein anderer sie mitnimmt oder zu verkaufen versucht?« Cynthia kam herüber. »Hol du die Mädels.«

Harry setzte Pewter in die Fahrerkabine des Transporters, vergaß nicht, das Fenster ein Stück herunterzukurbeln, auch wenn es gar nicht so warm war, nur um die elf Grad. Dann lief sie zur Werkstatt. »Tucker!«

»Ich hab 'ne Ratte!«, jubelte Tucker.

»EinRattenloch. Du musst dich schon exakt ausdrücken«, korrigierte Mrs. Murphy den Hund, doch auch sie wusste, dass eine Ratte in dem Loch war, und sie plusterte den Schwanz ein bisschen auf. Eine Ratte konnte ein furchterregender Feind sein, mit Zähnen, die ohne weiteres einen dicken Brocken Fleisch aus einem rausreißen konnten.

Harry öffnete die große Schiebetür und schlüpfte hinein. Drei alte Autos in verschiedenen Stadien innerer und äußerer Wiedergeburt standen nebeneinander. An den Wänden hing Werkzeug, in der Ecke stand ein Luftverdichter, und das Glanzstück, eine hydraulische Hebebühne in einer Grube, gab Zeugnis von Roger O'Bannons Passion. So wie Sean alte Gebäude liebte, liebte Roger alte Autos; und zum Glück für beide Brüder erlebte der Markt für alte Personen- und Lieferwagen genauso einen Aufschwung wie das Restauriergeschäft.

Eine Wand war voll mit Zubehör, Schraubstöcken, Gummikeilriemen, die an Aufhängeplatten hingen. Alles war aufgeräumt und sauber, abgesehen von der Abfalltonne, die von Bierdosen überquoll.

Tucker und Murphy hockten in der hinteren rechten Ecke der Werkstatt.

»Kommt jetzt. Wir müssen los«, befahl Harry.

»Er ist hier drin. Er hat 'ne Tüte Popcorn.« Tuckers Nase trog sie nie.

»Woher er bloß das Popcorn hat?«, wunderte sich Mrs. Murphy.

Eine Stimme, viel tiefer, als sie erwartet hatten, erschreckte sie.»Verkaufsautomat. Ich weiß, wie man da rein und raus kann. Und jetzt lass mich in Ruhe, bevor ich dir die Visage wegreiße.«

»Vorher schlitz ich dir die Kehle auf!«, erwiderte Tucker grimmig.

»Hör mal, du Schisser, ich weiß in diesem Laden jede Menge Wege rein und raus. Wenn ich will, kann ich einfach rausschleichen, und du würdest es nicht mal merken. Aber das hier ist mein Wohnzimmer, und ich will, dass du verschwindest.«

»So kannst du mit mir nicht sprechen. Ich bin Tucker Haristeen!«

»Und ich bin der Papst. Also, Tucker, du bist in meinem Revier, ich bin nicht in deinem. Und nimm die Katze mit, ehe ich richtig fies werde.«

»Ihr zwei seid wohl von allen guten Geistern verlassen!«

Seufzend hob Harry die unfolgsame Tucker hoch. »Wir gehen jetzt, und zwar sofort. Mrs. Murphy, wenn ich noch mal herkommen muss, um dich zu holen, gibt's heute Abend keine Katzenminze. Ist das klar?«

»Gemein. Du kannst manchmal so gemein sein«, murrte Mrs. Murphy.

»Papst Ratte, ich komm wieder, und dann krieg ich dich! Deine Tage sind gezählt«, versprach Tucker.

»Träum schön weiter.« Gelächter kam aus dem Loch.

Zwei mürrische Tiere gesellten sich zu der lethargischen Pewter auf dem Vordersitz; das Fenster auf der Fahrerseite war einen Spaltbreit heruntergekurbelt. Miranda hatte auf sie gewartet. Cynthia war abgefahren, weil sie einen Blechschadenunfall bei Wyant's Store in Whitehall aufnehmen musste.

»Danke noch mal, Harry.«

»Gern geschehn.« Harry winkte mit der Hand ab, als wollte sie sagen, das war doch nichts. »Was wollen Sie mit dem Rest des Tages anfangen?«

»Ich pflanze rosa Hartriegel an den Rand von meinem Vorgarten. Er braucht einen Abschluss. Haben Sie gewusst, dass die Römer an den Ecken ihrer Grundstücke Quittenbäume gepflanzt haben? Eine gute Methode, aber ich pflanze Hartriegel, rosa.«

»Hübsch.«

»Was haben Sie vor?«

»Den Garten umpflügen. Wird Zeit.« »Es könnte noch mal Frost geben, aber ich glaube es kaum. Ich erinnere mich allerdings an ein Jahr in den Fünfzigern, als wir im Mai Frost hatten. Vergessen Sie nicht, Okra für mich zu pflanzen.«

Ehe die Frauen in ihr jeweiliges Gefährt steigen konnten, kam Roger durch das offene Tor gerattert. Ein funkelnder Anhänger rollte hinter seinem Ford Kombi. Anders als ein Pferdeanhänger hatte dieser keine Seitenfenster, Lüftungsschlitze oder Seitentüren.

Er bremste, dass es quietschte. »Hey, Babe.«

»Bin ich heute Morgen die vierzehnte, die Sie >Babe< nennen?«

»Nee, die neunte.« Er fuhr an die Seite, damit andere Fahrzeuge vorbei konnten, stellte den Motor ab und stieg aus.

»Mrs. Hogendobber, Sie sind auch ein Babe, aber Ihr Freund würde mir die Zähne in die Kehle rammen. Wie wär's darum, wenn ich einfach sage: >Hi, liebliche Lady.<«

»Roger, Sie sind ein Original.« Die brave Frau lächelte.

Sie schilderten ihm den Vorfall mit den Radkappen. Er war froh, dass die Radkappen gleich wieder aufgetaucht waren.

Während die Menschen plauderten, bemerkte Pewter:

»Wenn er zwanzig Pfund abnehmen, sich die Haare schneiden und sich ein bisschen besser pflegen würde, könnte er durchgehen.«

»Alswas?« Mrs. Murphy kicherte.

Darauf mussten Pewter und Tucker lachen. Tucker steckte die Nase aus dem offenen Fenster auf der Fahrerseite.

»Bisschen frisch.« Pewter sträubte ihr Fell.

»Ja«, erwiderte Tucker, die zusah, wie Roger die Ladeklappe herunterließ, um stolz sein Stockcar vorzuzeigen. Sie gingen die Laderampe hinauf, um diese neueste Inkarnation von Pontiac TransAm näher in Augenschein zu nehmen.

»... eines Tages.« Roger verschränkte die Arme.

»Tja, ich hoffe, dass Sie beim Rennen ganz groß rauskommen, aber, Roger, es ist so gefährlich.«

»Dein grüner Hornet ist toll.« Harry bewunderte den glänzenden metallic-grünen Pontiac.

»Oh, ich liebe diesen Wagen, wirklich, aber es ist so was wie der Unterschied zwischen« - er überlegte kurz - »einem guten Pferd und einem großen Pferd. NASCAR, das ist Spitzen-Motorsport. Ich krieche hier unten auf der Schmalspur.«

»Du hast 'ne Menge Pferde hier.« Sie klopfte auf die lang gestreckte Kühlerhaube des Wagens, trat dann wieder auf die Rampe. »Schmiere im Blut.«

Er drehte die Handflächen nach oben, Schmiere war tief in die Haut eingezogen. »Daddy hat mich die Abrissbirne schwingen lassen, als ich zwölf wurde. Ist angeboren. Maschinen.« Er sah zu der stählernen Giraffe hoch. »Funktioniert noch.« Dann sah er Harry an. »Komm mit.«

Harry war fasziniert von allem, was einen Motor hatte. Sie kletterte die Metallstufen zu der Kranführerkabine hinauf. Die Stufen hallten bei jedem Schritt.

»Was macht sie da?«, nörgelte Pewter; die Pfoten auf dem Armaturenbrett, blickte sie durch die Windschutzscheibe nach oben.

Mrs. Murphy und Tucker folgten ihrem Beispiel. Sie hörten den Motor zünden.

»Ich denke«, sagte Miranda laut vor sich hin, »ich fahre mal lieber mein Auto weg.« »Wenn sie hier abhaut, sollten wir auch abhaun.« Pewter hielt auf das offene Fenster auf der Fahrerseite zu.

»Angsthase.« Kaum war das Wort aus Mrs. Murphys Mund, als die Abrissbirne über den Kofferraumdeckel schwang, dann über einen Teil vom Dach des neuen Hauptgebäudes.

»Adios!« Pewter floh aus dem Fenster.

»Verdammt.« Tucker stolperte zum Fenster: ein tiefer Fall für den Hund.

»Keine Bange, Tucker, ich kann die Tür aufmachen.« Murphy legte sich kraftvoll auf die Klinke und drückte mit aller Macht.

Als die Corgihündin das Klicken hörte, stieß sie gegen die Tür, und sie ging auf; Tucker purzelte nahezu hinaus. Kaum hatten sie Boden unter den Füßen, schossen Katze und Hund davon, gerade als die Birne auf dem Weg zurück über ihnen schwang.

»Jede Katze für sich«, rief Pewter unter ordentlich in Kreuzlage gestapelten Eisenbahnschwellen hervor.

Miranda kauerte in ihrem Falcon, den sie neben den Bahnschwellen geparkt hatte. »Ich sag euch was, ich hoffe, der Junge ist nüchtern.« Sie kletterte aus ihrem Auto, weil sie dachte, wenn etwas schief ging, hätte sie zu Fuß eine bessere Chance.

»Ich auch«, stimmte Pewter ihr zu.

Oben in der Kranführerkabine holte Roger die Birne ein, bis sie wieder an der Spitze des Kranarms hing. »Jetzt du.«

Harry setzte sich auf den rissigen schwarzen Ledersitz, der warm war von Roger. »Es kann losgehen.«

»Wenn du willst, dass die Birne runtergeht - nein, noch nicht hinlangen -, drückst du diese Greifer. Wenn sie komplett zu sind, geht die Birne schnurstracks runter. Rumms. Wenn du die Birne schwenken willst, drückst du die Greifer hier links, und das Rad« - er zeigte auf das Steuerrad - »bewegt die ganze Chose, dreht Kabine und Kran. Alles klar?«

»Kinderspiel.« Lächelnd schwenkte sie die Birne langsam über die andere Seite des Zauns, den Blick fest auf die Birne gerichtet. »Nach einer Weile kriegt man bestimmt den Dreh raus, wie man die Greifer, das Steuerrad und die Pedale ähnlich bearbeiten kann wie ein Trommler.«

»Genau, aber ich sag ja, wenn du einen Traktor fahren kannst, kannst du fast alle schweren Maschinen bedienen.«

Sie holte die Birne wieder nach oben, ließ sie ein Stückchen hinunter, holte sie dann hoch zur Spitze. »Ist das cool.«

»Ja.«

Sean kam heraus, blickte zusammen mit seinen Kunden, die draußen waren, nach oben. Er schrie, versuchte, sich über den schweren Dieselmotor hinweg verständlich zu machen:

»Roger!«

Roger beugte sich aus der Kabine, winkte seinem Bruder, schwang sich dann wieder hinein. »Er ist so alt. Ist ein alter Mann geworden. Ich sag dir was, ich liebe meinen Bruder, aber Herrgott noch mal, er ist 'ne Nervensäge. Als wär dieser Laden der Mittelpunkt der Welt. Seit Dads Tod ist er so. Okay, okay, jeder muss sehn, wie er über die Runden kommt, aber Sean hält sich für unentbehrlich. Hey, die Friedhöfe sind voll von unentbehrlichen Leuten, verstehst du, was ich meine, Harry Barry?« Er seufzte. »Hab dich vermisst, warst lange nicht hier.« »Danke, Rog. Das hast du nett gesagt.«

Er schüttelte den Kopf. »Der Laden läuft. Wir schuften schwer, aber alles, was ich verlange« - er winkte seinem gestikulierenden Bruder wieder zu, stellte dann den Motor ab -, »ist Freitag- und Samstagabend zum Rennen zu gehn.« Er sah nach unten. Sean hatte sich nicht von der Stelle gerührt.

»Der große Bruder sieht dich an. So Babe, der Unterricht ist aus.«

»War super.«

Als sie nach unten kletterten, liefen die drei Tiere schnell wieder zu dem Transporter, sprangen hinein, und indem sie zusammen die Armlehne zu Hilfe nahmen, zogen sie die Tür zu.

Tucker musste zuerst auf die Trittstufe springen, aber sie hangelte sich auf den Sitz und half den Katzen, die Tür zuzuziehen.

»Sie braucht nicht zu wissen, dass ich die Tür aufkriegen kann. «

Mrs. Murphy hob die langen seidigen Augenbrauen.

»Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.« Pewter kicherte.

»Binich froh, dass ich am Leben bin.« Tucker atmete aus.»Die schwarze Birne über meinem Kopf sausen zu sehen, das war nicht gerade Vertrauen erweckend.«

Harry, die Miranda begeistert ihre Unterrichtsstunde schilderte, bekam nicht mit, dass die Tiere die Tür des Transporters schlossen. Sie hatte auch gar nicht gemerkt, dass sie offen war, und sie war so aufgeregt darüber gewesen, oben bei der Abrissbirne zu sein, dass sie die unten stehenden Menschen nicht wahrgenommen hatte.

Sean bombardierte seinen Bruder mit ein paar Kraftausdrücken, die dieser achselzuckend quittierte. Sean machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte zurück ins Hauptgebäude.

Roger lächelte die zwei Frauen an. »Die einzige Frage, die es wert ist, sie sich zu stellen, ist: >Hab ich Spaß?<«


Harry fuhr mit dem Gefühl nach Hause, dass der Tag sich beträchtlich zum Besseren gewendet hatte. Als sie auf ihre lange Farmstraße zum Haus abbog, sah sie einen funkelnden BMW 740il vor dem Stall parken. Der Wagen gehörte BoomBoom Craycroft, einer unglaublich schönen Frau, die eine Affäre mit Harrys Ex-Mann gehabt hatte, weswegen sie bei Harry nicht gerade gut angeschrieben war. Zugegeben, BoomBoom hatte mit Fair geschlafen, nachdem Harry sich von ihm getrennt hatte. Aber die Affäre hatte immerhin ungefähr sechs Monate gedauert. Harry war am Boden zerstört. Ausgerechnet Boom-Boom! Sie hatte seit der Grundschule mit der groß gewachsenen Schönheit konkurriert. Harry gewann meistens bei den sportlichen und intellektuellen Veranstaltungen, aber Boom-Boom lief nur eine knappe Sekunde langsamer als Harrys beste Freundin Susan Tucker. Worin jedoch keine Mitschülerin mit Boom konkurrieren konnte, das war ihre Wirkung auf die männlichen Klassenkameraden. Bei den meisten Männern, zumal wenn sie jung sind und unerfahren in weiblicher List, schlug BoomBoom ein wie die sprichwörtliche Bombe.

Die zwei Frauen waren in den letzten Jahren einigermaßen miteinander ausgekommen, aber mehr auch nicht.

»Verdammt, verdammt, verdammt«, flüsterte Harry vor sich hin.

»Hättest du mich die Ratte fangen lassen, wäre BoomBoom gekommen und wieder gegangen«, meinte Tucker wenig hilfreich.

»Tucker, sei still. Du weißt doch wie die manchmal sind. Bloß nicht die Pfoten verbrennen.« Mrs. Murphy legte die Pfoten aufs Armaturenbrett.

Загрузка...