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DIE ZEUGEN


Der Senat hatte sich, wie an allen Iden außer während der Sommermonate, bei Tagesanbruch leidlich vollzählig in der Kurie versammelt, die zum Verdruß so manchen Senators den Brand beinahe unbeschädigt überstanden hatte.

Nero schlief so lange, daß er am Eröffnungsopfer nicht teilnehmen konnte. Dann aber traf er voller Unternehmungslust ein, begrüßte die beiden Konsuln mit einem Kuß und bat mit vielen Worten um Vergebung für seine Verspätung, an der wichtige Staatsgeschäfte schuld seien. »Ich bin bereit, jede Strafe anzunehmen, die mir der Senat für mein Säumen auferlegt«, sagte er scherzend. »Aber ich glaube, die Väter werden Müde walten lassen, wenn sie hören, was ich ihnen mitzuteilen habe.«

Die Senatoren unterdrückten ihr Gähnen, setzten sich bequemer auf ihren Elfenbeinschemeln zurecht und machten sich auf eine stundenlange Redeübung nach dem Muster Senecas gefaßt. Nero begnügte sich jedoch mit einigen knappen Worten über die sittliche Lebensordnung, die das Gebot der Götter und das Erbe der Väter ist, und kam auch schon zur Sache.

Der verheerende Brand im letzten Sommer, das größte Unglück, das Rom seit der Verwüstung durch die Gallier getroffen hatte, sei keineswegs eine Strafe der Götter für gewisse politisch notwendige Geschehnisse in der Stadt, wie böse Zungen noch immer behaupteten, sondern das Werk frevlerischer Menschen, das ungeheuerlichste Verbrechen, das je am Reich und an der Menschheit begangen worden ist. Die Schuldigen seien die sogenannten Christen, deren abscheulicher Aberglaube sich in aller Stille in ungeahntem Maße in der Verbrecherwelt Roms und den untersten Volksschichten ausgebreitet habe. Die meisten Christen seien zugewanderte Ausländer, sagte Nero, und sprächen nicht einmal Latein. Sie gehörten dem ununterbrochen nach Rom hereinströmenden wurzel- und sittenlosen Pöbel an.

Die Verschwörung sei um so gefährlicher, als diese verachtungswürdigen Christen nach außen hin untadelig aufzutreten versuchten und die Armen durch freie Mahlzeiten und Almosen an sich lockten, um danach bei ihren sorgfältig geheimgehaltenen Mysterien ihren entsetzlichen Menschenhaß in all seiner Gräßlichkeit zu enthüllen. Sie äßen Menschenfleisch und tränken Menschenblut und betrieben auch Zauberei, indem sie Kranke heilten und sie dadurch in ihre Gewalt brächten. Einige dieser Bedauernswerten hätten sie sogar dazu überredet, ihnen ihr gesamtes Vermögen für ihre verbrecherischen Zwecke zu überlassen.

Nero unterbrach sich, um den eifrigsten Senatoren Gelegenheit zu geben, ihren Abscheu und ihr Entsetzen laut kundzutun, wie es die Rhetorik verlangt.

Dann fuhr er fort, er wolle und könne aus sittlichen Gründen nicht all die Greuel aufzählen, die die Christen bei ihren Mysterien begingen. Das Wesentliche sei, daß sie im Vertrauen auf ihre große Zahl Rom in Brand gesteckt und sich auf Befehl ihrer Führer unter freudigem Jubel auf den Hügeln versammelt hätten, um die Ankunft eines Königs zu erwarten, der Rom unterwerfen, ein neues Reich gründen und alle Andersdenkenden zu den grausamsten Martern verurteilen sollte.

Aufgrund dieses Planes hätten die Christen ihre Bürgerpflichten im Dienste des Staates nicht mehr erfüllt, denn so schändlich und unglaublich es auch klinge: es gebe sogar römische Bürger, die sich in ihrer Einfalt und in der Hoffnung auf. spätere Belohnung der Verschwörung angeschlossen hätten. Daß die Christen alles haßten, was andere Menschen hoch und heilig hielten, ersehe man schon daraus, daß sie nicht den römischen Göttern opferten, die Künste für verderblich ansähen und sich weigerten, ins Theater zu gehen.

Es sei zum Glück ein leichtes gewesen, die Verschwörung ganz aufzudecken, denn die feigen Christen hätten, sobald die ersten gefaßt worden seien, nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich gegenseitig anzuzeigen. Er, Nero, habe augenblicklich Maßnahmen getroffen, die Stadt zu schützen und die Brandstifter zu bestrafen. Eine große Hilfe sei ihm der Prätorianerpräfekt Tigellinus gewesen, der sich die Anerkennung des Senats verdient habe.

Um den Vätern Zeit zu geben, die Sache zu überdenken, schilderte Nero nun kurz, wie der Aberglaube der Christen aufgekommen war. Er war ursprünglich in Galiläa von einem Aufwiegler, der Christus hieß, begründet worden. Dieser Christus wurde unter der Regierung des Tiberius von dem Prokurator Pontius Pilatus als Staatsverbrecher zum Tode verurteilt. Dadurch wurden die Unruhen für eine Weile niedergehalten. Dann aber streuten die Anhänger dieses Verbrechers das unsinnige Gerücht aus, er sei von den Toten auferstanden, worauf der Aberglaube in Judäa wieder auflebte und sich wie eine Seuche im Reiche ausbreitete.

Die Juden hätten mit diesem Aberglauben nichts zu schaffen, betonte Nero. Man könne sie nicht der Verschwörung gegen Rom anklagen, wie es gewisse Menschen in ihrem blinden Judenhaß täten. Im Gegenteil, die Juden lebten in Rom im Schutze ihrer Sonderrechte und von ihrem weisen Rat gelenkt zum Nutzen des Gemeinwohls.

Diese Behauptung fand beim Senat wenig Anklang, denn der Senat hat von alters her die Ausnahmerechte, die viele Kaiser den Juden bewilligten und immer wieder von neuem bestätigten, mißbilligt. Warum auch sollten wir einen Staat im Staate dulden?

Nero fuhr mit Nachdruck fort: »Man hat Nero allzu menschenfreundlich bei der Bestrafung von Verbrechern genannt. Man hat behauptet, er lasse die strengen Sitten der Väter in Vergessenheit geraten und verleite die Jugend zu einem weichlichen Leben, anstatt die kriegerischen Tugenden zu pflegen. Der Augenblick ist gekommen, zu beweisen, daß sich Nero nicht vor Blut fürchtet, wie gewisse Meister der Stoa säuerlich grimassierend versichern. Ein unerhörtes Verbrechen fordert eine unerhörte Strafe. Nero hat seine künstlerische Phantasie zu Hilfe gerufen, um mit der Bestrafung der Christen dem Senat und Volk von Rom ein Beispiel zu bieten, das man, wie er hofft, in den Annalen Roms nie vergessen wird. Ehrwürdige Väter, ihr werdet in seinem Zirkus mit eigenen Augen sehen, wie Nero die Christen, die Feinde der Menschheit, bestraft!«

Nachdem er auf diese Weise von sich selbst feierlich in der dritten Person gesprochen hatte, ging er wieder zur Ichform über und schlug in aller Bescheidenheit vor, man möge alle anderen Angelegenheiten bis zur nächsten Versammlung des Senats aufschieben, und die Väter sollten sich nun in ihren Sänften in den Zirkus begeben, sofern die Konsuln nichts dagegen einzuwenden hätten.

Die Konsuln dankten Nero von Amts wegen für seine Umsicht und sein rasches Einschreiten zur Rettung des Vaterlandes aus drohender Gefahr und drückten ihm ihre Freude darüber aus, daß er die wirklichen Urheber des Brandes ausgeforscht habe, was für den Staat vor allem deshalb nützlich sei, weil es allerlei unsinnigen Gerüchten den Boden entziehe. Sie schlugen vor, eine Zusammenfassung der Rede Neros in den öffentlichen Mitteilungen erscheinen zu lassen, und unterstützten seinen Antrag, die Versammlung aufzuheben. Nur um ihrer Pflicht Genüge zu tun, fragten sie, ob etwa einer der ehrwürdigen Väter den Wunsch habe, sich zu dieser ihrer Ansicht nach völlig klaren Angelegenheit zu äußern.

Der Senator Paetus Thrasea, der sich durch Neros Seitenhieb auf die säuerlich grimassierenden Stoiker in seiner Eitelkeit verletzt fühlte, bat ums Wort und schlug spöttisch vor, der Senat solle doch gleich die nötigen Dankopfer an die Götter für die Errettung aus dieser entsetzlichen Gefahr beschließen. Man habe ja auch wegen aller möglichen anderen Schandtaten Dankopfer dargebracht, und es sei nicht einzusehen, weshalb die Christen ein geringerer Anlaß sein sollten, da Nero ebenso große Angst vor Zauberei zu haben scheine wie vor einer Philosophie, welche die Aufrichtigkeit lehrt. Nero tat, als habe er nicht gehört. Er stampfte nur auf den Boden, um seine Ungeduld zu bekunden. Der Senat stimmte hastig für das übliche Dankopfer an Jupiter Custos und die anderen Götter. Die Konsuln fragten ungeduldig, ob sonst noch jemand zu sprechen wünsche.

Da erhob sich entgegen seiner Gewohnheit mein Vater Marcus Mecentius Manilianus und bat leicht stotternd ums Wort. Einige, die ihm zunächst saßen, zupften ihn an der Toga und flüsterten ihm zu, er solle schweigen, da er offenbar betrunken war. Mein Vater raffte jedoch die Toga mit beiden Armen zusammen und begann zu sprechen, während sein kahler Kopf vor Zorn zitterte: »Konsuln, Väter, du, Nero, Erster unter deinesgleichen. Ihr alle wißt, daß ich selten das Wort ergriffen habe. Ich kann mich nicht großer Weisheit rühmen, obgleich ich siebzehn Jahre lang im Ausschuß für orientalische Angelegenheiten meinen Teil zum besten des Staates beigetragen habe. Viel Schändliches habe ich hier in der Kurie gehört und gesehen, aber nie haben meine alten Augen Schmählicheres bezeugen müssen als an diesem Morgen. Sind wir nun dahin gekommen, daß der römische Senat schweigend billigt, daß, soviel ich weiß, Tausende von Männern und Frauen, darunter Hunderte von Bürgern und sogar einige Ritter, auf einige unbewiesene Beschuldigungen hin und ohne sich vor einem ordentlichen Gericht verantworten zu dürfen, auf die grausamste Weise hingerichtet werden?«

Einige mißbilligende Rufe wurden laut. Tigellinus erhielt die Erlaubnis, eine Erklärung abzugeben: »Es gibt nicht einen einzigen Ritter unter ihnen, und wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hat er mir aus Scham seinen Rang verschwiegen.«

Nero fragte mit schlecht verhohlener Ungeduld: »Soll ich deine Worte so verstehen, daß du meine Ehrlichkeit und Gerechtigkeit anzweifelst, Marcus Manilianus?«

Mein Vater fuhr fort: »Ich habe von alldem nun genug. Ich habe stillschweigend römisches Kloakenwasser geschluckt, daß es mir bis zum Halse steht. Ich bezeuge, daß ich selbst zu Pontius Pilatus’ Zeiten in Jerusalem und Galiläa war und mit eigenen Augen gesehen habe, wie Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, der nicht nur Christus hieß, sondern wirklich Christus und Gottes Sohn ist, denn ich habe gleichfalls mit eigenen Augen gesehen, daß das Grab leer und er am dritten Tage von den Toten auferstanden war, was immer auch die Juden lügen mögen.«

Viele riefen, mein Vater müsse von Sinnen sein, aber die Neugierigeren verlangten, man solle ihn weitersprechen lassen. Im Grunde hegten die meisten Senatoren einen alten Groll gegen Nero und die Kaisermacht als solche. Dessen sollst Du stets eingedenk sein, mein Sohn Julius.

Mein Vater sprach also weiter: »Im stillen und in all meiner menschlichen Schwäche habe ich ihn schon seit langem als den Christus anerkannt, obwohl ich in meinem eigenen Leben nie imstande war, mich an seine Gebote zu halten. Ich glaube aber, er wird mir meine Sünden verzeihen und mir einen geringen Platz in seinem Reiche geben, wie immer dieses Reich beschaffen sein mag, von dem ich nichts Genaues weiß. Es muß ein Reich der Gnade, des Friedens und der Klarheit sein, dort oder hier oder überall. Eine politische Bedeutung aber hat dieses Reich nicht, und daher verfolgen die Christen auch keine politischen Ziele, außer in dem Sinne, daß sie glauben, nur in Christus und indem er Christi Weg wandelt, könne der Mensch die wahre Freiheit finden. Es gibt freilich viele Wege, und in die Glaubenszwiste der Christen mische ich mich nicht ein, aber ich glaube, sie führen zuletzt alle in sein Reich. Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich über mich Sünder!«

Die Konsuln unterbrachen ihn mit der Begründung, daß er nicht mehr zur Sache spreche, sondern philosophiere. Nero bat ums Wort und sagte ruhig: »Ich will die Geduld der Väter nicht mit unsinnigem Geschwätz auf die Probe stellen. Marcus Manilianus hat gesagt, was er zu sagen hatte. Ich für mein Teil war immer der Meinung, daß mein Vater, der Gott Claudius, in Sinnesverwirrung gehandelt hat, als er seine Gattin Messalina und so viele hochgeachtete Männer hinrichten ließ, daß er den Senat mit untauglichen Mitgliedern auffüllen mußte. Marcus Manilianus’ eigene Worte beweisen, daß er des Purpurstreifens und der roten Stiefel nicht würdig ist. Er hat offenbar den Verstand verloren. Was daran schuld sein mag, wage ich nicht zu sagen. Ich möchte nur vorschlagen, daß wir ihn aus Achtung vor seinem kahlen Haupt aus unserem Kreise ausschließen und in einen abgelegenen Kurort schicken, wo sein Geist wieder gesunden kann. Wir brauchen darüber wohl nicht erst abzustimmen.«

Mehrere Senatoren wollten Nero jedoch reizen, solange ein anderer den Kopf hinhalten mußte, und riefen, Marcus solle weitersprechen, sofern er noch etwas zu sagen habe. Paetus Thrasea meldete sich aus reiner Bosheit zum Worte und sagte mit gespielter Unschuld: »Wir sind uns natürlich alle darin einig, daß Marcus Mecentius von Sinnen ist. Aber göttlicher Wahnsinn macht einen Menschen bisweilen zum Seher und Künder. Vielleicht wohnt ihm dank seiner etruskischen Vorfahren diese Gabe inne. Wenn er nicht glaubt, daß die Christen Rom angezündet haben, woran dank Neros Redekunst wohl kaum noch zu zweifeln ist, so mag er uns sagen, wer die wirklichen Brandstifter sind.«

Mein Vater antwortete zornig: »Spotte, soviel du willst, Paetus Thrasea. Auch dein Ende ist nahe. Man braucht nicht die Gabe der Weissagung zu besitzen, um das zu sehen. Ich beschuldige niemanden der Brandstiftung, nicht einmal Nero, so gern auch viele unter euch aus reiner Schadenfreude eine solche Anklage endlich einmal öffentlich ausgesprochen hören möchten. Ich kenne Nero nicht. Aber ich kenne die Christen und glaube und versichere, daß sie am Brande Roms unschuldig sind.« Nero schüttelte mitleidig den Kopf, hob die Hand und sagte: »Ich habe deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ich nicht alle Christen Roms der Brandstiftung anklage. Ich habe sie mit gutem Grunde als Feinde der Menschheit verurteilt. Wenn Marcus Manilianus beweisen will, daß er selbst ein Feind der Menschheit ist, müssen wir ihn ernst nehmen und dürfen ihn nicht mehr damit entschuldigen, daß sich seine Sinne verwirrt hätten.«

Nero irrte jedoch, wenn er glaubte, mein Vater ließe sich einschüchtern. Er war bei aller Gutmütigkeit und Schweigsamkeit sehr starrsinnig und fuhr nun fort: »Eines Nachts am Galiläischen Meer begegnete ich einem Fischer, der gegeißelt worden war. Ich habe Ursache zu glauben, daß er der auferstandene Jesus von Nazareth war. Er versprach mir, ich werde eines Tages um seines Namens willen sterben. Damals verstand ich ihn nicht. Ich glaubte, er sage mir Böses voraus. Jetzt verstehe ich ihn und danke ihm inniglich für seine gute Weissagung. Um Jesu Christi, des Gottessohnes, Namen zu verherrlichen, sage ich euch, daß ich Christ bin und daß ich teilhabe an der Taufe, dem Geiste und den heiligen Mählern der Christen. Überdies sage ich euch, ehrwürdige Väter, falls ihr es noch nicht wissen solltet, daß Nero selbst der schlimmste Feind der Menschheit ist, und auch ihr seid Feinde der Menschheit, solange ihr seine wahnsinnige Tyrannei unterstützt.«

Nero flüsterte mit den Konsuln, und diese erklärten die Versammlung sofort für geheim, damit Rom nichts von der Schande erfuhr, daß ein Mitglied des Senats sich aus Haß gegen die ganze Menschheit zum Fürsprecher eines abscheulichen Aberglaubens gemacht hatte. Ohne eine Abstimmung für nötig zu halten, erklärten die Konsuln, der Senat habe beschlossen, Marcus Mecentius Manilianus den breiten Purpurstreifen und die roten Schnürstiefel abzuerkennen.

Vor dem versammelten Senat nahmen zwei von den Konsuln bestimmte Senatoren meinem Vater die Toga und das Untergewand ab. Dann zog man ihm die roten Stiefel von den Füßen und zerschlug seinen Elfenbeinschemel. Als dies unter düsterem Schweigen geschehen war, stand plötzlich der Senator Pudens Publicola auf und verkündete mit zitternder Stimme, auch er sei Christ.

Seine betagten Freunde packten ihn jedoch, zogen ihn mit Gewalt auf seinen Sitz nieder, hielten ihm den Mund zu und lachten und unterhielten sich laut miteinander, um seine Worte zu übertönen. Nero sagte, es sei bereits genug Schande über den Senat gekommen, die Sitzung sei beendet, und auf das Gefasel eines altersschwachen Greises brauche man nicht mehr zu hören. Pudens war eben ein Valerius und ein Publicola, mein Vater nur ein Manilianus durch Adoption.

Tigellinus rief den Zenturio, der in der Arkade der Kurie auf Wache stand, und befahl ihm, zehn Prätorianer zu nehmen und meinen Vater so unauffällig wie möglich zur nächsten Richtstätte vor den Mauern zu führen.

Von Rechts wegen hätte er in den Zirkus gebracht werden müssen, um dort auf dieselbe Weise hingerichtet zu werden wie die anderen Christen. Um einen Skandal zu vermeiden, war es jedoch besser, man führte ihn heimlich vor die Stadt, wo er mit dem Schwert enthauptet werden sollte.

Der Zenturio und seine Männer gerieten in Wut, weil sie fürchteten, zur Vorstellung im Zirkus zu spät zu kommen. Da mein Vater nackt war, nahmen sie einem Sklaven, der vor der Kurie stand und gaffte, den Umhang weg und bedeckten ihn damit. Der Sklave lief jammernd hinter meinem Vater her, um sein einziges Kleidungsstück zurückzubekommen.

Die Gattinnen der Senatoren saßen wartend in ihren Sänften. Da der Weg weit war, hatte man beschlossen, daß der Festzug, in dem die Senatoren und Matronen für sich getrennt zu Fuß zu gehen hatten, erst vor dem Zirkus aufgestellt werden sollte, wohin die Götterbilder Roms im voraus gebracht wurden. Tullia wurde ungeduldig, als von meinem Vater nichts zu sehen war, und stieg aus ihrer Sänfte, um ihn zu suchen. Er hatte sich am Abend zuvor sehr eigentümlich betragen, und sie war in großer Unruhe.

Als sie nach ihrem Gatten fragte, wagte keiner der Senatoren, ihr zu antworten, da dieser Teil der Sitzung für geheim erklärt worden war und sie einen Eid abgelegt hatten. Inmitten der allgemeinen Verwirrung bat der Senator Pudens mit lauter Stimme, man möge ihn nach Hause tragen, denn er wolle die schändliche Zirkusvorstellung nicht mit ansehen.

Einige andere Senatoren, die insgeheim Mitleid mit den Christen empfanden, Nero haßten und meinen Vater um seines männlichen Auftretens willen achteten, obwohl er in ihren Augen nicht ganz richtig im Kopfe war, folgten seinem Beispiel.

Als Tullia wie ein aufgescheuchtes Huhn vor der Kurie hin und her rannte und meinen Vater wegen seiner Zerstreutheit und Saumseligkeit mit lauten Worten tadelte, bemerkte sie plötzlich einen jammernden Sklaven und einen alten Mann, der einen Sklavenmantel um die Schultern trug und von einigen Prätorianern weggeführt wurde. Sie lief näher, erkannte meinen Vater, erschrak, vertrat den Prätorianern mit ausgebreiteten Armen den Weg und fragte: »Was um alles in der Welt hast du dir nun wieder einfallen lassen, Marcus? Was bedeutet dieser Aufzug? Ich zwinge dich ja nicht, in den Zirkus zu gehen, wenn es dir so widerstrebt. Es gibt hier noch andere, die ebenso denken wie du. Komm, gehen wir in aller Ruhe heim, wenn dir das lieber ist. Ich werde dir auch keine Vorwürfe machen.«

Der Zenturio versetzte ihr einen Hieb mit seinem Befehlsstab und schrie: »Pack dich, Alte!« Tullia glaubte zuerst, sich verhört zu haben, dann aber fuhr sie rasend vor Zorn auf ihn los, um ihm die Augen aus seinem blöden Schädel zu kratzen. Zugleich schrie sie, man müsse ihn sofort in Ketten schließen, weil er es gewagt habe, Hand an die Gattin eines Senators zu legen.

Der Skandal war nun nicht mehr zu vermeiden. Mehrere Frauen stiegen aus ihren Sänften, ohne sich um die Einwände ihrer Männer zu kümmern, um Tullia zu Hilfe zu eilen. Als die festlich gekleidete Frauenschar die Prätorianer umringte und schnatternd und gackernd fragte, was denn vor sich gehe, wurde mein Vater von so viel Aufmerksamkeit ganz verlegen und bat Tullia, sich zu beruhigen, indem er ihr erklärte: »Ich bin nicht mehr Senator. Ich folge dem Zenturio aus freiem Willen. Besinne dich auf deinen Rang und schrei nicht wie ein Marktweib. Meinetwegen kannst du allein in den Zirkus gehen. Ich glaube, es wird dich niemand daran hindern.«

Tullia brach in Tränen aus und klagte laut: »Noch nie hat mich jemand ein Marktweib genannt. Wenn dich gestern abend meine Worte über dich und deine Christen so gekränkt haben, dann hättest du es mir geradeheraus sagen sollen, anstatt die ganze Nacht zu bocken. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der nicht zu reden wagt, wie ihm ums Herz ist, sondern einen tagelang nur stumm wie ein Fisch anglotzt.«

Einige würdige Senatorengattinen pflichteten ihr lachend bei und versuchten, die beiden miteinander zu versöhnen: »Recht hat sie, Manilianus. Wegen eines kleinen Streits verzichtet man nicht gleich auf den Purpurstreifen. Hör auf, Komödie zu spielen, und vergib Tullia, wenn sie dich gekränkt hat. Ihr seid Mann und Frau und zusammen in Ehren grau geworden.«

Tullia war tief beleidigt. Sie riß sich den Festtagsschleier vom Kopf und schrie: »Seht selbst nach, ihr Klatschmäuler, ob ich auch nur ein einziges graues Haar habe! Und ich lasse mir das Haar nicht färben, obwohl ich natürlich arabische Waschungen mache, die den natürlichen Ton zur Wirkung bringen. Wenn jemand sagt, mein Haar sei gefärbt, so ist das nichts als Bosheit und Verleumdung!«

Mein Vater wandte sich an den Zenturio: »Dies ist ein ernster Augenblick in meinem Leben, vielleicht er ernsteste. Ich halte dieses Weibergezänk nicht mehr aus. Führ mich fort, wie man es dir befohlen hat.«

Die Frauen wichen jedoch nicht zur Seite, und der Zenturio wagte nach dem Zusammenstoß mit Tullia nicht, seinen Männern zu befehlen, den Weg mit Gewalt freizumachen. Zudem wußte er selbst nicht mehr, woran er war.

Als Tigellinus sah, daß immer mehr Volk zusammenströmte und der Tumult immer größer wurde, drängte er sich mit zornbleichem Gesicht zu meinem Vater vor, schlug Tullia mit der Faust vor die Brust und sagte: »Fahr in den Orkus nieder, du verfluchte Hündin. Du bist nicht mehr die Gattin eines Senators und kannst dich auf keinen Rang berufen. Wenn du nicht sofort dein Maul hältst, lasse ich dich wegen Ruhestörung festnehmen.«

Tullia wurde totenbleich, als sie merkte, daß es ihm ernst war, aber der plötzliche Schrecken ließ sie nicht ihren Stolz vergessen. »Du Satansdiener!« fluchte sie, unbewußt einen Ausdruck gebrauchend, den sie von den Freunden meines Vaters gehört hatte. »Schachere du mit deinen Rössern und treibe Unzucht mit deinen Lustknaben. Wie kannst du es wagen, eine Römerin vor der Kurie zu schlagen! Und festnehmen lassen kann mich nur der Stadtpräfekt. Dein rüpelhaftes Benehmen erregt hier mehr Ärgernis als meine bescheidene Frage, was vorgefallen ist und wohin mein Gatte mit seiner Ehrenwache geht. Ich werde mich an den Kaiser selbst wenden.«

Tigellinus war ohnehin verärgert, weil Nero ihm zornig vorgeworfen hatte, er habe sich bei der Verhaftung der Christen ungeschickt angestellt. Nun zeigte er spöttisch mit dem Finger und erwiderte: »Dort steht Nero noch. Geh nur rasch und frag ihn. Er kann dir am besten sagen, was vorgefallen ist.« Mein Vater warnte Tullia: »Stürze dich nicht meinetwegen ins Verderben, liebe Tullia, und stör mir nicht die letzten Augenblicke meines Lebens. Verzeih mir, wenn ich dich gekränkt habe, und verzeih mir, daß ich dir nicht der Gatte war, den du dir wünschtest. Du bist mir immer eine gute Frau gewesen, wenngleich wir uns selten einig waren.«

Da vergaß Tullia vor Freude den Prätorianerpräfekten. Sie umarmte meinen Vater und rief: »Sagtest du wirklich liebe Tullia? Warte eine kleine Weile, ich bin gleich wieder bei dir.«

Unter Tränen lächelnd trat sie auf Nero zu, der ihr verlegen entgegenblickte, grüßte ihn achtungsvoll und bat: »Sei so gnädig und erkläre mir, was für ein leidiges Mißverständnis hier vorliegt. Mit ein wenig gutem Willen läßt sich alles wieder einrenken.«

»Dein Gatte hat mich beleidigt, aber das würde ich ihm gern verzeihen«, erwiderte Nero. »Er hat aber auch vor dem Senat gestanden, daß er Christ ist. Der Senat hat ihm Rang und Amt aberkannt und ihn als Feind der Menschheit zum Tode durch das Schwert verurteilt. Schweig still, denn wir wollen einen Skandal vermeiden. Gegen dich habe ich nichts. Du darfst sogar dein Eigentum behalten, aber das Eigentum deines Gatten fällt zur Strafe für sein Verbrechen an den Staat.«

»Was soll das heißen?!« rief Tullia verwundert. »Soll er wirklich nur deshalb verurteilt werden, weil er in seiner Blödigkeit Christ geworden ist?«

»Er erleidet die Strafe aller Christen«, erwiderte Nero ungeduldig. »Geh nun deines Wegs und halte mich nicht länger auf. Du siehst, daß ich es eilig habe. Ich muß mich als erster Bürger an der Spitze des Zuges zum Zirkus begeben.«

Da warf Tullia stolz den Kopf zurück, ohne an die schlaffe Haut ihres Halses zu denken, und rief: »Ich habe ein wechselvolles Leben hinter mir und habe mich nicht immer so wohlanständig betragen, wie man es von einer Frau in meiner Stellung erwarten möchte. Aber ich bin eine Römerin und folge meinem Gatten, wohin er immer gehen mag. Wo du, Gajus, bist, bin ich, Gaja. Auch ich bin Christin und bekenne es nun öffentlich.«

Das war nicht wahr. Im Gegenteil, sie hatte meinem Vater mit ihrem ständigen Gekeife das Leben vergiftet und seine christlichen Freunde verachtet. Nun aber wandte sie sich an den Volkshaufen und rief laut: »Hört es alle, Senat und Volk von Rom! Ich, Tullia Manilia, ehedem Valeria, ehedem Sulia, bin Christin! Es lebe Christus von Nazareth und sein Reich!« Und um recht überzeugend zu wirken, ließ sie noch ein »Halleluja!« folgen, da sie dieses Wort oft von den Juden gehört hatte, wenn sie sich im Hause meines Vaters mit anderen Christen über den rechten Weg stritten.

Zum Glück trug ihre Stimme nicht sehr weit. Tigellinus hielt ihr rasch mit der Hand den Mund zu. Als die Senatorengattinnen Neros Zorn bemerkten, eilten sie, vor Neugier schier zerspringend, zu ihren Sänften zurück, um die Wahrheit über die Vorfälle im Senat aus ihren Ehemännern herauszupressen. Nero bewahrte mit knapper Not seine Würde, als er sein Urteil fällte: »Du sollst haben, wonach du verlangst, verrücktes Weib, wenn du nur den Mund hältst. Ich sollte dich in den Zirkus schicken und mit den anderen zusammen hinrichten lassen, doch du bist zu häßlich und zu runzelig, um die Dirke zu spielen. Deshalb sollst du mit deinem Mann zusammen das Schwert schmecken, aber diese Gnade verdankst du nur dem Ansehen deiner Väter, nicht mir.«

Durch Tullia war der Skandal so weit an die Öffentlichkeit geraten, daß Nero es nicht mehr wagte, die Gattin eines abgesetzten Senators vor allem Volk den wilden Tieren vorzuwerfen. Während die Prätorianer Tullia durch die Menge zu meinem Vater zurückführten, goß Nero seinen Zorn über Tigellinus aus und befahl ihm, alle Hausgenossen meines Vaters verhaften und jeden, der sich als Christ bekannte, unverzüglich in den Zirkus bringen zu lassen. Zugleich sollte das Haus versiegelt und alles beschlagnahmt werden, was sich an Urkunden und Verzeichnissen vorfand, die sich auf das Vermögen Tullias und meines Vaters bezogen.

»Und rühre du nichts davon an«, warnte Nero Tigellinus. »Ich betrachte mich als ihr Erbe, da du mich zwingst, zu tun, was eigentlich deine Pflicht gewesen wäre.« Der Gedanke an den unermeßlichen Reichtum Tullias und meines Vaters tröstete ihn gewiß in seinem Ärger.

Vor der Kurie standen noch einige bekümmerte Christen, die bis zuletzt gehofft hatten, ein Machtwort des Senats werde die Verurteilten vor den Schrecken des Zirkus retten. Unter ihnen befand sich ein junger Mann, der den schmalen roten Streifen trug und nicht in den Zirkus geeilt war, um sich auf den um diese Zeit schon gedrängt vollen Bänken der Ritter einen Platz zu sichern.

Als sich die Prätorianer mit dem Zenturio an der Spitze auf den Weg machten, um meinen Vater und Tullia zur nächsten Richtstätte zu führen, folgte er ihnen zusammen mit anderen heimlichen Christen. Die Prätorianer ratschlagten, wie sie ihren Auftrag am schnellsten ausführen und noch zur Vorstellung im Zirkus zurecht kommen könnten, und beschlossen, die Hinrichtung bei dem Grabmal am Ostianischen Tor zu vollziehen. Dieser Ort war zwar keine Richtstätte, aber er lag immerhin außerhalb der Mauern. »Wenn er bisher keine Richtstätte war, so machen wir ihn nun eben dazu«, meinten die Männer gemütlich scherzend. »Da braucht die Frau in ihren dünnen Goldsandalen auch nicht so weit zu gehen.«

Tullia erwiderte zornig, sie sei imstande, ebensoweit zu gehen wie ihr Gatte, und niemand könne sie daran hindern. Um zu beweisen, wie stark sie war, stützte sie meinen Vater, der, alt wie er war, der körperlichen Bewegung ungewohnt und müde von einer beim Wein verbrachten Nacht, zu schwanken begann. Er war jedoch weder betrunken noch wirr im Kopf gewesen, als er im Senat aufstand und sprach, sondern hatte alles im voraus überlegt.

Das zeigte sich bei der Hausdurchsuchung. Er hatte offenbar während der letzten Wochen alle seine Geldangelegenheiten neu geregelt und in der letzten Nacht die gesamte Buchführung sowie die Listen seiner Freigelassenen und den Briefwechsel mit diesen verbrannt. Er hatte über seine Geschäfte nie viel gesprochen und überhaupt das Eigentum seiner Freigelassenen nie als das seine betrachtet, wenngleich er natürlich, um sie nicht zu kränken, die Geschenke annahm, die sie ihm aus den verschiedensten Ländern schickten.

Ich erfuhr erst viel später, daß er zuverlässigen Freigelassenen außerordentlich hohe Bargeldbeträge »zur Aufbewahrung« übersandt hatte. Die Ädilen hatten große Mühe, die Hinterlassenschaft zu ermitteln, und letzten Endes erbte Nero lediglich Tullias große Ländereien in Italien, deren Besitz des Senatorenamtes wegen hatte nachgewiesen werden müssen, und selbstverständlich das Haus auf dem Virinal, in dem sich allerdings genug an wertvollen Kunstgegenständen, Gold, Silber und Glas befand.

Den größten Ärger verursachte den Ädilen Neros übereilter Befehl, alle Bewohner des Hauses festzunehmen, die sich, allein schon meinem Vater zuliebe, als Christen bekannten. Zu diesen gehörten nämlich sowohl der Verwalter als auch beide Schreiber, und Nero bereute ihren Tod bitter. Alles in allem wurden etwa dreißig Personen aus dem Haus meines Vaters in den Zirkus gebracht.

Zu meinem großen Kummer befanden sich auch mein Sohn Jucundus und der alte Barbus unter den Gefangenen. Jucundus war nach seinen Brandverletzungen so übel daran, daß er sich nur mühsam auf Krücken fortzubewegen vermochte. Er wurde daher in einer Sänfte in den Zirkus getragen, und zwar zusammen mit Tullias altersschwacher Amme, die ein abscheuliches Lästermaul und ganz gewiß kein guter Mensch war, aber dennoch bereitwillig vorgab, Christin zu sein, als sie hörte, daß Tullia dasselbe getan hatte.

Keiner von ihnen begriff so recht, warum er in den Zirkus sollte, und welches Schicksal ihrer harrte, erkannten sie erst, als man sie in die Ställe sperrte. Noch auf dem Wege dorthin glaubten sie, Nero wolle nur, daß die Christen mit ansähen, wie die Brandstifter bestraft wurden, und die Prätorianer hielten es nicht für notwendig, sie aufzuklären. Sie hatten es ohnedies eilig genug.


Beim Ostianischen Tor, wo es viele Andenkenläden, Sänftenverleihe und Herbergen mit Ställen gab, die alle vom Brand verschont worden waren, blieb mein Vater plötzlich entschlossen stehen und sagte, er leide grausamen Durst und müsse sich seiner Schwäche wegen vor der Hinrichtung mit einem Schluck Wein erfrischen. Er versprach, auch die Prätorianer zum Wein einzuladen, da sie sich an diesem Festtag so viele zusätzliche Mühe mit ihm und seiner Gattin machen mußten. Tullia trug eine Menge Silbermünzen bei sich, die sie unter das Volk hatte werfen wollen, wie sie es ihrem Stande schuldig war.

Sie traten in eine Schenke, und der Wirt holte die besten Krüge aus seinem Keller. Der Wein schmeckte allen, denn auch die Prätorianer mußten sich bei dem heißen Herbstwetter den Schweiß von der Stirn trocknen. Da mein Vater auf keinen Rang mehr bedacht zu sein brauchte, konnte er mit gutem Gewissen auch die heimlichen Christen einladen, die ihm gefolgt waren, und dazu einige Landleute, die von dem Festtag nichts gewußt hatten und vergeblich in die Stadt gekommen waren, um Obst zu verkaufen.

Nach einigen Bechern Wein sah sich Tullia verdrossen um und fragte meinen Vater auf ihre übliche nörgelnde Art, ob es denn wirklich nötig sei, daß er sich noch einmal betrinke, noch dazu in schlechter Gesellschaft. Er antwortete ihr sanft: »Liebe Tullia, so bedenke doch, daß ich keinen Rang mehr habe. Ganz im Gegenteil, als zu einem schmählichen Tode Verurteilte sind wir beide niedriger und elender als diese freundlichen Menschen, die bereitwillig mit uns trinken. Mein Fleisch ist schwach. Ich habe mich nie damit gebrüstet, mutig zu sein. Der Wein vertreibt den unangenehmen Schauder, den ich im Genick verspüre, und am meisten freut es mich, daß ich diesmal nicht an die unausbleiblichen Magenschmerzen und den gräßlichen Katzenjammer zu denken brauche, den du mit beißenden Worten zu lindern pflegtest. Doch daran wollen wir nun nicht mehr denken, geliebte Tullia.«

Er starrte eine Weile sinnend vor sich hin und fuhr dann eifrig fort: »Wir wollen lieber an diese ehrenwerten Soldaten hier denken, die unseretwegen das fesselnde Schauspiel versäumen, wie die Christen in Neros Zirkus durch Löwenrachen, Flammen, Kreuze und auf so manch andere Art und Weise, die der künstlerisch so hochbegabte Nero sich ausgedacht hat, ins Reich eingehen. Wein, Weib und Gesang sind des Soldaten einzige Freude. Singt nur, wenn euch danach zumute ist, Soldaten. Über Weiber müßt ihr euch ein andermal unterhalten, da meine keusche Gattin anwesend ist. Für mich ist dies ein Freudentag, denn nun geht endlich eine gute Weissagung in Erfüllung, über die ich mir an die fünfunddreißig Jahre den Kopf zerbrochen habe. Laßt uns also in Christi Namen trinken, liebe Brüder, und auch du, mein gutes Weib. Ich glaube, er wird es in Anbetracht der Umstände nicht übel aufnehmen, und was mich betrifft, so habe ich um weit schlimmerer Dinge willen seinen Zorn zu fürchten, weshalb dies kleine Trinkgelage meine Menschenschuld nicht sonderlich vergrößern wird. Ich bin immer ein schwacher, selbstsüchtiger Mensch gewesen und kann zu meiner Rechtfertigung nichts anderes anführen, als daß er selbst als Mensch zur Welt gekommen ist, um auch die widerspenstigen Schafe, die wenig Wolle geben, zu suchen. Ja, ich erinnere mich dunkel, daß er einmal mitten in der Nacht fortging, um ein verlorenes Schaf zu suchen, das ihn wertvoller dünkte als die ganze übrige Herde.« Die Prätorianer lauschten aufmerksam und pflichteten ihm bei: »Es ist viel Wahres an deinen Worten, edler Manilianus. auch in der Legion bestimmt der schwächste und langsamste das Marschtempo, und einen verwundeten oder umzingelten Kameraden kann man nicht im Stich lassen, selbst wenn man eine ganze Manipel aufs Spiel setzen müßte, um ihn herauszuhauen. Freilich, wenn man in einen Hinterhalt geraten ist, muß jeder selber sehen, wo er bleibt.«

Sie begannen ihre Narben vorzuweisen und von ihren Taten in Britannien, Germanien, den Donauländern und Armenien zu erzählen, aufgrund derer sie schließlich zu den Prätorianern in der Hauptstadt versetzt worden waren. Mein Vater nutzte die Gelegenheit, wandte sich an Tullia und fragte: »Weshalb hast du ohne Not gesagt, du seist Christin, obgleich du doch nicht ernstlich glaubst, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn und der Welt Erlöser ist? Du bist nicht einmal getauft. An den heiligen Abendmählern hast du nur widerstrebend und nur um deiner Hausfrauenpflicht zu genügen teilgenommen, aber du hast nie von dem Brot und dem Wein gekostet, die in Christi Namen gesegnet worden waren. Es schmerzt mich, daß ich dich um nichts und wieder nichts in mein Verderben mitreiße. Ich habe allen Ernstes gedacht, du würdest als Witwe endlich so leben können, wie du es dir immer wünschtest, und einen neuen Gatten hättest du gewiß auch noch gefunden, denn du bist in meinen Augen noch immer schön, gut erhalten für deine Jahre und reich dazu. Ja, ich hatte mir vorgestellt, daß nach Ablauf der Trauerzeit die Freier förmlich um die Wette laufen würden, und dieser Gedanke machte mich nicht einmal eifersüchtig, weil mir dein Glück wichtiger ist als meines. Über Christus und sein Reich sind wir uns nie einig gewesen.«

»Ich bin Christin, und nicht geringer als du, mein selbstgefälliger Marcus, da ich nun mit dir zusammen um Christi willen sterbe«, erwiderte Tullia bissig. »Ich habe dir zuliebe, und weil ich dein ewiges Brummen nicht mehr aushielt, Geld an die Armen ausgeteilt. Hast du noch nicht bemerkt, daß ich dich mit keinem Wort tadle, obwohl du mit deiner entsetzlichen Dickschädeligkeit vor dem ganzen Senat Schande über unseren Namen gebracht hast? Ich habe über dein einfältiges Betragen meine eigene Meinung, aber in dieser Stunde will ich sie für mich behalten, um dich nicht noch einmal zu kränken.« Plötzlich schlang sie meinem Vater die Arme um den Hals, küßte ihn, benetzte seine Wangen mit ihren Tränen und sagte: »Ich fürchte den Tod nicht, weil ich mit dir zusammen sterben darf, Marcus. Ich könnte ohne dich nicht weiterleben. Du bist der einzige Mann, den ich wirklich geliebt habe, obwohl ich zweimal geschieden war und einen dritten Gatten zu Grabe getragen hatte, ehe ich dich wieder traf. Du hast mich einmal grausam verlassen, ohne danach zu fragen, was ich wohl empfinden mochte. Bis nach Ägypten bin ich dir nachgereist. Zugegeben, ich hatte auch andere Gründe für diese Reise, aber du hast dich ja auch mit einem Judenmädchen in Galiläa herumgetrieben, und dann hattest du diese gräßliche Griechin, Myrina, von deren gutem Ruf du mich nie wirst überzeugen können, und wenn du hundert Statuen von ihr in Myrina und auf sämtlichen Märkten in ganz Asia aufstellst. Ich hatte freilich auch meine Schwächen, aber die Hauptsache ist nun, daß du mich liebst und sagst, ich sei noch schön, obwohl mein Haar gefärbt ist, mein Hals welk und mein Mund vor lauter Elfenbeinzähnen häßlich.«

Während sie so miteinander redeten, fragte der junge Christ, der den schmalen roten Streifen auf seiner Tunika trug, vom Wein mutig geworden, den Zenturio, ob er Befehl habe, auch andere Christen festzunehmen, die er unterwegs traf. Der Zenturio verneinte das entschieden und erwiderte, er habe nur den Befehl, meinen Vater und Tullia in größtmöglicher Heimlichkeit mit dem Schwert zu richten.

Da bekannte der junge Ritter sich als Christ und schlug meinem Vater vor, das heilige Mahl der Christen zusammen einzunehmen, obgleich sie es nicht hinter verschlossenen Türen tun konnten und es nicht Abend war, was aber, wie er meinte, im Hinblick auf die Umstände gewiß kein Hindernis sei.

Der Zenturio sagte, er habe nichts dagegen einzuwenden und vor Zauberei sei ihm nicht bange. Im Gegenteil, er sei eher neugierig, da er schon so viel von den Christen habe reden hören. Mein Vater stimmte bereitwillig zu, bat aber den jungen Ritter, Brot und Wein zu segnen, und erklärte: »Ich selber kann es nicht tun. Vielleicht weigere ich mich nur aus Starrsinn und verletzter Eitelkeit, aber es verhält sich so, daß einst in Jerusalem der Geist über Christi Jünger kam und sie eine Menge Volks tauften, so daß alle des Geistes teilhaftig wurden. Damals wünschte ich sehnlich, mit den anderen getauft zu werden, aber sie schlugen es mir ab, weil ich nicht beschnitten war, und trugen mir auf, von Dingen zu schweigen, die ich nicht verstand. An diesen Befehl habe ich mich mein Leben lang gehalten und habe nie andere belehrt, obwohl ich mich manchmal vergaß und berichtete, was ich selbst gesehen oder als wahr erkannt hatte, um gewisse Mißverständnisse zu berichtigen. Getauft wurde ich erst hier in Rom, als Kephas mich in seiner Gutherzigkeit bat, ihm zu verzeihen, daß er mich einst abgewiesen hatte. Er war mir stets dankbar, weil ich ihm einmal auf jenem Berg in Galiläa meinen Esel lieh, so daß er, als er selbst nach Jerusalem mußte, seine Schwiegermutter, die einen kranken Fuß hatte, nach Kapernaum schicken konnte. Doch verzeiht mir meine Schwatzhaftigkeit. Ich sehe, daß die Soldaten zum Himmel hinaufblicken. Greise reden gern von alten Zeiten, und mir löst der Wein die Zunge.«

Sie beugten die Knie, und Tullia tat es ihnen nach. Der junge Ritter segnete mit einigen Worten Brot und Wein als Christi Fleisch und Blut. Dann genossen sie die Gnade mit Tränen in den Augen und küßten einander zärtlich. Tullia versicherte, sie fühle in ihrem Innersten schon ein wonniges Zittern, einen Vorgeschmack des Paradieses, und ins Paradies, oder wohin auch immer sein Weg ihn führte, wollte sie mit meinem Vater Hand in Hand gehen.

Die Prätorianer gaben zu, daß sie in dieser Art von Zauberei nichts Böses sehen konnten. Dann hüstelte der Zenturio bedeutsam, nachdem er noch einmal zum Himmel hinaufgeblickt hatte. Mein Vater beglich eilig seine Schuld, legte ein reichliches Trinkgeld dazu und ließ den Rest des Geldes unter dem Zenturio und den Prätorianern aufteilen, indem er sie noch einmal bat, die Mühe zu verzeihen, die er ihnen bereitete, und sie in Christi Namen segnete. Der Zenturio bat rücksichtsvoll, man möge sich nun hinter das Grabmal begeben, da er Befehl habe, seinen Auftrag so unbemerkt wie möglich auszuführen.

Da begann der junge Ritter zu weinen und sagte, es sei ihm, als er Brot und Wein segnete, plötzlich eine so frohe Gewißheit zuteil geworden, daß er nicht warten wolle, bis sein eitles Leben von selbst erlösche. Der Gedanke bedrückte ihn, daß so viele niedrig geborene Christen im Zirkus für Christus leiden durften und daß er selbst vielleicht nicht imstande sein werde, künftiger Bedrängnis tapfer standzuhalten. Daher bat er den Zenturio mit aufrichtigem Eifer, er möge ihn gleich hier und jetzt enthaupten und des Menschen herrlichste Reise antreten lassen. Er sei ebenso schuldig wie die anderen Christen und müsse ihre Strafe teilen.

Der Zenturio wunderte sich, meinte aber nach kurzem Nachdenken, er verstoße wohl nicht gegen seine Pflicht, wenn er ihn zusammen mit meinem Vater und Tullia sterben lasse. Das hatte zur Folge, daß einige, die abseits gesessen waren und zugehört hatten, nun eifrig um dieselbe Gnade baten. Um die Wahrheit zu sagen: man hat mir hinterbracht, daß sie auf meines Vaters Kosten allzu reichlich getrunken hatten.

Der Zenturio weigerte sich jedoch entschieden und sagte, seine Gunst habe ihre Grenzen. Einen mehr könne er zur Not mit hinrichten und beiläufig in seinem Bericht erwähnen, wenn er aber gleich mehrere vom Leben zum Tode beförderte, so würde das Aufmerksamkeit erregen und viel Schreiberei mit sich bringen, und mit seinen Schreibkünsten sei es nicht weit her.

Zuletzt bekannte er, daß alles, was er gesehen, einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht habe, daß er bei späterer Gelegenheit noch mehr über diese Dinge zu erfahren wünsche. Christus müsse ein mächtiger Gott sein, daß solche, die sich zu ihm bekannten, freudig in den Tod gingen. Er habe jedenfalls nie gehört, daß einer freiwillig und gern beispielsweise für Jupiter oder auch Bacchus gestorben wäre. Mit Venus verhalte es sich möglicherweise anders.

Die Prätorianer führten meinen Vater, Tullia und den Ritter, dessen Namen der Zenturio, da er nicht minder berauscht war als die anderen, erst im letzten Augenblick auf seine Wachstafel kritzelte, hinter das Grabmal und wählten unter sich die drei besten Schwertfechter aus, die imstande waren, den Kopf mit einem einzigen Hieb vom Rumpf zu trennen. Mein Vater und Tullia starben auf den Knien und Hand in Hand. Einer der heimlichen Christen, der dabei war und von dem ich dies alles weiß, behauptete, die Erde habe gebebt und am Himmel seien Flammen erschienen, die die Bauern blendeten, aber das sagte er wohl nur, um mir zu gefallen, oder vielleicht hatte er auch geträumt.

Die Prätorianer losten, wer zurückbleiben und die Leichen bewachen sollte, wie das Gesetz es vorschreibt, bis die Angehörigen sie holen kamen. Als die Zuschauer dies sahen, machten sie sich erbötig, die Wache zu übernehmen, da alle Christen Brüder seien und dadurch gleichsam miteinander verwandt. Der Zenturio meinte zwar, diese Behauptung sei juristisch gesehen zweifelhaft. aber er nahm das Angebot gern an, weil er keinen seiner Männer um das Vergnügen der Zirkusvorstellung bringen wollte. Es war Mittag, als sie sich im Eilschritt in die Stadt zurück und zum Zirkus jenseits des Flusses begaben, um noch Stehplätze unter den anderen Prätorianern zu bekommen.

Die heimlichen Christen nahmen sich der Leichname meines Vaters, Tullias und des jungen Ritters an, dessen Namen ich mit Rücksicht auf das alte Geschlecht, dem er angehörte, verschweigen will. Er war der einzige Sohn seiner betagten Eltern und bereitete ihnen durch seine Wahnsinnstat großen Kummer. Sie hatten ihn verwöhnt und seinen Umgang mit den Christen stillschweigend geduldet, weil sie hofften, er werde zur Besinnung kommen, sobald er einmal ein Amt hatte, da es doch allgemein so zu sein pflegt, daß junge Männer spätestens nach ihrer Verehelichung ihre unfruchtbaren philosophischen Grübeleien fahrenlassen.

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