V

KORINTH

Korinth ist eine Weltstadt – von allen Städten der Welt die lebhafteste und lebensfrohste, wie die Korinther selbst versichern. Mummius zerstörte sie vor zweihundert Jahren bis auf die Grundmauern, aber in unseren Tagen hat diese aus der Asche auferstandene Stadt dank der klugen Voraussicht des Gottes Julius Caesar wieder eine halbe Million Einwohner, die aus allen Ländern der Welt stammen. Von der Akropolis aus sieht man die Straßen bis in die späte Nacht hinein in hellem Licht erstrahlen, und mit seinem bunten Treiben ist Korinth für einen jungen Mann, der bitter über seine eigene Leichtgläubigkeit nachgrübelt, ein heilsamer Erholungsort. Mein Diener Hierax dagegen muß es oft bereut haben, daß er mich auf dem Sklavenmarkt in Rom mit Tränen in den Augen flehentlich gebeten hat, ihn zu kaufen. Er konnte lesen und schreiben, massieren, kochen und mit den Händlern feilschen und sprach Griechisch und gebrochen Latein. Er bat mich, den Preis nicht allzusehr zu drücken, da sein Hausvater sich nur widerstrebend und der Not gehorchend von ihm trennte, weil er auf Grund eines ungerechten Gerichtsurteils in Geldschwierigkeiten geraten war. Ich begriff, daß Hierax eine Provision erhielt, wenn es ihm durch seine Zungenfertigkeit gelang, den Preis in die Höhe zu treiben, aber in meiner damaligen Gemütsverfassung war ich ohnehin nicht zum Feilschen aufgelegt.

Hierax hoffte natürlich, einen jungen, freundlichen Herrn zu bekommen, und fürchtete, er könnte in ein sparsam geführtes Haus voll alter Geizkragen geraten. Mein Trübsinn und meine Schweigsamkeit lehrten auch ihn schweigen, so schwer es ihn ankam, denn er war ein echt griechischer Schwätzer. Mich konnte nicht einmal die Schiffsreise zerstreuen, und ich mochte mit niemandem sprechen. Daher gab ich Hierax meine Anweisungen nach der Art des Pallas nur mit Gesten. Er diente mir nach bestem Vermögen, vermutlich weil er fürchtete, hinter meinem finsteren Äußeren verberge sich ein im Grunde grausamer Herr, der sein Vergnügen daran fand, einen Sklaven zu züchtigen.

Hierax war als Sklave geboren und erzogen worden. Kräftig war er nicht, aber ich kaufte ihn, um nicht länger suchen zu müssen und weil er kein sichtbares Gebrechen hatte. Sogar seine Zähne waren gesund, obwohl er schon dreißig Jahre alt war. Natürlich nahm ich an, daß er irgendeinen anderen, verborgenen Fehler hatte, da er wieder verkauft worden war, aber in meiner Stellung konnte ich nicht ohne Diener reisen. Anfangs war er mir eine rechte Plage. Sobald ich ihn aber gelehrt hatte, zu schweigen und ebenso düster dreinzublicken wie ich selbst, kümmerte er sich ordentlich um mein Reisegepäck, meine Kleidung und meine Mahlzeiten, und er verstand es sogar, mir meinen immer noch weichen Bart zu scheren, ohne mich allzu oft zu schneiden.

In Korinth war er früher schon einmal gewesen, und er verschaffte uns Unterkunft in einer Herberge in der Nähe des Neptuntempels, die den Namen »Schiff und Laterne« führte. Es entsetzte ihn, daß ich nicht unverzüglich in den Tempel eilte, um ein Dankopfer für den glücklichen Ausgang der gefährlichen Seereise darzubringen, sondern als erstes zum Forum ging, um mich beim Prokonsul zu melden.

Der Sitz des Prokonsuls in Achaia war ein stattliches Gebäude mit einem Säulenportal. Der äußere Hof war von einer Mauer mit einem Wachhaus umgeben. Die beiden Legionäre, die vor dem Tor auf Posten standen, stocherten sich in den Zähnen, schwatzten mit den Vorübergehenden und hatten Schild und Lanze an die Mauer gelehnt. Sie schielten spöttisch nach meiner schmalen roten Borte, ließen mich aber ohne Fragen ein.

Der Prokonsul Lucius Annaeus Gallio empfing mich auf griechische Art gekleidet, nach Salben duftend und mit einem Blütenkranz auf dem Haupt, als wäre er im Begriff, zu einem Fest zu gehen. Er machte mir einen gutmütigen Eindruck und Keß sofort Wein aus Samos bringen, während er den Brief seines älteren Bruders Seneca und das andere Schreiben las, das ich ihm als Kurier des Senats überreicht hatte. Ich ließ meinen Glasbecher halb geleert stehen und verlangte nicht nach mehr Wein, da ich die ganze Welt, in der ich zu meinem Unglück geboren worden war, tief verachtete und überhaupt von den Menschen nichts Gutes mehr glauben mochte.

Als Gallio seine Briefe gelesen hatte, sah er mich ernst und aufmerksam an. »Ich glaube, du trägst die Toga am besten nur bei den Gerichtssitzungen«, schlug er mir vorsichtig vor. »Wir müssen bedenken, daß Achaia Achaia ist. Seine Zivilisation ist älter oder jedenfalls in unvergleichlich höherem Maße geistig als die römische. Die Griechen leben nach ihren eigenen Gesetzen und sorgen selbst für die Aufrechterhaltung der Ordnung. Rom verfolgt in Achaia eine Politik der Nichteinmischung. Wir lassen den Dingen ihren Lauf, solange man uns nicht ausdrücklich bittet einzuschreiten. Verbrechen gegen das Leben sind eine Seltenheit. Am meisten machen uns, wie in allen Hafenstädten, die Diebe und Betrüger zu schaffen. Amphitheater gibt es in Korinth keines, aber einen prächtigen Zirkus mit Wagenrennen. Die Theater sind jeden Abend geöffnet, und alle anderen Vergnügungen, die für einen anständigen jungen Mann in Frage kommen, gibt es im Übermaß.«

Ich antwortete verdrossen: »Ich bin nicht nach Korinth gekommen, um mich zu unterhalten, sondern um mich auf die Beamtenlaufbahn vorzubereiten.«

»Gewiß, gewiß«, stimmte Gallio mir bei. »Mein Bruder schreibt es mir in seinem Brief. Vielleicht meldest du dich zuerst einmal beim Kohortenführer unserer Garnison. Er ist ein Rubrius, behandle ihn also höflich. Im übrigen kannst du dafür sorgen, daß der Waffendienst wieder ernstgenommen wird. Die Leute sind unter seinem Kommando nachlässig geworden. Später gehst du dann auf Reisen und inspizierst die anderen Garnisonen. Viel sind es ohnehin nicht. Athen und gewisse andere heilige Städte betritt man aber tunlichst nicht in militärischem Aufzug. Die zerlumpte Kleidung des Philosophen ist dort eher am Platze. Einmal in der Woche halte ich hier vor dem Haus Gericht, und da mußt du natürlich zugegen sein. Die Sitzungen beginnen nicht zeitig am Vormittag, sondern am Nachmittag. Man muß sich an die Sitten des Landes halten, in das man kommt. Aber jetzt will ich dich durch das Haus führen und dich mit meinen Kanzleivorstehern bekanntmachen.

Freundlich plaudernd stellte er mich seinem Kassenverwalter und seinem Juristen, dem Vorsteher der Steuerbehörde für Achaia und dem römischen Handelsdelegierten vor.

»Ich würde dich gern in meinem Haus wohnen lassen«, sagte Gallio, »aber es ist für Rom vorteilhafter, wenn du dir in der Stadt eine Bleibe suchst, entweder in einer guten Herberge oder in einem eigenen Haus. Du kommst auf diese Weise mit der Bevölkerung in Berührung und lernst ihre Sitten, ihre Wünsche und Beschwerden kennen. Denk immer daran, daß wir Achaia äußerst behutsam anfassen müssen. Ich erwarte gerade einige Gelehrte und Philosophen zum Mittagessen und würde dich gern mit einladen, aber ich sehe, daß du von der Reise erschöpft bist und daß das Essen dir nicht schmecken würde, nachdem dir nicht einmal mein Wein zugesagt hat. Ruhe dich zuerst von deinen Anstrengungen aus, lerne die Stadt ein wenig kennen und melde dich dann bei Rubrius, wann es dir beliebt. Es eilt keineswegs.«

Zuletzt stellte mich Gallio auch seiner Gattin vor. Sie war in einen goldgestickten griechischen Mantel gekleidet und trug Sandalen aus vergoldetem Leder an den Füßen und einen Goldreif in ihrem kunstvoll aufgesteckten Haar. Sie blickte schelmisch zuerst mich und dann Gallio an, wurde ernst und begrüßte mich mit einer so trüb und düster klingenden Stimme, als drückten sie alle Sorgen der Welt, schlug sich plötzlich die Hand vor den Mund, kicherte und lief davon.

Ich fand, daß die aus Spanien gebürtige Helvia bei all ihrer Schönheit doch noch sehr kindisch war. Gallio unterdrückte ein Lächeln, blickte seiner Gattin erst nach und bestätigte mir meine eigene Meinung: »Ja, Lausus, sie ist zu jung und kann die Pflichten, die ihre Stellung ihr auferlegt, noch nicht ernst nehmen. Zum Glück ist das hier in Korinth nicht weiter von Bedeutung.«

Tags darauf überlegte ich lange, ob ich eine Nachricht in die Garnison schicken sollte, um für meinen Antrittsbesuch ein Reitpferd und eine Ehrenwache zu bekommen, worauf ich selbstverständlich ein Recht hatte. Da ich aber meinen Vorgesetzten Rubrius noch nicht kannte, hielt ich es zuletzt doch für das beste, eher bescheiden aufzutreten. Ich legte daher nur nach Vorschrift meinen Brustharnisch mit dem silbernen Adler an, zog die eisenbeschlagenen Schuhe und die Beinschienen an und setzte den Helm mit dem roten Federbusch auf. Um die Schultern legte mir Hierax den kurzen roten Kriegstribunenmantel.

Mein Aufzug erweckte so viel Aufsehen in der Herberge, daß sogar die Köche und die Putzweiber sich in der Tür drängten, um einen Blick zu erhaschen. Als ich mit klirrender Rüstung ein Stück marschiert war, begannen die Leute hinter und neben mir herzulaufen und zu gaffen. Die Männer zeigten auf meinen Helmbusch und riefen etwas, was ich nicht verstand, die Frauen betasteten meinen Brustharnisch, und einige Straßenjungen gingen schreiend und grölend im Gleichschritt neben mir her. Es dauerte dennoch eine Weile, bis ich endlich begriff, daß man mich verspottete.

Ich empfand meine Lage als so peinlich, daß ich am liebsten mein langes Reiterschwert gezogen und mit der flachen Klinge um mich gehauen hätte, sagte mir jedoch, daß das nur zu noch größerem Aufruhr führen würde, und wandte mich mit rotem Kopf an einen Ordnungswächter. Der verjagte mit seinem Rohrstock die Gassenjungen, um mir einen Weg zu bahnen. Trotzdem folgten mir noch immer mindestens hundert Menschen bis zum Tor der Garnison.

Die Posten nahmen hastig Schild und Lanze von der Mauer, und der eine blies auf seinem Horn Alarm, als er den johlenden Volkshaufen auf die Kaserne zukommen sah. Die Leute dachten jedoch nicht daran, den Bereich der Garnison zu betreten und sich dafür ein paar Stockhiebe einzuhandeln. Sie hielten im Halbkreis vor den Lanzenspitzen der Soldaten, riefen mir Glückwünsche zu und beteuerten, sie hätten seit Jahren keinen so erhebenden Anblick mehr genossen.

Der Oberzenturio der Kohorte kam im Untergewand auf mich zugerannt. Eine Handvoll mit Lanze und Schild bewaffneter Legionäre rottete sich zu einem formlosen Haufen auf dem Hof zusammen. Man möge mir verzeihen, daß ich sie in der Dummheit meiner Jugend anbrüllte und ihnen Befehle erteilte, wozu ich gar nicht berechtigt war, da ich mich noch nicht bei Rubrius gemeldet hatte. Ich jagte sie im Laufschritt zur Mauer und wieder zurück und befahl ihnen, ordentlich anzutreten, dann bat ich den Zenturio, den Befehl zu übernehmen. Er stand breitbeinig vor mir, die Arme in die Seiten gestemmt und mit langen Bartstoppeln im Gesicht, und antwortete verblüfft: »Rubrius schläft noch nach einer schweren Nachtübung, und es geht nicht an, ihn zu wecken. Auch die Mannschaft ist müde von der Übung. Wie wäre es, wenn du erst einmal einen Schluck Wein mit mir tränkest und mir sagtest, wer du bist, woher du kommst und warum du stirnrunzelnd und zähneknirschend auf uns niederfährst wie der Kriegsgott selbst?«

An seinem Gesicht und seinen narbenbedeckten Oberschenkeln erkannte ich, daß ich einen alten Veteranen vor mir hatte, und ich mußte seiner Aufforderung wohl nachkommen. Ein junger Ritter wie ich konnte von so einem alten Zenturio leicht einen Nasenstüber bekommen, und ich wollte nach der soeben erlittenen Schmach nicht auch noch vor der Mannschaft gedemütigt werden, von der bereits einige langsam auf uns zuschlenderten.

Der Zenturio führte mich in seine Kammer, die nach Leder und Metallputzmitteln roch, und wollte mir aus einem Tonkrug Wein einschenken. Ich lehnte ab und sagte, ich dürfe auf Grund eines Gelübdes nur Wasser und Gemüse zu mir nehmen. Er sah mich erstaunt an und meinte: »Korinth gilt im allgemeinen nicht als Verbannungsort. Du mußt aus einer sehr vornehmen Familie stammen, wenn man dich für das, was du in Rom angestellt hast, hierherschickt.«

Er kratzte sich am Kinn, daß die Bartstoppeln raschelten, gähnte herzhaft und trank dann selbst von dem Wein. Auf meinen Befehl holte er schließlich wenigstens Rubrius’ Schreiber und die Kohortenrolle und erklärte: »In der Stadt hier haben wir nur vor dem Hof des Prokonsuls und an den Toren der meistbenützten Straßen Posten stehen. In Kenchreae und Lykaion – das sind, wie du wissen dürftest, Häfen – befinden sich ständige Garnisonen, die ihre eigenen Unterkünfte haben, so daß die Männer nicht zwischen Hafen und Kaserne hin und her zu laufen brauchen. Laut Rolle sind wir eine vollzählige Kohorte samt Zeugmeistern und anderen Spezialisten, so dal? wir im Bedarfsfall eine selbständige Feldeinheit bilden können.«

Ich fragte nach der Reiterei, und der Zenturio antwortete: »Genaugenommen haben wir im Augenblick nicht einen einzigen Berittenen. Rubrius und dem Statthalter stehen natürlich Pferde zur Verfügung, aber sie benützen lieber eine Sänfte. Du kannst dir ja ein Pferd nehmen, wenn du unbedingt eines haben mußt. Im übrigen hat uns die korinthische Reiterei auf Befehl beizustehen.«

Als ich mich nach der Tageseinteilung, dem Exerzieren, Waffenputzen und dergleichen erkundigte, warf er mir einen mißtrauischen Blick zu und sagte: »Darüber sprichst du am besten mit Rubrius selbst. Ich bin nur sein Untergebener.«

Um Zeit zu gewinnen, besichtigte ich die leeren Unterkünfte, die voller Unrat und Spinnweben waren, die Waffenkammer, die Küche und den Altar. Die Garnison hatte keinen eigenen Adler, sondern nur eines der üblichen Kohortenfeldzeichen mit Quasten und Gedenkschildern. Ich war nach dieser Besichtigungsrunde ebenso verblüfft wie entsetzt.

»Wo stecken denn die Kerle alle?« rief ich laut. »Was tun wir, wenn wir plötzlich ausrücken und kämpfen müssen?«

Der Zenturio verlor allmählich die Geduld mit mir und antwortete übellaunig: »Das fragst du am besten auch deinen unmittelbaren Vorgesetzten Rubrius.«

Zu Mittag ließ mich Rubrius endlich rufen. Er bewohnte einen auf griechische Art sehr geschmackvoll eingerichteten Raum, und ich sah mindestens drei recht junge Frauen, die ihn bedienten. Er hatte eine Glatze, ein aufgedunsenes Gesicht mit geplatzten Äderchen und bläuliche Lippen. Ich bemerkte, daß er beim Gehen den linken Fuß nachzog. Er empfing mich herzlich, umarmte mich und blies mir seinen nach Wein riechenden Atem ins Gesicht und forderte mich auf, mich sogleich niederzulassen und mich so frei und ungezwungen zu benehmen, als wäre ich bei mir zu Hause.

»Du kommst aus Rom und wunderst dich gewiß über unser faules, bequemes Leben«, sagte er. »Es ist wirklich an der Zeit, daß einmal ein junger Ritter erscheint und uns Beine macht. Ach ja, du bist ja Kriegstribun und hast dir den Rang in Britannien erworben! Ich verstehe! Daß man dich hierherschickte, ist also eine Auszeichnung!«

Ich bat ihn um Dienstanweisungen. Er zögerte mit der Antwort und meinte schließlich: »Wir brauchen uns in Korinth nicht in Kriegsbereitschaft zu halten; im Gegenteil, der Rat der Stadt und die Einwohner würden das nur als eine Beleidigung auffassen. Die meisten Legionäre sind verheiratet. Ich habe ihnen erlaubt, bei ihren Familien in der Stadt zu wohnen, ein Handwerk auszuüben oder Handel zu treiben. Ab und zu, an römischen Festtagen, halten wir natürlich Musterung, aber nur innerhalb unserer Mauern, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen.«

Ich erkühnte mich, darauf hinzuweisen, daß die Soldaten, die ich gesehen hatte, faul und zuchtlos waren, daß in der Waffenkammer der Staub fingerdick lag und daß die Unterkünfte vor Schmutz starrten. »Wohl möglich«, gab Rubrius zu. »Ich habe mich schon seit einer Weile nicht mehr so recht um die Leute kümmern können. Das Gesellschaftsleben hier in Korinth fordert einen hohen Zoll von einem betagten Manne wie mir. Zum Glück habe ich einen zuverlässigen Oberzenturio, der für alles verantwortlich ist. An sich wärst du der nächste nach mir, aber es würde ihn kränken, wenn ich ihn zurücksetzte. Vielleicht könnt ihr euch miteinander einigen und euren Dienst sozusagen als Gleichgestellte tun, nur kommt mir nicht und beschwert euch einer über den andern. Ich habe in meinem Leben genug Verdruß gehabt und möchte meine restliche Zeit in Ruhe abdienen. Es sind ohnehin nur noch ein paar Jahre.« Plötzlich sah er mich scharf an und fügte anscheinend zerstreut hinzu: »Weißt du übrigens, daß meine Schwester Rubria die älteste der Vestalinnen in Rom ist?«

Danach gab er mir noch einige vorsichtige Ratschläge: »Denk immer daran, daß Korinth eine griechische Stadt ist, wenn sie auch von Menschen aus vielen anderen Ländern bewohnt wird. Militärische Verdienste gelten hier nicht viel. Wichtiger ist es, die richtigen Umgangsformen zu haben. Sieh dich erst einmal um und stelle dann selbst eine Dienstordnung auf, aber strenge mir meine Leute nicht über Gebühr an.«

Damit wurde ich entlassen. Auf dem Hof stand der Zenturio und fragte mich mit einem gehässigen Blick: »Nun, hast du Bescheid bekommen?«

Ich sah zwei Legionäre aus dem Tor bummeln, die ihre Schilde auf dem Rücken und die Lanzen über der Schulter trugen, und hörte den Zenturio zu meinem Entsetzen mit aller Ruhe erklären, dies sei eine Wachablösung.

»Sie sind ja nicht einmal gemustert worden!« rief ich. »Sollen sie denn wirklich so gehen, wie sie sind: mit schmutzigen Beinen und langen Haaren und ohne Begleitabteilung?«

»Hier in Korinth halten wir keine Wachparaden ab«, sagte der Zenturio ruhig. »Ich möchte dir außerdem raten, deinen Federbusch an den Nagel zu hängen und dich an den Landesbrauch zu gewöhnen.«

Er ließ mich jedoch gewähren, als ich die unteren Dienstränge zu mir rief und dafür zu sorgen befahl, daß die ganze Kaserne gereinigt und die Waffen geputzt wurden und daß die Männer sich die Barte schoren und im übrigen wieder einmal versuchten, wie Römer auszusehen. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang wollte ich zurück sein und Musterung halten, und ich ordnete an, den Kerker zu scheuern und frische Ruten bereitzulegen. Die kampferprobten Veteranen sahen verwundert bald mich, bald den grimmige Fratzen schneidenden Zenturio an, entschieden sich aber dafür, den Mund zu halten. Ich nahm mir immerhin den Rat, den ich erhalten hatte, zu Herzen, ließ meine Paraderüstung in der Rüstkammer und kehrte in einfachem Lederzeug und mit dem runden Übungshelm in meine Herberge zurück.

Hierax hatte für mich Kohl und Bohnen dünsten lassen. Ich trank Wasser dazu und zog mich so niedergeschlagen in mein Zimmer zurück, daß ich nicht die geringste Lust verspürte, die Sehenswürdigkeiten Korinths kennenzulernen.

Als ich in der Morgendämmerung wieder zur Kaserne ging, bemerkte ich gleich, daß während meiner Abwesenheit einiges geschehen war. Die Posten am Tor nahmen Haltung an, streckten die Lanzen und grüßten mich mit einem lauten Ruf. Der Oberzenturio war übungsmäßig gekleidet. Er jagte die verschlafenen Männer zur Morgenwäsche an die Wassertröge und brüllte sie mit heiserer Stimme an. Der Barbier war vollauf beschäftigt, auf dem rußigen Altar prasselte ein Feuer, und der Hof roch wieder nach Militär und nicht mehr wie ein Schweinestall.

»Verzeih, daß ich kein Signal blasen ließ, als du kamst«, sagte der Zenturio spöttisch. »Rubrius legt Wert auf einen ungestörten Morgenschlaf. Nun übernimmst du wohl am besten den Befehl, und ich sehe zu. Die Männer warten schon auf ein Opfer. Ich denke, du stiftest ein paar Schweine, wenn dir ein Ochse zu teuer ist?«

Ich hatte auf Grund meiner Ausbildung wenig Erfahrung mit Schlachtopfern und fürchtete, mich der Lächerlichkeit auszusetzen, wenn ich quiekende Schweine abstach. »Das Opfer hat noch Zeit«, antwortete ich daher zornig. »Zuerst will ich sehen, ob es sich überhaupt lohnt, daß ich bleibe, oder ob ich den Auftrag nicht am besten gleich ablehne.«

Als ich sie exerzieren ließ, bemerkte ich, daß die kleine Mannschaft die Übungen beherrschte und ordentlich marschieren konnte, wenn sie nur wollte. Beim Laufschritt ging den Männern zwar bald der Atem aus, aber sie warfen ihre Speere immerhin wenigstens in die Nähe der Strohsäcke. Bei den Fechtübungen mit stumpfer Waffe fielen mir einige wirklich geschickte Fechter auf. Als zuletzt alle keuchten und schwitzten, meinte der Zenturio: »Willst du uns nicht auch deine eigene Fechtkunst vorführen? Ich bin zwar schon recht dick geworden und auch nicht mehr der Jüngste, aber ich möchte dir gern zeigen, wie wir in Pannonien das Schwert führten. Dort bekam ich nämlich den Zenturionenstab, in Carnuntum.«

Zu meiner Überraschung machte er mir schwer zu schaffen, und er würde mich zuletzt vermutlich an die Mauer gedrückt haben, obwohl ich das längere Schwert hatte, wenn ihm nicht vorzeitig der Atem ausgegangen wäre. Die Bewegung und der helle Sonnenschein brachten mich endlich wieder ein wenig zu mir, und ich begann mich meiner früheren Gereiztheit zu schämen. Ich sagte mir, daß diese Männer alle älter waren als ich und einige Jahrzehnte länger gedient hatten. Fast alle hatten einen Dienstgrad, denn es gab in einer Legion von der üblichen Stärke an die siebzig verschiedene Soldstufen, die den Zweck hatten, zu größerem Diensteifer anzuspornen.

Ich versuchte mich daher mit dem Oberzenturio auszusöhnen und sagte: »Nun bin ich bereit, einen Jungstier zu opfern. Außerdem komme ich für einen Widder auf, den du selbst opfern magst, und der älteste der Veteranen soll ein Schwein opfern. Es wird mir wohl keiner ernstlich darum grollen, daß ich eine kleine Übung abgehalten habe, damit wir uns aneinander gewöhnen!«

Der Zenturio musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen, seine Miene hellte sich auf, und er sagte: »Ich schicke sofort meine besten Leute auf den Viehmarkt und lasse sie die Opfertiere auswählen. Und ein wenig Wein wirst du gewiß auch spendieren wollen?«

Ich konnte mich natürlich nicht weigern, am Opfermahl teilzunehmen. Die Männer wetteiferten darin, mir die besten Fleischstücke aus den Tontöpfen zu fischen, und ich mußte auch Wein trinken. Nach den Anstrengungen dieses Tages fühlte ich mich vom Fleisch allein schon berauscht, und der Wein ging mir in die Kniekehlen, da ich solange enthaltsam gelebt hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit kam eine Anzahl Frauen in den Hof geschlichen, und ich konnte über ihr Gewerbe nicht im Zweifel sein, obwohl einige von ihnen noch verhältnismäßig jung und hübsch waren. Ich erinnere mich noch, daß ich bitterlich weinte und dem Zenturio klagte, man könne nicht einer einzigen Frau auf der ganzen Welt trauen, weil jede ein Ausbund von Falschheit und eine Falle sei. Weiter erinnere ich mich noch, daß die Soldaten mich auf ihren Schultern rund um den Hof trugen und mir zu Ehren die alten unanständigen Lobgesänge der pannonischen Legion grölten. Was dann kam, weiß ich nicht mehr.

Gegen Morgen, zur Zeit der letzten Nachtwache, erwachte ich davon, daß ich mich erbrechen mußte. Ich lag auf einer harten Holzpritsche in einer der Kammern, stand auf, preßte die Hände an den Kopf und ging auf zitternden Beinen hinaus. Die Männer lagen über den ganzen Hof verstreut, ein jeder, wo er gerade hingefallen war. Ich war in einer so elenden Verfassung, daß die Sterne am Morgenhimmel vor meinen Augen tanzten, als ich hinaufblickte. Ich wusch mich, so gut es ging, und schämte mich so über meine Aufführung, daß ich mich vielleicht in mein Schwert gestürzt hätte, wenn nicht am Abend zuvor alle scharfen Waffen weggeschlossen worden wären.

Ich schwankte durch Korinths Straßen mit ihren verlöschenden Fackeln und Pechpfannen und erreichte endlich meine Herberge. Hierax hatte die ganze Nacht gewacht und voller Sorge auf mich gewartet. Als er sah, daß ich mich kaum auf den Beinen zu halten vermochte, zog er mich aus, rieb mir die Glieder mit einem feuchten Tuch, flößte mir ein bitteres Getränk ein, bettete mich auf mein Lager und deckte mich mit einer dicken Wolldecke zu. Als ich wieder erwachte, gab er mir behutsam einige Löffel mit Wein verquirltes Eigelb ein, und ehe ich noch an mein Gelübde denken konnte, hatte ich schon eine große Portion kräftig gewürztes gedünstetes Fleisch verschlungen. Hierax seufzte erleichtert und sagte: »Ich danke allen Göttern, bekannten und unbekannten, vor allem aber deiner eigenen Glücksgöttin! Ich war in großer Sorge um dich und fürchtete schon für deinen Verstand. Es ist weder recht noch natürlich, daß ein junger Mann von deinem Rang den Kopf hängen läßt und nur noch Kohl essen und Wasser trinken will. Deshalb fiel mir eine schwere Last von meinem Rücken, als du plötzlich, nach Wein und Erbrochenem stinkend, vor mir standest, und ich erkannte, daß du dich in das Los des Menschen gefügt hast.«

»Ich fürchte, ich darf mich in Korinth nicht mehr blicken lassen«, jammerte ich. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, habe ich sogar mit den einfachen Legionären zusammen den griechischen Bockstanz getanzt. Der Prokonsul Gallio wird mir einen Abschiedsbrief in die Hand drücken und mich mit Schimpf und Schande nach Rom zurückschicken, wo ich dann Schreiber oder Advokat werden kann.«

Hierax überredete mich jedoch, mit ihm auszugehen, und beteuerte, die Bewegung werde mir guttun. Wir besichtigten zusammen die Sehenswürdigkeiten Korinths, den morschen Steven des Argonautenschiffes im Neptuntempel, die Quelle des Pegasus und dessen Hufabdruck auf dem Fels daneben und anderes mehr. Hierax versuchte sogar, mich zu einem Besuch des berühmten Venustempels oben auf dem Berg zu verleiten, aber so viel Vernunft hatte ich noch, daß ich mich dem entschieden widersetzte.

Statt dessen betrachteten wir das korinthische Wunder: eine mit Talg geschmierte Holzbahn, auf der sogar große Schiffe zwischen Kenchreae und Lykaion hin- und hergeschleppt werden konnten. Man hätte meinen sollen, daß dazu Unmengen von Sklaven und unzählige Peitschenhiebe nötig seien, aber die griechischen Schiffsreeder hatten eine klug erdachte Vorrichtung aus Winden und Zahnrädern bauen lassen, mit deren Hilfe sich das Schleppen so einfach bewerkstelligen ließ, daß es aussah, als glitten die Schiffe ganz von selbst über die Bahn. Ein Seemann, der unser Interesse bemerkte, schwor bei den Nereiden, daß es bei vollem Rückenwind genüge, die Segel zu hissen. Nach dieser Wanderung fühlte ich mich erleichtert, mein Kummer verschwand allmählich, und als Hierax mir einige Abenteuer aus seinem Leben berichtete, konnte ich sogar ein paarmal lachen.

Dennoch war ich verlegen, als ich am nächsten Tag wieder in die Kaserne ging. Zum Glück war nach der Orgie alles säuberlich aufgeräumt worden, die Posten standen in guter Haltung auf ihren Plätzen, und der Dienst nahm seinen gewohnten Gang. Rubrius ließ mich zu sich rufen und erteilte mir eine schonungsvolle Verwarnung: »Du bist noch jung und unerfahren. Es besteht kein Grund, diese alten narbenbedeckten Männer dazu anzustiften, sich zu schlagen und dann die ganze Nacht hindurch betrunken zu grölen. Ich hoffe, das wird nicht mehr vorkommen. Du mußt versuchen, deine angeborene römische Roheit zu zügeln und, so gut es dir gelingt, die verfeinerten Sitten Korinths anzunehmen.«

Der Oberzenturio nahm mich, wie er es versprochen hatte, mit, um die Männer zu besuchen, die in der Kohortenrolle geführt wurden, aber in der Stadt wohnten und ein Gewerbe betrieben. Sie waren Schmiede, Gerber, Weber und sogar Töpfer, aber viele hatten einfach auf Grund ihres durch langjährigen Dienst erworbenen römischen Bürgerrechts in reiche Kaufmannsfamilien eingeheiratet und sicherten diesen besondere Vorrechte und sich selbst damit ein angenehmes Leben im Überfluß. Die Riemen ihrer Rüstung waren von Ratten zernagt, die Lanzenspitzen verrostet, die Schilde waren seit Menschengedenken nicht mehr blank geputzt worden, und nicht ein einziger war imstande, seine gesamte Ausrüstung vollständig vorzulegen.

Wohin wir kamen, bot man uns Wein und Speisen und sogar Silberstücke an. Ein Legionär, der sich auf den Parfümhandel verlegt hatte und seinen Schild nicht finden konnte, versuchte mich in ein Zimmer zu schieben, in dem ein leichtes Mädchen wartete. Als ich ihn wegen seiner Nachlässigkeit und seines unverschämten Benehmens tadelte, sagte er bitter: »Gut, gut. Ich weiß schon, was du willst. Aber wir bezahlen Rubrius schon so viel für das Recht, ein freies Gewerbe auszuüben, daß ich für deinen Beutel nicht mehr viele Drachmen übrig habe.«

Erst da verstand ich den Zusammenhang und versicherte ihm rasch, daß ich nicht gekommen war, um Bestechungsgelder zu erpressen, sondern nur, um meine Pflicht zu tun und mich zu vergewissern, daß alle in der Kohortenrolle geführten Männer wehrfähig waren und ihre Waffen bereithielten. Der Parfümhändler beruhigte sich und versprach, bei nächster Gelegenheit auf dem Trödelmarkt einen neuen Schild zu kaufen. Er erklärte sich sogar bereit, zu den Übungen zu erscheinen, wenn ich wollte, und meinte, ein wenig körperliche Betätigung würde ihm nur guttun, da er bei seinem Beruf den ganzen Tag sitzen müsse und zuviel Fett ansetze.

Ich sah ein, das es das klügste für mich war, mich nicht allzu sehr in die Angelegenheiten meines Vorgesetzten Rubrius einzumengen, vor allem da seine Schwester die vornehmste Priesterin Roms war. Der Oberzenturio ließ mit sich reden. Wir stellten zusammen eine Dienstordnung auf, die zumindest den Anschein erweckte, als wären die Männer beschäftigt. Nach der Inspektion der Wachtposten kamen wir überein, daß sie in Zukunft nach der Sonnen- und der Wasseruhr abgelöst werden sollten. Auch sollten sie nicht mehr sitzen oder liegen dürfen, und sie mußten vorschriftsmäßig gekleidet und ausgerüstet sein. Ich verstand zwar nicht, was die Doppelposten an den Stadttoren eigentlich bewachten, aber der Zenturio erklärte mir, daß die Tore seit hundert Jahren ihre Wache hatten und daß man diese nicht plötzlich abziehen konnte, ohne die Korinther zu verärgern, die durch ihre Steuern für den Unterhalt der römischen Garnison in ihrer Stadt aufkamen.

Ich kam allmählich zu der Überzeugung, daß ich meine Kriegstribunenpflichten in Korinth aufs beste versah. Die Legionäre hatten ihren ersten Groll gegen mich überwunden und grüßten mich freundlich. Als der Prokonsul Gerichtstag hielt, meldete ich mich bei ihm in der Toga. Ein griechischer Schreiber unterrichtete ihn im voraus über die zu verhandelnden Fälle, und Gallio befahl gähnend, den Richterstuhl vor das Haus zu stellen.

Als Richter war er mild und gerecht. Er fragte uns Beisitzer nach unserer Meinung, machte ab und zu einen Scherz, vernahm selbst mit aller Gründlichkeit die Zeugen und schob jeden Fall auf, der seiner Ansicht nach durch die Beweisführung der Advokaten und die Zeugenaussagen nicht völlig eindeutig geklärt wurde. Bei Streitigkeiten um Dinge, die ihn allzu geringfügig dünkten, weigerte er sich, ein Urteil zu fällen, und forderte Kläger und Beklagte auf, sich im guten zu einigen, sofern sie nicht wollten, daß er ihnen wegen Mißachtung des Gerichtes eine Geldbuße auferlegte. Nach der Gerichtssitzung lud er zu einem guten Mahl ein und erklärte mir einiges über die korinthischen Bronzen, die zu der Zeit in Rom eifrig gesammelt wurden.

Als ich, trotz allem ein wenig verstimmt wegen Gallios nüchterner Klügelei und der Gewöhnlichkeit dieses Gerichtes, in meine Herberge zurückkehrte, machte mir Hierax einen Vorschlag: »Ohne Zweifel hast du die Mittel, zu leben, wie du willst, aber es ist eine sinnlose Verschwendung, ein ganzes Jahr lang in einer Herberge zu wohnen. Korinth ist eine blühende Stadt. Du legst dein Geld am sichersten an, indem du ein eigenes Haus auf eigenem Grund erwirbst. Wenn du nicht genug Bargeld hast, kannst du als römischer Beamter bestimmt so viel Recht bekommen, wie du die Stirn hast zu verlangen.«

Ich antwortete ihm unwillig: »Ein Haus muß ständig repariert werden, mit den Dienern hat man nichts als Ärger, und als Grundbesitzer bin ich in Korinth steuerpflichtig. Warum sollte ich mir so viel Sorgen einhandeln? Es ist viel einfacher, mir eine billigere Herberge zu suchen, wenn ich wirklich glaube, daß man mir hier die Haut vom Leibe zieht.«

»Bin ich als dein Sklave nicht dazu da, dir alle deine Sorgen abzunehmen?« wandte Hierax ein. »Gib mir nur eine Vollmacht, und ich ordne alles zu deinem Besten. Du brauchst nichts anderes zu tun, als die Urkunde im Merkurtempel eigenhändig zu unterzeichnen. Schließlich wirst du Gastfreundschaft mit Gastfreundschaft erwidern müssen, und bedenke nur, was dich ein Mahl für beispielsweise sechs Personen mit Weinen hier in der Herberge kostet! Wenn du ein eigenes Haus hast, besorge ich selbst die Einkäufe auf dem Markt, kaufe den Wein zum Großhandelspreis und berate deine Köchin. Außerdem brauchst du nicht mehr gleichsam vor aller Augen zu leben, so daß jeder Fremde genau sagen kann, wann du dein Wasser abschlägst oder dir die Nase schneuzt.«

Es war viel gesunde Vernunft in dem, was Hierax sagte, und einige Tage später war ich plötzlich Eigentümer eines recht großen zweistöckigen Hauses mit einem Garten. Der Empfangssaal hatte einen schönen Mosaikboden, und Innenräume standen mir mehr zur Verfügung, als ich benötigte. Ich bemerkte, daß ich unversehens auch eine Köchin und einen griechischen Türhüter hatte. Das ganze Haus war mit alten bequemen Möbeln eingerichtet, so daß nichts neu oder neureich wirkte. Sogar ein paar griechische Hausgötter standen in Nischen zu beiden Seiten des vor Alter rußigen und Öligen Altars, und Hierax war so weit gegangen, bei einer Versteigerung einige Wachsmasken für Ahnenbilder zu erstehen, aber ich sagte ihm, ich wolle keine fremden Ahnen.

Meine ersten Gäste waren Rubrius, der Oberzenturio und Gallios griechischer Jurist. Hierax stellte einen griechischen Gelehrten an, der den Gästen Gesellschaft leisten sollte, und eine Tänzerin sowie einen Flötenspieler für die leichtere Unterhaltung. Die Speisen waren vorzüglich zubereitet. Um Mitternacht verabschiedeten sich meine Gäste im Zustand gesitteter Trunkenheit, aber später erfuhr ich, daß sie sich auf geradem Wege ins nächste Bordell hatten tragen lassen, denn von dort aus ließen sie mir eine gesalzene Rechnung schicken, um mich zu lehren, was in Korinth Brauch und Sitte sei. Ich war unvermählt, und deshalb hätte ich für jeden meiner Gäste eine Tischgenossin vom Tempelberg einladen müssen; doch in solche Sitten wollte ich mich nicht finden.

Ich weiß nicht, wie es mir noch ergangen wäre, denn Hierax tat sein Bestes, um mich behutsam und in aller Stille zu dem Hausvater zu erziehen, den er sich wünschte. Es kam jedoch der nächste Gerichtstag. Gallio hatte sich, übernächtigt von einem Fest, gerade gesetzt und die Toga über seinen Knien in gefällige Falten gelegt, als plötzlich ein hundertköpfiger Haufe Juden heranstürmte und zwei Männer, die ebenfalls Juden waren, vor den Richterstuhl stieß. Nach jüdischer Art schrien sie alle durcheinander, bis Gallio, der zuerst eine Weile lächelte, die Stimme erhob und rief, einer möge für alle sprechen. Sie berieten eine Weile, um ihre Anklage in allen Punkten festzulegen, dann trat der Vornehmste vor und sagte: »Dieser Mann verführt das Volk, Gott auf gesetzwidrige Weise zu ehren.«

Ich erschrak, weil ich befürchten mußte, auch hier, und noch dazu als Mitglied eines Gerichtes, in die Streitigkeiten der Juden mit hineingezogen zu werden. Der Angeklagte, den ich genau betrachtete, hatte einen stechenden Blick und große Ohren und bewahrte in seinem schäbigen Ziegenhaarmantel eine stolze Haltung.

Wie in einem Traum erinnerte ich mich, daß ich ihn vor vielen Jahren einmal im Hause meines Vaters in Antiochia gesehen hatte, und erschrak noch mehr, denn in Antiochia hatte er solchen Aufruhr verursacht, daß sogar die Juden, die sich zu Christus bekannten, es vorgezogen hatten, ihn aus der Stadt zu schicken, damit er anderswo Zwietracht unter den Juden säe.

Der Mann öffnete schon den Mund, um sich zu verteidigen, aber Gallio, der wohl wußte, was er zu erwarten hatte, bedeutete ihm zu schweigen und sagte zu den Juden: »Ginge es um ein Verbrechen oder eine Missetat, so würde ich euch gern geduldig anhören. Wenn ihr euch aber über euer Gesetz und eure Lehre streitet und darüber, wie ihr diese nennen wollt, so macht das unter euch aus. In dieser Sache sitze ich nicht zu Gericht.«

Dann befahl er den Juden, sich zu entfernen, wandte sich an uns Beisitzer und erklärte: »Wenn ich den Juden den kleinen Finger reichte, würde ich sie nie wieder los.«

Allem Anschein nach ließen sie ihm aber auch so keine Ruhe. Er lud uns nach der Sitzung wieder zum Essen ein, war jedoch zerstreut und versank in endlose Grübeleien. Zuletzt nahm er mich beiseite und sagte mir im Vertrauen: »Ich kenne den Mann sehr gut, den die Juden anklagen wollten. Er hält sich seit einem Jahr in Korinth auf, ist ein Zeltmacher und führt ein untadeliges Leben. Er heißt Paulus, und es wird behauptet, er habe, um seine Vergangenheit zu verbergen, seinen alten Namen abgelegt und den neuen nach dem früheren Statthalter auf Kypros, Sergius Paulus, angenommen. Auf Sergius machte seine Lehre damals tiefen Eindruck, und Sergius ist kein Narr, wenngleich er sich mit der Sterndeuterei versuchte und einen Zauberer bei sich wohnen ließ. Paulus muß daher ein bedeutender Mann sein. Ich hatte das Gefühl, daß seine stechenden Augen mitten durch mich hindurch in eine andere Welt blickten, als er da so furchtlos vor mir stand.«

»Er ist unter allen Juden der schlimmste Unruhestifter«, sagte ich. »Schon in Antiochia, als ich noch ein Kind war, versuchte er, meinen gutmütigen Vater für seine Sache zu mißbrauchen.«

»Du warst damals zweifellos noch zu jung, um seine Lehre zu verstehen«, sagte Gallio. »Bevor er nach Korinth kam, hat er auf dem Markt in Athen gesprochen. Die Athener machten sich die Mühe, ihn anzuhören, und erklärten sogar, sie wären nicht abgeneigt, ihn ein zweites Mal zu hören. Du willst doch wohl nicht klüger sein als die Athener? Ich würde ihn gern einmal heimlich zu mir bitten, um seine Lehre von Grund auf kennenzulernen, aber das könnte zu bösem Gerede Anlaß geben und die reichen Juden Korinths verärgern. Ich bin ja gezwungen, mich streng unparteiisch zu verhalten. Soviel ich weiß, hat er eine eigene Synagoge oder etwas dergleichen neben der Synagoge der Juden gegründet und unterscheidet sich von diesen zumindest dadurch angenehm, daß er sich nicht für mehr als andere hält und jeden ohne Ansehen der Person unterrichtet – Griechen sogar noch lieber als Juden.«

Gallio hatte über diese Dinge offenbar viel nachgedacht, denn er fuhr fort: »Als ich noch in Rom war, glaubte ich diese einfältige Geschichte von dem entsprungenen Sklaven namens Christus nie. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Gedanken überall ins Leere stoßen. Von den Göttern will ich nicht reden, denn in ihrer überlieferten Gestalt sind sie nichts als Gleichnisse, mit denen sich schlichte Gemüter unterhalten mögen. Aber auch die Weisheitslehren machen den Menschen nicht besser, noch vermögen sie ihm den Frieden zu geben, das haben die Stoiker und Epikureer gezeigt. Vielleicht hat dieser elende Jude wirklich irgendein göttliches Geheimnis erfahren. Wie sollte seine Lehre sonst so viel Streit, Haß und Eifersucht unter den Juden erwecken?«

Ich will nicht alles wiedergeben, was Gallio mir in seiner Katerstimmung noch sagte. Zuletzt gab er mir aber den Befehl: »Geh zu diesem Mann, Minutus, und mache dich mit seiner Lehre bekannt. Du hast dazu die besten Voraussetzungen, denn du hast ihn schon in Antiochia kennengelernt. Im übrigen nehme ich an, daß du einiges über den Jahve der Juden und ihre Sitten und Gebräuche weißt, denn dein Vater soll in Antiochia mit großem Erfolg zwischen den Juden und dem Rat der Stadt vermittelt haben.«

Ich saß in einer Falle und kam nicht wieder heraus. Gallio hatte für alle meine Einwände taube Ohren. »Du mußt deine Vorurteile überwinden«, sagte er. »Wer die Wahrheit sucht, muß ehrlich und aufrichtig sein, sofern politische Rücksichten ihn nicht daran hindern. Zeit hast du genug, und du kannst sie dir auf schlechtere Weise vertreiben als damit, daß du das geheime Wissen dieses armen Juden und Welterlösers zu ergründen suchst.«

»Und wenn er mich durch Zauberei in seine Gewalt bringt?« fragte ich verbittert, aber Gallio fand meine Frage nicht einmal einer Antwort wert.

Ein Befehl ist ein Befehl, und ich mußte ihn nach bestem Vermögen ausführen. Es konnte für Gallio tatsächlich von Vorteil sein, volle Klarheit darüber zu erlangen, was dieser gefährliche und einflußreiche Aufwiegler lehrte. Am Tag des Saturn kleidete ich mich daher in ein einfaches griechisches Gewand, suchte die Synagoge der Juden und trat dann in das Haus nebenan. Ich sah, daß es gar keine richtige Synagoge war, sondern ein stilles Haus, das ein Stoffhändler der von Paulus gegründeten Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte.

Der Gästeraum im oberen Stockwerk war gedrängt voll. Ich sah lauter einfache Menschen. Frohe Erwartung leuchtete in aller Augen. Sie begrüßten einander freundschaftlich und hießen auch mich willkommen, ohne nach meinem Namen zu fragen. Die meisten waren Handwerker, kleine Händler oder Sklaven, aber es gab da auch eine ganze Anzahl alter Frauen, die sich mit Silberschmuck behängt hatten. Der Kleidung nach zu urteilen, waren nur wenige der Anwesenden Juden.

Paulus erschien in Gesellschaft mehrerer Jünger. Er wurde mit Huldigungsrufen begrüßt wie der Bote eines wirklichen Gottes. Einige Frauen weinten vor Freude, als sie ihn erblickten. Er sprach mit hallender, durchdringender Stimme und steigerte sich durch seine eigenen Worte in einen solchen Eifer, daß es wie ein glutheißer Wind durch die schwitzende, dichtgedrängte Zuhörerschar ging.

Seine bloße Stimme ließ einen bis ins Mark erschauern. Ich hörte ihm aufmerksam zu und machte mir Anmerkungen auf einer Wachstafel, denn er wies gleich zu Anfang auf die heiligen Schriften der Juden hin, um durch Zitate daraus zu beweisen, daß Jesus von Nazareth, den man in Jerusalem gekreuzigt hatte, wirklich der Messias oder der Gesalbte war, dessen Kommen die Propheten vorausgesagt hatten.

Am meisten fesselte mich, daß er offen von seiner eigenen Vergangenheit sprach. Er war ohne Zweifel hoch begabt, denn er hatte in der bekannten Philosophenschule in seiner Heimatstadt Tarsos und später in Jerusalem bei berühmten Lehrern studiert. Schon in seiner Jugend war er in den höchsten Rat der Juden gewählt worden. Er berichtete, daß er ein leidenschaftlicher Anhänger des Gesetzes und Verfolger der Jünger Jesu gewesen war und sogar die Kleider der Steiniger bewacht und damit an der ersten gesetzwidrigen Hinrichtung eines Mitgliedes der Gemeinde der Armen teilgenommen hatte. Er hatte mehrere, die den neuen Weg wandelten, verfolgt, gebunden und vor den Richter geschleppt und zuletzt auf eigenes Begehren die Vollmacht erhalten, die Anhänger des Nazareners festzunehmen, die vor der Verfolgung nach Damaskus geflohen waren.

Auf dem Weg nach Damaskus hatte ihn aber plötzlich ein so überirdisches Licht umleuchtet, daß er davon geblendet wurde. Jesus selbst hatte sich ihm offenbart. Von dieser Stunde an war er ein anderer. In Damaskus legte ihm einer von denen, die sich zu Jesus bekannten, ein gewisser Ananias, die Hände auf und gab ihm das Augenlicht zurück, da Jesus von Nazareth ihm zeigen wollte, wieviel er dafür leiden müsse, daß er Christi Namen verkündete.

Und gelitten hatte er. Viele Male war er mit Ruten geschlagen worden, und einmal hatte man ihn beinahe zu Tode gesteinigt. Er trug, wie er behauptete, die Narben Christi an seinem Leib. All das hatten die Anwesenden schon oft gehört, aber sie lauschten ihm dennoch aufmerksam und brachen immer wieder in Freudenrufe aus.

Paulus bat sie, sich umzusehen und sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß sich unter ihnen nicht viele auf Menschenart Weise, Mächtige oder Vornehme befanden. Das war nach seiner Meinung ein Beweis dafür, daß Gott die Niedrigen und Verachteten erwählt hatte, um die Weisen zu beschämen. Ja, Gott erwählte die Törichten und Schwachen anstelle der Weisen, da er die Weisheit der Welt in Torheit verwandelt hatte.

Paulus sprach auch von einer Prüfung durch einen Geist und von einem Wettläufer, und dann redete er über die Liebe und sagte Dinge, wie ich sie noch nie zuvor vernommen hatte. Ein jeder müsse seinen Nächsten wie sich selbst lieben, und wenn einer anderen Gutes tue ohne Liebe, so helfe es ihm nichts. Ja, er sagte ausdrücklich, daß es einem Menschen nicht nütze, wenn er all seine Habe den Armen gäbe und seinen Leib verbrennen ließe, ohne wahre Liebe zu empfinden.

Diese Worte prägten sich mir tief ein. Auch Gallio hatte gesagt, daß Weisheit allein den Menschen nicht zu bessern vermöge. Ich begann darüber nachzugrübeln und achtete nicht mehr so genau auf Paulus’ Worte, die wie Sturmgebraus an mir vorüberzogen. Er redete ohne Zweifel in göttlicher Verzückung und sprach von dem einen und dem andern, ganz wie der Geist ihm die Worte in den Mund legte. Dabei schien er jedoch genau zu wissen, was er sagte, und darin unterschied er sich von den Christen, denen ich in Rom begegnet war und von denen der eine dies, der andere das behauptete. Alles, was ich bis dahin gehört hatte, war wie das Lallen eines Kindes, verglichen mit dieser kraftvollen Rede.

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