Eine große, knotige Hand legte sich auf die hölzerne Brustwehr. Kalfs Axt fuhr hinab. Zuckende Finger fielen dem Krieger vor die Füße. Ein schriller Schrei erklang und ging unter im Lärm der Schlacht.
Die Palisade erzitterte unter den wütenden Stößen des Rammbocks. Pfeile surrten wie riesige Hornissen von den nahen Hängen hinab. Manche der Trolle steckten zehn Pfeiltreffer weg, bevor sie endlich ihr verfluchtes Leben aushauchten.
Kalf duckte sich hinter die Brustwehr, als eine Salve großer Eisklumpen geflogen kam. Die meisten Geschosse gingen harmlos über die Brustwehr hinweg. Nur wenige zerschellten am Rand der Palisade. Von ihnen sprühten lange Splitter über den Wehrgang. Asla fluchte.
Kalf sah sie aus den Augenwinkeln an. Eine rote Furche zog sich über ihre Wange. Dunkles Blut troff hinab zum Hals. Sie presste eine Hand auf die Wunde. Er hatte alles versucht, um sie davon abzuhalten, hier oben zu sein. Aber sie hörte einfach nicht auf ihn! Und einschüchtern ließ sie sich von ihm schon gar nicht. Vielleicht war es besser, dass Alfadas sie zum Weib bekommen hatte. Kalf lächelte traurig. Nein, es war nicht besser. Sie war genau die Frau, die er in seinem Leben an seiner Seite gewollt hätte.
Vorsichtig hob der Fischer den Kopf und spähte über den Rand der Palisade. Der hölzerne Wall erhob sich vier Schritt. Hoch genug, um für diese grauhäutigen Mistkerle ein ernstes Hindernis zu sein. Trotzdem versuchten sie es immer wieder, über den Rand der Brüstung zu greifen und sich hinaufzuziehen. Besonders, wenn alle Verteidiger durch Salven von Eisklumpen in Deckung gezwungen wurden.
Da war schon wieder einer! »Vorsicht, Sigvald!«, schrie Kaff.
Der Wagenbauer sprang auf und hob seine Axt. Eine riesige Faust schnellte vor und ließ ihn rücklings vom Wehrgang taumeln. Einen Herzschlag später war der Troll über die Brustwehr gelangt. Er stieß einen schrillen Triumphschrei aus und zerschmetterte mit einem lässigen Keulenhieb den Bauern, der das Pech hatte, an Sigvalds Seite gesessen zu haben.
»Für Firnstayn!«, schrie Kalf und sprang auf. Sie mussten den Troll schnell töten. Wenn diese Bestie es schaffte, einen Teil des Wehrgangs freizukämpfen, sodass sich noch zwei oder drei seiner Artgenossen hinaufziehen konnten, dann war die Palisade verloren.
Einer von Horsas Kriegern ging das Ungeheuer an. Sein Schwert schnellte vor und zog eine klaffende Wunde in die granitfarbene Haut des Trolls. Doch der Hüne beachtete die Verletzung kaum. Seine Keule sauste hinab. Der Krieger riss im Reflex seinen Schild hoch. Kalf biss die Zähne zusammen. Er hatte es den Männern eingeschärft! Hundert Mal und öfter. Wegducken oder zur Seite springen. Zur Not sollten sie von der Brustwehr springen.
Aber auf keinen Fall den Hieb eines Trolls parieren! Es waren ausgerechnet die Krieger, die sich immer wieder zu diesem Fehler hinreißen ließen. Ein Leben lang hatte man sie im Kampf mit der Axt oder dem Schwert und einem Schild gedrillt. Es war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, die Hiebe ihrer Gegner zu parieren. Die Keule des Trolls zerschmetterte den Schild, den Arm dahinter, den Helm und den Schädel. Das Blut spritzte bis zu Asla. Ihr Gesicht war schneeweiß. Kalf drängte sich an ihr vorbei, bevor sie eine Dummheit begehen konnte.
Unten, am Fuß der Palisade, liefen Männer mit langen Speeren zusammen. Sie stachen nach der Bestie und versuchten den Troll von den Verteidigern abzulenken. Die vielen leichten Wunden, die sie ihm beibrachten, würden ihn schwächen. Von den Bogenschützen am Hang wagte es keiner zu schießen. Zu groß war die Gefahr, einen der Verteidiger auf dem Wehrgang zu treffen.
Der Troll beugte sich vor. Er schwang seine Keule in weitem Bogen. Die Speere, die er traf, zerbrachen wie dürre Äste. Die Männer wurden von der Wucht des Hiebes durcheinander gewirbelt.
Das Ungeheuer wollte sich gerade wieder aufrichten, als Kalf sprang. Mit den Füßen voran, traf er den Troll in die Seite. Der Kerl grunzte, riss die Arme hoch. Dann stürzte er vom Wehrgang.
Schreiend liefen die Speerträger auseinander. Kalf fiel dicht neben dem Ungeheuer in den Schnee. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Benommen blinzelnd sah er, wie sich der Troll hochstemmte. Ihn anzuspringen war wohl doch keine so gute Idee gewesen.
Pfeile schlugen ringsherum in den Schnee. Einer verfehlte Kalf nur um Haaresbreite. Der Fischer fluchte und wünschte sich, er hätte mehr Jäger und Soldaten als Bauern unter den Bogenschützen. Das fehlte gerade noch. Aus Versehen erschossen werden!
Die Keule des Trolls sauste nieder. Kalf rollte zur Seite. Ein Tritt traf ihn mit der Kraft eines auskeilenden Pferdes. Er wurde gegen die Palisade geschleudert. Sterne tanzten ihm vor den Augen. Und mitten zwischen den Sternen erkannte er die grinsende Grimasse des Trolls.
Kalfs Linke bekam einen zersplitterten Speerschaft zu packen. Stell dir vor, er ist nur ein Fisch. Ein besonders großer, besonders hässlicher Fisch. Du kannst ihn töten. Du hast noch nie einen Fisch gesehen, den du nicht umbringen kannst. Mach es wie bei den großen Salmen, denen du deinen Fischhaken ins Auge rammst, um sie an Bord zu ziehen. Kalfs Gedanken überschlugen sich. Er konnte es schaffen, redete er sich ein. Dennoch zitterte seine Hand.
Etwas Silbernes fuhr hinab, traf den Troll am Kopf und hinterließ eine blutige Schramme. Kalf sah Aslas Gesicht. Sie lag flach auf dem Wehrgang und versuchte den Troll mit ausgestrecktem Arm ein zweites Mal zu treffen. Die riesige Keule schnellte hoch.
»Nein!«, schrie Kaff. Er stieß sich mit aller Kraft von der Palisade ab. Der Speer traf den Troll direkt unter dem Kinn in den Hals. Kalf konnte spüren, wie sich die eiserne Spitze durch zähes Fleisch grub. Es gab einen Ruck, als sie plötzlich leichter eindrang. Mit einem weiteren Ruck stieß sie gegen den Schädelknochen. Dem Troll fiel die Keule aus der Hand. Wie vom Blitz getroffen, kippte er nach hinten. Kalf wurde der Speerschaft aus den Händen gerissen. Jubelrufe erklangen auf dem Wehrgang und den Hängen. Doch der Fischer hatte keine Augen für die Männer, die ihn feierten. Er sah allein Asla. Der Troll hatte sie verfehlt. Den Göttern sei Dank!
Er durfte sie nicht vor den Männern anstarren! Sie war die Frau des Herzogs. »Du hättest mit ihm reden sollen«, rief Kalf.
»Deine Zunge ist mörderischer als dein Schwert.«
Asla lächelte. »Ich weiß. Aber bei Kerlen, die zu dumm sind, mich zu verstehen, hilft sie leider nicht. Im Übrigen finde ich, dass du lange genug im Schnee auf der faulen Haut gelegen hast. Komm herauf, wir haben diese Mauer zu verteidigen.«
Die Männer lachten. Es war diese nassforsche Art Aslas, die sie vergessen ließ, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war. Es war wichtig, dass sie dort oben stand. Keiner, ganz gleich ob Krieger oder Bauer, würde davonlaufen, solange eine Frau auf dem Wall ausharrte und über die Trolle spottete. Sie war das Band, das sie zusammenhielt. Es war richtig, dass sie hier war, und dennoch hatte Kalf eine Todesangst um sie. Alles könnte er ertragen, nur nicht, sie sterben zu sehen.
Der Fischer erhob sich und streckte seine schmerzenden Glieder. Voller Sorge betrachtete er die Stämme der Palisade. Sie würden den Angriffen der Trolle nicht mehr lange Stand halten. Es war an der Zeit, sich auf den zweiten Wall weiter oben im Tal zurückzuziehen, auch wenn die Verteidigungsanlagen dort noch nicht ganz fertig gestellt waren.
Kalf sah sich nach einem seiner Hauptleute um, die in die Pläne eingeweiht waren. Ein Stück entfernt hockte Sigvald im Schnee. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stemmte er sich eine Hand in die Hüften. Er ging zu dem Wagenbauer hinüber. »Soll ich dich zum Dorf bringen lassen?«
»Es geht schon«, murrte Sigvald. Dann lächelte er schief.
»Man muss schon ziemlich dämlich sein, um sich auf einen Faustkampf mit einem Troll einzulassen.«
»Ich hatte eher den Eindruck, dass du gern herausfinden wolltest, wie es so ist, als Vogel durch die Luft zu fliegen.«
Sigvald stemmte sich auf die Beine. »Das Fliegen war ganz in Ordnung. Nur das Landen muss ich wohl noch ein wenig üben.«
»Erstaunlich, wie hier noch alle zu Scherzen aufgelegt sind.« Sigvald zwinkerte ihm zu. »Wenn es keiner mitbekommt, heule ich mich in den Schlaf. Aber lassen wir das. Was willst du von mir?«
»Wir müssen die Palisade aufgeben.« Kalf deutete hinüber zum Mittelstück des Holzwalls. Einige der Stämme waren schon der Länge nach gerissen. Bald würden sie ganz zersplittern, und wenn die Trolle erst einmal durchbrachen, wäre jeder geordnete Rückzug auf die nächste Verteidigungsstellung unmöglich. Sie würden einfach überrannt werden.
Das Lächeln war aus Sigvalds Gesicht verschwunden. »So schnell schon. Ich hatte gehofft, wir würden hier noch ein wenig länger aushalten.«
Kalf zuckte mit den Schultern. »Luth hat seine eigenen Pläne mit uns. Ich verlasse mich auf dich, Sigvald. Sieh zu, dass unsere Reserve zwanzig Schritt hinter der Palisade bereitsteht. Wenn wir zurückgehen, könnten sie durchbrechen.« Der Fischer wandte sich ab, las eine der langen Stangenäxte aus dem Schnee auf und stieg wieder zum Wehrgang hinauf.
Die Trolle hatten sich ein Stück weit vom Wall zurückgezogen und formierten sich neu. Ihre Anführer schienen genau zu wissen, wie kurz sie davorstanden durchzubrechen. Kalf musterte die riesigen Krieger. Sie wirkten ungeschlacht. Ihre Arme schienen zu lang im Verhältnis zum Oberkörper, die grauen Gesichter wirkten nur halb fertig. Dicke, aufgequollene Nasen. Breite Wülste über den Augenbrauen. Kahle Schädel. Sie sahen aus wie aus Lehm geformt, aber nicht vollendet. Ein Entwurf, bei dem der Künstler keine feinen Linien ausgearbeitet hatte. Mit der fliehenden Stirn und den breiten Mündern erinnerten sie sogar ein klein wenig an Fische. Und doch waren sie ganz anders, als er sich Trolle immer vorgestellt hatte. Stark wie Bären, blutrünstige Menschenfresser, all das passte in sein Bild. Aber sie waren nicht dumm. Sie wussten, wie man Krieg führte. Vielleicht wussten ihre Anführer das sogar besser als er. Die lächerlichen Holzpalisaden würden sie nicht lange aufhalten, zumal jede Verteidigungslinie nach hinten schwächer wurde.
Wie viel Zeit ihnen wohl noch blieb, bis die letzte Linie fiel? Er erschauderte bei dem Gedanken, was dann geschehen würde. Die weiße Flut ... So würden sie Frauen und Kindern noch einen weiteren Tag verschaffen. Asla trat an seine Seite. Sie legte ihm zärtlich die Hand auf den Arm.
»Tu das nie wieder«, sagte sie leise. »Mein Herz hat einen Augenblick aufgehört zu schlagen, als ich gesehen habe, wie du vom Wehrgang gestürzt bist.«
Kalf wich ihrem Blick aus. Ihre Berührung ließ ihn wohlig erschaudern. Man durfte ihm das nicht ansehen! Niemand hier durfte wissen, was er für die Frau des Herzogs empfand.
»Wie wäre ein Leben an deiner Seite gewesen, Kalf?«, fragte sie sanft.
»Sprich nicht so!«, zischte er. »Man könnte dich hören.« Die nächsten Männer hielten zwar ein paar Schritt Abstand zu ihnen, aber trotzdem hatte er Sorge.
»Alfadas wird nicht mehr aus Albenmark zurückkehren ...«
»Aber er hat doch gesagt ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Schöne Lügen. Ich kenne ihn zu gut. Die Art, wie er sich verabschiedet hat ... Er ist in der Gewissheit ausgezogen, in Albenmark zu sterben. Er hat sich so sehr bemüht, seine Angst vor mir zu verstecken, dass sie nicht zu übersehen war – auch wenn ich es versucht habe. Geh nicht auch du verloren, Kalf. Ich kann nicht ...« Ihre Worte gingen im wilden Kriegsgeschrei der Trolle unter.
Kalf packte das Stangenbeil fester. Ein großer Krieger kam geradewegs auf seinen Abschnitt vom Wall zugelaufen. Ein Hagel von Pfeilen schlug den Trollen entgegen, doch er vermochte ihren Angriff nicht abzubremsen.
Dichter schwarzer Rauch stieg entlang der Palisade auf Sigvald hatte die mit Robbentran getränkten Reisigbündel in Brand gesetzt. Doch sie würden hier oben ausharren müssen, bis die schweren Balken der Palisade Feuer gefangen hatten und die Flammen auf den Wehrgang schlugen. Wenn sie sich zu früh zurückzogen, konnten die Trolle durchbrechen. Dann wäre alles vergebens gewesen.
Kalf blickte auf den Trollkrieger hinab. Er würde springen! Der Fischer konnte es an der Art sehen, wie der Troll lief. Der Mistkerl blickte ihn unverwandt an. Er würde genau hier versuchen, die Palisade zu erklimmen.
Eine Eiskugel zischte dicht an Ralfs Kopf vorbei. Weiter hinten sah er ein paar Trolle, die ganz offensichtlich ihn zu ihrem Ziel ausgewählt hatten. Schon hoben sie die nächsten Eisklumpen, um ihn zu bewerfen. Aber er durfte sich nicht ducken! Wenn der Troll nach der Brustwehr griff, um sich hochzuziehen, war der einzige Augenblick gekommen, in dem er siegen konnte. Ein oder zwei Herzschläge lang war der Troll dann wehrlos. Ein Geschoss traf die Palisade dicht neben ihm. Eissplitter schlugen Kalf ins Gesicht. Er blinzelte sie aus den Augen und hob das Stangenbeil. Die Palisade erzitterte unter der Wucht des Aufpralls, als der Troll sprang. Seine Rechte griff über den Holzwall, sein Kopf tauchte vor Kalf auf. Geschmeidig zog der Krieger sich hoch. Er hatte sich ein zweites Paar Augen auf die Stirn tätowiert.
Ralf hatte die Gelegenheit verpasst, nach den Fingern zu schlagen. Er wechselte den Griff und stieß mit dem langen Dorn am Ende des Stangenbeils zu. Seine Hände zitterten. Er verfehlte die Augen ... Nein. Er hatte nach den tätowierten Augen gestochen. Die Eisenspitze glitt seitlich am Schädel des Angreifers entlang. Dann traf ihn mit aller Wucht das hochgebogene Axtblatt. Der Troll grunzte. Eine zweite Klinge bohrte sich in seine Schulter. Sein Griff löste sich. Er ließ sich zurück in den Schnee fallen.
»Ich lass dich nicht verloren gehen«, sagte Asla entschlossen und schleuderte mit einer Drehung aus dem Handgelenk das Blut von ihrem Schwert.
Immer dichter zog der Rauch über den Wehrgang. Kalf spürte durch die Bretter unter seinen Füßen die Hitze des Feuers.
»Danke«, sagte er schlicht und wünschte sich, er hätte eine Seidenzunge wie Alfadas, dem schöne Worte stets leicht von den Lippen gingen.
Ein verzweifelter Schrei ließ ihn nach links blicken. Sie hatten wieder angefangen, Menschen zu angeln! Einige der Trolle führten Lederschlingen an kräftigen Seilen mit sich. Sie warfen sie die Palisade hinauf und versuchten die Verteidiger hinabzuzerren. Mehr als ein Dutzend Männer hatten sie auf diese Weise schon verloren. Rodran, der blonde Fährmann, versuchte dem jungen Burschen zu helfen, den es erwischt hatte. Er hob sein Schwert, um das Seil durchzuschlagen. Zu spät. Mit einem Ruck wurde der arme Kerl über die Brustwehr gezerrt.
Kalf hatte den Bogenschützen befohlen, besonders auf die Trolle mit den Lederschlingen zu schießen. Doch es waren zu viele, und sie ließen sich von den Pfeilen nicht aufhalten.
Mit Schrecken sah der Fischer, wie die Ungeheuer über den jungen Mann herfielen. Sie rissen ihm Arme und Beine aus und stopften sich gierig blutige Fleischklumpen in den Mund. Dunkles Blut dampfte im Schnee. Asla vergrub den Kopf an Kalfs Schulter. »Was haben wir den Göttern getan?«, fragte sie.
»Warum geschieht das alles?«
Kalf legte den Arm um sie und drückte sie fest an sich. In diesem Augenblick war ihm egal, was die anderen dachten.
Helle Flammen schlugen durch die Lücken zwischen den Brettern, aus denen der Wehrgang gezimmert war. Das Feuer fauchte wie ein wütendes Tier, und noch immer warfen Sigvald und seine Helfer neue Reisigbündel in die Flammen.
Der Rhythmus des Rammbocks wurde schneller. Die Trolle begriffen, dass sie kurz davorstanden, diesen Kampf zu verlieren. Wieder sprang einer an der Palisade hoch. Doch Kodran zerhackte ihm die Hand, und der Troll stürzte hinab.
Die ersten Krieger stiegen die Leitern hinunter. »Asla«, sagte Kalf sanft. »Du musst sie aufhalten. Auf dich hören sie.« Er nahm den Arm von ihren Schultern. Sie sah zu ihm auf Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, als kämpfe sie gegen einen jähen Schmerz an. Dann strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn, straffte sich und blickte den Wehrgang entlang. Fast die Hälfte der Verteidiger war schon die Leitern hinab oder einfach in den Schnee gesprungen.
»Was seid ihr Männer nur für ein seltsames Volk!«, rief sie und rieb ihre Hände. »Es ist das erste Mal seit zwei Wochen, dass ich nicht friere, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als von hier wegzukommen und diesen lauschigen Platz den Trollen zu überlassen. Ich verstehe euch nicht! Was mich angeht, ich werde noch etwas bleiben.« Sie hob ihr Schwert und wich einer Flammenzunge aus, die dicht neben ihr durch die Bretter schlug. Etliche der Flüchtenden hielten beschämt inne. Auch viele der Kämpfer, die die Palisade schon verlassen hatten, drehten sich um und sahen zu ihr hinauf. In ihrem schweren Kettenhemd, das Schwert erhoben, von Rauch und Flammen umspielt, sah sie aus wie eine von Norgrimms Schwertmaiden oder gar Svanlaug selbst.
Ein Eisklumpen streifte Asla und riss ihr den Helm vom Kopf. Sie strauchelte. Kalf griff nach ihr, doch sie schob ihn zurück. Schon hatte sie sich wieder in der Gewalt.
Mit lautem Krachen brach ein Balken der Palisade. Die Trolle grölten.
»Geh hinunter und sorg dafür, dass sich jeder eine blutige Nase holt, der seinen Kopf durch die Bresche steckt«, befahl sie Kalf. Dann wandte sie sich an die übrigen Männer. »Jeder Einzelne von uns wird sterben. Heute, morgen oder in fünfzig Jahren. Luth allein weiß, wann unsere Stunde gekommen ist. Aber ein wenig liegt es auch an uns, auf welche Weise wir unsere letzte Reise antreten. Ich weiß, dass ich lieber hier oben verbrennen werde, als dass ich mich von einem Troll auf der Flucht erschlagen lasse. Doch diese Wahl muss jeder von euch selbst treffen.«
Kodran, der schon an einer Leiter stand, trat auf den Wehrgang zurück. »Asla hat Recht. Ich lass mir von den Trollen doch nicht die Gelegenheit vermiesen, mir hier oben meinen Hintern ein wenig aufzuwärmen.« Er eilte zurück zu seinem Platz auf dem Wall. Andere folgten ihm.
Das Geräusch splitternden Holzes übertönte den Gesang der Flammen. Kalf zögerte noch einen Augenblick. Erst als er sich sicher war, dass sein vermeintlicher Rückzug die Stimmung nicht wieder umschlagen ließ, sprang er vom Wehrgang.
»Bogenschützen zu mir!«, rief er aus Leibeskräften.
Die ganze Rückseite der Palisade war ein Flammenmeer. Fast genau in der Mitte des hölzernen Walls hatten die Trolle ihre Bresche geschaffen. Sie arbeiteten verzweifelt mit ihren Steinäxten, um die Lücke zu verbreitern. Einige Knaben mit Bögen kamen herangelaufen. Die Ältesten von ihnen hatten vielleicht vierzehn Sommer gesehen. Sie waren das letzte Aufgebot.
»Schießt in die Bresche!«, befahl Kalf. »Sigvald! Bring die letzten Reisigbündel zur Bresche. Wir wollen doch mal sehen, was unsere Freunde sagen, wenn sie nach dem Wall aus Holz vor einer Feuerwand stehen.«
Die Jungen machten ihre Sache gut. Mit einigen gezielten Schüssen hatten sie die Trolle aus der Bresche vertrieben. Die Flammen schlugen inzwischen weit über die Brustwehr hinaus. Die dicken Stämme, aus denen der Verteidigungswall gefügt war, begannen zu brennen. Die Flammenwand würde die Trolle für Stunden aufhalten.
Besorgt blickte Kalf zum Wehrgang hinauf. Ein Mann sprang schreiend in den Schnee hinab und schlug noch im Fallen auf seine brennende Hose ein. Asla ging immer noch auf ihrem Abschnitt des Walls auf und ab. Scheinbar seelenruhig, so wie ein Wachtposten in einer lauen Sommernacht mitten im Frieden. Ihr Gesicht war von Ruß geschwärzt.
Der Fischer fluchte. Kannte sie denn keine Gnade mit sich? Sie beugte sich über die Brustwehr und blickte zu den Feinden hinab. Dann endlich winkte sie ihren Männern. »Runter hier, bevor uns die Schuhsohlen braten!« Selbst jetzt wartete sie noch, bis die anderen den Wehrgang verlassen hatten. Flammen versperrten ihr den Weg zur nächsten Leiter. Kalf begann zu laufen. Sie durfte nicht springen! Nicht mit dem Kind im Bauch! Asla schwang sich hinab. Kalf konnte sehen, dass sie hart aufkam. Die Hitze des Feuers hatte den Schnee dicht beim Wall schmelzen lassen. Der Boden war steinig. Schwankend kam Asla hoch.
Er griff ihr unter die Arme, um sie zu stützen. Ihr Gesicht war schwarz wie Rabenfedern, das schöne blonde Haar von der Hitze versengt.
»Lass mich!«, zischte sie. »Wenn du mich umarmen willst, dann sei heute Nacht in meiner Hütte. Ich warte auf dich!« Sie machte sich los.
Hundert Augenpaare ruhten auf ihnen. Plötzlich schrie ein einzelner Mann: »Es lebe die Herzogin!« Immer mehr schlossen sich dem Ruf an. Die erschöpften Kämpfer kamen herbeigeeilt, um ihr auf die Schultern zu klopfen. Sie wurde hochgehoben. Und immer lauter erschallte der Ruf: »Es lebe die Herzogin!«
Kalf hatte einen Kloß im Hals. Er sah ihr nach, wie sie davongetragen wurde. In ungezählten Nächten hatte er davon geträumt, bei ihr zu liegen. Doch jetzt hatte er Angst davor.