Stangenbeile und Spiesse

Alfadas zog den Stützriemen seines Schildes über die Schulter und nickte Lambi zu. Der verstümmelte Krieger reckte seinen Knüppel hoch. »Seid ihr bereit, ihr götterverfluchten Hurensöhne?«

Statt zu antworten, schlugen sich die Krieger mit den Knüppeln auf die Schilde. Etwas mehr als fünfzig waren es mittlerweile. Erfahrene Kämpen, die schon etliche Schlachten geschlagen hatten. Nur war der größte Teil von ihnen nicht freiwillig hier! Alfadas hatte ihnen die Ketten abnehmen lassen, damit sie während der langen Übungsstunden besser kämpfen konnten, aber die eisernen Fuß- und Beinreifen hatten sie behalten. Und jede Nacht wurden sie in ihrem Quartier angekettet.

»Macht ihnen Angst!«, rief Lambi. Der ehemalige Jarl hatte es überraschend leicht aufgenommen, als Silwyna ihn im Schwertkampf besiegt hatte. Noch überraschter war Alfadas, dass Lambi tatsächlich noch keinen Fluchtversuch unternommen hatte. Solange er ihn unter Kontrolle hielt, würden sich auch die übrigen Krieger fügen. Zumindest diejenigen, die nicht freiwillig hier waren.

»Macht mehr Krach!«, schrie Lambi und drosch auf seinen Schild ein. »Und geht nicht so dicht beieinander. Vergesst nicht, wir sind riesige Ungeheuer, die darauf brennen, ein paar Bauernschädel einzuschlagen. Wir sind nicht hier, um uns unsere Ärsche aneinander zu reiben. Das könnt ihr diese Nacht wieder machen, wenn sie uns im Stall anketten!«

Die Krieger mochten seinen derben Humor. Sie lachten und folgten seinem Befehl. Ihre Reihe fächerte weiter auf. Alle waren sie mit Lederpanzern oder Kettenhemden, Schilden und Helmen gewappnet wie zur Schlacht. Doch statt Äxten und Schwertern trugen sie nur schwere Knüppel. Sie zogen über den Kies des Ufers der Formation der Bauern entgegen. Silwyna, Mag und ein halbes Dutzend andere führten dort das Kommando. Fluchend versuchten sie die Bauern in Formation zu halten. Die ersten vier Reihen waren mit fünf Schritt langen Spießen bewaffnet. Fast fünfhundert Mann. Darauf folgten zwei Reihen mit Männern, die Stangenbeile trugen. Isleif, ein Schmied aus irgendeinem Dorf, von dem Alfadas noch nie zuvor gehört hatte, hatte diese neuartige Waffe ersonnen. Man nahm ein Beil, setzte es auf eine zwei Schritt lange Stange und versah die Spitze der Stange mit einem eisernen Dorn. Mit diesen Beilen konnte man zuschlagen, bevor man in Reichweite der Trollkeulen geriet. Alle Schmiede in Honnigsvald waren derzeit damit beschäftigt, Stangenbeile zu fertigen.

Der dritte Block in der Bauernformation bestand aus Bogenschützen. Sie sollten über die Köpfe ihrer Kameraden hinweg schießen.

»Schießt!«, erklang die klare Stimme Silwynas. Surren erfüllte die Luft. Alfadas riss im Reflex seinen Schild hoch. Doch die Mühe hätte er sich sparen können. Die mit Lumpen umwickelten Pfeile schlugen ein ganzes Stück vor ihnen in den Kies.

Es waren nur noch zwanzig Schritt bis zu den Spießträgern der vordersten Reihe.

»Lauft!«, schrie Lambi.

Im selben Augenblick senkten sich die langen Piken. Obwohl Mag und seine Leute das Manöver schon seit Tagen übten, geriet ihre Formation in Unordnung.

Eine zweite Salve Pfeile verfehlte die Angreifer. Diesmal hatten die Bogenschützen zu weit geschossen. Mit ohrenbetäubendem Krachen prallten die Krieger in die Pikenformation. Eigentlich sollten die Verteidiger mehrere Speerspitzen auf jeden Angreifer richten, doch sie gerieten hoffnungslos durcheinander. Alfadas drückte zwei Piken mit seinem Schild zur Seite. Dadurch, dass die Bauern vier Reihen tief standen, bedrohten ihn immer noch etliche Stahlspitzen. Wütend drosch er auf eine Pike ein. Einige der Krieger rechts und links von ihm gingen zu Boden. Die Bauern aus der vierten Reihe hatten lange Haken an den Speerblättern angebracht und angelten damit nach den Fersen der Angreifer.

Lambi hatte sich bis zu den Bauern vorgearbeitet. In bester Laune stieß er den Männern seinen Knüppel vor die Brust. »Du bist tot!«, rief er. »Und du bist tot! Und noch ein totes Bäuerlein für meine Festtafel!« Etliche der Pikenträger ließen ihre Waffen fallen, die nicht mehr zur Verteidigung taugten, wenn die Angreifer erst einmal am Speerblatt vorbei waren. Sie rannten in die Männer mit den Stangenbeilen, die vorgehen sollten, sobald die Pikenformation zu zerbrechen drohte.

Mag versuchte mit wütenden Rufen seine Männer auf ihren Posten zu halten. Lambis Krieger schlugen sich lachend ihren Weg durch das hilflose Menschenknäuel. Wenigstens hatte Silwyna ihre Bogenschützen noch unter Kontrolle. Sie zogen sich wohlgeordnet zurück.

Alfadas schob zwei Männer zur Seite und griff nach dem Horn an seinem Gürtel. Ein lang gezogenes Signal war das Zeichen, die Schlacht zu beenden. Die Kämpfenden trennten sich voneinander. Einige Männer bluteten; im Rausch des Gefechts hatten sie sich nicht mehr zügeln können. Der Herzog nahm das billigend in Kauf. Wer einen Knüppel über den Scheitel gezogen bekommen hatte, würde beim nächsten Mal vielleicht besser seine Stellung halten. Oder er würde noch schneller davonlaufen.

Stöhnend ließen sich die Krieger entlang des Ufers nieder. Es war ein sonniger Tag. Auf dem Fjord wimmelte es nur so von Booten. Auch bei Honnigsvald war die Flusssilberernte in vollem Gange. Die ganze Stadt atmete den würzigen Duft der Räucherhäuser. Kaum jemand hatte Zeit, sich die Übungen am Flussufer anzusehen. Alfadas ging zu dem Felsen, von dem aus Ulric der Schlacht zugesehen hatte. Sein Sohn empfing ihn mit stolzem Lächeln.

»Du hast wieder gewonnen, Vater! Niemand kann dich und deine Krieger aufhalten.«

»Tja, so sieht es aus.« Der Herzog legte seinen Schild ab und öffnete den Kinnriemen seines Helms. Müde griff er nach der Wasserflasche, die Ulric gehütet hatte. Jeder dieser Siege ließ seine Hoffnung sinken, lebend aus Albenmark zurückzukommen.

»Stimmt etwas nicht, Vater?«, fragte Ulric plötzlich besorgt.

Was sollte er seinem Jungen darauf sagen? Alles stimmte nicht! »Wir werden noch sehr viel üben müssen, bis mein Heer gut kämpft.«

Ulric nickte. »Bleibe lieber in der Nähe von Lambi und den anderen Kriegern. Sie kämpfen besser.«

»Ich danke dir für deinen Rat, mein Sohn«, sagte er ernst. Er hatte viel zu wenig Zeit mit Ulric verbracht. Es wäre klüger gewesen, ihn gar nicht mitzubringen. Doch der Junge genoss es, unter den Kriegern zu sein. Für ihn war die Reise ein großes Abenteuer. »Was glaubst du denn, wer der beste Schwertkämpfer ist?«

Ulric deutete zu den Bogenschützen. »Silwyna. Niemand wird so gut auf dich achten wie sie!«

Die Antwort versetzte Alfadas einen Stich. Ahnte sein Sohn etwas? »Ist sie wirklich so gut?«

Der Junge nickte. »Ich habe ihr zugesehen. Du warst doch dabei, als sie Lambi besiegte. Erst hat sie so getan, als könne sie seine Hiebe nur mit Mühe parieren. Er hat sich müde gekämpft. Und dann plötzlich ... Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie ihn entwaffnet hat. Es war, als habe sie eine falsche Haut abgestreift. Plötzlich war sie jemand ganz anderes. Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt und sie dann plötzlich tötet. Ich finde ihre Augen unheimlich. Gut, dass sie deine Freundin ist. Sonst würde ich mich vor ihr fürchten.«

Alfadas war erleichtert, als er diese Argumente hörte. Und zugleich war er stolz auf seinen Sohn. Der Vergleich mit der Katze hatte ihm gut gefallen. So war Silwyna wirklich! Elegant, unberechenbar, tödlich. In ihr lebte etwas Wildes, dem er nie nahe gekommen war. Und oft hatte er gedacht, dass es diese ursprüngliche Kraft war, das Animalische in ihr, das sie zurück in die Wälder gerufen hatte. Sie konnte nicht anders! Der Herzog schreckte auf. Plötzlich war es still geworden. Das Murmeln der erschöpften Männer war verstummt. Drei Reiter kamen das Ufer des Fjords entlang. Und obwohl Alfadas am Hof Emerelles aufgewachsen war, stockte auch ihm der Atem. Es war, als seien drei Gestalten aus den Sagen der Alten plötzlich in die Welt der Menschen getreten. Zwei der Reiter waren in makelloses Weiß gekleidet. Sie saßen auf Schimmeln, schlanken und zugleich starken Pferden. Rennern, die dem Wind davonlaufen konnten. Der Dritte ritt einen Grauen. Die Farben seiner Gewänder waren grau und weinrot.

Sie alle trugen Brustplatten, die funkelten, als seien sie aus Silber und Gold gefertigt. Gleißend brach sich das Licht auf den Helmen. Weite Umhänge bauschten sich hinter ihnen, und von den Helmen flatterte Rosshaar im Wind. Jede ihrer Bewegungen wirkte majestätisch. Kein Mensch würde je so vollendet im Sattel sitzen, konnte so sehr eins sein mit den Bewegungen der Rosse. Atemlos sahen alle zu, wie die geheimnisvollen Reiter näher kamen und direkt auf Alfadas zuhielten. Der Herzog erkannte seinen Lehrmeister, auch wenn dessen Gesicht hinter dem Helm mit dem Nasenschutz und den weit herabgezogenen Wangenklappen fast völlig verborgen blieb.

Die drei zügelten ihre Rosse kaum anderthalb Schritt vor ihm. Ulric drückte sich an Alfadas‘ Seite.

Der Anführer der Reiter saß ab und kniete überraschend vor dem Herzog nieder. »Ich grüße dich, Alfadas Mandredson! Mein Volk schickt mich, um dir zu Diensten zu sein. Wir sollen helfen, deine Krieger auszubilden, um sie nach Albenmark zu führen, wenn die Zeit gekommen ist.«

Alfadas war der Auftritt seines Fechtmeisters und Ziehvaters unangenehm. Er packte Ollowain bei den Schultern. »Du solltest nicht vor mir knien«, sagte er leise. »Ein Meister kniet nicht vor seinem Schüler.« Der Elf antwortete darauf nicht, doch erhob er sich. Dem Herzog war klar, was diese Geste zu bedeuten hatte. Sie sollte seine Stellung unter den Menschen stärken. Alle sollten sehen, dass selbst die unheimlichen Elfenkrieger dem Feldherrn Alfadas Mandredson Respekt erwiesen.

»Es tut gut, dich zu sehen, Alfadas«, sagte Ollowain leise und drückte seinen Arm. Der Schwertmeister wandte sich den beiden anderen Elfen zu. »Darf ich vorstellen, Lysilla und Ronardin.«

Die beiden waren inzwischen ebenfalls abgesessen und hatten die Helme abgenommen. Die Elfe streckte Alfadas die Hand entgegen. Als er ihr in die Augen sah, zuckte er unwillkürlich ein wenig zurück. Sie lächelte amüsiert. Offensichtlich reagierten nicht nur Menschen so auf sie. Lysilla hatte etwas Unnahbares, Unheimliches. Ihr Händedruck war fest und kühl. Ganz anders Ronardin. Er wirkte herzlich und neugierig. Seine Augen wanderten rastlos hin und her, begierig, sich nichts von der Welt der Menschen entgehen zu lassen.

Alfadas unterrichtete die Elfen über den Stand der Ausbildung. Lysilla und Ronardin blieben völlig ungerührt, als er ihnen davon erzählte, dass die Mehrheit der Männer keine Krieger waren und ihr Wert in einer Schlacht, vorsichtig ausgedrückt, zweifelhaft war. Ollowain hingegen war seine Betroffenheit deutlich anzusehen. In den folgenden Tagen war es vor allem der Schwertmeister, der all sein Können und seinen Erfindungsreichtum daransetzte, die Menschen so gut wie möglich auszubilden. Er ließ Puppen aus Weidenruten flechten, die so groß wie ein Troll waren und doch zugleich so leicht, dass ein einziger Mann sie ohne Mühe heben konnte. Immer wieder ließ er die erfahrenen Krieger unter diese Puppen schlüpfen und gegen die Formation der Pikenträger anstürmen. So wollte er erreichen, dass nicht allein der Anblick der Trolle die Menschen schon völlig demoralisierte. Auch wurde er nicht müde, jedem Einzelnen zu erklären, wo ihre riesigen Gegner am verwundbarsten waren.

Ronardin und Lysilla unterrichteten die etwa hundert erfahrenen Krieger. Und sie schafften es, fast alle davon zu überzeugen, ihre Rüstungen und Schilde abzulegen, da der beste Schutz gegen Trolle die Beweglichkeit war. Alfadas widmete sich vor allem den Pikenträgern. Immer wieder erklärte er, wie wichtig es war, sich nicht als eine starre Wand aus langen Speeren zu verstehen. Sie sollten ihre Waffen gezielt auf einzelne Angreifer ausrichten, um sie mit möglichst vielen Speerblättern zu verwunden. Auch sollten sie die Piken schräg gegen den Boden stemmen und mit einem Fuß abstützen, weil kein Mann der Welt die Kraft hätte, dem Aufprall eines Trolls standzuhalten. Gerade was dies anging, hoffte Alfadas auf die Lehren, die seine Männer aus dem letzten Übungsgefecht ziehen würden.

Abends, wenn die Freiwilligen sich von den Strapazen des Tages erholen konnten, wurden die Unterführer zusammengerufen und erhielten in der Festhalle von Honnigsvald noch zusätzliche Unterweisungen. Silwyna erzählte von den verschiedenen Völkern Albenmarks und davon, welche Geschöpfe sie schon bald treffen würden. Lysilla und Ronardin versuchten, sie auf die Härte des Winters in der Snaiwamark vorzubereiten und wie sie sich bald auf wunderbare Weise gegen die Kälte schützen würden. Sie erzählten von Eisseglern, den Tücken der Gletscherspalten und malten auf große Holztafeln Karten der Snaiwamark und der angrenzenden Regionen. Auch zeichneten sie Pläne der Festung Phylangan auf und markierten darauf die Quartiere, die man für die Menschen vorgesehen hatte, sowie die Stellungen, die man den Männern des Fjordlands zur Verteidigung zuweisen wollte.

Alfadas war froh, wenn er dazu kam, vier oder fünf Stunden Schlaf zu finden. Ulric hielt sich, obwohl er sein Pony bekommen hatte, fast immer an seiner Seite. Begierig lauschte er abends allem, was er über Albenmark erfahren konnte, ja manchmal wagte er es sogar, den Kriegsrat mit Fragen zu unterbrechen.

Bis zuletzt trafen jeden Tag neue Freiwillige ein. Alfadas konnte es nicht fassen: Trotz all der abschreckenden Geschichten, die er in Umlauf gebracht hatte, riss der Zustrom der Verzweifelten, die bereit waren, alles zu riskieren, nicht ab. Da sie nicht mehr richtig ausgebildet werden konnten, wurden die Neulinge zu den Bogenschützen und den Kämpfern mit den Stangenbeilen geschickt. Unter den Pikenieren wollte der Herzog niemanden dulden, der seinen Mut nicht in all den mühsamen Übungsstunden der letzten beiden Wochen bewiesen hatte. Ein einziger Mann in der vordersten Reihe, der seine Waffe fortwarf, konnte eine Lücke öffnen, die den Untergang aller bedeutete.

Endlich kam der Tag der letzten Probe. Der Kriegsjarl Mag hatte es tatsächlich geschafft, zehn Stiere aufzutreiben. Doch selbst er ahnte nicht, was Alfadas beabsichtigte.

Es war kalt an diesem Morgen. Dunst stieg vom Fjord auf und hing gleich weißen Barten im Wald an den nahen Hängen. Mit dem ersten Tageslicht war ihre Truppe ausmarschiert. Alfadas stand wieder auf seinem Felsen. Ulric hielt er an seiner Seite. Alle Übrigen gingen unten entlang des Ufers in Stellung. Die Manöver der verschiedenen Einheiten liefen überraschend gut an diesem Morgen. Pikeniere, Stangenbeilkämpfer und Bogenschützen stellten sich mit dem Rücken zum Fjord auf. Auf den Flanken platzierte Alfadas je einen Trupp aus fünfzig erfahrenen Kriegern. Ragni und Lambi befehligten diese beiden Kriegereinheiten. Sie sollten die Männer vor Angriffen von der Seite abschirmen.

Alle unten am Ufer wussten, dass Alfadas für diesen Morgen eine abschließende Probe vorgesehen hatte. Danach sollte es ein Fest geben, und am nächsten Tag würde das kleine Heer in Richtung Firnstayn abrücken. Der Herzog hatte Schaulustigen verboten, sich am Ufer einzufinden. Wer zusehen wollte, der musste dies von einem Boot aus tun. Zum ersten Mal waren an alle Männer scharfe Waffen ausgeteilt worden. Es war gut, dass ein Block aus neunhundert Mann die Einheiten von Lambi und Ragni trennte. Zwischen den beiden Kriegern hatte sich in den letzten Tagen eine tödliche Rivalität entwickelt. Ragni hatte die Königstreuen um sich gesammelt und Lambi all jene, die man in Ketten nach Honnigsvald gebracht hatte. Bisher war es Alfadas gelungen, diese Rivalität zu nutzen, um beide Gruppen zu Höchstleistungen anzuspornen. Doch inzwischen war das Verhältnis zwischen den Kriegerbanden so schlecht, dass der Herzog befürchtete, sie würden sich gegenseitig an die Kehle gehen, wenn sie nur die Gelegenheit dazu hätten.

»Männer!«, rief Alfadas. Sein Atem stand ihm in weißen Wolken vor dem Mund. »An diesem Morgen wird sich zeigen, was ihr gelernt habt. Vorbei sind die Zeiten, in denen ihr gegen Weidenmänner und freundlich gesonnene Knüppelschwinger gekämpft habt. Hier und jetzt werdet ihr einem Feind aus Fleisch und Blut entgegentreten. Einem Gegner, so ungestüm und unbarmherzig, wie die Trolle es sind. Er lauert im Wald und wartet darauf, euer Blut zu vergießen. Dies ist nun die allerletzte Gelegenheit, die Truppe zu verlassen.« Der Herzog löste ein mit Silber eingefasstes Signalhorn von seinem Gürtel und hielt es hoch über seinen Kopf. Dann deutete er damit auf den dunklen Wald jenseits des Uferstreifens.

»Wenn ich dreimal ins Horn stoße, dann werden unsere Feinde aus der Dunkelheit brechen. Und so wie ihr in Albenmark nicht gegen menschliche Gegner kämpfen werdet, so werdet ihr auch hier gegen einen Feind bestehen müssen, der nicht von eurer Art ist.«

Wie um seine Worte zu unterstreichen, erklang aus dem Wald ein lang gezogenes Heulen. Ein Laut, fast wie Wolfsheulen und doch anders. Alfadas musste sich sehr beherrschen, um nicht zu lächeln. Silwyna machte ihre Arbeit wirklich gut!

Ulric hatte seine kleinen Hände in Alfadas‘ Waffenrock gekrallt. »Uns kann hier oben nichts geschehen«, sagte der Herzog leise.

Am Ufer war es totenstill geworden. Unruhe hatte die Männer gepackt. Außer den Elfen wusste niemand, was bei dieser letzten Probe geschehen würde. Die langen Nebelbänke am Ufer waren dichter geworden. Seine Männer würden erst im allerletzten Augenblick erkennen, was sie angriff.

Von der Flanke, auf der Lambis Krieger standen, erklang trotziges Gelächter. Der Rebell hatte seine Leute gut im Griff. Ihr Lachen wirkte sich auch auf die übrigen Kämpfer aus. Die Spannung ließ ein wenig nach. »Gibt es also keinen, der gehen möchte?«, fragte Alfadas erneut. »Dies ist die letzte Gelegenheit. Wer nach diesem Morgen mein Heer verlässt, den werde ich gnadenlos jagen. Jeder soll sich auf den Mann an seiner Seite verlassen können. Feigheit und Verrat darf keinen Platz in unserer Mitte haben, denn dann sind wir in Albenmark dem Tode geweiht. Wessen Herz also zu schwach ist, der soll gehen! Nicht jeder ist dazu geschaffen, ein Krieger zu sein. Und jetzt zu gehen, erfordert kaum weniger Mut, als dem Feind ins Auge zu blicken. Spottet also nicht über jene, die uns verlassen wollen.«

»Darf ich auch gehen?«, erklang die unverkennbare Stimme Lambis. »Ich bin mutig genug, mich selbst einen Feigling zu nennen, auch wenn ich niemand anderem raten möchte, so von mir zu reden.«

»Du hast deine Gelegenheit, dich zu verabschieden, verwirkt, als du von einem Weibsbild im Schwertkampf besiegt worden bist, Lambi, über dessen Nase man nicht redet.«

Alfadas‘ Worte wurden mit Gelächter aufgenommen.

»Ein Elfenweibsbild, bitteschön!«, rief Lambi beleidigt. »Ein Weibsbild, das tausend Jahre üben musste, um den großen Lambi besiegen zu können!«

Der Herzog überging die Worte des Kriegsjarls. »Also gibt es jemanden, der gehen möchte?« Das Gelächter verebbte. Tatsächlich legten etwa dreißig Männer die Waffen nieder und gingen zur Stadt zurück. Alfadas war überrascht, Kodran, den Ältesten der drei Brüder vom Fährboot, unter ihnen zu sehen.

Als jene, die der Mut verlassen hatte, im Morgendunst verschwunden waren, hob der Herzog sein Horn an die Lippen. Drei kurze, bellende Signale forderten den verborgenen Feind im Wald. Als Antwort erklang noch einmal das lang gezogene Heulen, diesmal begleitet vom Geräusch brechender Äste. Etwas Großes bahnte sich seinen Weg durchs Unterholz.

»Senkt die Piken!«, befahl Ollowain mit ruhiger Stimme. Gemeinsam mit Ronardin stand er in der vordersten Reihe, während Lysilla Lambi und seine Krieger beaufsichtigte.

»Pfeile heraus!«, rief Mag bei den Bogenschützen. Ihm war die Anspannung deutlich anzuhören.

Ein dichtes Nebelband lag zwischen dem Wald und dem Ufer. Plötzlich erbebte der Boden. Kies knirschte. Schwere Hufe donnerten vor ihnen. Selbst Alfadas konnte von seiner erhöhten Position aus nicht erkennen, was dort heranstürmte. Obwohl er freilich genau wusste, wer sie angriff.

Die Gesichter der Männer in seiner Nähe waren aschfahl. Trotz der Kälte stand ihnen der blanke Schweiß auf der Stirn. Dann brach ein großer, gehörnter Schädel aus dem Nebelgrau. Das Splittern von Piken und das Schreien von stürzenden Männern hallte über den Uferstreifen. Pfeile flogen dem unsichtbaren Gegner entgegen. Lautes Brüllen erklang als Antwort.

Eine massige, schwarze Gestalt war in die Pikenformation eingebrochen. Stangenbeilträger stürmten vor. Ihre schweren Klingen zerhackten Schultern und Schädel des Stieres. Dunkles Blut quoll über den grauen Kies. Breite Wunden klafften im Fleisch des Stiers.

Schon kamen die nächsten Bullen heran. Lambis Männer gingen brüllend zum Gegenangriff über. Eine Windbö zerteilte den Nebel. Schließlich waren nur noch drei Stiere auf den Beinen. Pfeile steckten ihnen im Rücken. Sie scheuten vor dem Kriegsgebrüll von Lambis Männern zurück.

Sieben Stiere lagen von Piken durchbohrt im Kies. Als die Männer erkannten, gegen was sie kämpften, drängten alle vor. Die Formation zerbrach, und die letzten Stiere wurden erbarmungslos niedergehauen. Alfadas war zufrieden. Sein Heer hatte sich besser geschlagen, als er erwartet hatte. Keiner der Stiere war bis zum Wasser des Fjords durchgebrochen, alle Männer waren auf ihren Posten geblieben. Als Nächstes würden sie jedoch lernen müssen, dass sie ihre Schlachtreihe nicht so schnell zersplittern durften, wenn der Sieg nahe schien.

Vom Waldrand winkte Silwyna. Alfadas setzte sein Horn an die Lippen. Noch einmal ließ er drei kurze, bellende Signale erklingen. Das Geschrei der Männer verstummte.

»Heute wollen wir es wie unsere künftigen Feinde halten und die besiegten Gegner fressen«, rief er seinen Kriegern zu. »Ihr habt gut gekämpft! Nun vergnügt euch. Morgen, bei Sonnenaufgang, werden wir nach Firnstayn marschieren.«

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