Der kleine Rat

»Wo ist Lyndwyn?«

Niemand antwortete Ollowain. Der kleine Rat von Phylangan hatte sich im Pavillon bei der Mandan Falah versammelt. Die Gesichter der Elfen waren wie Masken. Niemand schien sich angesprochen zu fühlen.

Als sich das Schweigen immer mehr in die Länge zog, erbarmte sich schließlich Landoran zu einer Antwort. »Sie ist unabkömmlich. Lyndwyn wünscht dir eine gute Reise.«

»Wie sollte ich ohne sie gehen?«, fragte der Schwertmeister gereizt. Seit zehn Tagen hatte sich Lyndwyn nicht mehr blicken lassen. Seit sie ihn geliebt hatte. Der Gedanke daran weckte einen süßen Schmerz. Hatte sie ihn geliebt? Oder war auch dies nur Teil eines raffinierten Plans? Sie schien tatsächlich als Herrin von Phylangan anerkannt zu werden. Ollowain hatte erlebt, wie auf ihren Befehl hin alle anderen Siedlungen der Normirga in der Snaiwamark aufgegeben worden waren. Alle Elfen, die einen Beitrag zur Verteidigung leisten konnten, blieben in Phylangan; die übrigen wurden zu den Felsschlössern auf der Hochebene von Carandamon geschickt. Es war klug, Siedlungen aufzugeben, die man ohnehin nicht verteidigen konnte, und stattdessen seine Kräfte an einem Punkt zu sammeln. Ollowain hätte erwartet, dass sie ihn um Rat fragte, schließlich war er ihr militärischer Berater. Angeblich ... Aber sie zeigte sich nicht mehr.

Wieder blickte Ollowain in die ausdruckslosen Gesichter. Der Rat hatte Freude daran, ihn zu demütigen, ihm seinen Makel vor Augen zu führen! »Ich kann das Tor nicht öffnen. Ohne Lyndwyn kann ich die Albenpfade nicht betreten. Und wie soll ich das Heer der Menschen hierher bringen, wenn sie mir nicht hilft?«

»Du sollst das Heer der Menschen nicht hierher, sondern in die Slanga-Berge bringen«, verbesserte ihn Landoran in aufreizender Ruhe. »In zwanzig Tagen wird Lyndwyn ein Tor zum Albenstern bei Firnstayn öffnen. Sie wird dich und die Menschen sicher hierher zurückgeleiten. Bis dahin wirst du dich mit den Diensten Lysillas begnügen müssen. Sie ist eine erfahrene Magierin. Gemeinsam mit Ronardin wird sie dir helfen, die Menschen auf ihre Ankunft in Albenmark und auf den Krieg vorzubereiten.«

»Es ist nicht in Emerelles Sinn, dass der Albenstein hier zurückbleibt. Ich verlange die Herausgabe des Artefakts!«

Landoran hob missbilligend eine Braue. Diesen abfälligen Gestus hatte Ollowain schon als Kind bei ihm gehasst!

»Ich glaube nicht, dass du entscheiden kannst, was in Emerelles Sinn ist, zumal die Königin nicht über die besonderen Gegebenheiten unterrichtet ist. Wäre sie hier, so würde sie gutheißen, was wir tun.«

Ollowain war fassungslos. Das übertraf das übliche Maß von Landorans Überheblichkeiten bei weitem! Der Schwertmeister kannte den Sprecher des Rates gut genug, um zu wissen, dass Widerstand im Augenblick zwecklos war. Landoran würde nicht zögern, ihn unter Arrest stellen zu lassen, wenn er gegen dessen Entscheidungen aufbegehrte.

»Ich füge mich der Weisheit des Rates«, log Ollowain glattzüngig. Wenn er wiederkam, dann würde er ein Heer hinter sich haben. Selbst wenn es nur Menschen waren, stellten sie eine Macht dar, über die Landoran nicht einfach hinweggehen konnte.

Einen Augenblick lang wirkte Landoran überrascht. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Ich werde veranlassen, dass deine Abreise so schnell wie möglich erfolgen kann. Du sollst ein Pferd und eine Rüstung von uns bekommen, damit du das Volk der Normirga angemessen vertreten kannst.«

Ollowain nickte. Bei der Flucht hatte er seine Rüstung verloren. Als ein Krieger sollte er mehr als nur ein Hemd tragen, auch wenn es dabei lediglich um Eitelkeiten ging, denn gegen die wuchtigen Keulenhiebe der Trolle würde ihn keine Rüstung schützen.

»Wir haben Boten zur Mehrheit aller Albenvölker geschickt. Wenn Elfen, Kentauren, Lamassu und all unsere anderen Brüdervölker uns in unserem Kampf unterstützen, dann werden wir die Trolle mit Leichtigkeit besiegen.«

Sein Vater lächelte dünn. »Das Angebot der Menschenkinder ist militärisch vielleicht fragwürdig, aber diplomatisch ist es von unschätzbarem Wert. Sie beschämen die übrigen Albenvölker, indem sie uns unterstützen. So könnte es sein, dass sie zum Kern eines großen Bündnisses werden.«

Ollowain wurde es immer wärmer. Er spürte, wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Die Luft in der Himmelshalle erschien ihm seltsam drückend. Den Mitgliedern des Rates schien das nichts auszumachen. Oder ging es nur ihm so? Verfluchte Zauberei! Er würde seinem Vater zutrauen, dass er es im Pavillon wärmer werden ließ, nur um ihn zu erniedrigen. Hier vor den Ältesten zu stehen, benässt vom Schweiß, das war fast so peinlich, als könne er sein Wasser nicht halten. Sie machten ihn zum Kind!

»Hast du noch irgendwelche Vorschläge oder gar Einwände?«, fragte Landoran arglos.

»Nein!« Ollowain wollte nur noch so schnell wie möglich aus dem Pavillon heraus.

Der Rat beendete seine Sitzung. Schweigend zogen seine Mitglieder davon. Es waren ungewöhnlich wenige, dachte Ollowain bei sich. Wo waren die anderen? Und was war mit Lyndwyn geschehen?

Der Schwertmeister ging zur Brücke hinüber. Auch außerhalb des Pavillons kam es ihm schwül vor. Sein Blick schweifte über das weite Tal. Die Bäume litten so wie er. Ihre Blätter hingen schlaff von den Ästen. Etwa eine halbe Meile entfernt stieg eine weiße Dampfwolke aus einem der Pfeiler.

Ollowain trocknete sich mit dem Ärmel die Stirn. Wenn er aus der Welt der Menschen zurückkehrte, würde er herausfinden, was hier vor sich ging!

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