XI

ANTONIA


Ich sehnte mich danach, Dich auf meine Knie zu setzen, um Dich öffentlich als meinen Sohn anzuerkennen und Dir den Namen zu geben, um den Claudia gebeten hatte, aber ich hielt es für vernünftiger, zunächst ein wenig Zeit verstreichen zu lassen, damit Deine Mutter sich beruhigen konnte.

Ich hatte es nicht verhindern können, daß sie in Caere alles erfuhr, was in Rom geschehen war, auch daß ich auf Neros Befehl und gegen meinen Willen an der Hinrichtung der Christen mitgewirkt hatte. Zwar hatte ich einige Christen auf meinen Landgütern in Sicherheit gebracht, andere gewarnt und vielleicht sogar Kephas das Leben gerettet, indem ich ihn dem Tigellinus als einen fürchtenswerten Zauberer darstellte, aber ich kannte das heftige Gemüt Claudias und wußte, wie falsch Frauen im allgemeinen die Handlungen ihrer Männer beurteilen, nämlich immer nach ihren weiblichen Vorstellungen und Launen und ohne Rücksicht auf politische und andere Umstände, die nur Männer zu begreifen vermögen. Daher hielt ich es für das beste, Claudia eine Weile über das, was sie gehört hatte, nachdenken zu lassen und ihr Zeit zu geben, sich zu besinnen.

Außerdem hatte ich in Rom so viel zu tun, daß ich nicht sofort nach Caere reisen konnte. Ich mußte den Tierbestand erneuern und die vielen anderen Verluste einbringen, und das nahm alle meine Kräfte in Anspruch. Gleichwohl will ich gestehen, daß ich einen gewissen Abscheu vor dem ganzen Tiergarten zu empfinden begann.

Ein weiterer Umstand, der mich an der Abreise hinderte, war Tante Laelias unerwarteter Selbstmord. Ich versuchte ihn nach bestem Vermögen zu vertuschen, aber er hatte letzten Endes doch zur Folge, daß noch mehr über mich geklatscht wurde als je zuvor. Was für einen Grund Tante Laelia gehabt haben mochte, sich das Leben zu nehmen – sofern sie es nicht im Wahnsinn tat –, ist mir noch heute ein Rätsel. Wahrscheinlich empfand sie in ihrer geistigen Umnachtung die Absetzung und Hinrichtung meines Vaters als eine solche Schmach, daß sie sich verpflichtet fühlte, Selbstmord zu begehen, und wer weiß: vielleicht meinte sie, dies sei auch meine Pflicht, und wollte mir als echte Römerin mit gutem Beispiel vorangehen.

Wie dem auch sei, sie überredete ihre ebenso wirrköpfige Dienerin, ihr die Pulsadern zu öffnen. Da ihr altes Blut nicht einmal in dem heißen Bad rinnen wollte, erstickte sie sich zuletzt mit dem Kohlendunst aus dem Glutbecken, das sie immer in ihrem Zimmer haben mußte, weil sie wie alle alten Menschen ständig fror, und sie hatte immerhin noch so viel Verstand übrigbehalten, daß sie der Dienerin befahl, alle Tür- und Fensterritzen von außen zu verstopfen.

Ich vermißte sie zunächst gar nicht. Erst tags darauf kam die Dienerin und fragte mich, ob man den Raum nicht lüften solle. Ich brachte es nicht über mich, dieses treuergebene alte Weib zu tadeln, das mir da mit zahnlosem Munde vorjammerte, es habe den Befehlen seiner Herrin wohl oder übel gehorchen müssen. Zu sehr erschütterte mich die neue Schande, die über meinen Ruf und Namen gekommen war.

Ich ließ Tante Laelias Leichnam unter allen ihr zukommenden Ehren verbrennen und hielt in kleinem Kreise eine Gedächtnisrede, obwohl ich vor Ärger kaum dazu imstande war. Es war auch nicht leicht, etwas über Tante Laelias Leben und ihre guten Seiten zu sagen. Claudia, die eben erst vom Kindbett aufgestanden war, lud ich nicht zur Gedächtnisfeier, aber ich schrieb ihr, berichtete von dem traurigen Geschehnis und erklärte, warum ich noch in der Stadt bleiben mußte.

Ich hatte damals, offen gestanden, viel zu leiden. Das mutige Auftreten der Christen im Zirkus und ihre unmenschliche Bestrafung, die bei unserer durch griechische Bildung verweichlichten Jugend Abscheu erweckte, hatten zur Folge, daß man in gewissen Kreisen, die Neros Beschuldigungen nicht glaubten, heimlich mit den Christen zu fühlen begann. Ich verlor so manchen Freund, den ich für treu gehalten hatte.

Als ein Beispiel dafür, welcher Bosheit und Dummheit der Mensch fähig ist, will ich nur erwähnen, daß man damals allen Ernstes behauptete, ich hätte meinen Stiefbruder Jucundus als Christen angezeigt, weil ich fürchtete, das Erbe nach meinem Vater mit ihm teilen zu müssen. Mein Vater habe sich außerdem meines schlechten Rufes wegen von mir losgesagt und absichtlich alles so eingerichtet, daß sein Vermögen an den Staat fiel, damit ich nur ja nichts davon bekäme. Was würden die Leute wohl noch alles erfunden haben, wenn sie gewußt hätten, daß Jucundus mein leiblicher Sohn war, nicht mein Stiefbruder! So falsch und feindselig sprach man über mich in der guten Gesellschaft. Wie müssen da erst die Christen über mich geredet haben! Ihnen ging ich nach Möglichkeit aus dem Wege, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.

Die Allgemeinheit war so gegen mich aufgehetzt, daß ich mich nur mit einem größeren Gefolge auf der Straße zeigen durfte. Nero fühlte sich, nun da er bewiesen hatte; daß er notfalls auch streng sein konnte, sogar bemüßigt, im ganzen Reich die Todesstrafe abzuschaffen. Hinfort durfte auch in den Provinzen niemand mehr zum Tode verurteilt werden, und hatte er das schlimmste Verbrechen begangen. An die Stelle der Todesstrafe trat die Zwangsarbeit, und die Verurteilten mußten Rom wiederaufbauen, vor allem Neros neuen Palast – das Goldene Haus, wie er selbst ihn nun öffentlich nannte – und den großen Zirkus.

Die Beweggründe für dieses neue Gesetz waren freilich nicht Güte und Menschlichkeit. Nero war in ernste Geldnöte geraten und brauchte kostenlose Arbeitskräfte für die gröbsten Arbeiten. Der Senat bestätigte das Gesetz, obwohl viele der Väter vor den Folgen der Abschaffung der Todesstrafe warnten und die Befürchtung äußerten, daß die Verbrechen und die allgemeine Gottlosigkeit zunehmen würden.

An der Erbitterung und Unzufriedenheit, die in ganz Rom herrschten, war jedoch nicht nur die Bestrafung der Christen schuld, die vielen nur ein willkommener Anlaß war, ihrem Haß gegen Nero und die Herrschermacht als solche Luft zu machen. Die wahre Ursache war die, daß jetzt erst alle Schichten der Bevölkerung das volle Gewicht der Steuern zu spüren bekamen, die der Wiederaufbau der Stadt und Neros eigene Bauvorhaben mit sich brachten. Auch die Getreidepreise mußten nach den ersten Hilfsmaßnahmen erhöht werden, und sogar die Sklaven mußten feststellen, daß sie immer weniger Brot, Knoblauch und Öl bekamen.

Einem ganzen Weltreich gelang es natürlich, das Goldene Haus zu bauen, und Nero selbst teilte die Arbeit sehr vernünftig auf mehrere Jahre auf, obwohl ihm die Bauarbeiten nicht schnell genug voranschreiten konnten. Er erklärte, fürs erste genügten ihm ein Speisesaal, einige Schlafräume und ein Arkadengang für Repräsentationszwecke. Er konnte jedoch nicht rechnen und war nach Art der Künstler nicht fähig, die Erklärungen der Sachverständigen geduldig genug anzuhören. Er nahm das Geld, wo er es gerade bekam, und dachte nicht an die Folgen.

Dafür trat er bei mehreren öffentlichen Theatervorstellungen als Sänger und Schauspieler auf und meinte in seiner Eitelkeit, seine glänzende Stimme und das Vergnügen, ihn in verschiedenen Rollen auftreten zu sehen, würden die Menschen ihre eigenen geringfügigen Opfer und Nöte vergessen machen, die doch, verglichen mit der großen Kunst, ein reines Nichts waren. Darin irrte er gründlich.

Viele unmusikalische Senatoren und Ritter begannen diese Vorstellungen als eine unerträgliche Plage zu betrachten, der man noch dazu nicht so leicht entrinnen konnte, weil Nero auf Wunsch gern bereit war, bis in die späte Nacht hinein zu singen und zu spielen.

Unter Vorspiegelung aller erdenklichen Gründe, und selbstverständlich auch, weil ich auf Dein Wohl bedacht war, bewog ich Claudia dazu, beinahe drei Monate in dem so gesunden Caere zuzubringen. Ihre bitteren Briefe las ich nur flüchtig, um mich nicht ärgern zu müssen, und ich antwortete ihr immer wieder, daß ich sie und Dich nach Rom zurückholen wolle, sobald es mir meine vielen Pflichten gestatteten und ich es im Hinblick auf eure Sicherheit glaubte verantworten zu können.

Die Christen wurden allerdings nach der Vorstellung im Zirkus kaum noch oder gar nicht mehr verfolgt, sofern sie sich nicht durch ihr Benehmen einen Platz in einem der Steinbrüche einhandelten. Im großen ganzen waren sie jedoch durch die Massenhinrichtung so eingeschüchtert, daß sie sich still verhielten.

Sobald sie an ihren unterirdischen Versammlungsorten zusammentrafen, gab es Streit und bittere Vorwürfe. Sie fragten sich gegenseitig, warum so viele angezeigt worden seien und warum die Anhänger des Paulus die des Kephas verraten hätten und umgekehrt. Auf diese Weise nahm die Zwietracht unter ihnen zu, und sie bildeten immer mehr geheime Gesellschaften. Die Stilleren verzweifelten darüber, daß sie nicht mehr wußten, wie sie Christus am besten folgen sollten. Sie trennten sich von den Eiferern und schlossen sich in ihrer Einsamkeit ein.

Claudia kehrte schließlich aus eigenem Antrieb nach Rom zurück und brachte alle ihre christlichen Diener mit, dazu die Flüchtlinge, denen ich, unter der Bedingung, daß sie ein wenig arbeiteten, auf den Gütern eine Freistatt gewährt hatte. Ich eilte ihr mit einem Freudenruf entgegen. Sie aber wollte mir anfangs nicht einmal meinen Sohn zeigen, sondern befahl der Amme, Dich ins Haus zu tragen und vor meinen bösen Blicken zu verbergen.

Dann bat sie ihre Begleiter, das Haus zu umstellen, so daß ich nicht entkommen konnte. Ich mußte gestehen, daß ich mich an meinen Schutzgenius wandte und einen Augenblick für mein Leben fürchtete, denn ich erinnerte mich, daß Deine Mutter eine leibliche Tochter des Claudius ist und dessen Grausamkeit und Launenhaftigkeit geerbt hat.

Nachdem sie sich jedoch im Haus umgesehen hatte, benahm sich Claudia recht vernünftig und sagte, sie habe ein ernstes Wort mit mir zu reden. Ich versicherte ihr, daß ich selbst nichts Besseres wünschte, sofern nur erst alle Gefäße und frei umherliegenden Dolche – lauter Andenken, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten – aus dem Zimmer geschafft worden wären.

Claudia hieß mich einen Verbrecher, einen gemeinen Mörder mit blutigen Händen, und behauptete, das Blut meines Adoptivbruders schreie zum Himmel und klage mich an vor Gott. Zuletzt sagte sie, ich hätte mir durch meine Mordlust den Zorn ihres Jesus von Nazareth zugezogen.

Ich war im Grunde erleichtert, weil sie offenbar nicht wußte, daß Jucundus mein Sohn war. In derlei Dingen sind Frauen sonst so scharfsichtig. Was mich kränkte, war, daß sie mir vorwarf, Tante Laelia habe meinetwegen Selbstmord begangen. Ich erwiderte ihr jedoch, daß ich bereit sei, ihr ihre bösen Worte zu verzeihen, und bat sie, doch einmal Kephas zu fragen, was alles ich getan hatte, um den Christen zu helfen und ihn selbst aus den Klauen des Tigellinus zu retten.

»Glaube nicht nur Prisca und Aquila und einigen anderen, die ich nicht nennen will«, bat ich. »Ich weiß, daß sie der Partei des Paulus angehören, dem ich übrigens auch geholfen habe, als er vor Gericht stand, und wenn man zur Zeit nicht einmal in Iberien nach ihm forscht, weil Nero nichts mehr von den Christen hören will, so ist das zum Teil gleichfalls mir zu verdanken.«

»Ich glaube, wem ich will«, gab Claudia zornig zur Antwort. »Du willst dich nur herausreden. Ich weiß nicht, wie ich mit einem Mann wie dir zusammenleben soll, dessen Hände rot sind vom Blut der Glaubenszeugen. Nichts bereue ich mehr, als daß du der Vater meines Sohnes bist.« Ich hielt es für das beste, sie nicht daran zu erinnern, daß sie selbst aus freiem Willen zu mir ins Bett gekrochen war und daß ich sie auf ihre eigenen inständigen Bitten hin zu einer ehrlichen Frau gemacht hatte, indem ich heimlich mit ihr die Ehe einging. Zum Glück waren die geheimen Urkunden, die wir bei den Vestalinnen hinterlegt hatten, durch den Brand zerstört worden, und auch das Staatsarchiv war niedergebrannt, so daß ich die Entdeckung meiner Ehe nicht ernst zu fürchten brauchte. Ich war daher vernünftig und schwieg, da ich den Worten Deiner Mutter entnehmen konnte, daß sie zu verhandeln bereit war.

Nun stellte mir Claudia ihre Bedingungen. Ich mußte mich, soweit dies einem gottlosen Menschen wie mir möglich war, bessern, ich mußte Christus für meine bösen Taten um Vergebung bitten und vor allem den Tiergarten und mein Vorsteheramt aufgeben.

»Wenn du schon nicht an deinen und meinen Ruf denkst, so denke an deinen Sohn und seine Zukunft«, bat Claudia. »Dein Sohn ist einer der letzten in Rom, die sowohl von den Juliern als auch von den Claudiern abstammen. Um seinetwillen mußt du dir eine standesgemäße Stellung verschaffen, so daß er später nichts von deiner schändlichen Vergangenheit zu wissen braucht.«

Claudia nahm an, ich würde mich dieser Forderung mit allen Kräften widersetzen, da ich so große Summen in den Tiergarten und meine Tiere gesteckt und im Amphitheater für meine Vorführungen Beifall eingeheimst hatte. Insgeheim hatte ich jedoch selbst schon beschlossen, den Tiergarten aufzugeben. Ich will nicht behaupten, daß daran die Niedermetzelung der Christen im Zirkus schuld gewesen sei. Ich hatte dagegen Einspruch erhoben, dann aber, dem Zwang gehorchend, meine Aufgabe trotz der Eile und den zahllosen Schwierigkeiten so sauber und zweckdienlich wie möglich durchgeführt. Ich glaube, dessen brauche ich mich nicht zu schämen.

Der eigentliche Grund war der, daß ich mit meiner ehemaligen Gattin Flavia Sabina zu einer finanziellen Regelung kommen mußte. Ich hatte ihr damals, als mir Epaphroditus die Kehle zudrückte, mein halbes Vermögen versprochen, aber je mehr Zeit verging, desto mehr widerstrebte mir der Gedanke.

Nun da ich einen Sohn hatte, der unzweifelhaft mein eigener war, fand ich es auch ungerecht, daß der kleine, damals fünfjährige Lausus eines Tages ebensoviel erben sollte wie er. Ich hatte nichts gegen Lausus, aber seine Haut wurde immer dunkler und sein Haar immer krauser, so daß ich mich manchmal schämte, weil er meinen Namen trug.

Andrerseits wußte ich nur zu gut, daß Sabina den starken Epaphroditus am Gängelband führte und daß sie nicht davor zurückschrecken würde, mich ermorden zu lassen, wenn ich sie bei der Abrechnung zu übervorteilen versuchte. Ich hatte mir daher eine, wie ich glaubte, ganz vortreffliche Lösung ausgedacht und auch schon mit Sabina über meinen Plan gesprochen.

Epaphroditus hatte, lange bevor ich etwas von seinem Verhältnis mit Sabina ahnte, von Nero selbst den Freilassungsstab und das Bürgerrecht erhalten. Im übrigen hatte sich Sabina ab und zu auch mit anderen Tierwärtern abgegeben, aber seit unserer Scheidung hielt Epaphroditus sie sehr kurz und verabreichte ihr gelegentlich eine gehörige Tracht Prügel, was ihr sehr lieb war.

Ich wollte ihr nun den Tiergarten samt Sklaven, Tieren, Geschäftsverträgen und so fort schenken und Nero vorschlagen, Epaphroditus an meiner Statt zum Vorsteher zu ernennen. Epaphroditus war zwar römischer Bürger, aber um meines Ansehens willen war es erforderlich, daß mein Nachfolger darüber hinaus dem Ritterstand angehörte.

Wenn ich Nero so weit brachte, daß er zum erstenmal in der Geschichte Roms einen Afrikaner in die Ritterrolle einschreiben ließ, konnte Sabina mit Epaphroditus eine rechtsgültige Ehe eingehen, und dies um so leichter, da ihr Vater sie verstoßen hatte, so daß der Familienstolz der Flavier sie nicht mehr daran hinderte. Als Gegenleistung mußte mir Sabina versprechen, daß sie Lausus adoptieren und auf seine Erbansprüche mir gegenüber verzichten würden. Sie wagte jedoch nicht zu glauben, daß Nero bereit wäre, einen Mann zum Ritter zu machen, der mindestens zur Hälfte Neger war.

Ich kannte jedoch Nero und hatte ihn oft genug prahlen hören, ihm sei nichts unmöglich. Als Künstler und Menschenfreund sah er in einer farbigen oder auch jüdischen Haut kein Hindernis für ein Amt im Dienst des Staates. In den afrikanischen Provinzen hatte sich schon so mancher dunkelhäutige Mann in seiner Heimatstadt durch sein Vermögen und seine militärischen Verdienste den Ritterrang verschafft.

Als ich nun, scheinbar widerstrebend und mich laut über meine Verluste beklagend, auf Claudias Vorschlag einging, verlor ich daher in Wirklichkeit gar nichts. Im Gegenteil, ich ersparte mir große finanzielle Opfer und schaffte mir sowohl Sabinas Forderungen als auch den Bankert Lausus vom Hals. Das war einige Anstrengungen wert, obwohl ich Claudia natürlich, um den Schein zu wahren, düster prophezeite, Nero werde zutiefst gekränkt sein, weil ich ein Amt niederlegen wollte, das er mir verliehen hatte. Ich würde, sagte ich, nur in Ungnade fallen und vielleicht sogar mein Leben aufs Spiel setzen.

Claudia antwortete schadenfroh grinsend, um Neros Gunst brauchte ich mich ohnehin nicht mehr zu bemühen und mein Leben sei allein dadurch schon in Gefahr, daß ich einen Sohn in die Welt gesetzt hatte, in dessen Adern das Blut der Claudier floß. Mir lief es bei diesen Worten kalt über den Rücken, aber Claudia erklärte sich nun endlich gnädig bereit, mir meinen Sohn zu zeigen.

Du warst ein schönes, makelloses Kind, sahst aus dunklen Augen an mir vorbei und packtest mit Deinen kleinen Fingern meinen Daumen, als wolltest Du mir gleich den goldenen Ring abnehmen. Mein Herz hast Du jedenfalls gleich genommen, und das war mir noch nie zuvor geschehen. Du bist mein Sohn, Du magst es wollen oder nicht.

Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen, bat Epaphroditus, Sabina und Lausus, mich zu begleiten, und hielt an einem Nachmittag, an dem ich annehmen konnte, daß Nero nach dem Mahl und einem erfrischenden Bad bis in die Nacht hinein weitertrinken und sich vergnügen werde, im fertigen Teil des Goldenen Hauses um Audienz an. Die Künstler waren eben dabei, die Wandmalereien in den Gängen zu beenden. Der runde Speisesaal, der von Gold und Elfenbein glänzte, war erst halb fertig.

Nero beschäftigte sich gerade mit den Plänen zu einer Riesenstatue seiner selbst, die vor dem Durchgangsgebäude aufgestellt werden sollte. Er zeigte mir die Zeichnungen und erwies den Bildhauern so viel schmeichelnde Aufmerksamkeit, daß er mir die Namen dieser Handwerker nannte, als wären wir von gleichem Rang. Ich nahm jedoch nicht Anstoß daran, sondern freute mich, daß Nero bei bester Laune war.

Er schickte die Handwerker fort, als ich ihn bat, unter vier Augen mit ihm sprechen zu dürfen, sah mich schuldbewußt an, rieb sich verlegen das Kinn und gestand, daß auch er mit mir zu reden habe. Es falle ihm nicht leicht und er habe es immer wieder aufgeschoben, weil er fürchtete, ich könnte ihm übelnehmen, was er mir sagen müsse.

Ich legte ihm mit vielen Worten dar, wie treu und unter welchen Opfern ich durch so viele Jahre den großen Tiergarten Roms geführt hatte. Dieses Amt werde mir nun, so sagte ich, eine allzu schwere Bürde, zumal ein neuer, zum Goldenen Haus gehöriger Tiergarten angelegt werden müsse und ich mich dieser Aufgabe, die großen künstlerischen Geschmack erfordere, nicht gewachsen fühle. Ich sei daher gekommen, um ihn zu bitten, mich von meinem Amt zu befreien.

Als Nero zu begreifen begann, wo ich mit meiner langen Rede hinauswollte, erhellte sich seine Miene. Er lachte und schlug mir zum Zeichen seiner Gunst freundschaftlich auf die Schulter.

»Sei ohne Sorge, Minutus«, sagte er. »Deinen Wunsch will ich dir gern erfüllen. Ich will ihn dir um so lieber erfüllen, als ich ohnehin schon seit geraumer Zeit nach einem passenden Vorwand suche, dich deines Amtes zu entheben. Gewisse einflußreiche Personen machen mir seit dem Herbst immer wieder Vorwürfe wegen der unnötig grausamen Vorführungen, die du veranstaltet hast, und verlangen, daß ich dich zur Strafe für deinen schlechten Geschmack absetze. Ich muß selbst sagen, daß gewisse Einzelheiten der Vorstellung mir den Magen umgedreht haben, obwohl die Brandstifter natürlich ihre Strafe verdienten. Es freut mich, daß du selbst eingesehen hast, wie unhaltbar deine Stellung geworden ist. Ich konnte ja nicht ahnen, daß du mein Vertrauen mißbrauchen und eines Erbstreits wegen deinen eigenen Halbbruder gegen die Löwen schicken würdest.«

Ich öffnete den Mund, um diese wahnsinnige Beschuldigung zurückzuweisen, aber Nero fuhr mit finsterer Miene fort: »Die Hinterlassenschaft deines Vaters und seine Geschäfte sind so undurchsichtig und verworren, daß ich noch nicht einmal meine Auslagen wieder hereinbrachte, als ich die Forderungen eintrieb. Man munkelt, du habest im vollen Einverständnis mit deinem Vater den größten Teil des Vermögens auf die Seite geschafft, um den Staat und mich zu betrügen. Das mag ich von dir nicht glauben, denn ich weiß, daß du mit deinem Vater verfeindet warst. Ich müßte dich sonst aus Rom verbannen. Ich habe vielmehr deine Tante Laelia im Verdacht, die es für gut befand, sich das Leben zu nehmen, um der Strafe zu entgehen. Aber ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich die Ädilen bitte, einmal einen Blick in deine Bücher zu werfen. Ich würde es nicht tun, wenn ich nicht dank der rücksichtslosen Habgier gewisser Leute ständig in Geldnöten wäre. Sie klemmen ihre Geldbeutel zu und weigern sich, ihrem Kaiser zu helfen, sich endlich eine menschenwürdige Wohnstätte zu schaffen. Und ob du es glaubst oder nicht: Seneca hat sich damit begnügt, mir lächerliche zehn Millionen Sesterze zu schicken, er, der immer behauptete, er sei bereit, mir alles zu geben, was er besaß, weil er nur zu gut wußte, daß ich es aus politischen Gründen nicht annehmen konnte. Pallas liegt auf seinem Geld wie ein feister Köter, und von dir habe ich sagen hören, daß du einige Monate vor dem Brand alle deine Mietshäuser und Baugründe in den Stadtteilen verkauft hast, die später am schlimmsten verheert wurden. Statt dessen hast du billigen Boden in Ostia gekauft, der seither beträchtlich im Wert gestiegen ist. Eine solche Umsicht sieht sehr verdächtig aus. Wenn ich dich nicht kannte, würde ich dich der Teilnahme an der Verschwörung der Christen anklagen.«

Er lachte laut auf, und ich benutzte die Gelegenheit, um ihn rasch zu versichern, mein Vermögen stehe ihm selbstverständlich zur Verfügung, wenngleich ich nicht so reich sei, wie allgemein angenommen werde. In dieser Hinsicht könne ich mit Seneca oder Pallas nicht in einem Atem genannt werden. Nero klopfte mir begütigend auf die Schulter und sagte: »Nimm mir den kleinen Scherz nicht übel, Minutus. Es ist für dich selbst das beste, du weißt, was alles über dich geredet wird. Ein Herrscher hat es schwer. Er muß alle anhören und weiß nie, wessen Absichten wirklich lauter sind. Immerhin sagt mir aber meine Menschenkenntnis, daß du eher einfältig als umsichtig bist. Ich will daher nicht aufgrund von Gerüchten und wegen der Verbrechen deines Vaters dein Vermögen beschlagnahmen. Daß ich dich wegen Untauglichkeit deines Amtes enthebe, sei Strafe genug. Ich weiß nur nicht, wen ich an deiner Stelle ernennen soll. Es finden sich für dieses Amt, das keinerlei politische Bedeutung hat, keine Bewerber.«

Ich hätte ihm über die politische Bedeutung dieses Amtes das eine oder andere sagen können, aber ich schlug ihm statt dessen lieber vor, den Tiergarten Sabina und Epaphroditus zu überlassen. In diesem Falle würde ich keine Entschädigung fordern und die Ädilen brauchten sich nicht die Mühe zu machen, meine Bücher zu überprüfen. Dies sei mein Angebot als ehrlicher Mann. Zuerst aber müsse Epaphroditus in den Ritterstand erhoben werden.

»Über die Hautfarbe eines römischen Ritters steht in keinem Gesetz, in keiner Verordnung ein Wort zu lesen«, sagte ich. »Die einzige Bedingung ist ein gewisses Vermögen und jährliches Einkommen, obgleich es natürlich zuletzt ganz von deiner Gnade abhängt, wen du zum Ritter machen willst. Und ich weiß, daß Nero nichts unmöglich ist. Wenn du meinen Vorschlag günstig aufnimmst, so erlaube mir, Epaphroditus und Sabina hereinzurufen.«

Nero kannte Epaphroditus vom Sehen, und er hatte gewiß vor meiner Scheidung mit meinen anderen Freunden heimlich über meine Leichtgläubigkeit gelacht. Nun erheiterte es ihn, daß ausgerechnet ich ein Wort für ihn einlegte, und er lachte offen heraus, als Sabina Lausus hereinführte und er die Hautfarbe des Knaben mit der des Epaphroditus verglich.

Ich glaube, all dies bestärkte Nero in seiner Meinung, daß ich ein leichtgläubiger Tropf sei, doch das konnte mir nur recht sein. Ich durfte auf keinen Fall zulassen, daß die Ädilen die Buchführung des Tiergartens überprüften. Wenn Nero glaubte, Epaphroditus habe sich auf meine Kosten so bereichert, daß er nun imstande war, das für einen Ritter erforderliche Vermögen nachzuweisen, so war das seine Sache.

Im Grunde gefiel Nero der Gedanke, der Ritterschaft dadurch, daß er Epaphroditus in die Rolle im Tempel des Castor und des Pollux einschreiben ließ, seine Macht zu beweisen. Außerdem war er klug genug, um sofort zu begreifen, was eine solche Geste ihm in den afrikanischen Provinzen einbrachte, bezeugte er doch damit, daß unter seiner Regierung alle römischen Bürger ohne Rücksicht auf Hautfarbe und Geburt gleichberechtigt waren und daß er keine Vorurteile kannte.

Es ging daher alles nach meinen Wünschen. Es gefiel Nero auch, daß Sabina und Epaphroditus heiraten und den Knaben, der bisher als mein Sohn eingeschrieben gewesen war, adoptieren wollten. »Ich erlaube jedoch, daß er zum Andenken an dich, edler Manilianus, weiter den Namen Lausus trägt«, sagte er boshaft. »Es ist schön von dir, daß du ihn ganz seiner Mutter und seinem Stiefvater überläßt. Das beweist, daß du die Mutterliebe achtest und an dich selbst zuletzt denkst, obwohl der Kleine dir ähnelt wie ein Ei dem andern.« Wenn ich geglaubt hatte, Sabina einen Streich zu spielen, indem ich die Last des Tiergartens auf ihre Schultern ablud, so hatte ich mich geirrt. Nero faßte eine gewisse Neigung zu Epaphroditus und bezahlte ohne Murren die unverschämtesten Rechnungen. Die Tiere in dem neuen Tiergarten des Goldenen Hauses tranken aus Marmortrögen, und die Pantherkäfige bekamen silberne Gitter. Nero kam für alles auf, und ich hatte sogar die ungeheuren Wasserrechnungen aus eigener Tasche bezahlen müssen, als die Wasserverteilung nach dem Brand neu geregelt worden war!

Epaphroditus dachte sich gewisse einfache Vorführungen aus, die Nero sehr gefielen und über die ich aus Gründen der Schicklichkeit keine Einzelheiten berichten will. Er wurde binnen kurzem steinreich und dank dem Tiergarten einer der Günstlinge Neros.

Nach meiner Verabschiedung hörte man auf, mir auf der Straße Steine nachzuwerfen. Statt dessen lachte man mir offen ins Gesicht, und ich gewann einen Teil meiner Freunde zurück, lauter edelmütige Menschen, die glaubten, mich bemitleiden zu müssen, seit ich in Ungnade gefallen und zum Gespött der Leute geworden war. Mochten sie denken, was sie wollten. Ich beklagte mich nicht, denn es ist besser, verlacht als von allen gehaßt zu werden. Claudia brachte natürlich nach Weiberart kein Verständnis für meine vernünftige Einstellung auf, sondern flehte mich weinend an, um meines Sohnes willen auf einen besseren Ruf bedacht zu sein. Ich übte mich in Geduld.

Und Geduld war in der Tat vonnöten. In ihrem wahnwitzigen Mutterstolz wollte Claudia sowohl Antonia als auch Rubria, die Älteste der Vestalinnen, zu Deinem Namensfest einladen, damit ich Dich in ihrem Beisein auf meine Knie setzte. Die alte Paulina war bei dem Brand umgekommen und konnte nicht mehr als Zeugin dienen. Claudia aber hatte mittlerweile erkannt, was es bedeutete, daß das Archiv der Vesta zerstört worden war.

Sie versicherte mir, es werde alles so heimlich wie möglich vor sich gehen, forderte aber die Anwesenheit einiger zuverlässiger Christen und beteuerte immer wieder, die Christen hätten besser als alle anderen zu schweigen gelernt. Ich für mein Teil war der Meinung, daß es keine übleren Streithammel und Verräter gab. Und Antonia und Rubria waren Frauen. Sie einweihen, das war in meinen Augen dasselbe wie auf das Dach unseres Hauses steigen und die Geburt meines Sohnes über die ganze Stadt hinausrufen.

Claudia bestand jedoch trotz meinen bösen Ahnungen auf ihren Forderungen, und zuletzt geschah alles nach ihrem Willen. An sich war es freilich eine große Ehre, daß Antonia, die gesetzliche Tochter des Claudius, Claudia als ihre Halbschwester anerkannte und sogar Dich auf ihre Knie setzte und Dir zur Erinnerung an sich selbst und Deinen großen Ahnen Marcus Antonius den Namen Antonianus gab. Der Schrecken fuhr mir jedoch in alle Glieder, als sie Dich in ihrem Testament zu bedenken versprach.

»Sprich nicht von deinem Testament!« rief ich, um sie abzulenken. »Du bist viele Jahre jünger als Claudia und eine Frau in ihrer schönsten Blüte. Wir beide sind ja etwa gleichaltrig, aber Claudia ist fünf Jahre älter als ich und schon vierzig. Ich für mein Teil mag noch lange nicht an mein Testament denken.«

Diese Bemerkung war nicht nach Claudias Geschmack, aber Antonia richtete ihre schlanke Gestalt auf, warf mir einen Blick aus verschleierten Augen zu und sagte: »Ich glaube, ich sehe für mein Alter noch sehr gut aus. Deine Claudia dagegen wirkt – wie soll ich sagen? – ein wenig verbraucht. Manchmal sehne ich mich nach der Gesellschaft eines lebensfrohen Mannes. Ich fühle mich einsam nach meinen Ehen, die beide durch Mord beendet wurden, denn die Leute fürchten Nero und gehen mir aus dem Wege. Wenn sie nur wüßten!«

Ich merkte ihr deutlich an, daß sie darauf brannte, etwas zu erzählen. Auch Claudia wurde neugierig. Nur die alte Rubria lächelte ihr allwissendes Vestalinnenlächeln. Wir brauchten Antonia nicht lang zu bitten, und schon gestand sie uns mit erheuchelter Bescheidenheit, Nero habe sie mehrere Male mit großer Eindringlichkeit gebeten, seine Gemahlin zu werden.

»Dazu konnte ich mich natürlich nicht bereit erklären«, sagte sie. »Ich antwortete ihm offen, daß ich mich noch zu gut meines Halbbruders Britannicus und meiner Halbschwester Octavia erinnerte. Von seiner Mutter Agrippina schwieg ich aus Feingefühl, obwohl sie als Nichte meines Vaters meine leibliche Base war, und natürlich auch deine, liebe Claudia.«

Bei der Erinnerung an Agrippinas Tod bekam ich einen solchen Hustenanfall, daß Claudia mir auf den Rücken klopfen und mich ermahnen mußte, meinen Becher nicht so hastig zu leeren. Immer noch hustend, fragte ich Antonia, was Nero als Grund für seine Werbung angeführt habe. Sie schlug ihre blaugefärbten Wimpern nieder und erwiderte: »Nero versicherte und schwor mir, daß er mich schon seit langem heimlich liebt. Nur deshalb hat er solchen Groll gegen meinen verstorbenen Gatten Faustus Sulla gehegt. Seiner Ansicht nach war Sulla ein viel zu träger und zu wenig unternehmungsfreudiger Mann für eine Frau wie mich. Das läßt sein Verhalten Sulla gegenüber verzeihlich erscheinen, obwohl er in der Öffentlichkeit nur politische Gründe dafür anführte, daß er den Ärmsten in unserem bescheidenen Heim in Massilia ermorden ließ. Unter uns kann ich übrigens ruhig zugeben, daß mein Gatte wirklich heimliche Beziehungen zu den Befehlshabern der Legionen in Germanien unterhielt.«

Nachdem sie mit diesen Worten bewiesen hatte, daß sie uns, ihren Verwandten, volles Vertrauen schenkte, fuhr sie fort: »Ich bin Frau genug, um von Neros offenherzigem Geständnis gerührt zu sein. Schade, daß er so unzuverlässig ist und daß ich ihn so bitter hasse. Er kann sehr liebenswert sein, wenn er will. Ich blieb jedoch standhaft und wies ihn auf den Altersunterschied zwischen uns hin, der freilich kaum größer ist als der zwischen Claudia und dir. Ich habe aber von Kind auf in Nero nie etwas anderes gesehen als einen boshaften Schlingel, und natürlich ist die Erinnerung an Britannicus ein unüberwindliches Hindernis. Was er Octavia antat, kann ich ihm eher verzeihen. Octavia war selbst schuld. Sie hätte ihn nicht mit diesem Anicetus betrügen dürfen.«

Ich sagte ihr nicht, was für ein geschickter Schauspieler Nero sein konnte, wenn es seinem Vorteil galt. Es hätte seine Stellung dem Senat und dem Volk gegenüber zweifellos gefestigt, wenn er durch Antonia ein drittes Mal in ein verwandtschaftliches Verhältnis zu den Claudiern getreten wäre.

Der Gedanke daran bedrückte mich. Durch den Wein zärtlich gestimmt, dachte ich an Dich und Deine Zukunft und wünschte mir in meinem Herzen, Du mögest Dich nie vor anderen wegen der Herkunft Deines Vaters schämen müssen. Auf heimlichen Wegen waren nämlich, zusammen mit anderen notwendigen Dokumenten, auch die Briefe in meine Hände gelangt, die mein Vater einst, vor meiner Geburt, in Jerusalem und Galiläa an Tullia geschrieben, aber nie abgeschickt hatte.

Aus ihnen ging hervor, daß er sich, durch seine unglückliche Liebe, eine Testamentsfälschung und Tullias Treulosigkeit um die klare Vernunft gebracht, so weit erniedrigt hatte, alles zu glauben, was die Juden ihm einredeten. Am härtesten aber traf es mich, daß die Briefe die Vergangenheit meiner Mutter Myrina enthüllten. Sie war nichts anderes gewesen als eine ganz gewöhnliche Tänzerin und Akrobatin, die mein Vater freigekauft hatte. Über ihre Herkunft war nur bekannt, daß sie von Inselgriechen abstammte.

Daher waren ihre Statue vor dem Rathaus in Myrina in Asia und alle Urkunden, die mein Vater über ihre Geburt in Antiochia beschafft hatte, nichts als Schwindel, dazu bestimmt, mir meine Zukunft zu sichern. Die Briefe ließen mich sogar daran zweifeln, daß ich in rechtsgültiger Ehe geboren worden war. Hatte sich mein Vater nicht vielleicht auch diese Urkunden erst später, nach dem Tod meiner Mutter, beschafft, indem er die Behörden in Damaskus bestach? Dank Jucundus wußte ich selbst nur zu gut, wie leicht sich dergleichen einrichten läßt, wenn man Geld und Einfluß hat.

Claudia gegenüber hatte ich über die Briefe meines Vaters und die anderen Dokumente nicht ein Wort erwähnt. Es befanden sich darunter, neben in finanzieller Hinsicht sehr wertvollen Unterlagen, einige aramäische Aufzeichnungen von der Hand eines jüdischen Zöllners, der zu den Bekannten meines Vaters gehört hatte. Sie betrafen das Leben jenes Jesus von Nazareth, und ich hielt mich nicht für befugt, sie zu vernichten, sondern mauerte sie eigenhändig zusammen mit den Briefen in meinem heimlichsten Versteck ein, in dem ich gewisse Schriften verwahre, die das Licht des Tages scheuen.

Ich versuchte meine Niedergeschlagenheit zu überwinden und hob meinen Becher zu Ehren Antonias, die Neros Annäherung mit soviel Feingefühl zurückgewiesen hatte. Sie gestand uns zuletzt, daß sie ihn ein- oder zweimal geküßt hatte, ganz schwesterlich nur und um ihn zu besänftigen.

Davon, daß sie Dich in ihrem Testament bedenken wollen, sagte Antonia zum Glück nichts mehr, und wir setzten Dich der Reihe nach aufs Knie, obwohl Du zappeltest und schriest. Dann erhieltst Du die Namen Clemens Claudius Antonianus Manilianus, und das war genug erbliche Belastung für ein so kleines Kind. Ich nahm daher Abstand davon, Dich auch noch nach meinem Vater Marcus zu nennen, was meine Absicht gewesen war, ehe Antonia mit ihrem Vorschlag kam.

Als Antonia sich zu später Stunde in ihrer Sänfte nach Hause begab, verabschiedete sie sich von mir mit einem schwesterlichen Kuß, denn wir waren ja zwar heimlich, aber doch vor dem Gesetz miteinander verwandt. Sie bat mich auch, sie in Zukunft, wenn wir unter vier Augen zusammentrafen, Schwägerin zu nennen. Ich erwiderte ihren Kuß und tat es gern. Ich war ein wenig berauscht.

Sie beklagte sich noch einmal über ihre Einsamkeit und sagte, sie hoffe, ich würde sie nun, da wir miteinander verwandt seien, einmal besuchen. Claudia brauchte ich nicht unbedingt mitzubringen. Sie habe mit dem Kind und dem großen Haus genug zu tun und fühle gewiß schon die Last der Jahre. Ich kann nicht leugnen, daß Antonias Aufmerksamkeit mir schmeichelte, war sie doch der Abstammung nach die vornehmste Dame Roms.

Bevor ich jedoch schildere, welchen Verlauf unsere Freundschaft nahm, muß ich auf die Angelegenheiten Roms zurückkommen.

In seiner Geldnot wurde Nero des Jammerns der Provinzen und der bitteren Klagen der Handelsleute über die Umsatzsteuern bald überdrüssig. Er beschloß daher, seine Schwierigkeiten so zu lösen wie Alexander einst den Gordischen Knoten. Ich weiß nicht, wer ihm den Plan vorlegte, denn in die Geheimnisse des Tempels der Juno Moneta bin ich nicht eingeweiht, aber wer es auch gewesen sein mag: der Mann hätte es mehr als die Christen verdient, als ein Feind der Menschheit und des Reiches den wilden Tieren vorgeworfen zu werden.

Nero borgte in aller Stille von den Göttern Roms alle Weihgeschenke aus Gold und Silber, das heißt, er setzte Jupiter Capitolinus in aller Form als Darlehensnehmer ein und borgte seinerseits von Jupiter. Dagegen war juristisch nichts einzuwenden, obwohl es die Götter gewiß nicht billigten. Nero hatte nach dem Brand alles geschmolzene Metall für sich sammeln lassen, das nun natürlich nicht mehr aus vollgewichtigem Gold oder Silber bestand, sondern in unterschiedlichem Grade mit Bronze vermischt war. Nun ließ er alles zusammenschmelzen und im Tempel der Juno Moneta Tag und Nacht neue Gold- und Silbermünzen schlagen, die um ein Fünftel weniger Gold oder Silber enthielten als vorher. Diese Münzen waren sowohl leichter als auch, durch die Kupferbeimischung, dunkler als die früheren. AU das ging, unter dem Vorwand, daß die Angelegenheiten der Juno Moneta nie öffentlich gewesen seien, in der größten Heimlichkeit und unter strenger Bewachung vor sich, aber den Bankiers kamen doch zumindest Gerüchte zu Ohren. Ich selbst wurde aufmerksam, als die Münzen plötzlich knapp wurden und man mir ständig Zahlungsanweisungen aufnötigte oder bei größeren Käufen um einen Monat Zahlungsaufschub bat.

Dennoch glaubte ich zunächst den Gerüchten nicht, da ich mich als Freund Neros betrachtete und nicht fassen konnte, daß er – sowenig ein Künstler auch von den Geschäften versteht – sich des entsetzlichen Verbrechens der Münzfälschung schuldig machen sollte, eines Verbrechens, für das schon so mancher einfache Mann, der sich die eine oder andere Münze für den eigenen Gebrauch hergestellt hatte, ans Kreuz geschlagen worden war. Ich folgte jedoch dem Beispiel der anderen und hielt mein Bargeld zurück.

Das Geschäftsleben geriet nach und nach völlig durcheinander, und die Preise stiegen von Tag zu Tag, bevor noch Nero seine gefälschten Münzen in Umlauf brachte und eine Verordnung erließ, derzufolge innerhalb einer bestimmten Frist alle alten Münzen gegen die neuen eingetauscht werden mußten. Danach sollte jeder, bei dem man noch alte, gute Münzen fand, als Staatsfeind behandelt werden. Nur Zölle und Steuern durften noch mit den alten Münzen erlegt werden.

Zu Roms Schande muß ich gestehen, daß der Senat diese Verordnung mit einer beträchtlichen Stimmenmehrheit guthieß. Sie wurde also rechtskräftig, und man kann daher für dieses Verbrechen, das aller Anständigkeit und allem guten Handelsbrauch Hohn spricht, nicht Neros Willkür und Kurzsichtigkeit allein verantwortlich machen.

Die Senatoren, die für Nero stimmten, rechtfertigten sich scheinheilig damit, daß der Wiederaufbau Roms einschneidende Maßnahmen erfordere. Außerdem wurde behauptet, daß durch den Geldumtausch die Reichen größere Nachteile erlitten als die Armen, weil die Reichen mehr Bargeld besäßen und Nero es nicht der Mühe wert fand, Kupferscherflein zu fälschen. Das war dummes Geschwätz. Das Vermögen eines Senators besteht, wie es das Gesetz vorschreibt, größtenteils aus Grundbesitz, wenngleich der eine oder andere durch seine Freigelassenen Handel treibt, und selbstverständlich hatte jeder der abstimmenden Senatoren seine guten Gold- und Silbermünzen, sofern er welche besaß, vorsorglich in Sicherheit gebracht.

Der einfachste Landmann war schlau genug, seine Ersparnisse in einen Tonkrug zu stecken und in die Erde zu vergraben. Alles in allem wurde höchstens ein Viertel aller in Umlauf befindlichen Münzen gegen die neuen ausgetauscht, und zweifellos machte es sich nun auch bemerkbar, daß so viele der zuverlässigen römischen Münzen in die Länder der Barbaren und sogar bis nach Indien und China geflossen waren.

Neros unerhörtes Verbrechen brachte so manchen zur Besinnung, der ihm aus politischen Gründen sogar den Muttermord verziehen hatte. Angehörige des Ritterstandes, die irgendwelche Geschäfte betrieben, und die wohlhabenden Freigelassenen, die den Handel beherrschten, hatten nun Anlaß genug, ihre politische Einstellung zu überprüfen, denn das neue Geld brachte das gesamte Wirtschaftsleben in Verwirrung. Sogar erfahrene Geschäftsleute erlitten durch die Terminkäufe empfindliche Verluste.

Nur diejenigen, die leichtsinnig in den Tag hinein lebten, die bis über die Ohren verschuldet waren, freuten sich über den Einfall und bewunderten Nero mehr denn je, da sie nun ihre Schulden mit Geld zurückzahlen konnten, das um ein Fünftel weniger wert war. Das Zithergeklimper und die Spottverse der Langhaarigen vor den Häusern der Reichen und den Wechseltischen auf dem Forum wurden sogar mir zu viel. Alle Schöngeister waren nach diesem Streich fester denn je davon überzeugt, daß Nero nichts unmöglich war. Sie bildeten sich ein, er begünstige die Armen auf Kosten der Reichen und mache mit dem Senat, was er wolle. Und unter diesen haltlosen Jünglingen befanden sich sogar Senatorensöhne!

Es war in dem Maße allgemein üblich, die alten Münzen zu verstecken, daß niemand darin ein Verbrechen sah, und es half auch nichts, daß man ein paar arme Markthändler und Bauersleute festnahm und zur Zwangsarbeit verurteilte. Nero mußte seine milden Gesetze widerrufen und den Übeltätern wieder die Todesstrafe androhen. Dennoch wurde niemand hingerichtet, denn im Grunde sah Nero sehr wohl ein, daß er selbst der Verbrecher war und nicht der Arme, der seine wenigen vollgewichtigen Silbermünzen, die Ersparnis vieler Jahre, für sich behalten wollte.

Ich selbst fand mich rasch in die neuen Verhältnisse und ließ einen meiner Freigelassenen eine Bank gründen und einen Wechseltisch auf dem Forum aufstellen. Der Geldumtausch nahm ja trotz allem solche Ausmaße an, daß sich der Staat genötigt sah, sich an die Bankiers zu wenden, um ihn abzuwickeln, und die Bankiers erhielten ein Entgelt für ihre Mühe, wenn sie die alten Münzen der Staatskasse ablieferten.

Niemand wunderte sich daher, als ein Freigelassener, um es mit den altangesehenen Bankiers aufnehmen zu können, die in der ersten Verwirrung nicht gleich wußten, woran sie waren, beim Wechsel alter Münzen gegen neue eine Vergütung von bis zu fünf vom Hundert gewährte. Seinen Kunden erklärte er, er tue dies, um seinem Unternehmen Ansehen zu verschaffen und den Unbemittelten zu helfen.

Schuhmacher, Kupferschmiede und Steinmetzen stellten sich daher vor seinem Tisch an, während ihm die alten Bankiers von ihren unbesuchten Plätzen aus finster zusahen. Dank meinem Freigelassenen brachte ich innerhalb einiger Wochen meine eigenen Wechselverluste wieder herein, obwohl er gezwungen war, dem Priesterkollegium der Juno Moneta einen gewissen Betrag zu erlegen, weil man ihn verdächtigte, er habe nicht alle vollwertigen Münzen abgeliefert, die er eingenommen hatte.

In jenen Tagen ging ich oft heimlich in mein Zimmer, versperrte die Tür hinter mir und trank aus Fortunas Becher, weil ich wohl wußte, daß ich nun die Gunst der Göttin brauchte. Gerührt verzieh ich meiner Mutter in meinem Herzen ihre niedrige Geburt, hatte ich doch durch sie immerhin zur Hälfte griechisches Blut in meinen Adern, das mir Glück und Erfolg in geschäftlichen Dingen brachte. Man behauptet ja, ein Grieche könne sogar einen Juden übers Ohr hauen, was ich allerdings noch bezweifeln möchte.

Durch meinen Vater bin ich jedoch echter Römer und stamme von etruskischen Königen ab, was in Caere nachgewiesen werden kann. Deshalb bin ich für unbedingte Ehrlichkeit in den Geschäften. Die Wechslertätigkeit meines Freigelassenen und meine frühere zweifache Buchführung im Tiergarten schadeten nur der Staatskasse und waren daher nichts anderes als die Selbstverteidigung eines ehrlichen Mannes gegen tyrannische Steuern. Ohne solche kleine Kniffe wäre ja ein gesundes Wirtschaftsleben überhaupt nicht denkbar.

Ich habe dagegen meinen Freigelassenen nie erlaubt, etwa Kreide unter das Weizenmehl oder gewisse Erdöle unter das Speiseöl zu mischen – Betrügereien, durch die sich schon so mancher unverschämte Emporkömmling ein Vermögen gemacht hat. Man kann für so etwas übrigens gekreuzigt werden! Ich sprach einmal mit Fenius Rufus darüber, als er noch Aufseher über die staatlichen Getreidelager und Mühlen war, selbstverständlich ohne Namen zu nennen. Er warnte mich und sagte mir, daß niemand in seiner Stellung im Falle einer Mehlverfälschung Nachsicht üben dürfe, wer auch immer der Schuldige sei. Man dürfe bestenfalls einmal eine auf See beschädigte Ladung aus den staatlichen Vorräten ersetzen, um einem Freund in der Not zu helfen, aber das sei auch schon alles. Zuletzt gestand er mir seufzend, daß er trotz seinem hohen Amte im Grunde eher arm bleiben mußte.

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