»Die Briten unterwerfen, das ist leichter gesagt als getan!« schnaubte Claudius, mit Recht gekränkt. »Zeig ihm deine Narben, Aulus. Aber du erinnerst mich daran, daß in Britannien zur Zeit alles stillsteht, weil ich noch keinen Nachfolger für Aulus Plautius ernennen konnte. Zum Glück haben wir dich, Ostorius. Ich glaube, ich bin nicht der einzige hier im Saal, der deine ewige Besserwisserei satt hat. Geh nach Hause und bereite deine Reise vor. Narcissus schreibt dir noch heute die Vollmacht aus.«
Ich glaube, mein Buch hatte den Zuhörern schon vor Augen geführt, daß es kein Leichtes war, Britannien zu zivilisieren, denn alle lachten nun. Nachdem Ostorius den Saal gedemütigt verlassen hatte, konnte ich in Ruhe meinen Vortrag beenden. Claudius gestattete mir wohlwollend, bei Lampenlicht weiterzulesen, da er selbst mich ständig unterbrochen und viel Zeit vergeudet hatte. Als er zuletzt klatschte, brach ein ganzer Beifallssturm im Saale los. Niemand hatte mehr irgendwelche Berichtigungen vorzubringen, denn zu dieser späten Stunde waren alle hungrig geworden.
Ein Teil der Zuhörer begleitete mich nach Hause, wo Tullia ein Festmahl hatte vorbereiten lassen, denn ihr Koch war berühmt. Über mein Buch wurde nicht mehr viel gesprochen. Seneca stellte mich seinem eigenen Verleger vor. Der fein gebildete, alte Mann, bleich, gebückt und kurzsichtig vom vielen Lesen, erklärte sich gern bereit, mein Buch anzunehmen und fürs erste in einer Auflage von fünfhundert Stück herauszubringen. »Zwar hast du gewiß die Mittel, dein Buch selbst zu veröffentlichen«, meinte er freundlich, »aber der Name eines bekannten Verlegers ist dem Absatz eines Buches doch sehr dienlich. Mein Freigelassener verfügt über einhundert kundige Schreibsklaven, die nach einem einzigen Diktat jedes beliebige Buch rasch und leidlich fehlerfrei nachschreiben.
Seneca lobte diesen Mann mit vielen Worten, der ihn auch in den Tagen der Verbannung nicht im Stich gelassen, sondern die Buchhändler treu mit den vielen Schriften beliefert hatte, die aus Korsika nach Rom gesandt worden waren. Der Verleger sagte sanft: »Am meisten verdiene ich selbstverständlich mit den Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Liebesgeschichten und Reiseschilderungen, aber ich habe noch bei keinem Werk Senecas zusetzen müssen.«
Ich verstand den Wink und erklärte, ich sei bereit, mich an den Kosten der Herausgabe meines Buches zu beteiligen, war es doch eine große Ehre für mich, daß er mit seinem geachteten Namen für die Güte meines Werkes bürgen wollte. Dann mußte ich ihn verlassen, um mich anderen Gästen zu widmen. Es waren so viele, daß ich bald nicht mehr wußte, wo mir der Kopf stand. Zuviel Wein trank ich außerdem, und zuletzt ergriff mich tiefe Mutlosigkeit, da ich erkannte, daß keinem der Anwesenden wirklich an mir und meiner Zukunft gelegen war. Mein Buch war ihnen nur ein Vorwand. Sie waren gekommen, um seltene Gerichte zu essen, die besten Weine Kampaniens zu trinken, einander zu beobachten und zu bemäkeln und sich im stillen über die Erfolge meines Vaters zu verwundern, für die ihm in ihren Augen alle persönlichen Voraussetzungen fehlten.
Ich sehnte mich immer mehr nach Claudia, die mir der einzige Mensch auf der ganzen Welt zu sein schien, der mich wirklich verstand und auf mein Wohl bedacht war. Sie hatte natürlich nicht gewagt, zur Vorlesung zu kommen, aber ich wußte, wie sehr sie darauf brannte, zu erfahren, wie alles abgelaufen war, und ich ahnte, daß sie in dieser Nacht keinen Schlaf fand. Ich stellte mir vor, wie sie vor ihre Hütte trat, zu den Sternen des Winterhimmels emporblickte und dann nach Rom herüberstarrte, während nicht weit von ihr in der Stille der Nacht die Gemüsekarren rumpelten und das Schlachtvieh brüllte. Ich hatte mich in den Nächten bei Claudia so sehr an diese Laute gewöhnt, daß ich sie liebte, und nun führte mir der bloße Gedanke an polternde Karrenräder Claudia so lebendig vor Augen, daß mein Blut unruhig wurde.
Es gibt wohl kaum einen bedrückenderen Anblick als das Ende eines großen Festes. Die niedergebrannten Fackeln beginnen zu schwelen. Die Sklaven führen die letzten Gäste zu ihren Sänften, die Lampen verlöschen, vergossener Wein wird von den glänzenden Mosaikböden aufgewischt, andere Diener waschen das Erbrochene von den Marmorwänden der Abtritte. Tullia war selbstverständlich von der gelungenen Feier entzückt und unterhielt sich angeregt mit meinem Vater über den einen oder andern Gast und berichtete, was dieser und jener gesagt oder getan hatte. Ich selbst fühlte mich alldem sehr fern.
Wäre ich erfahrener gewesen, so würde ich gewußt haben, daß dies allein auf der Nachwirkung des Weins beruhte, aber jung, wie ich war, nahm ich meine Empfindungen ernst. Daher lockte mich nicht einmal die Gesellschaft meines Vaters, denn er und Tullia erfrischten sich mit leichtem Wein und Meeresfrüchten, während die Sklaven und Diener die großen Säle aufräumten. Ich dankte ihnen und ging, allein und ohne an die Gefahren des nächtlichen Roms zu denken, ganz von meiner Sehnsucht nach Claudia erfüllt.
Ihre Hütte war warm, und ihr Bett roch gut nach Wolle. Sie füllte das Glutbecken nach, damit ich nicht fror. Zuerst behauptete sie, sie habe nicht damit gerechnet, daß ich nach meinem großen Erfolg von der vornehmen Gesellschaft weg zu ihr kommen würde, aber sie hatte Tränen in ihren schwarzen Augen, als sie zärtlich flüsterte: »Ach Minutus, jetzt erst glaube ich, daß du mich wirklich liebst.«
Nach langen Freuden und einem kurzen, unruhigen Schlaf schlich kalt der Wintermorgen in die Hütte. Die Sonne war nicht zu sehen, und wir empfanden den grauen Winter wie einen tiefinnerlichen Schmerz, als wir einander bleich und müde anblickten.
»Was soll aus dir und mir werden, Claudia?« fragte ich. »Bei dir bin ich ganz aus der Wirklichkeit gefallen, in einer fremden Welt, unter anderen Sternen. Glücklich bin ich nur hier. Doch es kann so nicht weitergehen.«
Selbstsüchtig hoffte ich insgeheim wohl, sie würde sich beeilen, mir zu versichern, daß alles gut sei, wie es war, und bleiben könne wie bisher, da wir anderes nicht erhoffen durften. Aber Claudia seufzte erleichtert auf und rief: »Jetzt liebe ich dich noch mehr als je zuvor, Minutus, weil du selbst von dieser heiklen Sache als erster sprichst. Nein, es kann wirklich nicht so weitergehen. Du als Mann wirst kaum verstehen, mit wieviel Angst ich jedesmal auf meine Monatsblutung warte, und du kannst einer echten Frau auch nicht zumuten, daß sie immerzu geduldig harrt, bis es dir beliebt, sie aufzusuchen. Mein Leben ist nichts als Angst und qualvolles Warten.«
Ihre Worte verletzten mich. »Diese Gefühle hast du aber gut zu verbergen gewußt«, sagte ich gehässig. »Bisher hast du mir immer zu verstehen gegeben, daß du dich über mein Kommen freust. Was schlägst du vor?«
Sie packte meine beiden Hände mit festem Griff, sah mir starr in die Augen und sagte: »Es gibt nur eine Möglichkeit, Minutus. Verlassen wir Rom. Verzichte auf alle Ämter. Irgendwo auf dem Land oder weit fort auf der anderen Seite des Meeres können wir ohne Furcht zusammen leben, bis Claudius tot ist.«
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen und entzog ihr meine Hände. Claudia zuckte zusammen. »Es hat dir Freude gemacht, die Schafe zu halten, wenn ich sie schor, und Reisig für unser Feuer zu brechen«, sagte sie. »Und du hast das Wasser aus meiner Quelle gelobt und mir versichert, meine einfachen Speisen schmeckten dir besser als das, was du bisher gekostet hast. Dieses bescheidene Glück können wir in jedem Erdenwinkel finden, der nur weit genug von Rom entfernt ist.«
Ich dachte eine Weile nach und antwortete ernst: »Ich leugne nichts und nehme meine Worte nicht zurück, aber dies ist ein folgenschwerer Entschluß. Wir können nicht auf einen bloßen Einfall hin freiwillig in die Verbannung gehen.« Und aus reiner Bosheit fügte ich hinzu: »Was soll dann aus dem Reich werden, auf das du wartest, und aus den geheimen Mählern, an denen du teilnimmst?«
Claudia sah mich traurig an und sagte: »Ich sündige ohne Unterlaß mit dir und fühle nicht mehr dasselbe Feuer wie früher, wenn ich bei ihnen bin. Mir ist, als sähen sie in mein Herz und sorgen sich um meinetwillen, und bei jedem Zusammentreffen drückt mich meine Schuld schwerer. Deshalb gehe ich ihnen am liebsten aus dem Weg. Du nimmst mir meinen Glauben und meine Hoffnung, wenn alles bleibt, wie es bisher war.«
Als ich zum Aventin zurückging, fühlte ich mich wie mit kaltem Wasser übergossen. Ich begriff, daß ich unrecht handelte, wenn ich Claudia ausnützte wie eine Hure, die ich nicht einmal bezahlte, aber die Ehe dünkte mich doch ein allzu hoher Preis für die bloße Befriedigung des Fleisches, und ich mochte auch Rom nicht verlassen, da ich mich viel zu gut erinnere, wie ich mich als Knabe in Antiochia und als Mann in Britanniens Wintern nach dieser Stadt gesehnt hatte.
Ich besuchte Claudia fortan nur noch selten und fand immer etwas anderes, Wichtigeres zu tun, bis die Unruhe in meinem Körper mich wieder zu ihr trieb. Glücklich waren wir nur noch im Bett. Sonst quälten wir einander so lange, bis ich wieder Ursache hatte, sie im Zorn zu verlassen.
Im nächsten Frühjahr verbannte Claudius die Juden aus Rom, da nicht ein einziger Tag mehr ohne Streit und Schlägereien verging, so daß schließlich die Zwietracht der Juden die ganze Stadt in Unruhe versetzte. In Alexandria rauften die Juden mit den Griechen, und in Jerusalem zettelten jüdische Aufwiegler so schwere Unruhen an, daß Claudius zuletzt die Geduld riß.
Seine einflußreichen Freigelassenen unterstützten seinen Beschluß mit Eifer, da sich nun die Gelegenheit bot, den reichsten Juden, die der Ausweisung entgehen wollten, zu hohen Preisen Ausnahmebewilligungen zu verschaffen. Claudius legte seinen Beschluß nicht einmal dem Senat vor, obwohl viele Juden seit mehreren Geschlechtern in Rom ansässig waren und sich das Bürgerrecht erworben hatten. Der Kaiser war der Ansicht, ein einfacher Erlaß genüge, da er ja niemandem das Bürgerrecht nahm, und außerdem ging das Gerücht, die Juden hätten zu viele Senatoren bestochen.
Auf diese Weise leerten sich die Häuser jenseits des Tibers, und die Synagogen wurden geschlossen. Viele Juden, die nicht das Geld hatten, sich freizukaufen, versteckten sich irgendwo in Rom, und die Vorsteher der einzelnen Stadtteile hatten alle Hände voll zu tun, sie aufzuspüren. Die Männer des Stadtpräfekten hielten sogar verdächtig erscheinende Bürger auf offener Straße an und zwangen sie, das Glied zu entblößen, um sich zu vergewissern, daß sie nicht beschnitten waren.
Einige wurden in den öffentlichen Bedürfnisanstalten gefaßt, denn die Römer mochten die Juden im allgemeinen nicht und beteiligten sich gern an der Jagd. Sogar die Sklaven waren ihnen übel gesinnt. Die gefangenen Juden schickte man zum Hafenbau nach Ostia oder in die Bergwerke Sardiniens, was freilich eine sinnlose Verschwendung kostbarer Arbeitskraft war, denn die meisten waren geschickte Handwerker. Aber Claudius kannte kein Erbarmen. Unter den Juden selbst wurde der Haß noch größer. Nun stritten sie nämlich darüber, welche Partei an der Verbannung schuld sei. Auf den Straßen in der Umgebung Roms fand man zahllose erschlagene Juden, ob Christen oder Rechtgläubige, das ließ sich nicht feststellen. Ein toter Jude ist ein toter Jude, und die Straßenaufseher sahen nichts und wußten von nichts, sofern der Mord nicht gerade vor ihren Augen geschah. »Der beste Jude ist ein toter Jude«, scherzten sie untereinander, wenn sie der Ordnung halber untersuchten, ob die mißhandelte Leiche, auf die sie stießen, beschnitten war oder nicht.
Die unbeschnittenen Christen waren über den Auszug ihrer Lehrmeister tief bekümmert und folgten ihnen eine Strecke Wegs, um sie gegen die Übermacht zu schützen. Es waren ungebildete, arme Menschen, viele von ihnen Sklaven, und die vielen erlittenen Enttäuschungen hatten sie bitter gemacht. In der Verwirrung, die auf die Austreibung der Juden folgte, waren sie wie eine Herde ohne Hirt.
Es war rührend anzusehen, wie sie sich nun noch enger zusammenschlossen und ihre armseligen Mähler abhielten. Aber es gab auch Männer unter ihnen, die die anderen lehrten, so daß sie bald wieder in streitende Gruppen gespalten waren. Die älteren hielten sich allein an das, was sie mit eigenen Ohren über Jesus von Nazareths Leben und Lehren gehört hatten. Dagegen standen aber andere auf und sagten: »Nein, nein, so war es nicht, sondern vielmehr so …« und hielten starrsinnig an ihrer Meinung fest.
Die kühnsten erprobten ihre Kräfte, indem sie sich in Ekstase steigerten und durch Handauflegen zu heilen versuchten, was ihnen jedoch selten gelang. Simon der Zauberer wurde nicht ausgewiesen, und ich weiß nicht, ob er sich freikaufte oder als Samariter nicht für einen Juden gehalten wurde. Tante Laelia berichtete mir, daß er noch immer Kranke heilte, und zwar mit gutem Glück, weil er, wie sie sagte, göttliche Kräfte besaß. Ich für mein Teil glaubte eher, er versuchte seine Kunst überhaupt nur an solchen, die sich ihm völlig unterwarfen. Ich suchte ihn nicht mehr auf, aber er hatte Anhänger unter den Christen, hauptsächlich wohlhabende, neugierige Frauen. Sie glaubten lieber ihm als denjenigen, die Demut, eine schlichte Lebensweise, Liebe und die Wiederkunft des Gottessohnes auf einer Wolke predigten. Durch diese Menschen bestärkt, versuchte Simon der Zauberer wieder zu fliegen. Er verschwand vor den Augen seiner ihm ergebenen Zuschauer und wurde an einem anderen Ort wieder sichtbar.
Barbus machte mir Sorgen, denn er versäumte oft seine Türhüterpflichten und ging seine eigenen Wege. Tante Laelia hatte Angst vor Einbrechern und verlangte, daß ich Barbus zurechtwies. Er rechtfertigte sich mit den Worten: »Ich bin ein Bürger wie jeder andere und liefere bei der Austeilung meinen Korb Getreide an den Haushalt ab. Du weißt, daß ich mich nie viel um die Götter gekümmert habe. Bei besonderen Gelegenheiten opferte ich bestenfalls Herkules. Aber wenn das Alter naht, möchte man sein Haus versorgt wissen. Einige Männer von der Feuerwache und andere alte Krieger haben mich in eine geheime Gesellschaft aufgenommen, und ich habe nun die frohe Gewißheit, daß ich nie sterben werde.«
»Dunkel sind die Gefilde der Unterwelt«, sagte ich. »Die Schatten müssen damit vorlieb nehmen, das Blut um die Opferaltäre aufzuschlecken. Aber ist es nicht das klügste, sein Schicksal hinzunehmen und sich mit Schatten und Asche zu begnügen, wenn einmal die Zeit des Lebens vorüber ist?«
Barbus schüttelte nur den Kopf und erwiderte: »Ich darf die Geheimnisse der Eingeweihten nicht preisgeben, aber soviel kann ich dir sagen: Der neue Gott heißt Mithras. Ein Berg hat ihn geboren. Hirten fanden ihn und beugten sich vor ihm. Er tötete den Urstier und schuf alles, was gut ist. Denn Eingeweihten, die mit Blut getauft sind, gelobte er Unsterblichkeit. Wenn ich die Sache recht verstanden habe, erhalte ich nach dem Tode neue Gliedmaßen und komme in eine prachtvolle Kaserne, wo der Dienst leicht ist und Wein und Honig nie zu Ende gehen.«
»Barbus!« sagte ich tadelnd. »Ich dachte, du seist nun alt und lebenserfahren genug, um solche Ammenmärchen nicht mehr zu glauben. Du solltest eine Wasserkur machen, denn ich fürchte, du siehst vor lauter Trunkenheit schon Gespenster.«
Barbus hob seine zitternden Hände und schwor: »Nein, nein. Wenn die Worte ausgesprochen sind, das Licht von seiner Krone die Dunkelheit erhellt und das heilige Glöckchen erklingt, beginnt man tief innen im Leib zu erzittern, die Haare stellen sich einem auf, und selbst der Kleingläubige ist von seiner göttlichen Kraft überzeugt. Danach, und vor allem wenn ein alter Zenturio die Bluttaufe erhalten hat, nehmen wir ein heiliges Mahl ein, gewöhnlich aus Ochsenfleisch, und nachdem wir Wein getrunken haben, singen wir zusammen.«
»Wir leben in einer wunderlichen Zeit«, sagte ich. »Tante Laelia sucht ihr Heil bei einem Zauberer aus Samaria, mein eigener Vater bangt um die Christen, und ein alter Krieger wie du läßt sich von irgendwelchen Mysterien aus dem Osten einfangen.«
»Im Osten geht die Sonne auf«, entgegnete Barbus ernst. »In gewissem Sinne ist der Stiertöter auch der Sonnengott und somit der Gott der Pferde. Niemand, weißt du, blickt hochmütig auf einen armseligen alten Marschierer wie mich herab, und niemand hindert dich daran, dich selbst über unseren Gott belehren zu lassen, wenn du nur zu schweigen versprichst. Es finden sich unter uns einige ältere und jüngere Ritter, denen die üblichen Opfer und Götterbilder nichts mehr bedeuten.«
Als ich dieses Gespräch mit Barbus führte, war ich der Wagenrennen und Wetten und des seichten Lebensgenusses in Gesellschaft eitler, selbstgefälliger Schauspieler längst ebenso überdrüssig geworden wie des Bücherwurms Lucius Pollio und der endlosen Gespräche seiner Freunde über Philosophie und die neue Dichtkunst. Ich versprach daher Barbus gern, ihn zu einem der Gastmähler zu Ehren des neuen Gottes zu begleiten. Er freute sich und war sehr stolz, und zu meiner Verwunderung fastete er wirklich, wusch sich sorgfältig, zog reine Kleider an und wagte keinen Wein zu trinken.
Gegen Abend führte er mich durch krumme, stinkende Gassen zu einem unterirdischen Tempel im Tal zwischen dem Esquilin und dem Caelius. Als wir eine Treppe zu einem spärlich erhellten Saal mit Steinwänden hinabschritten, wurden wir von einem Mithraspriester mit einem Löwenfell um die Schultern empfangen, der keine unnötigen Fragen stellte und mir bereitwillig erlaubte, an den Mysterien teilzunehmen.
»Es gibt nichts, dessen wir uns zu schämen hätten«, sagte er. »Wir fordern Sauberkeit, Ehrlichkeit und Männlichkeit von denen, die sich zu unserem Gott Mithras bekennen, um den inneren Frieden und ein gutes Leben nach dem Tode zu finden. Du hast ein offenes Gesicht und eine gute Haltung. Deshalb glaube ich, daß dir unser Gott gefallen wird. Sprich aber nicht ohne guten Grund zu anderen über ihn.«
Im Saal war bereits eine große Schar alter und jüngerer Männer versammelt. Unter ihnen erkannte ich zu meiner Verblüffung einige Kriegstribunen und Zenturionen von der Prätorianergarde. Viele waren Veteranen und Invaliden. Sie trugen alle reine Kleidung und das heilige Zeichen des Mithras je nach dem Einweihungsgrad, den sie erreicht hatten. Militärischer Rang und persönliches Vermögen schienen nicht viel zu bedeuten. Barbus erklärte mir, daß die reicheren Eingeweihten den Ochsen stifteten, wenn ein tapferer, unbescholtener Veteran mit Ochsenblut eingeweiht wurde. Er selbst begnügte sich mit dem Grad des Raben, weil er nicht immer ein Leben ohne Tadel geführt und es mit der Wahrheit oft nicht allzu genau genommen hatte.
Es war so dämmerig in dem unter der Erde gelegenen Saal, daß ich viele Gesichter nicht erkennen konnte. Ich sah jedoch einen Altar mit dem Bild eines Gottes, der einen Stier tötete. Er trug eine Krone auf dem Haupt. Dann wurde es still. Der Älteste der Versammlung begann heilige Texte herzusagen, die er auswendig konnte. Er sprach lateinisch, und ich verstand nur die Bedeutung einiger der heiligsten Worte nicht, begriff aber, daß nach dieser Lehre ein ständiger Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, Gut und Böse „ausgetragen wurde. Schließlich verlosch auch das letzte Licht. Ich vernahm ein geheimnisvolles Plätschern und ein silbrig klingendes Glöckchen. Viele seufzten tief, und Barbus packte mich am Arm. Licht, das aus verborgenen Öffnungen in den Wänden fiel, erhellte die Krone des Gottes und dann das ganze Bild.
Mehr will ich über die Mysterien nicht berichten. Ich überzeugte mich davon, daß die Mithrasanbeter voll ernster Frömmigkeit waren und fest an ein künftiges Leben glaubten. Nach dem Sieg des Lichts und der guten Mächte wurden die Fackeln im Saal wieder angezündet, und wir nahmen ein anspruchsloses Mahl ein. Die Anwesenden waren heiter und wie von einer Last befreit, ihre Gesichter leuchteten vor Freude, und sie sprachen freundlich und ohne Rücksicht auf Rang oder Einweihungsgrad miteinander. Das Mahl bestand aus zähem Ochsenfleisch und dem billigen, sauren Wein, den man in den Lagern bekommt.
Den frommen Gesängen und dem übrigen Gerede entnahm ich, daß diese ehrlichen, wenn auch einfachen Männer aufrichtig nach einem untadeligen Leben strebten. Die meisten waren Witwer oder unverehelicht und suchten Trost und Schutz bei ihrem siegreichen Sonnengott und im Beisammensein mit Gleichgesinnten. Zumindest fürchteten sie keine Zauberei und glaubten an keine anderen Vorzeichen als an ihre eigenen.
Ich fand, daß diese Gesellschaft Barbus nur nützen konnte, aber mich selbst sprachen diese Zeremonien nicht an. Vielleicht fühlte ich mich zu gebildet und zu jung unter diesen ernsten, älteren Männern. Zuletzt begannen sie übrigens Geschichten zu erzählen, aber es waren die gleichen Geschichten, die man auch ohne Zeremonien an allen Grenzen des Römischen Reiches an den Lagerfeuern zu hören bekommt. Ich suchte den Tempel nicht mehr auf.
Doch die Unruhe verließ mich nicht. Bisweilen nahm ich den schäbigen Holzbecher aus meiner verschlossenen Truhe, streichelte ihn und dachte an meine griechische Mutter, die ich nicht gekannt hatte. Zuletzt trank ich, um ihrer zu gedenken, ein wenig Wein aus dem Becher und errötete dabei über meinen Aberglauben. Es war mir in solchen Augenblicken, als fühlte ich die gute, zärtliche Nähe meiner Mutter, aber ich scheute mich, mit jemandem darüber zu sprechen.
Ich begann mich mit schonungslosen Reitübungen zu quälen, denn ich glaubte, größere Befriedigung zu verspüren, wenn ich ein schwer zu reitendes Pferd unter mir hatte, als wenn ich eine Nacht bei Claudia zubrachte und ohne Unterlaß mit ihr stritt. Jedenfalls konnte ich so mein schlechtes Gewissen und meine Selbstvorwürfe zum Schweigen bringen.
Der junge Lucius Domitius zeichnete sich nach wie vor auf dem Reitfeld aus, aber sein höchstes Glück war es, auf einem gut dressierten Pferd schön zu reiten. Er war der Erste unter den jungen Rittern, und Agrippina zuliebe beschlossen wir anderen Mitgliedern des Ritterstandes, ihm zu Ehren eine neue Goldmünze prägen zu lassen. Claudius hatte ihn übrigens noch vor Ablauf eines Jahres adoptiert.
Auf die eine Seite der Münze ließen wir sein feingeschnittenes Knabenprofil prägen und um das Bildnis herum seinen neuen Adoptivnamen: »Für Nero Claudius Drusus und zur Erinnerung an seinen Großvater Germanicus, den Bruder des Claudius.« Die Inschrift auf der anderen Seite lautete: »Die Ritterschaft freut sich ihres Führers.« In Wirklichkeit bezahlte Agrippina diese Münze, die als Erinnerungsgabe in allen Provinzen ausgeteilt wurde, zugleich aber, wie alle im Tempel der Juno Moneta geprägten Goldmünzen, vollgültiges Zahlungsmittel war. Natürlich verstand es Agrippina, eine kleine politische Demonstration zugunsten ihres Sohnes zu veranstalten. Von ihrem zweiten Gatten, Pasienus Crisus, der nur kurze Zeit Lucius Domitius’ Stiefvater gewesen war, hatte sie ein Vermögen von zweihundert Millionen Sesterze geerbt, das sie in ihrer Stellung als Gemahlin des Kaisers und Vertraute des Verwalters der Staatskasse geschickt zu vermehren wußte.
Der Zuname Germanicus war älter und ehrenvoller als der des Britannicus, den wir seiner Fallsucht und Pferdescheu wegen nicht mochten. Sogar über seine Geburt gingen gewisse Geschichten um, da Kaiser Gajus seinerzeit die siebzehnjährige Messalina gar zu rasch mit dem verlebten Claudius vermählt hatte.
Als Freund des Lucius Domitius nahm ich an dessen Adoptionsfest und den damit verbundenen Opferfeiern teil. Ganz Rom war der Meinung, daß er seine neue Stellung auf Grund seiner kaiserlichen Abstammung und seines eigenen angenehmen Wesens verdiente. Wir nannten ihn von diesem Tage an nur noch Nero. Den Adoptivnamen wählte Claudius zur Erinnerung an seinen eigenen Vater, den jüngeren Bruder des Kaisers Tiberius.
Lucius Domitius oder Nero war von allen jungen Römern, die ich kannte, der begabteste. Er war sowohl körperlich als auch geistig reifer als seine Altersgenossen. Er rang gern und besiegte alle, obgleich gesagt werden muß, daß es, bei der allgemeinen Bewunderung, die er genoß, niemand ernstlich darauf anlegte, ihn zu besiegen, um sein empfindliches Gemüt nicht zu kränken. Nero konnte noch immer zu weinen beginnen, wenn seine Mutter oder sein Rhetor Seneca ihn zu streng tadelten. Er wurde von den vornehmsten Lehrern Roms unterrichtet, und sein Lehrer in der Redekunst war Seneca. Ich mochte meinen jungen Freund Nero gut leiden, obwohl ich oft genug bemerkte, daß er geschickt und durchaus glaubwürdig log, wenn er etwas angestellt hatte, was Seneca tadelnswert fand. Doch wer tut das nicht! Außerdem war es nicht möglich, Nero lange böse zu sein.
Agrippina sorgte dafür, daß Nero an den offiziellen Mählern des Claudius teilnahm und im gleichen Abstand wie Britannicus am Fußende von dessen Liegesofa saß. Auf diese Weise konnten die Vornehmen Roms wie auch die Gesandten aus den Provinzen ihn kennenlernen und die beiden Knaben miteinander vergleichen: den aufgeweckten, liebenswürdigen Nero und den mürrischen Britannicus. Agrippina lud die Söhne der vornehmen Familien Roms der Reihe nach an den Tisch der beiden Knaben. Nero übernahm die Rolle des Gastgebers, und Seneca leitete die Unterhaltung, indem er jedem ein Thema stellte, über das er zu reden hatte. Ich glaube, er gab Nero sein Thema im voraus und half ihm bei der Ausarbeitung, denn Nero zeichnete sich jedesmal durch seine gewandte, schöne Sprache aus.
Ich wurde oft eingeladen, denn mindestens die Hälfte der Gäste trug schon die Toga, und Nero schien mich aufrichtig gern zu haben. Bald war ich es jedoch müde, immer wieder zu hören, wie die Redner ihren Vortrag mit denselben abgedroschenen Versen des Vergil oder Horaz oder mit Zitaten aus den Werken griechischer Dichter aufputzten. Deshalb begann ich mich auf diese Einladungen dadurch vorzubereiten, daß ich Senecas Werke las und mir seine Lieblingssentenzen über die Beherrschung des Zorns, die Kürze des Lebens und die unerschütterliche Ruhe des Weisen unter allen Schicksalsschlägen einprägte.
Als ich Seneca kennenlernte, empfand ich hohe Achtung vor ihm, denn es gab nichts auf der Welt, worüber er nicht mit seiner vorzüglich geschulten Stimme ein paar kluge, wohlüberlegte Worte zu sagen wußte. Nun wollte ich jedoch erproben, ob die Unerschütterlichkeit des Weisen auch größer war als die natürliche Eitelkeit des Menschen.
Selbstverständlich durchschaute Seneca mein Spiel, denn er war nicht dumm, aber es gefiel ihm offensichtlich, seine eigenen Gedanken im Verein mit denen der Großen der Vergangenheit ausgesprochen zu hören. Ich war noch dazu so durchtrieben und nannte nie seinen Namen, wenn ich ihn zitierte, denn das wäre eine gar zu grobe Schmeichelei gewesen, sondern sagte nur: »Ich las unlängst irgendwo …« oder: »Ich muß immer an folgenden Ausspruch denken …«
Nero machte den Stimmbruch durch, unter dem er sehr litt, und erhielt mit vierzehn Jahren die Toga. Das Opfer für Jupiter vollzog er als ein ganzer Mann, und er sagte die Opferlitaneien auf, ohne zu stottern und sich zu wiederholen. Die Leberschau ergab nur die günstigsten Vorzeichen. Nero lud die Jugend Roms zu einem großen Gastmahl, und der Senat beschloß einstimmig, daß er den Konsulsrang erhalten sollte, sobald er zwanzig war. Damit, nämlich als zukünftiger Konsul, bekam er unmittelbar Sitz und Stimme im Senat. Von Rhodos, der berühmten Insel der Philosophen, kamen Gesandte und baten um die Wiederherstellung der Freiheit und Selbstverwaltung der Insel. Ich weiß nicht, ob Claudius nicht ohnehin schon milder gegen die Bewohner von Rhodos gestimmt war. Jedenfalls war Seneca der Ansicht, daß dies die denkbar günstigste Gelegenheit für Nero sei, seine erste Rede in der Kurie zu halten. Mit Senecas Hilfe bereitete sich Nero in aller Heimlichkeit sorgfältig vor.
Mein Vater erzählte mir, daß er seinen Ohren nicht traute, als Nero nach der Rede der Gesandten und einigen sarkastischen Bemerkungen von Seiten der Senatoren plötzlich aufstand und »Ehrwürdige Väter!« rief. Alle wachten auf und blickten ihn erwartungsvoll an. Als Claudius durch ein Kopfnicken seine Zustimmung gegeben hatte, stieg Nero auf die Rednertribüne und sprach mit leidenschaftlicher Begeisterung von der ruhmreichen Geschichte der Insel Rhodos, ihren berühmten Philosophen und den großen Römern, die auf Rhodos ihre Bildung vollendet hatten. »Hat nicht die rosenduftende Insel der Weisen, der Gelehrten, der Dichter und Redner genug für ihren Irrtum gebüßt, und wird dieser nicht durch ihre Berühmtheit wiedergutgemacht!« Und so fort.
Als er geendet hatte, sahen alle Claudius an wie einen Verbrecher, da er es ja gewesen war, der dieser Insel die Freiheit geraubt hatte. Claudius fühlte sich schuldbewußt, und Neros Beredsamkeit hatte ihn erschüttert. »Starrt mich nicht an wie Kühe einen neuen Zaun«, knurrte er unwillig. »Faßt einen Beschluß. Ihr seid ja der römische Senat.«
Man schritt zur Abstimmung, und Neros Begnadigungsantrag erhielt nahezu fünfhundert Stimmen. Mein Vater meinte, am besten habe ihm Neros Bescheidenheit gefallen, denn als Antwort auf alle Glückwünsche sagte er nur: »Lobt nicht mich. Lobt meinen Lehrer.« Mit diesen Worten trat er auf Seneca zu und umarmte ihn. Seneca lächelte und sagte so laut, daß es alle hörten: »Nicht einmal der beste Rhetor könnte aus einem unbegabten Jüngling einen guten Redner machen.«
Die älteren unter den Senatoren lehnten jedoch Seneca ab, einmal wegen seines weltmännischen Auftretens und zum andernmal, weil sie meinten, der strenge Stoizismus der Alten sei in seinen Schriften zu eitler Schaumschlägerei geworden. Es hieß auch, er sei gar zu sehr darauf bedacht, schöne Knaben als Schüler zu gewinnen, doch das lag, glaube ich, nicht an Seneca allein, denn Nero verabscheute die Häßlichkeit in dem Grade, daß ein entstelltes Gesicht oder ein auffälliges Muttermal ihm die Eßlust verderben konnte. Mir selbst trat Seneca jedenfalls niemals nahe, und er verbot sogar dem zärtlichkeitsbedürftigen Nero, ihn zu küssen.
Nach seiner Ernennung zum Prätor führte Seneca hauptsächlich Zivilprozesse, die an sich beschwerlicher und schwieriger waren als Strafprozesse, da es dabei zumeist um Grundstücke, Besitzrechte, Scheidungen und Testamente ging. Er selbst sagte, es gehe ihm wider die Natur, einen Menschen zur Prügelstrafe oder zum Tode zu verurteilen. Als er bemerkte, daß ich mir jeden seiner Prozesse anhörte, sprach er mich eines Tages nach einer Verhandlung an und sagte: »Du bist begabt, Minutus Lausus. Du beherrscht neben der lateinischen Sprache die griechische und bekundest für Rechtsfragen das Interesse, das einem echten Römer ansteht. Möchtest du nicht mein Gehilfe werden und beispielsweise unter meiner Anleitung im Archiv Präjudizfälle und vergessene Verordnungen heraussuchen?«
Ich errötete vor Freude und Eitelkeit und antwortete, ein solcher Auftrag wäre mir eine große Ehre. Seneca machte eine säuerliche Miene und bemerkte: »Du verstehst, hoffe ich, daß mancher ein Auge aus seinem Kopf dafür geben würde, wenn er eine solche Gelegenheit erhielte, sich vor seinen Mitbewerbern um Beamtenstellen auszuzeichnen.«
Das verstand ich natürlich, und ich versicherte ihm, daß ich ihm für diese unvergleichliche Gunst ewig Dank wissen werde. Er schüttelte den Kopf. »Du weißt, daß ich für römische Begriffe kein reicher Mann bin. Ich baue mir gerade ein Haus, und wenn es fertig ist, will ich mich wieder verheiraten, um den Verleumdungen ein Ende zu machen. Du verfügst ja wohl selbst über dein Eigentum und kannst mir ein Entgelt für meine juristischen Belehrungen zahlen?«
Ich rang vor Verblüffung nach Atem und bat ihn, mir meinen Unverstand zu verzeihen. Auf meine Frage, wieviel er verlange, lächelte Seneca, klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Es ist vielleicht das klügste, du berätst dich mit deinem reichen Vater Marcus Mecentius.«
Ich suchte meinen Vater unverzüglich auf und fragte ihn, ob beispielsweise zehn Goldstücke ein unziemlich großes Geschenk für einen Philosophen seien, der die Genügsamkeit und ein einfaches Leben liebt. Mein Vater lachte hellauf und rief: »Ich kenne Senecas bescheidene Gewohnheiten. Laß mich nur machen, und kümmere dich nicht mehr um die Sache.« Später hörte ich, daß er Seneca tausend Goldstücke oder, mit anderen Worten, einhunderttausend Sesterze schickte, was für meine Begriffe eine ungeheuerliche Summe war. Seneca nahm jedoch keinen Anstoß, ja er behandelte mich womöglich noch freundlicher als zuvor, um zu zeigen, daß er meinem Vater diese geschmacklose Übertreibung, die nur einem Emporkömmling einfallen konnte, verzieh.
Ich arbeitete mehrere Monate als Senecas Gehilfe im Prätorium. Er war unbedingt gerecht in seinen Urteilen, die genau überlegt waren. Keinem Advokaten gelang es, ihn durch Beredsamkeit irrezuführen, denn er war selbst der hervorragendste Redner seiner Zeit. Trotzdem streuten einige, die ihren Prozeß verloren hatten, das Gerücht aus, er habe sich bestechen lassen; doch das wird freilich jedem Prätor nachgesagt. Seneca selbst versicherte, er habe niemals vor dem Urteilsspruch Geschenke angenommen. »Andererseits«, meinte er, »ist es ganz natürlich, daß sich der Gewinner eines Prozesses, in dem es etwa um das Besitzrecht an einem Grundstück im Werte von einer Million Sesterze ging, dem Richter erkenntlich zeigt, denn kein Beamter kann vom bloßen Prätorensold leben und während seiner Amtszeit auch noch Gratisvorstellungen im Theater bezahlen.«
Es war wieder Frühling geworden. Das frische Grün, die wärmende Sonne und die Zitherklänge lenkten unsere Gedanken von den trockenen, geschraubten juristischen Texten ab und zu den leichtsinnigen Versen des Ovid und des Properz hin, und ich sann immer häufiger darüber nach, was ich mit Claudia beginnen sollte. Nach und nach kam ich zu der Überzeugung, daß Agrippina der einzige Mensch sei, der eine gute und gerechte Lösung finden könnte. Mit Tante Laelia konnte ich nicht über Claudia sprechen, und noch weniger mit Tullia. An einem schönen Abend, als die Wolken über Rom goldrot glühten, bot sich mir endlich die erhoffte Gelegenheit. Nero nahm mich in die Gärten auf dem Pincius mit, und dort trafen wir seine Mutter, die den Gärtnern Anweisungen für die Frühjahrsarbeit gab. Ihr Gesicht strahlte vor Freude, wie immer, wenn sie mit ihrem schönen Sohn zusammentraf. Mich fragte sie mütterlich: »Was drückt dich, Minutus Manilianus? Du siehst aus, als hättest du einen heimlichen Kummer. Dein Blick ist unstet, und du wagst mir nicht in die Augen zu sehen.«
Ich wagte es doch, und ihre Augen waren so klar und allwissend wie die einer Göttin. Ich fragte stammelnd: »Erlaubst du wirklich, daß ich von einer großen Sorge mit dir spreche?«
Sie führte mich freundlich ein Stück von den Gärtnern und den zur Erde gebückten Sklaven fort und bat mich, aufrichtig und ohne Furcht zu sprechen. Ich erzählte ihr von Claudia, aber schon bei meinen ersten Worten richtete sie sich steif auf, obwohl sich kein Muskel in ihrem ruhigen Antlitz verzog.
»Plautia Urgulanillas Ruf war bedenklich«, erinnerte sie sich. »In meiner Kindheit kannte ich sie sogar, obgleich ich wünsche, ich hätte sie nie gesehen. Wie ist es möglich, daß du mit so einem Mädchen bekannt werden konntest? Soviel ich weiß, darf sie sich nicht innerhalb der Stadtmauern blicken lassen. Hütet denn dieser Bastard nicht irgendwo auf Aulus Plautius’ Gütern die Ziegen?«
Ich berichtete, wie wir zusammengetroffen waren, aber als ich mehr erzählen wollte, unterbrach mich Agrippina ständig mit neuen Fragen, um, wie sie sagte, der Sache ganz auf den Grund zu kommen. Zuletzt gelang es mir aber doch noch zu gestehen: »Wir lieben uns und möchten heiraten, wenn wir nur wüßten, wie wir es anfangen sollen.«
»Minutus, solche Mädchen heiratet man nicht«, sagte Agrippina kurz.
Ich versuchte, Claudias gute Eigenschaften zu loben, aber Agrippina hörte kaum zu. Mit Tränen in den Augen starrte sie in die blutrot über Rom untergehende Sonne, so als hätten meine Worte sie tief betrübt. Schließlich unterbrach sie mich und fragte: »Seid ihr beisammen gelegen? Sage es, wie es ist.«
Ich durfte die Wahrheit nicht verschweigen, beging jedoch den Fehler, zu sagen, daß wir miteinander glücklich waren und uns gut verstanden, was allerdings, seit wir so oft Streit hatten, nicht mehr ganz stimmte, und dann fragte ich schüchtern, ob es nicht möglich wäre, daß eine unbescholtene Familie Claudia adoptierte.
»Armer Minutus, worauf hast du dich da eingelassen?« antwortete Agrippina mitleidig. »In ganz Rom wirst du keine achtbare Familie finden, die um einen noch so hohen Preis bereit wäre, sie zu adoptieren. Und ließe wirklich eine Claudia ihren Namen tragen, so würde das nur beweisen, daß sie nicht achtbar ist.«
Ich versuchte, meine Worte so wohl zu setzen, wie ich nur vermochte, aber Agrippina war unerschütterlich. »Als Beschützerin des Ritterstandes ist es meine Pflicht, an dein Bestes zu denken und nicht nur an das arme leichtfertige Mädchen. Du bist dir nicht recht im klaren darüber, in was für einem Ruf sie steht, und ich will nichts weiter dazu sagen, da du mir in deiner Verblendung ohnehin nicht glauben würdest. Ich verspreche dir aber, daß ich über euch nachdenken werde.«
Ich sagte verwirrt, sie müsse mich falsch verstanden haben. Claudia sei weder leichtfertig noch verderbt, sonst hätte ich nie daran gedacht, mich mit ihr zu vermählen. Ich muß gestehen, daß Agrippina viel Geduld mit mir hatte. Sie fragte mich genau aus, was Claudia und ich miteinander getan hatten, lehrte mich den Unterschied zwischen Tugend und Lasterhaftigkeit im Bett und gab mir zu verstehen, daß Claudia in dieser Sache offenbar erfahrener war als ich.
»Der Gott Augustus selbst verbannte Ovid, der mit seinen sittenlosen Büchern zu beweisen versuchte, daß die Liebe eine Kunst sei«, sagte sie. »Du zweifelst doch wohl nicht an seinem Urteil! Solche Spiele gehören ins Hurenhaus, und der beste Beweis dafür ist, daß du mir nicht in die Augen sehen kannst, Minutus, ohne zu erröten.«
Ich fühlte mich trotz allem von einer schweren Bürde befreit, da ich mich der klugen, edlen Agrippina anvertraut hatte, und eilte froh aus der Stadt, um Claudia sogleich zu berichten, daß unser Schicksal in guten Händen lag. Ich hatte ihr zuvor nichts von meiner Absicht gesagt, um nicht Hoffnungen in ihr zu erwecken, die sich am Ende vielleicht als trügerisch herausstellten.
Als ich ihr aber nun von meiner Unterredung mit Agrippina berichtete, wurde sie vor Schreck so bleich, daß die Sommersprossen links und rechts von ihrer kräftigen Nase braun und häßlich auf der weißen Haut hervortraten. »Minutus, Minutus, was hast du da angerichtet!« jammerte sie. »Bist du denn wirklich ganz und gar von Sinnen?«
Ich war tief gekränkt, weil sie mich einer Sache wegen tadelte, die ich glaubte vortrefflich angepackt zu haben und auf die ich mich zudem nur ihr zuliebe eingelassen hatte. Es hatte nicht wenig Mut dazu gehört, mit Roms erster Dame über so heikle Dinge zu sprechen. Ich fragte Claudia, was sie gegen eine so edle Frau wie Agrippina habe, aber sie antwortete mir nicht, sondern saß nur da wie gelähmt, die Hände auf den Knien, und sah mich nicht einmal an.
Auch durch Zärtlichkeiten gelang es mir nicht, sie zum Sprechen zu bringen. Sie wies mich schroff ab, und zuletzt konnte ich mir ihr Verhalten nicht anders erklären als damit, daß sie etwas auf dem Gewissen hatte, was sie mir nicht sagen konnte oder wollte. Das einzige, was ich endlich von ihr zu hören bekam, war, daß es keinen Sinn habe, mir irgend etwas zu erklären, wenn ich so einfältig sei, einer Frau wie Agrippina zu vertrauen.
Ich verließ Claudia im Zorn, denn sie selbst hatte unserem für mich so angenehmen Verhältnis durch ihr ständiges Gerede von der Zukunft und von der Ehe ein Ende bereitet. Als ich schon ein Stück gegangen war, erschien sie in der Tür ihrer Hütte und rief mir nach: »Sollen wir so auseinandergehen, Minutus? Hast du kein gutes Wort für mich? Wir sehen uns vielleicht nie wieder.«
Ich war enttäuscht, weil sie sich nicht, wie bei früheren Versöhnungen, meinen Liebkosungen ergeben hatte, und antwortete zornig: »Beim Herkules, ich hoffe, ich brauche dich nie wiederzusehen!«
Als ich an der Tiberbrücke angekommen war, bereute ich meine Worte, aber mein Stolz hinderte mich daran, zu ihr zurückzukehren.
Ein Monat verging, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Eines Tages nahm Seneca mich beiseite und sagte: »Du bist nun zwanzig Jahre alt, Minutus Lausus, und es ist an der Zeit, daß du dich, im Hinblick auf deine spätere Laufbahn, mit der Provinzverwaltung vertraut machst. Mein jüngerer Bruder wurde, wie du wissen dürftest, auf Grund seiner Verdienste für einige Jahre mit der Verwaltung der Provinz Achaia betraut. Nun schreibt er mir, daß er zu seiner Unterstützung jemanden braucht, der gesetzeskundig ist und militärische Erfahrungen besitzt. Du bist zwar noch jung, aber ich glaube dich zu kennen. Außerdem hat sich dein Vater mir gegenüber so freigebig erwiesen, daß ich meine, du vor allen anderen solltest diese ausgezeichnete Gelegenheit erhalten, dich zu verbessern. Du reist am besten so bald wie möglich. Nach Brundisium kannst du sofort fahren, und dort nimmst du das erste Schiff nach Korinth.«
Ich verstand, daß dies nicht nur ein Gunstbeweis, sondern ein Befehl war, aber ein junger Mann wie ich konnte kaum in eine bessere Provinz geschickt werden. Korinth ist eine lebensfrohe Stadt, und nicht weit davon liegt das alte Athen. Ich konnte auf meinen Inspektionsreisen all die erinnerungsträchtigen Stätten Hellas’ besuchen. Nach meiner Rückkehr in einigen Jahren durfte ich vielleicht schon auf ein Amt hoffen, auch ohne die Altersgrenze von dreißig Jahren erreicht zu haben. Daher dankte ich Seneca voll Ehrerbietung und begann mich augenblicklich auf meine Reise vorzubereiten.
Im Grunde kam mir dieser Auftrag so günstig gelegen wie nur möglich. Man wußte in Rom, daß sich die britischen Stämme wieder erhoben hatten, um zu sehen, wie weit sie es mit Ostorius treiben konnten. Vespasian wußte, woran er war, aber Ostorius war mit den Verhältnissen in Britannien noch nicht vertraut. Daher hatte ich schon befürchtet, ich könnte wieder dorthin geschickt werden, und dazu verspürte ich wenig Neigung. Sogar die Icener, bisher die friedlichsten und treuesten Bundesgenossen Roms, hatten begonnen, Ausfälle über ihren Grenzfluß zu unternehmen, und es wäre mir Lugundas wegen schwergefallen, gegen sie Krieg zu führen.
Ich glaubte, nicht reisen zu dürfen, ohne mich von Claudia verabschiedet zu haben, so schlecht sie mich auch behandelt hatte. Daher ging ich eines Tages auf die andere Tiberseite hinüber, aber Claudias Hütte war verriegelt und leer, niemand antwortete auf mein Rufen, und ihre Schafherde war fort. Ich lief verwundert zum Gut des Aulus Plautius hinüber, um mich nach ihr zu erkundigen. Dort wurde ich kühl empfangen, und niemand schien etwas über Claudia zu wissen. Es war, als dürfte man nicht einmal ihren Namen nennen.
Beunruhigt eilte ich in die Stadt zurück und suchte Tante Paulina in Plautius’ Haus auf. Die ständig in Trauer gekleidete alte Frau empfing mich noch verweinter als sonst, wollte mir aber keine Auskunft über Claudia geben.
»Je weniger du davon sprichst, desto besser«, sagte sie und musterte mich feindselig. »Du hast Claudia ins Verderben gestürzt, aber vielleicht wäre es früher oder später auch ohne dich so gekommen. Du bist noch jung, und ich kann nicht glauben, daß du weißt, was du getan hast, aber verzeihen kann ich dir darum doch nicht. Ich will zu Gott beten, daß er dir verzeiht.«
Vor so viel Geheimnistuerei befielen mich Angst und böse Ahnungen. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Ich fühlte mich schuldlos, da alles zwischen Claudia und mir aus ihrem eigenen freien Willen geschehen war. Doch ich hatte keine Zeit zu verlieren.
Nachdem ich mich umgekleidet hatte, eilte ich zum Palatium, um von Nero Abschied zu nehmen, der mir sagte, er beneide mich aufrichtig, weil ich an Ort und Stelle die Bildung des alten Griechenland kennenlernen dürfe. Dann nahm er mich zum Zeichen seiner Freundschaft an der Hand und führte mich zu seiner Mutter, obwohl Agrippina gerade mit dem finsteren Pallas über den Büchern der Staatskasse saß. Pallas galt als der reichste Mann in ganz Rom. Er war so hochfahrend, daß er nie mit seinen Sklaven redete, sondern seine Wünsche nur durch Handbewegungen zu erkennen gab, die alle sofort verstehen mußten.
Die Störung kam Agrippina offensichtlich ungelegen, aber wie immer erhellte sich ihre Miene, als sie Nero erblickte. Sie wünschte mir Erfolg, warnte mich vor dem Leichtsinn und sagte, sie hoffe, ich würde mir von der griechischen Bildung das Beste aneignen, aber als guter Römer zurückkehren.