»Nein.« Lottie runzelte die Stirn. Der Regen klatschte gegen die Fensterscheibe ihres Büros.
»Lottie, niemand denkt, dass Sie Don Clatterbuck getötet haben. Regen Sie sich nicht auf.« Cynthia Cooper, die müde und frustriert war, sprach in schroffem Ton. »Aber Sie waren in letzter Zeit mit ihm zusammen. Alles, was Ihnen aufgefallen ist, könnte zu einem großen Durchbruch führen.« Cooper dachte bei sich, wie erniedrigend es doch war, Leuten wie Lottie Honig ums Maul zu schmieren.
»Also gut.« Lottie klopfte mit einem Bleistift auf ihren Schreibtisch, erhob sich von ihrem ergonomisch korrekten Stuhl, durchquerte das ordentliche, hübsche Büro und schloss die Tür hinter Coop. »Natürlich möchte ich Ihnen helfen. Nur, Sie haben mich vor den Kopf gestoßen, weil Sie in Uniform an meinen Arbeitsplatz gekommen sind. Ich habe eine Stellung zu verteidigen.« Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück.
»Die Universität lässt eine Unkorrektheit nicht durchgehen.«
Bei dem Wort »Unkorrektheit« senkte sie die Stimme.
Lottie, stellvertretende Direktorin und für namhafte Spenden zuständig, war übersensibel für gesellschaftliche Nuancen. Die Arbeit sagte ihr zu, und der Tag würde kommen, da Vernon Miller in den Ruhestand gehen und sie seine Nachfolge antreten würde. Geduldig pflegte sie seine gesellschaftlichen Kontakte ebenso wie ihre eigenen.
»Ich verstehe, aberSie müssen verstehen, zwei Männer sind tot, Wesley Partlow und Don Clatterbuck. Es ist durchaus möglich, dass die beiden Morde zusammenhängen ...«
»Was?« Lotties Miene drückte Entsetzen aus. »Und wer ist Wesley Partlow? Ich hab gelesen, dass er gefunden wurde, aber viel stand nicht in der Zeitung.«
»Weil man nicht viel weiß. Partlow war ein Junge, der auf Big Mims Wohltätigkeitsveranstaltung Autos eingeparkt hat.«
»Was hat einer wie der mit Donny zu tun?«
Coop beugte sich vor. Draußen pladderte es. »Don Clatterbuck wurde in einem Transporter erschossen, den Partlow gefahren hat, bevor er ermordet wurde. Sean O'Bannon hat den Wagen beschrieben, als wir ... Nun, das ist eine lange Geschichte, die mit Mrs. Hogendobbers Radkappen zu tun hat, aber Sean hat den alten Transporter genau beschrieben. Wir konnten den Wagen nicht aufspüren, hatten kein Nummernschild. Jetzt haben wir ein Nummernschild, aber es ist uralt.
Die Plaketten sind aktuell. Carol Grossman in Richmond, die seit heute Morgen an dieser Sache arbeitet, hat die alten Nummernschilder bis zu einem Jaguarhändler in Newport News verfolgt. Man hatte sie für die Dekoration verwendet.«
»Der Händler hat die Schilder gestohlen«, schloss Lottie vorschnell.
»Der Händler sagt nein. Er entwertet die Schilder. Das ist gesetzlich vorgeschrieben.«
»Jemand hat sie genommen.« Lottie behielt gerne Recht.
»Allerdings. Jemand hat auch neue Jahres- und Monatsplaketten geklaut. Händler haben die nicht. Man kann sie nicht mal mit einer Rasierklinge unbeschädigt von jemandes Kennzeichen ablösen. Wie Sie sehen, Lottie, wird die Geschichte immer interessanter.« »Ich glaube trotzdem nicht, dass Donny jemanden wie diesen Erhängten gekannt hat.« Sie brach ab, sammelte sich und fuhr fort: »Es muss eine plausible Erklärung geben. Ein Zufall. Vielleicht hat Partlow den Wagen gestohlen und zurückgegeben. Niemand hat's gemerkt.«
»Das haben wir uns auch überlegt, aber was ich von Ihnen brauche, sind Einzelheiten: Dons Stimmung, hat er etwas von Zukunftsplänen gesagt? So was in der Art.«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte Lottie. »Entschuldigen Sie. Ich hätte Ihnen gleich etwas anbieten sollen, als Sie hereinkamen.«
»Ein heißer Kaffee würde Wunder wirken.«
»Sahne und Zucker?«
»Viel Sahne, wenig Zucker.«
Lottie drückte einen Knopf an ihrer Telefonanlage. »Franny, zwei Tassen Kaffee. Für mich wie immer und die andere mit viel Milch und wenig Zucker. Danke.« Sie wandte sich wieder Coop zu. Lottie fand, Cooper, die gut aussah, könnte noch besser aussehen. Mit etwas Glück könnte eine große, schlanke Frau wie Cooper in einem Bezirk wie Albemarle eine gute Partie machen, doch die Arbeit als Polizistin verdarb ihr die Chancen, es in der Welt weit nach oben zu bringen. Lottie fragte sich, warum die Frauen solche Dinge nicht bedachten.
Das Leben würde immer leichter sein, wenn man sich mit einem reichen Mann verband.
Sie plauderten, bis ihnen der Kaffee serviert wurde. Als Franny sich zurückzog, nahm Lottie einen tiefen Schluck, Cynthia desgleichen.
»Danke. Das ist genau, was ich gebraucht habe.«
»Um das klarzustellen, Donald Clatterbuck und ich hatten nichts miteinander. Er hat mich zu Mims Party begleitet. Natürlich mochte ich ihn. Wer nicht? Sie wissen, warum ich, also ich will nicht näher darauf eingehen, aber es wurmt mich immer noch, dass BoomBoom mir nicht erlaubt hat, Diego Aybar die Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Ich tu so etwas zu gern, und Harry hat doch schon einen Verehrer. Das hat mich einfach geärgert. Und so bin ich bei Donald gelandet.« Sie sah Cooper eindringlich an, aber Cooper verriet ihrerseits keinerlei Gefühle, daher fuhr Lottie fort. »Er war unheimlich nett. Ich war ja nicht besonders scharf auf ihn gewesen. Ehrlich gesagt, ich hatte ihn gar nicht beachtet. Verstehen Sie, er war bloß Arbeiterklasse. Aber er hatte wirklich Ehrgeiz, was mich erstaunt hat.«
»Inwiefern?«
»Er sagte, er wollte mit seinem Lederdesign-Geschäft ins Internet. Er arbeitete an einer Website, wo er Techniken darstellen wollte. Ich verstehe nichts von Lederdesign und -reparatur, aber ich erinnere mich, dass er sagte, er wolle die unterschiedliche Qualität von Fellen zeigen. Er meinte, dann würde er Spezialaufträge für Dinge wie Sofas, Couch-Schonbezüge, sogar Stiefel kriegen.«
»Er war gut.« Cooper seufzte.
»Er wollte auch mit seinem Präparier-Geschäft ins Internet. Er sagte, er sollte reiche Aufschneider konservieren und Lackaffenstopferei auf sein Ladenschild schreiben. Er hatte viel Sinn für Humor.«
»Dann wirkte er also positiv?«
»Ja. Er sprach vom Sparen, um die Farm seines Großvaters zu kaufen. Es sei ein gutes Jahr gewesen, und er wollte Mr. Mawyer ein Angebot machen. Er erwähnte, dass sonst niemand in der Familie interessiert sei. Ein Glück für ihn.« »Keine Wolken am Horizont?«
»Nein. Falls doch, hat er nichts davon gesagt. Sie meinen, ob er Angst vor etwas hatte oder vor jemand?«
»Ja, in Anbetracht dessen, dass er erschossen wurde, würde ich .«
Lottie unterbrach sie. »Und wenn der Mord ein Irrtum war? Wenn derjenige, der ihn umgebracht hat, den Transporter sah und dachte, es sei jemand anders?«
»Möglich ist alles.« Coop trank ihre Tasse aus.
»Möchten Sie noch einen?«
»Nein danke. Mir ist endlich warm geworden. Wenn ich keine zweite Uniform in meinem Spind hätte, säße ich jetzt hier und würde Ihren Fußboden voll tropfen. So kalt ist es gar nicht, aber mich hat's gefröstelt.«
»Finden Sie das denn nicht furchtbar?«, fragte Lottie mitfühlend.
»Hatten Sie den Eindruck, dass Don noch einmal mit Ihnen ausgehen wollte?«
»Bei uns hat's einfach nicht gefunkt. Wie soll ich sagen? Die Chemie hat nicht gestimmt.« Sie tupfte ihre Lippen mit der kleinen Serviette ab, die Franny mit dem Kaffee gebracht hatte. »Apropos Chemie, Harry und Diego!«
Coop lächelte. »Wer weiß?«
»Denken Sie, sie ist für immer mit Fair fertig? Ich meine, ich dachte, deswegen hat BoomBoom sie mit Diego zusammengebracht. Boom wollte Fair von Harry weghaben. So ist sie eben.«
»Ich weiß nicht. Das ist lange her, das mit BoomBoom und Fair. Fünf Jahre . oder fast. Ich glaube nicht, dass Boom ihn wiederhaben will.«
»Sie will alle. Sie ist nicht glücklich, wenn nicht alle Männer sie umkreisen wie einen Honigtopf.« »Dann hätte man annehmen sollen, sie würde Diego für sich selbst reserviert haben.« Cooper beobachtete Lotties Reaktion ganz genau.
»Steinmetz ist ein größerer Fisch und vermutlich auch reicher. Sie lässt keinen Trick aus. Ich kann es nicht ausstehen, wie die Männer um sie herumscharwenzeln.«
»Sie ist schön.«
»Künstlich.« Lottie rümpfte die Nase.
»Don hat wenig Interesse gezeigt.«
»Sie sind zusammen aufgewachsen. Er hat sie durchschaut.«
»Aber Lottie, Fair ist auch mit ihr aufgewachsen.«
Da sie es keinesfalls schätzte, auf einen Irrtum in ihrer Argumentation hingewiesen zu werden, erstarrten Lotties Schultern ein bisschen, dann wurden sie wieder locker. »Donald war vernünftiger.« Sie sah auf den trüben Tag hinaus, dann sah sie Cooper wieder in die Augen. »Es tut mir Leid, dass er tot ist. Er war ein netter Mensch. Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand ihn töten wollte.«