Einen halben Tag schon marschierten sie über Gletschereis durch das weite Tal. Die Berge rückten langsam näher zusammen. Am Ende des Tals verbanden sie sich zu einem in den Himmel ragenden steinernen Sperrriegel. Durch die schmalen Sehschlitze der Schneebrille konnte man stets nur einen kleinen Ausschnitt des gewaltigen Bergpanoramas betrachten. Die Sonne funkelte auf den schneebedeckten Hängen und dem graublauen Gletschereis. Der lange Heereszug watete durch Licht. Diese Helligkeit und Pracht war einfach zu viel für menschliche Augen. Den Elfen machte es nichts aus. Doch schienen sie auch keinen Blick mehr für die Wunder der Bergwelt zu haben.
Alfadas war erleichtert, bald Phylangan zu erreichen. Es war gekommen, wie Lambi vorhergesagt hatte. Mehrfach hatten kleine Gruppen von Trollen bei Nacht Überfälle gewagt. Doch stets waren sie leicht zurückzuschlagen gewesen. Vorgestern allerdings waren zwei Wachposten spurlos verschwunden. Das passte nicht zum Schema der anderen Überfälle. Silwyna hatte versucht, den Trollen nachzuspüren, doch starker Schneefall hatte alle Spuren ausgelöscht, und auch die Patrouillen der Kentauren hatten weder die Leichen der Wachposten ausfindig gemacht noch die Trolle, die für diesen Angriff verantwortlich gewesen sein mussten.
Alfadas trat aus der Marschkolonne und erklomm einen sanften Hügel, der sich wie eine große Beule aus dem Gletschereis schob. Die Welt auf einen kleinen Sehschlitz reduziert zu haben, störte ihn immer mehr. Doch er widerstand der Versuchung, die Schneebrille abzunehmen. Ein paar Stunden noch, dann hatten sie die Sicherheit der Felsenburg erreicht.
Sein Blick wanderte zum Horizont. Er konnte nicht begreifen, dass die Trolle keinen neuen Versuch unternommen hatten, sie anzugreifen. Seit der Schlacht rechnete er jeden Augenblick mit einem weiteren Kampf. Was hielt sie zurück? Waren sie zu schwach? Hatte Lambi am Ende Recht mit seiner feurigen Rede? Auch wenn kein Angriff erfolgte, fühlte sich der Feldherr ständig beobachtet. Nicht allein von seinen Leuten und den Elfen. Irgendetwas lauerte im Eis. Es war nie sehr weit entfernt, und dennoch entzog es sich seinem Blick. Er hatte mit Ollowain darüber gesprochen, und der Elf hatte ihm anvertraut, dass es ihm ganz ähnlich ging. Etwas belauerte sie. Vielleicht waren es ja nur die Späher der Trolle? Aber eine innere Stimme mahnte Alfadas, dass dort draußen noch etwas anderes, Heimtückischeres war.
Alfadas blickte zum Ende des Tals. Nur ein paar Meilen noch. Die Felswände ragten dort fast senkrecht auf. Es waren natürliche Mauern, höher als ein Mensch sie jemals hätte bauen können. Einige breite Felsnasen ragten gleich halbrunden Türmen aus der Steilwand. Schnee lag auf schmalen Simsen und in Spalten. Es gab keinen Weg dort hinauf. Die Snaiwamark endete mit diesem Tal. Jenseits der Berge lag die Hochebene von Carandamon. Die Elfen konnten diese Festung nicht aufgeben. Im Osten war sie der einzige Zugang zu der Hochebene. Ging die Festung verloren, dann lag die Hochebene fast schutzlos da. Die Felsburgen von Carandamon waren viel kleiner und nicht darauf ausgelegt, gegen einen entschlossenen Angreifer verteidigt zu werden.
Der Herzog dachte zurück an die Abendstunden in Honnigsvald, als Lysilla von der Festung erzählt hatte. Von den himmelhohen Hallen, dem Labyrinth aus Gängen, den beiden großen Häfen, die es gab, und von all den anderen Wundern.
Alfadas stieg den Hügel hinab und gesellte sich zu den Schäfern, die ihren Zug begleiteten. Die kleine Herde war arg zusammengeschmolzen. Es waren weniger als hundert Tiere geblieben. Sie waren abgemagert und erschöpft. Der Herzog scherzte mit den Männern und ging nach einer Weile zu Egil.
»Nun, Ralf«, sprach er ihn mit seinem falschen Namen an.
»Die Arbeit der Schäfer endet bald. Was möchtest du als Nächstes tun?«
Horsas Sohn sah sich sorgsam um. Erst als er sich vergewissert hatte, dass niemand in Hörweite war, antwortete er. »Ich bin jahrelang im Schwertkampf ausgebildet worden. Bitte nimm mich unter die Krieger auf.«
»Die anderen Schäfer reden gut von dir. Du hast es geschafft, dir ihren Respekt zu verdienen. Sie ahnen, dass du von Stand bist. Du kannst deine Herkunft nicht leugnen. Die Art, wie du redest, dein Wissen, selbst wie du dich bewegst, all dies verrät dich. Aber sie haben dein Geheimnis gehütet. Willst du diese Männer verlassen?«
Egil seufzte. »Sollte nicht jeder das tun, was er am besten kann?«
»Und du bist dir sicher, dass du schon herausgefunden hast, was du am besten kannst? Mich plagen selbst heute Zweifel, ob ich den richtigen Weg in meinem Leben eingeschlagen habe.«
Der Königssohn lachte. »Das ist nicht dein Ernst, Alfadas. Du bist ein unvergleichlicher Schwertkämpfer. Kein Mann im Fjordland kann es mit dir aufnehmen. Und auch als Feldherr bist du berühmt. Wie kannst du da zweifeln?«
Der Herzog lächelte. »Hier gilt das nichts. Unter Elfen bin ich als Schwertkämpfer allenfalls Mittelmaß. Aber vielleicht wäre ich ein unvergleichlicher Fischer oder Jäger geworden. Was ich dir sagen will, Egil, ist, dass du dir Zeit lassen sollst. Wie du dich als Krieger schlägst, weißt du schon. Aber kannst du ein Freund sein? Die anderen Schäfer wissen nicht, wer du wirklich bist. Genieße diese Freiheit! Wenn du eines Tages auf dem Thron deines Vaters sitzt, dann wirst du dir nie mehr sicher sein, wer ein Freund ist und wer ein Schmeichler, der allein auf seinen Vorteil bedacht ist. Und du tust gut daran, misstrauisch zu sein, denn Könige haben sehr wenige Freunde.«
Egil blickte zu den anderen Schäfern. Es waren nur fünf Männer. Hartgesottene Burschen. Sonne und Wind hatten ihre Gesichter dunkel und kantig gemacht. »Was werden sie tun, wenn wir in der Elfenburg sind?«
»Ich werde sie fragen. Aber ich habe in der Tat schon Pläne mit ihnen. Es gibt eine Waffe, deren Gebrauch leicht zu erlernen ist und die nicht weniger tödlich als ein Schwert ist. Ich möchte sie auf der Felsenburg im Gebrauch dieser Waffe unterweisen lassen. Willst du bei ihnen bleiben?«
Horsas Sohn blickte verlegen auf seine schneeverkrusteten Stiefel. »Ich weiß es nicht.«
Der Herzog klopfte ihm auf die Schultern. »Hör nicht auf deinen Verstand. Hör auf dein Herz. Du hast mich angenehm überrascht in den letzten Tagen. Ich hätte darauf gewettet, dass ich mit dir nichts als Ärger haben würde. Ich vertraue dir, du wirst die richtige Wahl treffen.«
Alfadas ließ sich weiter zum Ende der Kolonne zurückfallen. Auf den Hundeschlitten lagen die Verwundeten der Schlacht. Dalla war bei ihnen. Allein der Anblick einer Menschenfrau schien bei den meisten der Männer Wunder zu bewirken. Auch Veleif verbrachte viel Zeit mit den Verletzten. Er ließ sie von ihrem Leben erzählen. Der Skalde hatte den Ehrgeiz entwickelt, jeden Mann und dessen Geschichte zu kennen.
Veleif ging gestützt auf einen Stab aus hellem Holz. Er trug ein feines Leinenhemd, das er wohl von einem Elfen bekommen hatte. Sein langes graues Haar hing offen herab, und der Winterwind spielte mit den Strähnen. Auf dem Rücken, sicher in Leder gehüllt, trug er seine Laute. Wie bei allen verbarg auch bei ihm ein breites Lederband die Augen. Er wirkte mürrisch.
»Nun, Vater der Lieder, ist heute kein guter Tag?«, scherzte der Herzog.
Der Barde deutete voraus auf die steile Felswand. »Wie sollte ich gute Laune haben? Ich habe mit dieser Schneefrau gesprochen, Lysilla. Sie hat mir von den prächtigen Elfenburgen weiter im Süden erzählt und von dem Schloss Emerelles mit seinem Garten voller verzauberter Bäume. Und wohin verschlägt es mich? Zu einem Felsennest, das den Liebreiz eines verlassenen Adlerhorsts hat! Was soll ich über den steinernen Garten dichten? Hier erinnert gar nichts an die prächtigen Elfenschlösser unserer Märchen.«
»Sei mit deiner Meinung nicht so schnell bei der Hand. Warte ab! Ich bin sicher, die Elfen werden dich noch überraschen.«
Veleif rückte dichter an Alfadas heran. »Etwas ist hier«, flüsterte er. »Die meisten Männer sind nicht feinsinnig genug, um es zu spüren. Hast du es bemerkt?«
Alfadas wollte nicht, dass diese Geschichte weitere Kreise zog. Er zuckte mit den Schultern. »Die Elfen sagen, die Luft sei hier so dünn, dass uns der Verstand Dinge vorgaukelt, die nicht wirklich sind. Ich bin geneigt, ihnen zu glauben. Sie kennen ihr Land.«
Der Skalde strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Leuten Dinge vorzugaukeln, ist mein tägliches Geschäft. Dünne Luft...« Er lachte. »Ich weiß, was ich weiß!«
Plötzlich hallte das Tal wider vom feierlichen Klang goldener Luren, großer Hörner, deren Münder wie Drachen oder Pferdeköpfe gestaltet waren. Im Berghang vor ihnen klaffte ein Spalt, der weiter und weiter wuchs, als öffne ein riesiges Ungeheuer seinen Schlund. Daraus strahlte ein blausilbernes Licht, das der Helligkeit der Sonne gleichkam, ohne die Augen zu blenden.
Mit knirschenden Kufen hielt ein Eissegler neben ihnen. Ollowain winkte Alfadas zu. »Du solltest an der Spitze des Zuges nach Phylangan einziehen, so wie es sich für einen Feldherrn gehört.«
»Magst du mitkommen, Dichter?«
Endlich strahlte ein Lächeln auf Veleifs Gesicht. »Vielleicht hast du, was die Überraschungen angeht, doch Recht.«
Die beiden stiegen auf die stählerne Kufe des Eisseglers, und Ollowain zog sie zu sich hoch. Das seltsame Gefährt sah aus wie ein Schlitten, auf den man einen schlanken Mast gesetzt hatte. Man steuerte es mit einem Hebel, der vorn am Bug saß. Er erlaubte, die Stellung der Kufen zu verändern. So konnte man bremsen oder weite Kurven fahren. Der Segler war kaum fünf Schritt lang. Es gab keine Seitenwände, an denen man sich hätte festhalten können. Breite Lederlaschen an Deck gaben den Füßen Halt. Zusätzlich musste man sich an Taue klammern. Eine Eisseglerfahrt war wie ein Ritt auf einem fliegenden Pfeil.
»Halt dich gut fest!«, mahnte Alfadas den Skalden.
Der Herzog schob seine Füße in ein Paar Lederschlaufen und griff mit beiden Händen nach einem Haltetau. Das große, dreieckige Segel schwenkte in den Wind, und mit einem Ruck setzte sich das Gefährt in Bewegung. Wie im Fluge schoss es an der Kolonne der Flüchtlinge entlang. Der Fahrtwind brannte ihnen auf den Gesichtern, während sie dem blausilbernen Licht entgegeneilten. Alfadas schwankte zwischen Begeisterung und Angst. Schnell wie ein Vogel zu sein, war wunderbar. Aber wenn er durch eine Unachtsamkeit über Bord ginge ... Auf dem harten Eis würde er sich alle Knochen brechen!
Eine Unebenheit im Boden ließ den Eissegler einen Sprung machen. Veleif stieß einen schrillen Schrei aus. Der Skalde war begeistert! Er wagte es sogar, ein Halteseil loszulassen und den Truppen zuzuwinken. Verdammter Bastard! Wie würde es aussehen, wenn er hinter dem Dichter zurückstünde?
Alfadas winkte mit beiden Armen. Hoffentlich reichten die Bodenlaschen allein, ihn zu halten. Die Fahrt war wie ein Rausch! Das Gefühl für die Geschwindigkeit ging langsam verloren. Ob man wohl auf so einem Segler herumlaufen konnte, wenn man sich an die Geschwindigkeit gewöhnte? Ulric und Kadlin würde es sicher gefallen, mit so einem Boot eine Fahrt über den vereisten Fjord zu machen.
Der Herzog blickte nach vorn. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht. Am Tor der Bergfestung erwartete sie ein hoch gewachsener Elf auf einem Schimmel. Das weiße Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Er trug ein langes Gewand in der Farbe von frischem Rahm. Das Gesicht des Elfen wirkte abgezehrt. Nie war Alfadas einem Mann begegnet, der so müde aussah. Eine Ehrengarde begleitete den Fürsten von Phylangan. Krieger in weißen Waffenröcken mit langen silbernen Kettenhemden flankierten das Tor und bildeten eine weite Gasse in die große Höhle, die sich geöffnet hatte.
Ollowain bremste den Eissegler ab und drehte das Segel aus dem Wind. Hufschlag erklang. Orimedes, Lysilla und Fenryl preschten heran.
»Ich heiße euch im steinernen Garten willkommen«, sagte der Elfenfürst feierlich und machte die Andeutung einer Verbeugung.
Alfadas sah, wie selbst Männer, die weit entfernt standen, aufblickten, obwohl Landoran nur leise gesprochen hatte. Vielleicht lag es am Tal, vielleicht hatte der Elf auch einen Zauber gewirkt. Jedenfalls hatte der Herzog den Eindruck, dass ein jeder Landoran verstehen konnte, obwohl er in der Zunge seines Volkes sprach. »Ich danke unseren Verbündeten, den Menschen und den Kentauren, die mit ihrem Mut Leid und Tod von meinen Brüdern und Schwestern abgewendet haben. Und ich trauere mit euch um eure Gefährten, die für ihre Tapferkeit mit dem Leben bezahlt haben. So kehrt nun ein in unsere lichten Hallen und bettet eure müden Häupter zur Ruhe. Und wenn der Tag kommt, an dem euer Mut erneut auf die Probe gestellt wird, dann wisset, dass der steinerne Garten noch nie erobert werden konnte. Ganz gleich wie stark die Angreifer auch scheinen mögen, sie müssen erst den Berg bezwingen, bevor sie mit uns kämpfen können. Und was ist selbst ein Troll im Vergleich zu einem Berg?«
Alfadas wünschte im Stillen, der Fürst hätte mit seiner Rede ein wenig mehr Lambis Ton getroffen. Sicherlich waren es freundliche Willkommensworte, doch sie lösten keine sonderliche Begeisterung aus. Er sah sich in der Halle um. Ollowain hatte ihm davon erzählt; er hatte gesagt, sie würden zunächst in den Schneehafen gelangen, wenn sie über den Gletscher nach Phylangan reisten. So sehr sich der Schwertmeister auch bemüht hatte, ihm die Halle zu beschreiben, hatte sich Alfadas‘ Verstand dagegen gesträubt, sich einen Hafen in einem Berg vorzustellen. Nun sah er sich staunend um, denn einen Ort wie diesen hatte er selbst in Albenmark noch nicht gesehen.
Der Schneehafen war eine Höhle, so weit, dass man vergaß, ins Innere eines Berges getreten zu sein. Die Normirga hatten einen seltsamen Zauber gewirkt, der die Höhlendecke verschwinden ließ. Stattdessen gab es dort ein unstetes, blausilbernes Licht, das flackerte wie eine Fackel im Sturm. Es ließ Menschen und Elfen blasser erscheinen, als sie wirklich waren. Und der Atem, der ihnen in hellen Wolken vor den Mündern stand, bekam etwas Unwirkliches, Magisches.
Der Boden der weiten Halle bestand aus zerschrammtem Eis, und die fernen Wände schienen von Raureif und Eisblumen bedeckt zu sein. Am nördlichen Ende lagen steinerne Hafenmolen. Mächtige Eissegler, groß wie Handelsschiffe, lagen dort vertäut. Manche von ihnen hatten drei Masten. Ihre Segel waren gerefft, und von der Takelage und den Rahen hingen lange Eiszapfen, als seien diese Schiffe des ewigen Winters schon lange nicht mehr ausgelaufen.
Entlang der Piers warteten Ladekräne mit haushohen, hölzernen Laufrädern. Dunkle Öffnungen im Felsen mochten zu Lagerhallen führen.
So wie Delfine zuweilen von kleineren Fischen begleitet wurden, so waren auch diese großen Eissegler umlagert von kleineren Booten, die aussahen wie jenes, auf dem Alfadas in den Schneehafen gekommen war. Ihre Masten standen dicht wie ein Wald. Alfadas schätzte, dass es fast hundert sein mussten.
Auf der anderen Seite der weiten Halle fand sich ein Fuhrpark von Schlitten in allen Formen und Größen. Einige waren so riesig, dass Alfadas sich nicht vorstellen konnte, welche Tiere sie wohl ziehen mochten. Landorans Rede war von feierlicher Stille unterstrichen worden, doch als nun die Flüchtlinge vom Rosenberg in den Schneehafen kamen, erklang in der weiten Felshalle bald ein Lärmen, wie es Alfadas aus der Königsstadt Gonthabu kannte, wenn dort im späten Frühjahr Händler aus aller Herren Länder eintrafen. Hunderte Kobolde halfen, die Schlitten und kleinen Eissegler zu entladen. Und während Familien sich begrüßten und die Elfen einander in beredtem Schweigen umarmten, veranstalteten die Kobolde einen ohrenbetäubenden Lärm mit Zupfgeigen, seltsamen Blasinstrumenten und Handtrommeln. Ein Zauberer unterhielt die Kinder mit wirbelnden bunten Lichtern und wurde mit schallendem Gelächter belohnt.
Der Einmarsch der Menschen verlief erstaunlich geordnet. Die Kriegsjarls hatten ihre Gruppen in Fünferreihen aufgestellt und dafür gesorgt, dass jeder Mann seine Waffen polierte. Doch all diese Mühen mochten nicht über das abgerissene Aussehen der Verbündeten aus dem Fjordland hinwegtäuschen.
Die Männer sahen sich mit großen Augen um. Sie nahmen entlang der Eissegler Aufstellung, wo sie niemandem im Wege waren.
Nur Lambis Truppe schlenderte lässig in den Schneehafen. Sie hielten sich an keine Formation und gaben sich etwa so diszipliniert wie ein Haufen Seeleute, die nach wochenlanger Fahrt endlich das Hurenviertel einer Hafenstadt betreten durften.
Alfadas wandte sich an den Elfenfürsten, der an der Seite Ollowains den Auftritt von Lambi und seinen Männern mit feierlicher Gelassenheit ertrug.
»Wozu dienen die großen Segler dort?«
»Wir haben sie benutzt, um Versorgungsgüter, die von der Walbucht zum Rosenberg geschafft wurden, über die große Eisebene zu bringen. In den letzten Jahren lief allerdings der Großteil unseres Handels über das Windland, und er wurde von den Yak-Karawanen der Kentauren bestritten. Die Schiffe waren lange nicht mehr im Einsatz. Warum fragst du, Menschensohn?«
»Würdest du mir drei der Segler überlassen?«
Landoran runzelte ärgerlich die Stirn. »Ich wüsste nicht, welchen Nutzen du davon haben solltest. Du kannst gern drei Schiffe haben, doch kann ich keinen Windsänger unter dein Kommando stellen. Sie sind im Augenblick unabkömmlich. Ohne einen dieser Zauberer ist es nicht zu verantworten, eines der Schiffe auf die Ebene zu bringen. Sie wären den Launen des Winters hilflos ausgeliefert.«
»Würdest du mir denn einige Männer überstellen, die meine Krieger in der Bedienung der Schiffe unterrichten?«, beharrte Alfadas.
Landoran maß ihn nun mit eisigem Blick. »Ich vermag keinen Nutzen darin zu erkennen, den Umgang mit Eisseglern zu erlernen, die diesen Hafen nicht verlassen werden.«
»Schick mir die Männer, und ich werde dich beim Kriegsrat, den Ollowain in zwei Stunden einberufen wird, über das taktische Vorgehen im Kampf gegen einen überlegenen Feind belehren, der sich auf eine Belagerung vorbereitet«, entgegnete Alfadas kühl. Verdammter Bastard, dachte er bei sich. Mit dir werde ich noch viel Freude haben.
Landoran atmete tief aus und straffte sich. Einen kurzen Augenblick lang hatte es so ausgesehen, als werde er die Fassung verlieren, doch nun hatte er sich offensichtlich wieder in der Gewalt. »Was soll das heißen? Was für ein Kriegsrat?«
Alfadas antwortete, noch bevor Ollowain ein Wort herausbrachte. »Wenn ich richtig unterrichtet bin, führt Lyndwyn das Kommando über Phylangan, auch wenn sie uns nicht die Gunst erweist, uns hier zu begrüßen. Sie hat Ollowain den Befehl in allen militärischen Belangen überlassen. Und wie du sicherlich einsehen wirst, ist es angeraten, dass sich die Befehlshaber unseres Bündnisses schnellstmöglich zu einem Kriegsrat versammeln.« Alfadas wusste um das angespannte Verhältnis zwischen dem Schwertmeister und dessen Vater. Er warf Ollowain einen flehenden Blick zu und hoffte, dass er sich auf diese Intrige einlassen würde. Es war wichtig, dass von Anfang an feststand, wer in Phylangan das Kommando hatte.
»Ihr, die ihr euch nicht einmal aus eigener Kraft gegen die Kälte zu schützen vermögt, seid nach den Gesetzen meines Volkes Kinder«, erklärte Landoran herablassend. »Kein erwachsener Normirga wird bereit sein, sich euren Launen zu fügen.«
»Glaubst du nicht, dass es unklug ist, auf allen Gesetzen unseres Volkes zu beharren, wenn drei Völker in Freundschaft Seite an Seite fechten sollten, Vater?«, fragte Ollowain. »Was denkst du, wie lange das Bündnis währt, wenn nur das Wort erwachsener Normirga zählt?«
»Der Kriegsrat wird in zwei Stunden im Perlensaal zusammentreten«, entschied Landoran harsch. »Hier ist nicht der Ort für einen Streit. Nur Kinder können sich so wenig beherrschen, dass sie ihre Meinungsverschiedenheiten in die Öffentlichkeit tragen.«
Der Fürst klopfte seinem Schimmel sanft auf den Hals und ritt dann zu den Flüchtlingen hinüber. Lysilla folgte ihm und bedachte Ollowain und Alfadas mit einem süffisanten Lächeln.
»Eingebildeter alter Sack«, murrte Orimedes. »Was glaubt der wohl, wer seine Festung verteidigt, wenn wir Kinderchen uns entschließen zu gehen?«
»In einem Punkt hat er Recht, mein Freund«, erwiderte Alfadas. »Streiten sollten wir uns, wenn der Kriegsrat tagt. Es ist schlecht für die Moral der Truppen, wenn sie sehen, wie einig wir uns sind.«
»Herzog?« Graf Fenryl war abgesessen und kam zu ihm hinüber. »Ich stehe tief in deiner Schuld, Menschensohn. Dank dir sind meine Frau und mein Kind, ja meine ganze Sippe am Leben. Auch unter den Meinen gibt es Windsänger. Ich werde sie deinem Befehl unterstellen, ebenso wie die beiden Lastenschiffe, die unter der Fahne des Rosenbergs segeln.«
Alfadas winkte ab. »Du schuldest mir nichts. Und ich möchte nicht, dass du um meinetwillen in Streit mit deinem Fürsten gerätst.«
Fenryl wollte davon nichts hören. »Ich vertraue deinem Urteilsvermögen als Feldherr. Die Normirga wurden schon einmal von den Trollen vertrieben. Ich bin überzeugt, dass es besser für mein Volk ist, wenn diesmal jemand anderes den Oberbefehl führt. Du hast doch einen Plan, nicht wahr? Sag mir, was du brauchst, und ich sorge dafür, dass du es bekommen wirst.«
Der Herzog überlegte kurz, ob er die Entscheidung im Kriegsrat abwarten sollte. Doch es zählte jede Stunde, die sie noch hatten, bevor die Hauptstreitmacht der Trolle eintraf.
»Besorge mir alle Windsänger, die du finden kannst. Außerdem brauche ich Zimmerleute und die Schmiede, die die Kufen für die Eissegler gefertigt haben. Und dazu Männer, die keine Angst haben, sich einem Feind zu stellen, der uns hundert zu eins überlegen sein wird.«