Ein Gespräch in der Nacht

Das Wissen um das, was kommen musste, ließ Alfadas keine Ruhe. Er hatte sogar überlegt, Asla und die Kinder nach Albenmark mitzunehmen und dort vor den Trollen davonzulaufen. Doch wohin sollte er gehen als Mensch unter Albenkindern? Zu viele kannten ihn. Wer würde den Ziehsohn Emerelles aufnehmen, wenn die Trolle die Königin verfolgten? Wie Alfadas es auch drehte und wendete, seine Lage war hoffnungslos. Wenn Asla in Firnstayn blieb, dann war sie wenigstens unter Freunden. In dem Dorf, in dem sie aufgewachsen war, würde sie noch am leichtesten darüber hinwegkommen, wenn er nicht wiederkehrte.

Es war dunkel, als Alfadas den schmalen Weg zum Fjord hinabging. Eine unscheinbare Hütte nahe dem Wasser war sein Ziel. Hinter dem dünn geschabten Leder, das das einzige Sonnenloch in den Wänden gegen den Wind abschirmte, brannte gelbes Licht.

Unschlüssig blieb der Jarl kurz vor der Hütte stehen. Tat er das Richtige? Er legte den Kopf in den Nacken, um nach den Sternen zu sehen, als wüssten sie eine Antwort. In weiten Bögen zog das geisterhaft grüne Feenlicht über den Himmel. Wehmütig dachte Alfadas an die Märchen, die ihm sein Vater auf ihrer gemeinsamen Reise über solche Nächte erzählt hatte. Dann kamen die Elfen und Trolle in die Welt der Menschen, hieß es. Für diesen Herbst waren die Märchen Wirklichkeit geworden. Und seine Freundschaft zu den Elfen hatte ihm kein Glück gebracht.

Alfadas trat entschlossen vor die Tür der kleinen Hütte. Er musste die Dinge in dieser Welt in Ordnung bringen, bevor er nach Albenmark ging. Hinter der Tür hörte er Kalf summen und geschäftig rumoren. Als Alfadas klopfte, verstummte die Melodie. Die Tür schwang auf. Kalf sah ihn überrascht an. Der stattlich gebaute Fischer kam langsam in die Jahre. Sein langes blondes Haar war an den Schläfen ein gutes Stück zurückgewichen. Fältchen hatten sich um seine Augen und Mundwinkel eingenistet. Alfadas wusste, dass er nicht gerade der liebste Gast des Fischers war, dennoch wurde er freundlich hereingebeten. Verlegen räumte Kalf einige Kleider zur Seite, die auf dem Boden verstreut lagen.

Die kleine Hütte verströmte einen intensiven Fischgeruch. Auf dem Tisch lagen drei schlanke, silberne Leiber. Ihre Bäuche waren aufgeschlitzt. Kalf hatte damit begonnen, die Schuppen abzuschaben.

»Die ersten Salme«, stellte Alfadas überrascht fest.

Kalf grinste wie ein kleiner Junge, dem ein Streich gelungen war. »In diesem Jahr sind sie dir durchgegangen, Jarl. Sie kamen mit der Dämmerung den Fjord hoch. Noch sind es nur einzelne. Die ersten Späher des großen Fischzugs.«

Eifersüchtig betrachtete Alfadas die Salme. Die Silberernte hatte begonnen, und er musste fort. Abertausende Salme würden in den nächsten zwei Wochen den Fjord hoch ziehen und weiterwandern, die kleinen Flüsse und Bäche hinauf in die Berge. Sie brachten dem Dorf eine zweite Ernte. Ihr zartes rotes Fleisch würde Firnstayn über den Winter bringen. Schon morgen würden die Feuer in den dunklen Räucherschuppen entfacht werden.

Alfadas ließ sich auf einem Schemel nieder. Es hieß, wer den ersten Salm fing, dem stünde ein gutes Jahr bevor. Er war also bei dem richtigen Mann.

»Geht es gut mit den Kindern?«, fragte Kalf unbeholfen.

»Ja ... Nein.« Alfadas rückte seinen Schwertgurt zurecht. Der Griff der Waffe drückte unangenehm in seine Seite. »Es geht den Kindern gut, aber mir geht es schlecht. Ich versuche, es sie nicht merken zu lassen. Ulric werde ich morgen mit mir nehmen, wenn ich nach Honnigsvald reite, um das Heer zu formen. Ich möchte den Jungen noch um mich haben. Kadlin ist zu klein ... Und Asla kann nicht fort von hier. Die Salme ... Das Dorf braucht in den nächsten zwei Wochen jedes Paar Hände, das arbeiten kann.« Er starrte trübsinnig in das halb herabgebrannte Feuer. »Ich wünschte, ich könnte auch hier sein.«

Kalf nahm sein Messer und zerlegte einen der großen Salme. Er schob die großen Fischstücke auf Spieße und hängte sie über das Feuer. Beide Männer schwiegen. Zischend troff Fett in die Glut.

Alfadas wusste zu schätzen, dass der Fischer ihn nicht mit Fragen bedrängte. Kalf holte einen Kanten altbackenes Brot aus einem Leinenbeutel und legte es auf den Tisch. Dann füllte er einen schlichten hölzernen Becher aus einem Krug.

»Ich bin wegen Asla hier«, brach der Jarl das Schweigen.

Die klaren, blauen Augen des Fischers verengten sich. »So.« Das war alles, was er dazu sagte.

Alfadas wusste, wäre er nicht in jenem Spätsommer vor acht Jahren nach Firnstayn gekommen, dann hätte Asla sich für Kalf entschieden. Der Fischer war damals Jarl. Und Kalf war beliebt im Dorf, obwohl ... oder vielleicht auch gerade weil er jemand war, der gemeinhin nicht viele Worte machte.

Der Zauber des Fremden hatte Asla in den Bann geschlagen, als Alfadas mit seinem Vater und den Elfen gekommen war. Nacht für Nacht hatte sie an seinen Lippen gehangen, wenn er am Ufer am Feuer saß und allen Neugierigen von den Abenteuern erzählte, die er mit Mandred und den Elfen erlebt hatte.

Inzwischen war der Zauber des Fremden zu ihrem Fluch geworden, dachte Alfadas bitter. Das war es, was zwischen ihm und seinem Weib stand. Mehr noch als die langen Kriegszüge im Dienste des Königs, die ihn oft für viele Monde in die Ferne führten.

»Wirst du nach Asla sehen?« Alfadas sprach sehr leise. Es kostete ihn große Überwindung, die Worte überhaupt herauszubringen.

Kalf liebte Asla noch immer. Er hätte jede junge Frau im Dorf haben können. Selbst jetzt noch, wo er langsam in die Jahre kam. Seine Beliebtheit war ungebrochen, auch wenn sie ihn nicht mehr zum Jarl wählten. Aber der Fischer hatte es vorgezogen, allein zu bleiben. Alfadas war sich sicher, wenn es Asla nicht gegeben hätte, wären sie beide Freunde geworden. Er empfand großen Respekt vor Kalf, auch wenn er es nicht schätzte, ihn bei seinem Haus zu sehen.

Kalf sah ihn eindringlich an. »Asla ist ein Weib, das sehr gut auf sich allein Acht geben kann, Jarl. Du weißt das.«

»Ich war noch nie im Winter weg.« Alfadas dachte daran, wie er in den letzten Jahren während der dunklen Tage am Feuer gesessen und geschnitzt hatte. Oder wie er mit Ulric über Tische und Bänke getobt war, um wilde Holzschwertduelle auszutragen. Der Winter hatte stets die Wunden des Sommers geheilt. Ganze Nächte hatte er mit Asla im Arm da gelegen und auf das Heulen des Sturmwinds gelauscht. Und sie hatten sich geliebt. Fast jede Nacht. Im Winter hatte er ihr der Mann sein können, den sie sich wünschte.

»Es wird schwer sein für Ulric.« Alfadas‘ Stimme klang rau wie manchmal morgens, wenn er in der Nacht zuvor zu viel Met getrunken hatte. »Er hat sich auf den Winter mit mir gefreut. Ich hatte ihm versprochen, ihn mit in die Berge auf die Jagd zu nehmen. Wirst du ihm das Jagen beibringen, Kalf?«

Der Fischer lächelte freundlich. »Man lernt das Jagen nicht in einem einzigen Winter. Ich nehme ihn gern mit auf die Pirsch ... Aber gräme dich nicht. Du wirst dem Jungen noch eine Menge beibringen können, wenn du wiederkommst.« Kalf nahm einen der Spieße vom Feuer und legte ihn vor dem Jarl auf den Tisch.

»Diesmal hast du nicht den ersten Salm des Herbstes gefangen, aber es würde mich freuen, wenn du als Erster von der Silberernte kosten würdest.«

Alfadas wusste die Geste zu schätzen. Vorsichtig biss er vom heißen Fisch ab. Er war köstlich saftig. Fett rann dem Jarl von den Mundwinkeln.

Auch Kalf aß nun. »Wird ein gutes Jahr für Fische«, verkündete er auf beiden Backen kauend.

Alfadas nickte stumm. Hatte Kalf die Andeutung mit der Jagd nicht verstanden? Kein Mann am Fjord würde einen anderen darum bitten, seinen Sohn die Kunst der Jagd zu lehren, es sei denn ...

Er kam wohl nicht umhin, klare Worte zu sprechen! Andeutungen waren hier fehl am Platz. Er würde keine Ruhe fmden, wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass Kalf ihn verstanden hatte.

»Jeder Sieg wird mit Toten erkauft«, sagte er unvermittelt.

Kalf sah ihn einfach nur an und aß weiter.

»Wenn mir etwas zustößt, dann möchte ich, dass du nach meiner Familie siehst! Ich weiß, wenn du meinen Sohn aufziehen würdest, würde er ein guter, aufrechter Mann werden. Asla denkt sicher genauso.«

Kalf legte seinen Fischspieß zur Seite. »Du bist der beste Schwertkämpfer des Fjordlands. Wer sollte dich bezwingen?«

»Dort, wo wir hingehen werden, war ich nicht mehr als ein begabter Schüler. Gegen die Trolle in den Krieg zu ziehen, das ist so aberwitzig, als würde ich dir befehlen, eine stürzende Eiche aufzufangen. Ganz gleich, wie geschickt und stark du bist, der riesige Stamm wird dich zermalmen, wenn du ihm im Weg bist. So wird es sein, wenn wir uns den Trollen in den Weg stellen.«

Kalf runzelte die Stirn. »Das musst du dem König sagen.«

»Er weiß es.«

Der Fischer schüttelte den Kopf. »Das macht doch keinen Sinn.«

»Er will mich loswerden, Kaff. Mich und viele andere Krieger.«

»Du bist nie besiegt worden, Jarl. Warum sollte er dich in den Tod schicken? Er würde sich selbst schaden, wenn er dich opfert. Ich bin sicher, du wirst wiederkehren.«

Alfadas seufzte. Kalf hätte allen Grund, nicht unglücklich zu sein, wenn er nicht wiederkehrte. Schließlich war er es gewesen, der das Leben des Fischers aus der Bahn gebracht hatte. Und jetzt versuchte Kalf, ihm Mut zu machen. Er war der richtige Mann! »Ich weiß, dass du Asla noch immer liebst.«

»Was hat das mit deinem Krieg zu tun?«

»Wenn sie Hilfe braucht, dann sei für sie und die Kinder da. Das ist alles, worum ich dich bitten möchte.«

»Das war ich immer schon«, entgegnete er sanft.

Der Tonfall, in dem Kalf das sagte, versetzte Alfadas einen Stich. »Und du hast schon Recht. Ich bin verdammt schwer umzubringen. Vergiss das nicht.«

Der Fischer lächelte entwaffnend. »Nicht ich bin der Mann, den du davon überzeugen musst.«

Alfadas hatte einen Kloß im Hals. Dieser verdammte Mistkerl! Er hatte doch allen Grund, sich seinen Tod zu wünschen. Der Jarl öffnete den Lederbeutel an seinem Gürtel und legte einen verschrumpelten Vogelfuß, groß wie eine Kinderhand, auf den Tisch. Ein langer Riemen war daran befestigt.

»Was ist das?«, fragte Kalf verwundert.

»Das Geheimnis, warum die Fische bei mir besser beißen als bei dir. Er ist aus Albenmark. Ich habe ihn von meinem Vater. Der hat ihn einem Pferdemann abgeschwatzt. Ich weiß nicht, zu welchem Vogel dieser Fuß gehört, aber er vermag Fische anzulocken. Man muss ihn nur ins Wasser hängen, still stehen und ein wenig warten.«

Kalf nahm den Fuß, drehte ihn zwischen den Fingern und sah ihn sich von allen Seiten an. »Und ich hatte schon mit den Göttern gehadert, weil du auch noch ein besserer Fischer warst als ich. Hoffe nicht darauf, dass ich ihn dir zurückgebe, wenn du im nächsten Frühjahr wiederkehrst.«

Kalfs Zuversicht hatte etwas Ansteckendes. »Ich werde mir einfach einen neuen Vogelfuß aus Albenmark mitbringen. Glaube nicht, dass ich dich kampflos zum König der Fischer werden lasse.« Der Jarl lachte. Aber plötzlich war die Angst wieder da. Wie ein großer Eisklumpen saß sie in seinem Bauch.

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