Tigellinus wußte nicht, wie er die vielen Menschen verhören sollte, und da er überdies nicht alle unterbringen konnte, hielt er es für das beste, auf der Stelle eine grobe Auslese zu treffen. Als erste entließ er die Juden, die nachweisen konnten, daß sie beschnitten waren. Einige Angehörigen des Ritterstandes, die mit unter den Haufen geraten waren, erteilte er einen strengen Verweis. Dann ließ er sie frei, weil er meinte, man könne einen römischen Ritter nicht gut anklagen, die Stadt in Brand gesteckt zu haben.
Einige wohlhabendere Bürger waren peinlich berührt, als sie sahen, unter was für einem Gesindel sie sich befanden, und versicherten, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Sie boten dem Präfekten Geschenke an, um das Mißverständnis aufzuklären. Tigellinus entließ sie bereitwillig, da er die gebrandmarkten Verbrecher und die entlaufenen Sklaven für die eigentlichen Schuldigen hielt. Er hatte gute Lust, Roms Unterwelt, die nun nach dem Brand in den Nächten die Stadt unsicher machte, gründlich zu säubern, und dies zeigt, wie unklar seine Vorstellung von den Christen war.
Anfangs verhielten sich die Gefangenen ruhig. Sie riefen Christus an und verstanden nicht, wessen man sie anklagte. Als sie aber sahen, daß ein Teil freigelassen wurde, und von anderen hörten, daß es darum ging, ob sie Rom angezündet hätten oder etwas von der Sache wüßten, bekamen sie es mit der Angst und begannen einander zu mißtrauen.
Daß man die Beschnittenen aussonderte, weckte den Verdacht, die Anhänger des Jacobus müßten irgendwie die Hand im Spiel haben. Diese hatten nie mit den übrigen Christen gemeinsame Sache gemacht. Sie hatten ihre eigenen jüdischen Sitten befolgt und sich für frömmer gehalten als alle anderen. Auch zwischen den Anhängern des Kephas einerseits und denen des Paulus andrerseits entstand heftiger Streit, was zur Folge hatte, daß die zurückgebliebenen Gefangenen so viele Christen aus der Gegenpartei anzeigten, wie ihnen nur einfielen. Auch die anfangs noch Besonnenen ließen sich zuletzt von Eifersucht und Rachsucht hinreißen und gaben ihre Glaubensbrüder an. Andere wieder dachten durchaus vernünftig und hielten es für das Vorteilhafteste, so viele wie nur möglich, vor allem auch hochgestellte Persönlichkeiten, anzuzeigen.
Je mehr wir sind, dachten sie zuversichtlich, desto unmöglicher wird es sein, uns vor Gericht zu stellen. Auch Paulus ist freigelassen worden, und Tigellinus wird rasch zur Vernunft kommen, wenn er sieht, wie zahlreich und einflußreich wir sind. Im Laufe der Nacht wurden daher überall in Rom ganze Familien verhaftet, und die Prätorianer waren kaum imstande, ihre Aufgabe zu bewältigen.
Tigellinus erlebte eine böse Überraschung, als er nach einer Nacht, die er sich mit Wein und Lustknaben vertrieben hatte, erwachte und auf dem ganzen großen Exerzierfeld der Prätorianer ordentlich gekleidete Menschen familienweise beisammen sitzen sah. Man zeigte ihm lange Listen von weiteren Verdächtigen und fragte, ob man auch bei Männern mit Senatoren- und Konsulsrang Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vornehmen solle.
Er glaubte zuerst, die verbrecherischen Christen hätten aus reiner Böswilligkeit ehrenwerte Bürger verleumdet. Deshalb ging er mit einer Peitsche in der Hand drohend auf dem Feld hin und her und fragte da und dort zornig: »Seid ihr wirklich Christen?« Alle bekannten freimütig, daß sie an Christus glaubten.
Sie waren allesamt so anständige, ordentliche und unschuldige Menschen, daß er es nicht wagte, auch nur einen einzigen zu schlagen. Er nahm vielmehr an, es müsse irgendein grober Irrtum geschehen sein. Zusammen mit seinen Helfern berechnete er anhand der Listen, daß immer noch an die zwanzigtausend Menschen aus allen Gesellschaftsschichten verhaftet werden mußten. Eine solche Menge von Menschen bestrafen zu wollen war reiner Wahnsinn.
Mittlerweile hatte sich die Nachricht von der Massenverhaftung der Christen in der ganzen Stadt verbreitet, und Tigellinus war bald von ganzen Scharen neidischer und schadenfroher Zeugen belagert, die alle berichten wollten, daß sie selbst gesehen hatten, wie sich die Christen während des Brandes auf den Hügeln versammelten, um Lobeshymnen zu singen und einen Feuerregen über Rom zu prophezeien.
Im Prätorium ging alles drunter und drüber. Viele, die in den Notunterkünften auf dem Marsfeld einquartiert worden waren, nutzten die Gelegenheit und übersiedelten in die Häuser von Familien, von denen sie wußten, daß sie Christen waren, mißhandelten andere und plünderten ihre Läden, ohne lang zu fragen, ob sie es mit Christen oder Juden zu tun hatten.
Aufgehetzte Volkshaufen schleppten, ohne daß sie jemand daran hinderte, blutig geschlagene Christen und Juden zum Prätorium, um sie aburteilen zu lassen. Tigellinus hatte noch so viel Vernunft übrigbehalten, daß er die Leute streng tadelte und ihnen verbot, in ihrem, wie er sagte, begreiflichen Zorn das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Er versicherte ihnen, der Kaiser werde alle Schuldigen so bestrafen, wie sie es für ihr abscheuliches Verbrechen verdienten.
Danach schickte er die Prätorianer aus, um die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen. In diesen Vormittagsstunden befanden sich die* Christen innerhalb der Mauern des Prätoriums in größerer Sicherheit als in ihren eigenen Häusern.
Schon seit dem frühen Morgen hatten sich verängstigte Flüchtlinge in meinem Haus und meinem Garten auf dem Aventin versammelt, weil sie hofften, daß ich in meiner Stellung mit meinem Rang sie schützen könnte. Die Nachbarn drohten uns, riefen Schimpfworte und warfen Steine über die Mauern in meinen Hof. Ich wagte es nicht, meinen Sklaven Waffen zu geben, damit man die Christen nicht zuletzt auch noch des bewaffneten Widerstandes anklagte, und befahl nur, das Tor so gut wie möglich zu bewachen. Ich befand mich in einer mißlichen Lage, und das einzige Gute war, daß Claudia sich schließlich doch bereit erklärt hatte, mit den Dienern auf mein Landgut bei Caere zu übersiedeln, um dort unser Kind zu gebären.
Weil ich ihretwegen beunruhigt war und auf eine glückliche Niederkunft hoffte, wollte ich ihren geliebten Christen gegenüber nicht zu hart sein. Nachdem ich die verschiedenen Möglichkeiten überdacht hatte, sprach ich ernsthaft mit ihnen und riet ihnen, sofort aus der Stadt zu fliehen, da irgendeine schwerwiegende Anklage gegen sie zu erwarten sei.
Die Christen wandten jedoch ein, es könne niemand beweisen, daß sie Böses getan hätten. Im Gegenteil, sie hätten sich bemüht. alle Laster und Sünden zu meiden und ein stilles Leben zu führen. Sie hätten in ihrer menschlichen Schwachheit vielleicht gegen Christi Gebote verstoßen, aber ganz gewiß dem Kaiser und dem Staat keinen Schaden zugefügt. Sie wollten daher Männer erwählen, die ihre gefangenen Brüder und Schwestern verteidigen und ihnen Speise und Trank bringen sollten. Zu diesem Zeitpunkt wußten wir noch nicht, was für eine ungeheure Anzahl von Menschen im Laufe der Nacht festgenommen worden war.
Um sie loszuwerden, versprach ich ihnen in meiner Verzweiflung Geld und Zuflucht auf meinen Besitzungen in Praeneste und Caere, wenn sie sich nur dorthin begeben wollten. Darauf gingen sie jedoch erst ein, als ich ihnen versprochen hatte, selbst Tigellinus aufzusuchen und die Christen, so gut ich es vermochte, in Schutz zu nehmen. Ich hatte ja den Rang eines Prätors und konnte ihnen mehr nützen als irgendein Armenadvokat von zweifelhaftem Ruf. Zuletzt verließen sie endlich zögernd und lebhaft diskutierend mein Haus und meinen Garten.
Die Christen auf dem Exerzierfeld hatten sich unterdessen um ihre Führer versammelt, die sich miteinander ausgesprochen und beschlossen hatten, ihren alten Zwist zu begraben und auf Christus zu vertrauen, dessen Geist ihnen sicherlich zu Hilfe kommen werde. Alle erschraken, als sie die Schmerzensschreie aus den Kellergewölben hörten, und nahmen zu Liedern und Gebeten Zuflucht.
Es gab auch einige Gesetzeskundige unter ihnen, die von Mann zu Mann und von Frau zu Frau gingen, um zu berichten, daß der Kaiser selbst Paulus freigesprochen hatte. Das wichtigste war nun, daß sich auch unter Androhung der schwersten Folter niemand der Brandstiftung schuldig bekannte. Ein solches falsches Geständnis könnte für alle Christen verhängnisvoll sein. Es war ihnen vorausgesagt worden, daß sie um Christi Namen willen Verfolgung leiden würden. Sie sollten sich zu Christus und zu nichts anderem bekennen.
Als ich zum Prätorium kam, entsetzte ich mich über die ungeheure Menge der Verhafteten, beruhigte mich aber sogleich wieder, da ich mir sagte, daß nicht einmal ein Wahnsinniger alle diese Menschen für Mordbrenner halten konnte. Ich traf Tigellinus in einem günstigen Augenblick an, denn er war völlig verwirrt und wußte sich nicht mehr zu helfen. Er stürzte brüllend auf mich zu und warf mir vor, ich hätte Nero über die Christen völlig falsch unterrichtet, da nur ein kleiner Teil Verbrecher zu sein schien.
Ich verwahrte mich gegen diesen Vorwurf und erwiderte, daß ich mit Nero nicht über die Christen gesprochen hatte. »Im Gegenteil«, sagte ich. »Ich weiß nur Gutes über sie. Sie sind ganz ungefährlich und streiten höchstens wegen ihres Glaubens miteinander, aber sie mischen sich nie in Staatsangelegenheiten ein und halten sich sogar den Vergnügungen des Volkes fern. Sie gehen nicht einmal ins Theater. Es ist unsinnig, diese Menschen für den Brand Roms verantwortlich zu machen.«
Tigellinus grinste, rollte eine seiner Listen auf, las mir meinen eigenen Namen vor und sagte höhnisch: »Du bist gewiß ein Sachverständiger in diesen Dingen, denn man hat dich selbst als Christen angezeigt, dich und deine Frau und dein ganzes Haus.«
Mir war, als drückten mich schwere Bleigewichte nieder, und ich vermochte nicht ein Wort zu sagen. Tigellinus begann jedoch zu lachen, versetzte mir einen Klaps mit der Rolle und rief: »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich solche Anzeigen ernst nehme! Ich kenne dich und deinen Ruf. Und selbst wenn ich dich verdächtigen sollte, so würde es mir nie einfallen, Sabina für eine Christin zu halten. Der Angeber wußte nicht einmal, daß du von ihr geschieden bist. Nein, diese Anzeigen sind das Werk abgefeimter Verbrecher, die aus reiner Bosheit den Anschein erwecken wollen, daß auch vornehme Kreise Roms an ihrem Aberglauben teilhätten.
Jedenfalls hat die Verschwörung weiter um sich gegriffen, als irgendeiner von uns geahnt hätte, und was ich am wenigsten begreife, ist, daß alle diese Menschen freiwillig und gern bekennen, daß sie Christus als ihren Gott verehren. Sie müssen verhext sein, anders kann ich es mir nicht erklären, aber derlei Zauberei wird bald ein Ende haben. Wenn sie sehen, wie die Schuldigen bestraft werden, werden sie schnell genug von ihrem Wahn ablassen!«
Ich schlug vorsichtig vor: »Du tust vielleicht gut daran, die Listen zu vernichten. Aber was redest du da von Schuldigen?«
Tigellinus sagte zufrieden grinsend: »Du hast recht. Ob du es glaubst oder nicht: man hat mir sogar Senatoren und Konsuln genannt, die angeblich Christen sein sollen. Solche Verunglimpfungen hält man natürlich besser geheim, damit nicht Personen von Rang und Namen in den Augen des Volkes zum Gespött werden. ich glaube, ich werde Nero nichts von diesen Verleumdungen sagen.«
Er betrachtete mich forschend, und seine grausamen Augen funkelten boshaft. Ich erriet, daß er die Absicht hatte, die Listen für seinen eigenen Gebrauch aufzubewahren und zu Erpressungen zu benutzen, denn selbstverständlich würde jeder hochgestellte Mann in Rom bereit sein, jede beliebige Summe zu zahlen, um sich von einem solchen Makel reinzuwaschen. Ich fragte noch einmal, wen er mit den Schuldigen gemeint habe.
»Ich habe genug Geständnisse«, erwiderte er selbstgefällig, und als ich ihm nicht glauben wollte, führte er mich in die Keller hinunter und zeigte mir seine jammernden, halbtoten Opfer.
»Ich habe natürlich nur gebrandmarkte Verbrecher, entlaufene Sklaven und solche, die offensichtlich etwas verschwiegen, foltern lassen«, erklärte er. »Es hat im allgemeinen genügt, sie auszupeitschen, aber in einzelnen Fällen mußten wir, wie du siehst, zu glühenden Stangen und Eisenklauen greifen. Diese Christen sind sehr dickfellig. Einige gingen mir ein, ohne gestanden zu haben. Sie riefen nur ihren Christus zu Hilfe. Andere wieder gestanden, sobald sie die Folterwerkzeuge erblickten.«
»Was gestanden sie?« fragte ich.
»Daß sie auf Christi Geheiß Rom angezündet haben«, sagte Tigellinus unverfroren und starrte mir herausfordernd in die Augen. Als er bemerkte, daß ich in Zorn geriet, fügte er beschwichtigend hinzu: »So kann man es jedenfalls auffassen. Der eine oder andere gab halb und halb zu, daß er zusammen mit den Soldaten Häuser angezündet hatte. Einen Verbrecherbund oder eine Verschwörung habe ich eigentlich nicht aufdecken können, aber mehrere im übrigen durchaus achtbare Männer haben freiwillig zugegeben, daß ihrer Ansicht nach ihr Gott die Stadt ihrer Sünden wegen durch das Feuer gestraft hat. Was willst du mehr? Andere erzählten mir, daß sie während des Brandes darauf gewartet hätten, daß ihr Gott vom Himmel niedersteige, um alle zu richten, die sich nicht zu Christus bekennen. Das deutet auf eine geheime Verschwörung gegen den Staat hin, und deshalb müssen die Christen für ihren Aberglauben bestraft werden, gleichgültig ob sie mit eigener Hand den Brand legten oder von dem grausamen Plan nichts wußten.«
Ich zeigte auf ein junges Mädchen, das mit Lederriemen gebunden auf einer blutbesudelten Steinbank lag. Sie blutete aus dem Mund, und Brust und Glieder waren von den Eisenklauen so gräßlich zerfleischt, daß sie offenbar das Bewußtsein verloren hatte, wenn sie nicht schon an dem Blutverlust gestorben war. »Was hat dir dieses unschuldige Mädchen gestanden?« fragte ich.
Tigellinus rieb verlegen die Handflächen gegeneinander, wich meinem Blick aus und sagte: »Versuche mich ein wenig zu verstehen. Ich habe den ganzen Morgen mit einem fürchterlichen Katzenjammer hart gearbeitet. Da mußte ich mir doch auch ein kleines Vergnügen leisten! Außerdem war ich wirklich neugierig, was sie zu gestehen hatte. Ich habe aber nicht mehr aus ihr herausbekommen, als daß bald irgendeiner kommen und mich zur Strafe für meine Übeltaten ins Feuer werfen wird. Ein rachsüchtiges Mädchen! Sie reden überhaupt gern vom Feuer, diese Christen. Es gibt ja Menschen, die beim Anblick einer Feuersbrunst ganz außer sich geraten. Warum hätte Nero sonst in jener Nacht auf dem Turm des Maecenas gesungen?«
Ich tat, als betrachtete ich das Mädchen näher, obwohl es mich in der Kehle würgte, und sagte mit Absicht: »Tigellinus, sie sieht aus, als ob sie Jüdin wäre.«
Er erschrak und packte mich am Arm. »Sag Poppaea nichts davon«, bat er. »Bei allen Unterirdischen, wie soll ich denn je ein jüdisches Mädchen von einem gewöhnlichen unterscheiden! Sie tragen ja kein Merkmal an ihrem Körper wie die Männer. Eine Christin war sie aber ganz gewiß. Sie wollte ihrem Aberglauben nicht einmal abschwören, als ich ihr versprach, sie dafür laufen zu lassen.«
Zum Glück ließ Tigellinus danach die Folterungen einstellen und seine Opfer wieder zu sich bringen, damit sie die Strafe entgegennehmen konnten, die Nero für die Brandstiftung festsetzen sollte. Als wir in den Raum zurückkehrten, in dem er selbst seine Verhöre vorgenommen hatte, meldete man uns, daß der Senator Pudens Publicola, ein alter Mann aus dem Geschlecht der Valerier, in Begleitung eines älteren Juden erschienen sei und vorgelassen zu werden wünschte.
Tigellinus kratzte sich unangenehm überrascht den Kopf, sah mich hilfesuchend an und sagte: »Pudens ist ein rührseliger, vor Alter schon völlig verblödeter Greis. Was kann er gegen mich haben? Ich hoffe, ich habe nicht versehentlich einen seiner Klienten verhaften lassen! Bleib hier und steh mir bei. Du kennst ja die Juden.« Pudens’ weißhaariger Kopf zitterte vor Zorn. Zu meiner Verwunderung erkannte ich in dem Begleiter des Alten Kephas, der seinen Hirtenstab in der Hand trug und dessen bärtiges Gesicht vor Erregung rot anlief. Hinter den beiden trat, bleich vor Angst, ein gewisser Cletus ein, ein junger Mann, den ich bei früherer Gelegenheit schon als Dolmetsch des Kephas kennengelernt hatte.
Tigellinus erhob sich, um Pudens ehrerbietig zu begrüßen, aber der Alte stürzte auf ihn zu, trat mit seinem Purpurstiefel nach ihm und schrie: »Tigellinus, du verfluchter Roßtäuscher, Hurenbock und Knabenschänder! Was hast du angerichtet! Was sind das für erlogene Beschuldigungen gegen die Christen! Wie weit willst du es in deiner Unverschämtheit noch treiben!«
Tigellinus versuchte zu erklären, daß seine Lebensgewohnheiten mit seinem Amt nichts zu tun hätten, daß es in Rom noch mehr Männer gebe, die Knaben liebten, und daß er sich nicht zu schämen brauche, weil er einst in der Verbannung das Leben als Pferdezüchter gefristet habe.
»Kränke mich also nicht länger, Pudens, Liebling des Volkes«, schloß er. »Denk an deine eigene Würde und daran, daß du zu einem Diener des Staates sprichst. Wenn du eine Klage vorzubringen hast, will ich dich geduldig anhören.«
Kephas warf die Arme empor und begann laut auf aramäisch zu sprechen, ohne uns anzusehen, so als richtete er seine Worte an einen Fremden, der sich mit uns im Raum befand. Tigellinus folgte erschrocken seinem Blick und fragte: »Wer ist der Jude, was sagt er, und mit wem spricht er? Ich hoffe, er verflucht uns nicht! Hat man sich vergewissert, daß er keine Zauberbinden und gefährlichen Amulette bei sich trägt?«
Ich packte ihn am Arm, zwang ihn so, mich anzuhören, und sagte: »Dies ist der Führer der Christen, der berühmte Kephas. Er soll Tote erweckt und solche Wunder getan haben, daß Simon der Zauberer, verglichen mit ihm, ein unbeholfener Knabe war. Er steht unter dem Schutz des Senators Pudens, seit er diesen von der Wassersucht geheilt hat.«
Tigellinus spreizte zwei Finger aus, um die bösen Mächte abzuwehren, und sagte: »Er ist Jude. Mit ihm habe ich nichts zu schaffen. Bitte ihn, daß er von seinen Beschwörungen abläßt, in Ruhe seines Weges geht und seinen Zauberstab mitnimmt, ehe ich mich erzürne.« Der Senator Pudens hatte sich mittlerweile beruhigt und sagte nun: »Der ehrwürdige Kephas ist gekommen, um selbst alle Beschuldigungen zu widerlegen, die du gegen die Christen erfunden hast. Er verlangt, daß du die anderen freiläßt und an ihrer Stelle ihn selbst festnimmst. Er ist ihr Hirte, und alle anderen, vom Geringsten bis zum Höchsten, sind nur seine Schafe.«
Tigellinus trat erbleichend an die Wand zurück und bat mit zitternden Lippen: »Führt ihn weg, bevor ich ihn mit der Geißel hinausjagen lasse. Sagt ihm, er soll am besten die Stadt verlassen. Ich untersuche auf Befehl des Kaisers die Verschwörung der Christen, deren Ziel die Zerstörung Roms war. Die Brandstifter haben schon gestanden, aber ich will meinetwegen gern zugeben, daß viele anständige Christen und vielleicht auch dieser alte Zauberer da mit seinem Stab nichts von dem entsetzlichen Plan wußten.«
Pudens lauschte mit offenem Mund und zitterndem Kinn. Dann schüttelte er mitleidig den Kopf und sagte vorwurfsvoll: »Alle Welt weiß doch, daß der Kaiser selbst Rom in Brand stecken ließ, um die Grundstücke zwischen Caelius und Esquilin für seine wahnsinnigen Bauvorhaben zu bekommen. Aber Nero irrt, wenn er glaubt, er kann seine Schuld auf Unschuldige abwälzen. Möge er sich vor dem Zorn des Volkes hüten, wenn dies bekannt wird!«
Tigellinus blickte sich um, als fürchtete er, die Wände könnten Ohren haben, und sagte warnend: »Du bist ein alter Mann, Pudens, und schon wirr im Kopf. Du darfst nicht einmal im Scherz sagen, was wir soeben aus deinem Munde gehört haben. Oder bist du vielleicht selbst Christ und in deiner Torheit in diese Sache verwickelt? Nimm dich in acht! Du gehörst zu denen, die man mir angezeigt hat, aber ich nehme eine solche unsinnige Beschuldigung natürlich nicht ernst. Ein römischer Senator kann wohl nicht Christ sein!«
Er versuchte zu lachen, starrte aber unverwandt auf Kephas und zuckte jedesmal zusammen, wenn dieser eine Bewegung machte. Pudens erinnerte sich seines Rangs und seiner Stellung und sah ein, daß er zu weit gegangen war. Daher sagte er nun begütigend: »Es mag sein, daß es Hitzköpfe und Schwärmer unter den Christen gibt und sogar falsche Propheten. Vielleicht hat sich auch ein Wolf in Schafskleidern unter sie gemengt. Kephas aber wird bei einem öffentlichen Prozeß für sie alle einstehen, und ich hoffe nur, daß er nicht auf Geheiß des Geistes Worte sagt, die Nero erschrecken.«
Tigellinus beruhigte sich ein wenig und erwiderte: »Ich bin ein Mensch, der mit sich reden läßt und jederzeit bereit ist, anderen auf halbem Wege entgegenzukommen. Aber dein jüdischer Zauberer kann in dieser Sache für niemanden einstehen. Er hat seine Rechte und seine Sonderstellung wie alle diese verfluchten Juden. Nero hat mir ausdrücklich befohlen, die Finger von den Juden zu lassen, denn in ihrem Augiasstall könnte nicht einmal Herkules selbst die Rechtgläubigen von den Irrgläubigen scheiden. Meiner Meinung nach wäre Rom ohne die Juden besser daran, aber das ist nur meine persönliche Ansicht, die nicht ins Gewicht fällt. Ich muß dem Kaiser gehorchen.«
Ich erklärte Cletus, der meine Worte für Kephas ins Aramäische übersetzte, in aller Kürze den juristischen Sachverhalt. Kephas bekam wieder einen roten Kopf, versuchte anfangs beherrscht zu sprechen, ereiferte sich dann aber und schrie zuletzt mit Donnerstimme. Cletus versuchte zu dolmetschen, ich selbst mischte mich gleichfalls ein, Pudens redete dazwischen, was ihm gerade einfiel, und keiner verstand, was der andere sagte.
Tigellinus hob abwehrend beide Hände, bat uns zu schweigen und sagte: »Laßt es genug sein. Aus Achtung vor deinem weißen Haupt, Pudens, und um die Gunst dieses mächtigen Zauberers zu gewinnen, bin ich bereit, zehn oder zwanzig oder sagen wir hundert Christen freizugeben, die er selbst auswählen darf. Ich habe ohnehin zu viele Christen und bin froh, wenn ich auf eine vernünftige Weise einige davon loswerde.«
Kephas dachte einen Augenblick über diesen Vorschlag nach, lehnte ihn dann aber ab und verlangte halsstarrig, man solle ihn gefangennehmen und die anderen freilassen. Das war eine wahnwitzige Forderung, aber als ich später darüber nachdachte, sah ich ein, daß Kephas von seinem Standpunkt aus klug gehandelt hatte. Wenn er aus der großen Zahl der Gefangenen nach eigenem Gutdünken hundert ausgewählt hätte, würde dies gerade nun, da die Sprecher der verschiedenen Parteien sich angesichts der gemeinsamen Prüfung miteinander ausgesöhnt hatten, zu neuem Mißtrauen und Streit Anlaß gegeben haben.
Unsere Verhandlungen führten zu nichts. Zuletzt verlor Tigellinus trotz seiner Furcht vor Zauberei die Geduld und rannte mit langen Schritten aus dem Raum. Wir hörten, wie er draußen den Wachtposten befahl, den aufsässigen Juden mit der Geißel davonzujagen.
»Wendet aber nicht mehr Gewalt an, als unbedingt nötig ist!« rief er. »Und rührt mir den Senator Pudens nicht an. Er ist ein Publicola!«
Die Prätorianer wollten nicht gehorchen. Einige von ihnen hatten Paulus reden gehört, als sie ihn bewachten, und hegten seither insgeheim Achtung für die Christen. Sie warnten ihre Kameraden, und Tigellinus konnte sie nicht einmal zur Rechenschaft ziehen, weil er selbst die Zauberkünste des Kephas fürchtete. Sogar der Kasernenzenturio des Prätoriums warnte ihn davor, sich an einem so heiligen Mann zu vergreifen.
Schließlich war Tigellinus gezwungen, denjenigen, die bereit waren, Kephas aus dem Lager zu treiben und dafür zu sorgen, daß er außerhalb der Mauern blieb, einen zusätzlichen Monatssold zu versprechen. Da endlich meldeten sich fünf grobschlächtige Kerle, die sich gegenseitig Mut machten, indem sie versicherten, sie fürchteten nicht einmal die Mächte der Unterwelt. Sie leerten hastig jeder ein Maß Wein und stürzten dann ins Haus, um Kephas mit kräftigen Geißelhieben hinauszutreiben.
Pudens durfte nicht einschreiten, denn nicht einmal ein Senator ist befugt, einen militärischen Befehl aufzuheben. Er konnte nur schimpfen und Tigellinus drohen, der vorsichtshalber zwanzig Schritte zurückwich und die Prätorianer mit lauten Rufen zur Eile antrieb.
Die mit Bleikugeln beschwerten Geißelschnüre klatschten auf Kephas’ Schultern und Gesicht, aber der hochgewachsene alte Mann richtete sich nur noch höher auf, lächelte mild, segnete die Soldaten und bat sie, fester zu schlagen, da es ihm eine Freude sei, um Christi willen zu leiden.
Um ihnen ihr Werk zu erleichtern, zog er sich den groben Mantel aus und reichte ihn Pudens, damit er nicht mit Blut besudelt wurde. Pudens würde ihn gern gehalten haben, aber das konnte ich, da er doch Senator war, nicht zulassen. Ich nahm daher selbst den Mantel über den Arm.
Die Soldaten schlugen, wild vor Angst, mit voller Kraft auf Kephas ein und verletzten sich aus Versehen gegenseitig mit den Geißeln. Das Blut strömte Kephas übers Gesicht und sammelte sich in seinem grauen Bart. Sein Untergewand hing bald in Fetzen an ihm nieder. Je härter aber die Soldaten zuschlugen, desto inniger lächelte er. Ab und zu brach er in Freudenrufe aus und bat Christus, sie zu segnen, weil sie ihm so große Freude zuteil werden ließen.
Als Tigellinus dieses grausame Schauspiel sah, wurde er erst recht in seiner Meinung bestärkt, daß Kephas, da er offenbar nicht einmal körperlichen Schmerz fühlte, ein fürchtenswerter Zauberer sei, entsetzlicher noch als Apollonius von Tyana. Er befahl den Soldaten brüllend, die Geißeln wegzuwerfen und Kephas hinauszutragen.
Sie scheuten zwar davor zurück, ihn mit Händen zu berühren, aber ihre Soldatenehre stand auf dem Spiel. Durch das Gelächter und die Spottrufe ihrer Kameraden aufgehetzt, ergriffen sie ihn laut fluchend und hoben ihn wirklich vom Boden auf, obwohl er sich mit seinen gewaltigen Kräften zur Wehr setzte, wobei er jedoch darauf bedacht war, die Soldaten nicht zu schlagen oder anderswie zu verletzen.
Es gelang ihnen, ihn durch die Arkade auf die Marmortreppe hinauszutragen. Dort riß er sich aus ihren Fäusten los und versprach, freiwillig durch das Tor zu gehen, wenn sie ihn auf dem Wege geißelten. Sie ließen ihn gern frei, denn ihre Arme waren schon erlahmt, und in ihren Geißelhieben war keine rechte Kraft mehr.
Die gefangenen Christen umringten Kephas, ohne daß sie jemand hinderte, riefen jubelnd seinen Namen und fielen zu beiden Seiten seines Weges auf die Knie nieder, um ihm ihre Verehrung zu zeigen. Er sprach ihnen Mut zu, hob die Arme, um sie zu segnen, lächelte und rief immer wieder Christi Namen. Die Gefangenen schöpften fromme Zuversicht und neuen Mut, als sie sahen, wie der blutüberströmte Kephas mit Geißelhieben aus dem Lager getrieben wurde, und sie mißtrauten einander nicht mehr.
Kephas war fest entschlossen, vor dem Tor zu bleiben und zu warten, ohne zu essen und zu trinken, aber Pudens überredete ihn zuletzt doch mit guten Worten und übergab ihn seinen Begleitern, damit sie ihn rasch und in aller Heimlichkeit in sein Haus führten. Er stellte ihm dazu seine eigene Sänfte zur Verfügung, obwohl Kephas, der sich vor Erschütterung und nach dem Blutverlust kaum auf den Beinen zu halten vermochte, lieber zu Fuß gegangen wäre. Pudens selbst kehrte noch einmal zurück, um mit Tigellinus auf vernünftige römische Art zu verhandeln.
Als Tigellinus sah, wie die Christen noch immer laut rufend und mit frohen Mienen in den Hof des Prätoriums drängten, gewann er die Fassung zurück, befahl, sie in die Einzäunung des Exerzierfeldes zurückzutreiben, und forderte einige der nächststehenden auf, das Blut vom Boden und von den Wänden seines Verhörraums zu wischen.
Die Christen sahen einander ratlos an. Sie hatten weder Bürsten noch Wassereimer. Tigellinus lachte und rief: »Meinetwegen könnt ihr das Blut aufschlecken!« Da ließen sie sich auf die Knie nieder und trockneten jeden Tropfen behutsam mit ihren Kleidern und Halstüchern auf, da das Blut nach ihrer Meinung für ihren Gott vergossen worden war und sie an die Leiden Christi erinnerte.
Als vernünftiger Mann versuchte Pudens nun zu retten, was noch zu retten war, und erinnerte Tigellinus kühn an sein Versprechen, daß unter den Gefangenen hundert ausgewählt werden dürften. Tigellinus, der sich seiner hohen Geburt wegen mit ihm gutstellen wollte, erwiderte: »Nimm dir meinethalben zweihundert von denen, die leugnen, sich an der Brandstiftung beteiligt zu haben.«
Pudens begab sich eilig auf das Exerzierfeld hinaus, bevor Tigellinus seine Zusage, die er aus reiner Erleichterung gegeben hatte, bereuen konnte, aber der Präfekt besann sich doch noch zur rechten Zeit auf seinen eigenen Vorteil und rief ihm nach: »Du zahlst mir aber für jeden hundert Sesterze Lösegeld in meine Börse!«
Er wußte, daß Pudens nicht reich war, sondern nur mit knapper Not die Einkünfte zusammenbrachte, die er als Senator unbedingt nachweisen mußte. Kaiser Claudius hatte seinerzeit einmal den erforderlichen Betrag aus seiner eigenen Tasche erlegt, damit Pudens nicht seiner Armut wegen aus den Reihen der Senatoren ausscheiden mußte. Tigellinus sah daher ein, daß er kein höheres Lösegeld von ihm verlangen durfte.
Aus den vielen tausend Christen wählte Pudens Männer, die Kephas nahestanden, sowie Frauen, die Kinder daheim hatten oder aus anderen dringenden Ursachen nach ihrem Haushalt sehen mußten. Er hielt es nicht für nötig, auch Mädchen auszulösen, da er nicht annahm, sie könnten der Brandstiftung angeklagt werden. Seiner Meinung nach drohte keiner der Frauen irgendeine Gefahr oder Strafe, ja er hielt es nicht einmal für möglich, mit den kümmerlichen Beweisen, die Tigellinus zu besitzen glaubte, ein ordentliches Gerichtsverfahren einzuleiten.
Daher begnügte er sich damit, seine eigenen Freunde unter den Christen zu trösten und ihnen zu versichern, daß man sie als unbescholtene Bürger bald freilassen werde. Man drängte sich auch nicht um ihn. Im Gegenteil, mehrere Männer und Frauen, die er ausgewählt hatte, weigerten sich, ihre Glaubensbrüder zu verlassen.
Pudens nahm etwas über zweihundert Personen mit und handelte mit Tigellinus, so daß dieser es zuletzt mit der Zahl nicht so genau nahm und sich aus Freundschaft mit einer Summe von zehntausend Sesterzen zufriedengab.
Seine Nachgiebigkeit reizte mich, und ich fragte, ob auch ich einige auslösen dürfe, in denen ich Anhänger des Paulus wiedererkannt hatte. Es schien mir um der Einigkeit unter den Christen willen nötig, daß auch solche freigelassen wurden, die Paulus nahestanden, damit böse Zungen nicht behaupten konnten, diejenigen, die Kephas’ Gunst besaßen, seien bevorzugt worden.
Letztere warfen Paulus vor, seine Reden seien dunkel und unbegreiflich, während jene wiederum, die sich um ihn scharten, die göttlichen Geheimnisse am besten zu verstehen glaubten. Mir war recht froh zumute, als ich daran dachte, wie ich mich vor Claudia damit brüsten konnte, daß ich ohne eigenen Gewinn so vielen Christen in der Not geholfen hatte.
Tigellinus verlangte von mir nicht einmal ein Lösegeld, da er meine Hilfe bei der Abfassung eines sachlichen Berichtes über den Aberglauben der Christen für die Anklageakte benötigte. Er konnte mir seine Achtung nicht versagen, da ich keine Angst vor Kephas gehabt hatte und bei ihm geblieben war, wofür er mir widerstrebend dankte.
Er selbst fürchtete Kephas noch immer, denn den Soldaten, die ihn ergriffen und hinausgetragen hatten, war alle Kraft aus den Armen geschwunden. Sie jammerten kläglich über ihre Lähmung, die sie ihrer Ansicht nach ihrem Präfekten verdankten, weil der ihnen befohlen hatte, Hand an einen Zauberer zu legen. Ich für mein Teil glaube, sie übertrieben ihre Beschwerden, um mehr bezahlt zu bekommen. Jedenfalls habe ich später nichts davon gehört, daß sie bleibenden Schaden davongetragen hätten.
Tigellinus war nun bereit, die Sache Nero vorzutragen. Er bat mich, ihn zu begleiten, da ich mich als sachverständig erwiesen hatte und die Christen kannte, und meinte, ich sei dazu geradezu verpflichtet: da ich Poppaea falsche Auskünfte gegeben und dadurch Nero irregeführt hätte. Auch war er der Ansicht, es schade nichts, daß ich Mitleid mit den Christen hatte und nicht alles glaubte, was er beim Verhör aufgedeckt zu haben meinte. Im Gegenteil, unser Vortrag würde nur um so unparteiischer wirken, wenn ich sie verteidigte.
Wir ritten zum Esquilin, denn um die Bauarbeiten nach der Verbreiterung der Straßen zu beschleunigen, waren Fuhrwerke und Reitpferde auch tagsüber innerhalb der Mauern zugelassen worden. Nero war bei bester Laune. Er hatte gerade mit seinem Gefolge eine gute Mahlzeit beendet und sich in einem kalten Bad erfrischt, um bis zum Abend weiter essen und trinken zu können, wie es bisweilen seine Gewohnheit war.
Er war mit sich selbst überaus zufrieden, weil er, wie er glaubte, eine in politischer Hinsicht ganz vortreffliche Methode entdeckt hatte, die Aufmerksamkeit des Volkes von sich ab und auf die verbrecherischen Umtriebe der Christen zu lenken und damit die bösen Gerüchte zum Verstummen zu bringen. Die große Zahl der Gefangenen nahm er ungerührt zur Kenntnis, denn er hielt an seiner Anschauung fest, die Christen seien lauter Verbrecher und anderes Gesindel.
»Wir müssen lediglich eine Strafe finden, die der Abscheulichkeit ihres Verbrechens gerecht wird«, meinte er lächelnd. »Je strenger sie bestraft werden, desto lieber glaubt das Volk, daß sie auch wirklich an dem Brand schuld sind. Wir müßten dem Volk bei dieser Gelegenheit ein Schauspiel bieten, wie dergleichen noch nie zuvor gesehen wurde. Das hölzerne Amphitheater kommt nicht in Frage, denn seine Keller sind noch mit Obdachlosen überfüllt. Der große Zirkus ist niedergebrannt. Wir müssen also meinen eigenen Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel nehmen. Er ist zwar ein wenig eng, aber wir können am Abend in meinen Gärten gleich daneben, unterm Janiculum, ein großes Volksfest veranstalten.«
Ich ahnte noch nicht, wo er hinauswollte, aber ich erdreistete mich, zu bemerken, daß zunächst einmal ein öffentlicher Prozeß durchgeführt werden müsse und daß man auf Grund der bis dahin vorliegenden Beweise wohl kaum jemanden der Brandstiftung werde überführen können.
»Warum ein öffentlicher Prozeß?« fragte Nero verwundert. »Die Christen sind Verbrecher und entlaufene Sklaven, die nicht das Bürgerrecht besitzen. Um solches Pack abzuurteilen, braucht man nicht die Hundertmänner. Ein Entscheid des Präfekten genügt vollauf.«
Tigellinus erklärte, daß überraschend viele der Verhafteten Bürger waren, gegen die sich nichts anderes anführen ließ, als daß sie sich freimütig zu Christus bekannten. Er wußte auch nicht, wie er fünftausend Menschen mehrere Tage lang auf dem Exerzierfeld beherbergen sollte, und wies darauf hin, daß die verhafteten Bürger über hinreichend große Mittel zu verfügen schienen, um gegen ein gewöhnliches Gerichtsurteil Berufung einzulegen und sich an den Kaiser selbst zu wenden. Der Kaiser müsse daher im voraus entscheiden, ob das bloße Bekenntnis zu Christus bereits für die Verurteilung ausreiche.
»Fünftausend, sagst du?« fragte Nero eifrig. »So viele sind noch nie bei einer einzigen Vorstellung aufgetreten, nicht einmal bei den größten Triumphen. Aber meiner Ansicht nach muß eine Vorstellung genügen. Wir können nicht tagelang feiern, denn das würde die Bauarbeiten zu sehr aufhalten. Könntest du sie nicht durch die ganze Stadt auf die andere Tiberseite hinüberführen und gleich in meinem Zirkus einquartieren? Das Volk bekäme auf diese Weise einen Vorgeschmack, und ich hätte nichts dagegen, wenn es seinem Zorn über ihr Verbrechen Luft machte. Meinetwegen dürfen unterwegs ruhig ein paar in Stücke gerissen werden, solange nur keine größere Unordnung entsteht.«
Mir schien, Nero habe noch nicht recht begriffen, worum es ging und welche Ausmaße die Sache angenommen hatte, weshalb ich sagte: »Verstehst du nicht, daß die meisten anständige, unbescholtene Leute sind, viele darunter Mädchen und Knaben, die man keiner Übeltat verdächtigen kann? Und viele tragen die Toga. Du denkst doch nicht im Ernst daran, zuzulassen, daß der Pöbel die römische Toga verunehrt!«
Nero starrte mich eine Weile finster an: »Du zweifelst offenbar an meinem Verstand und meinem Urteil, Manilianus«, entgegnete er und nannte mich zum Zeichen seiner Ungnade nur bei meinem Familiennamen. Plötzlich aber kam ihm ein neuer Einfall, und er lachte laut auf. »Tigellinus kann sie ja nackt durch Rom ziehen lassen«, schlug er vor. »Das Volk wird seinen Spaß daran haben, und niemand wird die Strolche von den Ehrenmännern unterscheiden können.« Er schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Ihre vorgebliche Unschuld ist reine Verstellung. Meine eigenen Erfahrungen haben mich gelehrt, am meisten denen zu mißtrauen, die ihre Schlechtigkeit mit äußerlicher Frömmigkeit und einem sittenstrengen Lebenswandel bemänteln. Ich weiß über den Aberglauben der Christen so viel, daß die strengste Strafe noch zu milde ist. Wollt ihr hören?«
Er blickte sich fragend um. Ich wußte, daß es das beste war, zu schweigen, wenn er reden wollte, und wir alle baten ihn, fortzufahren.
»Der Aberglaube der Christen ist so schändlich und abscheulich, daß dergleichen nur im Osten entstanden sein kann«, erklärte er. »Sie betreiben greuliche Zauberei und wollen eines Tages die ganze Welt verbrennen. Sie erkennen einander an geheimen Zeichen und versammeln sich des Abends hinter verschlossenen Türen, um Menschenfleisch zu essen und Blut zu trinken. Zu diesem Zweck nehmen sie die Kinder, die gutgläubige Menschen ihrer Obhut anvertrauen, und opfern sie bei ihren geheimen Mählern. Wenn sie gegessen und getrunken haben, treiben sie auf allerlei natürliche und widernatürliche Weise Unzucht miteinander, ja sie vereinigen sich sogar mit Tieren, vor allem mit Schafen, wie man mir sagte.«
Er blickte sich triumphierend um. Ich glaube, Tigellinus ärgerte sich, weil Nero ihm zuvorkam und ihm keine Gelegenheit gab, vorzutragen, was er bei seinen Verhören herausbekommen hatte. Er streckte die Zungenspitze vor und sagte verächtlich: »Der Unzucht wegen kannst du sie nicht gut verurteilen. Ich kenne einige Leute in unserer nächsten Umgebung, die ebenfalls hinter verschlossenen Türen zusammenkommen, um miteinander Unzucht zu treiben.«
Nero lachte. »Das ist doch nicht dasselbe! Die Leute, die du meinst, versammeln sich in bestem Einvernehmen, studienhalber und um ihres eigenen Vergnügens willen, zu solchem Zeitvertreib. Aber ich bitte euch: von alldem kein Wort zu Poppaea. Sie ist nicht so nachsichtig, wie es zu wünschen wäre. Die Christen dagegen betreiben derlei Dinge als eine Art Verschwörung zu Ehren ihrer Götter und erhoffen sich davon allerlei Vorteile gegenüber anderen Menschen. Sie glauben, ihnen sei alles erlaubt, und wollen, sobald sie die Macht hätten, über alle anderen zu Gericht sitzen. Wären diese Anschauungen nicht so lachhaft, sie könnten politisch gefährlich sein.«
Wir stimmten in sein ein wenig gequältes Lachen ein. Tigellinus nutzte die Gelegenheit und sagte rasch: »Die Keller unter deinem Zirkus sind zu klein für fünftausend Menschen. Ich bin immer noch der Meinung, daß wir die Bürger aus dem Spiel lassen sollten, und schlage vor, wir geben alle frei, die aufrichtig versprechen, vom Aberglauben der Christen abzulassen, und im übrigen achtbare Bürger sind.«
»Dann bleiben nicht mehr genug zur Bestrafung übrig«, wandte Nero ein. »Es ist doch selbstverständlich, daß jeder die Gelegenheit ergreifen wird, sich aus dem Staube zu machen. Nein, an der Verschwörung sind sie alle mit beteiligt, auch wenn sie mit der Brandstiftung selbst nichts zu tun haben. Sollte ich wirklich zu der Auffassung kommen, es seien zu viele – was ich aber im Hinblick auf ihr abscheuliches Verbrechen kaum für möglich halte –, so kann ich sie immer noch Lose ziehen lassen, wie man es im Krieg macht, wenn eine Legion eine schimpfliche Niederlage erlitten hat. Corbulo, zum Beispiel, hat die Erlaubnis erhalten, in Armenien jeden zehnten Mann mit Hilfe des Loses aussondern und hinrichten zu lassen, und da hat es dann Helden wie Feiglinge getroffen. Ich schlage also vor, daß du gegebenenfalls das Los entscheiden läßt und jeden zehnten freigibst. Die Strafe, die die anderen erleiden, wird die Begnadigten so einschüchtern, daß der Aberglaube der Christen für alle Zeit aus Rom verschwinden wird.«
Tigellinus bemerkte gekränkt, es habe ihm bisher noch niemand übertriebene Milde bei der Ausübung seines Amtes vorgeworfen. »Ich denke lediglich an die praktische Seite der Sache«, sagte er gereizt. »Fünftausend Menschen auf eine künstlerische Art und Weise hinrichten, so wie du dir das vorstellst, das läßt sich in deinem engen Zirkus an einem einzigen Tage nicht machen, und wenn wir in allen Gärten rings umher Kreuze aufstellten! Nein, so etwas will ich gar nicht erst versuchen. Wenn du aber keine künstlerische Vorstellung verlangst, dann können wir natürlich eine Massenhinrichtung veranstalten. Nur fürchte ich, daß das Volk nicht viel davon haben wird. Es wird sich langweilen, denn es gibt nichts Eintönigeres als so ein ununterbrochenes Gemetzel.«
Seine Worte erschreckten uns alle so sehr, daß wir ihn nur stumm anstarrten. Wir hatten uns gedacht, daß man einige Dutzend Christen auf irgendeine grausame Art hinrichten und die übrigen in einer großen Vorstellung auftreten lassen werde. Petronius schüttelte den Kopf und sagte endlich: »Nein, das wäre geschmacklos.«
Tigellinus fuhr fort: »Ich möchte nicht, daß man dich und vielleicht auch mich beschuldigt, wir hätten uns über die Rechte von Bürgern hinweggesetzt. Wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Ich habe zehn oder zwölf Geständnisse, aber sie genügen nicht für einen öffentlichen Prozeß, und die Männer und Frauen, die gestanden haben, sind nicht in der Verfassung, daß man sie öffentlich vorzeigen kann.«
Unsere Blicke machten ihn verlegen, und er fuhr mürrisch fort: »Einige sind bei dem Versuch, zu fliehen, umgekommen. So etwas kommt öfter vor.«
Ich hatte wieder das Gefühl, von schweren Bleigewichten erdrückt zu werden, aber ich raffte mich auf und sagte: »Imperator, ich kenne die Christen und ihre Sitten und Bräuche. Sie sind friedfertige Menschen, die gern für sich bleiben, sich nicht in politische Dinge mischen und das Böse meiden. Ich weiß nur Gutes über sie. Sie sind vielleicht ein wenig einfältig in ihrem Glauben, daß ein gewisser Jesus von Nazareth, den sie Christus nennen und der unter Pontius Pilatus in Judäa gekreuzigt wurde, sie von allen Sünden erlösen und ihnen das ewige Leben geben wird. Aber Einfalt als solche ist wohl nicht strafbar.«
»Das ist es eben! Sie glauben, daß sie für die schlimmsten Verbrechen Vergebung erhalten werden und daß ihnen daher alles erlaubt sei«, sagte Nero ungeduldig. »Wenn das keine gefährliche Lehre ist, dann möchte ich wissen, was überhaupt für den Staat gefährlich ist!«
Einige wandten zögernd ein, das Gerücht übertreibe vielleicht die Gefährlichkeit der Christen. Wenn man einen Teil bestrafte, würden die anderen sich aus Furcht vor ihrem Aberglauben lossagen. Aber Tigellinus rief triumphierend: »In Wirklichkeit hassen sie die ganze Menschheit und glauben, daß ihr Christus sich offenbaren wird, um dich, Imperator, und auch meine Wenigkeit zur Strafe für unsere Übeltaten bei lebendigem Leibe verbrennen zulassen!«
Nero lachte und zuckte die Schultern. Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er Verunglimpfungen seiner eigenen Person gelassen hinnahm und sogar Männer, die boshafte Verse auf ihn dichteten, wohlwollend behandelte. Er blickte jedoch betroffen auf, als Tigellinus, an mich gewandt, fortfuhr: »Hast du, Minutus, mir gesagt, daß die Christen nicht einmal Theatervorstellungen dulden?«
»Sie hassen das Theater!« sagte Nero und erhob sich langsam, denn er ertrug es nicht, daß man seine Sangeskunst geringschätzte. »Wenn dem so ist, sind sie wirklich Feinde der Menschheit und verdienen die härteste Strafe. Wir verurteilen sie wegen Brandstiftung und allgemeinen Menschenhasses. Ich denke, es wird sich niemand erheben, um sie zu verteidigen!«
Ich stand mit zitternden Knien auf und sagte starrsinnig: »Ich habe selbst an den heiligen Mählern der Christen teilgenommen, und ich kann beschwören, daß dort nichts Unziemliches geschehen ist. Sie tranken Wein und aßen Brot und andere gewöhnliche Speisen. Sie halten Brot und Wein für Christi Fleisch und Blut. Nach dem Mahl küssen sie sich, doch daran kann ich nichts Böses finden.«
Nero wischte meine Worte fort wie eine Fliege und sagte: »Reize mich nicht, Manilianus. Wir wissen, daß du nicht zu den Klügsten gehörst, wenn du dafür auch andere gute Eigenschaften haben magst. Die Christen haben dich in deiner Leichtgläubigkeit getäuscht.«
»Richtig!« bestätigte Tigellinus seine Worte. »Unser Minutus ist viel zu gutgläubig. Diese Zauberer haben ihm den Blick verwirrt. Sie haben auch mir hart zugesetzt, während der Verhöre. Nach außen hin geben sie sich als bescheidene, wohlanständige Leute, und sie locken die Armen durch freie Mahlzeiten an. Wer aber an ihren Mysterien teilnimmt, der erliegt ihren Zauberkünsten.«