30

Den ganzen Abend liefen in Crozet und Albemarle County die Telefondrähte heiß. Normalerweise trieb eine Krise die Menschen zusammen, aber das anhaltend schlechte Wetter hielt die Leute zu Hause fest.

Harry versuchte Diego anzurufen, gab es aber auf, weil sie mit den internationalen Vorwahlnummern nicht klar kam. Die Kennnummer von Uruguay war 598, aber sie bekam die Anzahl von Nullen und Einsen nicht auf die Reihe, um eine Verbindung herzustellen. Sie hatte richtig ausgerechnet, dass Diego der Ostküstenzeit um zwei Zeitzonen voraus war. Das war ein Sieg. Es fiel ihr schwer genug, die Zeit in ihrer eigenen Zeitzone einzuteilen. Letztendlich gab sie sich einen Ruck und rief BoomBoom an.

»Ich hab's gerade gehört!« BoomBooms aufreizende Stimme klang höher als sonst.

Sie unterhielten sich über die traurige Neuigkeit, dann fand Harry, sie habe ihren guten Manieren Genüge getan und könne ihre Frage stellen. »Hast du was von Thomas gehört?«

»Heute Morgen.« BoomBoom ließ den Köder baumeln, so dass Harry gezwungen war, noch eine Frage zu stellen.

»Ich frage dich deswegen, weil ich Diego nicht erreichen kann und, hm ...«

»Offenbar steckt ihre Regierung in einer Krise wegen Anleihen beim Internationalen Währungsfonds oder so was. Diego ruft dich an, sobald er eine Minute Zeit hat.«

»Ich dachte, das sei ein Problem in Argentinien, nicht in Uruguay, aber was weiß ich denn schon?« Sie seufzte.

»Wir neigen dazu, Südamerika zu ignorieren, was wirklich dumm ist, wenn man es recht bedenkt. Immerhin sind wir alle Teil der Neuen Welt.«

»Er hat vermutlich eine Geliebte in Montevideo.« Harry lag im Moment nichts an amerikanischen Versäumnissen. Ihr lag an Diego.

»Nein, hat er nicht. Das würde ich dir doch nicht antun ... nicht, wenn ich es wüsste. Aber er hat keine. Fühlst du dich jetzt besser?«

»So lala.« Sie ging zum Herd, schaltete die Flamme unter dem Wasserkessel ein. »Boom, diese Schweißarbeit, die du machst - könntest du Schlösser aufschneiden?«

»Klar.«

»Stahlplatten?«

»Ja, aber das würde eine Weile dauern. Ich arbeite mit dünnen Blechen. Die Ausschnitte sind stabil genug, um auf dem Sockel zu stehen, den ich für sie mache. Aber eine schwere Stahlplatte, wie solche, die man hinten an Lieferautos montiert, um Anhänger einzuhaken, also so eine Platte, das würde lange dauern. Wieso?«

»Donny hatte so einen riesengroßen alten Tresor. Wenn Rick die Kombination nicht findet, muss er ihn aufbrechen.«

»Das wird ein schweres Stück Arbeit.«

»Ich weiß, aber wenn du mitmachst, wären wir zuerst drin. Ich könnte helfen.«

»Harry.« BoomBoom überlegte. »Was denkst du, was in dem Tresor ist?«

»Keine Ahnung, aber ich möchte es gern rausfinden, du nicht? Vielleicht verrät es uns, warum Donny erschossen wurde. Ruf doch Rick jetzt an und melde dich dann bei mir.«

»Hm - na gut.« BoomBoom legte auf. Nach wenigen Minuten rief sie zurück. »Harry, er ist jetzt in Donnys Werkstatt und sagt, er ist froh über die Hilfe. Wir treffen uns dort in fünfzehn Minuten. Ich hab ihm gesagt, ich brauche dich, um den Sauerstoff in den Flaschen zu regulieren.«

»Hat er das geglaubt?«

»Äh - mehr oder weniger.«»Okay, in fünfzehn Minuten.«

Загрузка...