Ich versuchte das Wesentliche, den Kern seiner Lehre, zu erkennen und schrieb mir einige strittige Punkte auf, um später nach der Art der Griechen mit ihm diskutieren zu können, aber ich vermochte ihm kaum zu folgen, denn er eilte wie vom Winde getragen von einer Sache zur nächsten. Und obwohl ich ihm in meinem Innern widersprach, mußte ich doch zugeben, daß er ein bedeutender Mann war.

Zuletzt schickte er alle fort, die nicht getauft oder Mitglieder seines inneren Kreises waren. Einige baten ihn inniglich, sie zu taufen und ihnen die Hände aufs Haupt zu legen, aber er weigerte sich und gebot ihnen, die Taufe von ihren eigenen Lehrern entgegenzunehmen, denen die Gnade gegeben war. Er hatte, als er gerade erst nach Korinth gekommen war, den Fehler begangen, einige zu taufen, und dann hören müssen, daß diese sich damit brüsteten, in Pauli Namen getauft und damit seines Geistes teilhaftig zu sein. Eine solche Irrlehre wollte er nicht verbreiten, da er sich selbst zu gering erachtete.

In tiefe Gedanken versunken, ging ich heim und schloß mich in mein Zimmer ein. Ich glaubte nicht, was dieser Mensch behauptete, und dachte darüber nach, wie ich ihn widerlegen könnte. Als Mensch fesselte mich Paulus jedoch, und ich mußte widerwillig zugeben, daß er etwas Unerklärliches erlebt hatte. Wie wäre sonst sein Leben so von Grund auf verändert worden?

Zu seinen Gunsten sprach, daß er nicht den Vornehmen und Reichen nach dem Munde redete und Geschenke von ihnen annahm, wie es die wandernden Isispriester und andere zu tun pflegten, die es darauf anlegten, den Menschen den Kopf zu verdrehen. Der einfache Sklave, ja sogar ein Schwachsinniger, war ihm gleich viel, wenn nicht mehr wert als ein Weiser und Vornehmer. Daß Sklaven Menschen seien, lehrte zwar auch Seneca, aber Seneca ließ sich darum doch nicht mit Sklaven ein. Er suchte sich einen anderen Umgang.

Ich wurde zuletzt gewahr, daß ich bei all meinen Grübeleien mehr Argumente gegen Paulus als für ihn zu finden suchte. Ein mächtiger Geist mußte aus ihm sprechen, da ich nicht ungerührt abseits zu stehen und kalt und klar über seinen wahnwitzigen Aberglauben nachzudenken vermochte, um dann Gallio lächelnd Bericht zu erstatten. Meine Vernunft sagte mir, daß ich nicht einen so tiefen Widerwillen gegen die Selbstsicherheit dieses Paulus empfinden würde, wenn seine Gedanken mich nicht trotz allem beeindruckt hätten.

Ich mochte nicht mehr über ihn nachdenken und verspürte wieder einmal das Bedürfnis, aus dem alten Holzbecher meiner Mutter zu trinken, der meinem Vater so teuer gewesen war und den ich lange nicht mehr in der Hand gehalten hatte. Es wurde dämmerig in meinem Zimmer. Ich zündete jedoch keine Lampe an, sondern holte nur den Becher aus der Truhe, goß Wein ein und trank. Und plötzlich glitten meine Gedanken ins Bodenlose.

Die auf reine Vernunft gegründete Philosophie unserer Tage versagt dem Menschen alle Hoffnung. Er mag selbst entscheiden, ob er sein Dasein in vollen Zügen genießen oder ob er ein sittenstrenges Leben führen und dem Staate dienen will. Eine Seuche, ein fallender Ziegel, ein Loch im Boden kann seinem Leben von einem Augenblick zum andern ein Ende machen. Der Weise wählt den Selbstmord, wenn ihm das Leben unerträglich wird. Pflanze, Stein, Tier und Mensch sind nichts als ein blindes Spiel der Atome ohne jeden tieferen Sinn. Es ist ebenso vernünftig, ein böser Mensch zu sein wie ein guter. Götter, Opfer, Vorzeichen sind nur ein staatlich genehmigter Aberglaube, der Frauen und einfache Menschen befriedigt.

Zwar gibt es Männer wie Simon den Zauberer oder die Druiden, die besondere geistige Kräfte entwickeln und einen Menschen in todesähnlichen Schlaf versenken oder einen schwächeren Willen beherrschen können, aber diese Kräfte kommen aus ihnen selbst und fliegen ihnen nicht von außen zu. Das ist meine feste Überzeugung, wenngleich die Druiden glauben, sie seien wirklich in der Unterwelt gewandert und hätten dort wahre Gesichte gehabt.

Der Weise kann durch seine Worte und sein Leben anderen ein Beispiel geben und, indem er ruhig und gefaßt stirbt, beweisen, daß Leben und Tod gleich unbedeutend sind. Doch ich glaube nicht, daß Weisheit dieser Art so sehr erstrebenswert sei.

Ich saß im Dunkeln, meine Gedanken gingen im Kreis, und auf eigentümliche Weise empfand ich die barmherzige Gegenwart meiner Mutter, als ich den abgenutzten Holzbecher in meinen Händen hielt. Auch an meinen Vater dachte ich, der ernstlich glaubte, der König der Juden sei nach der Kreuzigung auferstanden, und sich einredete, er habe ihn gesehen, als er mit meiner Mutter durch Galiläa wanderte. Schon als Knabe hatte ich immer befürchtet, er werde sich in den Augen aller anständigen Menschen unmöglich machen, indem er solch unsinnige Dinge äußerte. Doch was bedeutete mir eigentlich die Meinung der Anständigen oder über mir Stehenden, wenn das Leben sinnlos war? Es war freilich ein angenehmes Gefühl, als vornehmer junger Ritter einem Reich zu dienen, dessen Ziel es war, der Welt den Frieden und die römische Ordnung zu schenken, aber sind gute Straßen, prächtige Aquädukte, große Brücken und unvergängliche Steinhäuser wirklich das Letzte und Höchste, was der Mensch erstreben kann? Wozu lebe ich, Minutus Lausus Manilianus, und wozu bin ich da? Das fragte ich mich damals, und das frage ich mich noch heute, hier in der Wasserheilanstalt, wo man meine Durchblutungsstörungen behandelt und ich zum Zeitvertreib die Ereignisse meines Lebens aufzeichne – für Dich, mein Sohn, der Du unlängst erst die Toga angelegt hast.


Am folgenden Tag überwand ich meinen Stolz und verließ das Haus, um Paulus im Viertel der Zeltmacher aufzusuchen und mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Schließlich war er römischer Bürger und nicht nur Jude.

Der Zunftälteste wußte sogleich, wen ich meinte, lachte und sagte: »Du suchst den gelehrten Juden, der von seinem Gesetz abgefallen ist und eine neue Lehre verkündet, den Juden droht, Blut werde über ihre Häupter kommen und von ihnen verlangt, sie sollten sich nicht nur beschneiden, sondern gleich verschneiden lassen. Ein tüchtiger Kerl und ein guter Handwerker. Man braucht ihm nicht lange zuzureden. Wenn’s drauf ankommt, predigt er gleich am Webstuhl. Sein Ruf schafft uns übrigens neue Kunden. Was hättest du denn gern: ein Zelt oder einen regendichten Wintermantel?«

Als ich den geschwätzigen Alten wieder losgeworden war, ging ich weiter durch das staubige, mit Ziegenhaaren übersäte Viertel und kam an eine offene Werkstatt, in der zu meiner großen Verwunderung der schiefnasige Aquila, den ich aus Rom kannte, saß und mit Paulus um die Wette webte. Seine Frau Prisca erkannte mich sofort wieder, stieß einen Freudenruf aus und erzählte Paulus, wer ich war und wie tapfer ich einmal bei einer Schlägerei jenseits des Tibers die Christen gegen die rechtgläubigen Juden verteidigt hatte.

»Diese Zeiten sind freilich vorbei«, fügte Prisca rasch hinzu. »Wir bereuen heute den blinden Eifer, der uns dazu trieb, uns über die anderen zu stellen. Wir haben gelernt, die andere Wange hinzuhalten, wenn man uns schlägt, und für die zu beten, die uns verhöhnen.«

Sie sprach noch immer so lebhaft wie früher, und Aquila war noch immer so schweigsam wie früher und unterbrach seine eintönige Arbeit nicht, um mich zu begrüßen. Ich fragte sie über ihre Flucht aus und wie es ihnen in Korinth ergehe. Sie könnten nicht klagen, meinte Prisca, aber sie begann zu weinen, als sie der Toten gedachte, die auf der Flucht aus Rom in den Straßengräben liegengeblieben waren.

»Sie haben sich eine unvergängliche Siegespalme erworben«, versicherte sie. »Und sie starben nicht mit einem Fluch auf den Lippen, sondern priesen Jesus Christus, der sie von ihren Sünden erlöste und aus der Macht des Todes zum ewigen Leben führte.«

Ich wollte darauf nichts sagen, denn was war sie anderes als ein närrisches Judenweib, das den Ihren und den rechtgläubigen Juden in Rom großen Schaden zugefügt hatte. Ich wandte mich statt dessen voll Ehrerbietung an Paulus: »Ich habe dich gestern predigen gehört und möchte mir deine Lehre gründlich erklären lassen. Allerdings habe ich mir nach deiner Rede einige Gegenargumente zurechtgelegt, so daß wir diskutieren können, wie es sich gehört. Hier können wir nicht ungestört sprechen. Möchtest du nicht zum Abendessen zu mir kommen? Wenn ich dich recht verstanden habe, hast du, was deine Lehre angeht, nichts zu verbergen, und gewiß hindert sie dich auch nicht daran, mit einem Römer zu Tisch zu liegen?«

Zu meinem Erstaunen fühlte sich Paulus durch meine Einladung nicht geehrt. Er musterte ‚mich mit seinem stechenden Blick und erwiderte kurz, Gottes Weisheit mache alle Argumente zuschanden. Er sei nicht berufen, zu disputieren, sondern für Jesus Christus Zeugnis abzulegen auf Grund der Offenbarung, die ihm zuteil geworden war.

»Ich habe aber gehört, daß du auf dem Markt in Athen gesprochen hast«, wandte ich ein. »Und die Athener haben dich gewiß nicht ziehen lassen, ohne mit dir zu disputieren.«

Ich hatte den Eindruck, daß Paulus nicht gern an sein Auftreten in Athen erinnert wurde. Sicherlich hatte man sich dort über ihn lustig gemacht. Er versicherte mir jedoch, einige hätten ihm geglaubt, darunter sogar ein Richter. Ob sie sich wirklich von dem fremden Redner hatten überzeugen lassen oder nur aus Feingefühl geschwiegen hatten, um diesen gläubigen Menschen nicht zu kränken, darauf wollte ich nicht näher eingehen.

»Du kannst mir aber doch einige aufrichtig gemeinte Fragen beantworten, und essen mußt du wohl wie alle anderen Menschen auch«, sagte ich, nun schon ein wenig gereizt. »Ich verspreche dir, daß ich deinen Gedankengang nicht mit rhetorischen Einwänden unterbrechen werde. Ich werde nicht disputieren, sondern nur zuhören.«

Aquila und Prisca redeten ihm beide zu, er solle die Einladung annehmen, und versicherten ihm, sie wüßten über mich nichts Böses zu berichten. Während der Unruhen in Rom hätte ich einmal, gleichsam aus Versehen, an einem Liebesmahl der Christen teilgenommen. Mein Vater helfe den Armen und trete auf wie ein gottesfürchtiger Mann. Ich glaube aber nicht, daß Paulus mir aus politischen Gründen mißtraute.

Als ich wieder daheim war, gab ich meine Anweisungen wegen des Abendessens und sah mich um. Auf seltsame Weise erschienen mir die Möbel und alle anderen Gegenstände fremd, und ein Fremder war mir auf einmal auch Hierax, den ich doch gut zu kennen glaubte. Was wußte ich eigentlich über den Türhüter oder die Köchin? Dadurch, daß ich mit ihnen sprach, vermochte ich sie nicht zu ergründen, denn sie antworteten mir nur, was mir ihrer Meinung nach gefallen mußte.

Ich hätte glücklich und mit meinem Leben zufrieden sein müssen. Ich hatte Geld, Ansehen, eine gewisse Stellung im Staatsdienst, hochgestellte Gönner und einen gesunden Körper. Die meisten Menschen brachten es in ihrem ganzen Leben nicht so weit wie ich in meinen jungen Jahren schon. Und doch konnte ich nicht froh sein.

Paulus kam mit seinen Begleitern, als der Abendstern aufging. Er hieß die anderen draußen warten und trat allein bei mir ein. Aus Höflichkeit ihm gegenüber hatte ich Tücher über meine Hausgötter gehängt, denn ich wußte, daß die Juden Menschenbilder verabscheuen, und ich ließ Hierax meinem Gast zu Ehren duftende Wachslichter anzünden.

Nach einem einfachen Gemüsegericht wurde ein Fleischgericht aufgetragen, aber ich sagte ihm, er brauche nicht davon zu kosten, wenn seine Lehre ihm verbiete, Heisch zu essen. Paulus bediente sich lächelnd und erwiderte, er wolle mir kein Ärgernis geben und nicht einmal danach fragen, wo das Heisch gekauft worden sei. Für Griechen wolle er Grieche sein, für Juden Jude. Er trank sogar mit Wasser vermischten Wein, bemerkte aber, daß er aus gewissen Gründen bald ein Gelübde zu tun beabsichtige.

Ich wollte ihn nicht durch verbotene Speisen oder heimtückische Fragen in Verlegenheit bringen. Als unser Gespräch frei dahinzufließen begann, versuchte ich meine Worte so vorsichtig wie möglich zu wählen. Von Gallios und Roms Standpunkt aus war es das Wichtigste, zu erfahren, wie er sich zum römischen Staat stellte.

Er versicherte mir, er rate allen, der weltlichen Obrigkeit zu gehorchen, die Gesetze zu befolgen und alles zu vermeiden, was Anstoß erregen könnte. Er hetzte die Sklaven nicht gegen ihre Herren auf, nein, denn seiner Meinung nach sollte sich ein jeder mit seiner Stellung begnügen. Ein Sklave, sagte er, müsse den Willen seines Herrn ausführen, ein Hausvater seine Diener gut behandeln und dessen eingedenk sein, daß ein Herr ist, der über allen steht.

Meinte er damit den Kaiser? Nein. Er meinte den lebendigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und Jesus Christus, seinen Sohn, der nach seinen eigenen Worten wiederkehren wird, um die Lebenden und die Toten zu richten.

Ich mochte nicht länger bei dieser heiklen Sache verweilen, sondern fragte ihn, welche Vorschriften für das tägliche Leben er denen gab, die er bekehrte. Darüber hatte er offenbar viel nachgedacht, aber er begnügte sich damit, zu sagen: »Tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern trachtet, einander Gutes zu tun. Seid allezeit fröhlich. Betet ohne Unterlaß. Seid dankbar in allen Dingen.«

Er sagte mir auch, daß er seine Brüder auffordere, ein stilles Leben zu führen und mit ihren Händen zu arbeiten, daß er es ihnen aber verwiesen habe, die Hurer, die Geizigen, die Räuber und Götzendiener dieser Welt zu tadeln, denn das sei nicht ihre Sache, und sie müßten sich sonst selbst aus der Welt begeben. Wenn sich aber einer ihnen zugesellt habe und erweise sich als ein Hurer oder Geiziger oder Götzendiener oder Lästerer oder Trunkenbold oder Räuber, so müsse er zurechtgewiesen werden. Besserte er sich danach nicht, so dürfe man mit ihm nichts mehr zu schaffen haben und auch nicht mit ihm essen.

Ich fragte lächelnd: »Du verurteilst mich also nicht, obgleich ich in deinen Augen gewiß ein Götzendiener, Hurer und Trunkenbold bin?«

»Du stehst draußen«, antwortete er. »Es kommt mir nicht zu, dich zu richten. Wir richten nur, die drinnen sind. Dich wird Gott richten.«

Er sagte das so ernst, daß es klang, als stellte er eine eindeutige Tatsache fest, und ich in meinem Innern erbebte. Und obwohl ich mir vorgenommen hatte, ihn nicht zu kränken, konnte ich es mir doch nicht versagen, ihn spöttisch zu fragen: »Wann wird, nach den Auskünften, die du offenbar erhalten hast, Gerichtstag sein?«

Paulus erwiderte, es stehe ihm auch nicht zu, diesen Tag oder einen anderen vorauszusagen, aber der Tag des Herrn werde unerwartet kommen wie der Dieb in der Nacht. Ich entnahm seinen Worten, daß er glaubte, sein Herr werde noch zu seinen Lebzeiten wiederkehren.

»Wie wird das alles zugehen? Erklär mir das«, bat ich ihn.

Paulus stand plötzlich auf. »Der Herr wird vom Himmel niedersteigen, und die in Christus gestorben sind, werden als erste auferstehen. Dann wird man uns, die wir noch am Leben sind, mit ihnen zusammenführen, damit wir oben unter den Wolken dem Herrn gegenübertreten, und wir werden immer in der Nähe des Herrn weilen.«

»Und das Gericht, von dem du soviel sprichst?« fragte ich.

»Der Herr Jesus wird sich in einer Flamme am Himmel offenbaren mit den Engeln seiner Macht«, verkündete er. »Und er wird alle richten, die Gott nicht kennen und die Freudenbotschaft unseres Herrn Jesus nicht hören. Zur Strafe werden sie auf ewiglich aus dem Antlitz des Herrn und dem Glanz seiner Macht verdammt sein.«

Ich mußte zugeben, daß er sich zumindest nicht verstellte, sondern offen sagte, was seine Meinung war. Seine Worte rührten mich, denn er war aufrichtig in seinem Glaubenseifer. Ohne daß ich ihn danach fragte, berichtete er von Engeln und den Mächten des Bösen, von seinen Reisen in verschiedene Länder und von den Vollmachten, die ihm die Ältesten der Gemeinde in Jerusalem gegeben hatten. Am meisten verwunderte ich mich darüber, daß er nicht darauf aus war, mich zu seiner Lehre zu bekehren. Zuletzt hörte ich kaum noch, was er sagte, sondern unterwarf mich ganz der Kraft und Sicherheit, die aus ihm zu reden schien.

Ich spürte deutlich seine Nähe, ich roch den Duft der Wachslichter und der Speisen und nahm den Geruch von Weihrauch und reinem Ziegenhaar wahr. Es war gut, mit ihm zusammen zu sein, und doch strebte ich in meinem Halbschlaf von ihm fort. Ich fuhr aus meiner Betäubung auf und rief: »Wie kannst du dir einbilden, alles so genau und besser als andere Menschen zu wissen?«

Er breitete die Hände aus und sagte schlicht: »Ich bin Gottes Mitarbeiter.«

Und das war keine Lästerung, sondern er war ganz von seinen Worten überzeugt. Ich schlug die Hand vor die Stirn, sprang auf und lief wie behext im Zimmer hin und her. Wenn dieser Mann die Wahrheit sprach, konnte ich von ihm den Sinn all dessen, was geschah, erfahren. Ich gestand mit zitternder Stimme: »Ich verstehe nicht, was du sagst. Lege deine starken Hände auf mein Haupt, da es nun einmal so Sitte ist unter euch, damit dein Geist in mich eingeht und ich verstehe.«

Er rührte mich jedoch nicht an. Statt dessen versprach er, er werde für mich beten, daß Jesus sich auch mir zu erkennen gebe und mein Christus werde, denn die Zeit sei kurz und die Gestalt dieser Welt vergehe schon.

Als er gegangen war, dünkte mich plötzlich alles, was er gesagt hatte, der reine Wahnwitz. Ich schrie laut auf, schalt mich selbst für meine Leichtgläubigkeit, trat den Tisch um und zerschlug die Tontöpfe auf dem Boden.

Hierax stürzte ins Zimmer. Als er sah, in welchem Zustand ich mich befand, rief er den Türhüter zu Hilfe, und zusammen brachten sie mich ins Bett. Ich weinte laut, und plötzlich drängte sich ein wahnsinniger Schrei über meine Lippen, der nicht aus mir selbst kam. Es war, als hätte eine fremde Macht meinen ganzen Körper geschüttelt und sei als fürchterlicher Schrei aus mir gefahren.

Endlich schlief ich erschöpft ein. Am Morgen schmerzten mir der Kopf und alle Glieder. Ich blieb daher liegen und schluckte müde die bitteren Arzneien, die Hierax mir mischte. Er schalt mich und sagte: »Warum hast du nur diesen berüchtigten jüdischen Zauberer eingeladen? Von den Juden kommt nichts Gutes. Sie bringen es zustande, daß vernünftige Menschen an sich selbst irre werden.«

»Er ist kein Zauberer«, erwiderte ich. »Er ist entweder von Sinnen, oder er ist der stärkste Geist, der mir je begegnet ist. Ich fürchte sehr, er ist der Vertraute eines unbegreiflichen Gottes.«

Hierax sah mich bekümmert an. Dann sagte er: »Ich bin als Sklave geboren und zum Sklaven erzogen worden. Das hat mich gelehrt, alle Dinge von unten zu sehen und zu beurteilen, aus der Sicht der Frösche. Ich bin aber auch älter als du und viel gereist, habe Gutes und Schlimmes erlebt und die Menschen kennengelernt. Wenn du willst, gehe ich zu deinem Juden und höre ihn an, und dann will ich dir meine Meinung über ihn aufrichtig sagen.«

Seine Treue rührte mich, und ich fand, ich könnte von dem, was Hierax auf seine Weise über Paulus erfuhr, nur Nutzen haben. Deshalb sagte ich: »Ja, geh du zu ihm, hör an, was er lehrt, und versuche es zu begreifen.«

Dann schrieb ich einen kurzen Bericht für Gallio und drückte mich so knapp und sachlich aus, wie ich nur konnte:


»Minutus Lausus Manilianus über den Juden Paulus.

Ich hörte ihn in der Synagoge seiner Glaubensfreunde lehren. Ich verhörte ihn unter vier Augen. Er sprach offen, verstellte sich nicht, verbarg mir nichts.

Er ist Jude und stammt von jüdischen Eltern. Studierte in Tarsos, danach in Jerusalem. Römischer Bürger von Geburt, aus vermögendem Haus.

Rabbi. Davor Mitglied des Höchsten Rates in Jerusalem. Verfolgte früher die Jünger und Anhänger des Jesus von Nazareth. Hatte eine Offenbarung. Bekannte sich in Damaskus zu Jesus als zu dem Messias der Juden. Lebte in der Wüste. Entzweite sich in Antiochia mit dem Ersten der Jünger des Nazareners, Simon dem Fischer. Später wieder mit ihm versöhnt. Erhielt das Recht, Jesus auch Unbeschnittenen als den Christus zu verkünden.

Bereiste die östlichen Provinzen. Mehrfach bestraft. Taktik: Sucht zuerst die Synagoge der Juden auf. Verkündet Jesus als den Messias. Wird geprügelt. Bekehrt die Zuhörer, die den Gott der Juden annehmen wollen, zu seiner Partei. Beschneidung wird nicht gefordert. Das jüdische Gesetz braucht nicht befolgt zu werden. Wer glaubt, daß Jesus der Christus ist, erhält Gnade und ewiges Leben.

Kein Aufwiegler. Hetzt nicht die Sklaven auf. Ermahnt zu einem stillen Leben. Mischt sich nicht in die Angelegenheiten Außenstehender, sondern hält sich an seinesgleichen. Kraftvolle Persönlichkeit. Wirkt am stärksten auf solche, die schon vom Judenglauben angesteckt sind.

Zu beachten: Ist überzeugt, daß Jesus von Nazareth wiederkehren wird, um die ganze Welt zu richten, wobei Gottes Zorn alle treffen wird, die sich nicht zu Christus bekennen. In gewissem Sinne also ein Feind der Menschheit.

Politisch völlig ungefährlich für Rom. Sät Zwietracht und Zersplitterung unter den Juden. Wirkt dadurch zum Vorteil Roms.

Ich fand nichts Tadelnswertes an diesem Mann.«


Mit diesem Bericht ging ich zu Gallio. Er las ihn, blickte mich mit halb abgewandtem Gesicht verstohlen an und sagte: »Du bist sehr lakonisch.«

»Diese Aufzeichnungen sind nur eine Gedächtnishilfe«, erwiderte ich gereizt. »Wenn du willst, kann ich dir mehr über den Mann berichten.«

»Was für ein göttliches Geheimnis besitzt er?« fragte Gallio müde.

»Das weiß ich nicht«, sagte ich aufgebracht. Dann senkte ich den Kopf, fühlte, daß ich zitterte, und sagte: »Wenn ich nicht Römer wäre, würde ich vielleicht mein Kriegstribunenzeichen ablegen, auf meine Laufbahn verzichten und ihm folgen.«

Gallio sah mich prüfend an, richtete sich auf, streckte das Kinn in die Höhe und entgegnete kurz: »Ich habe einen Fehler begangen, indem ich dich zu ihm schickte. Du bist noch zu jung.«

Er schüttelte mißmutig den Kopf und fuhr fort: »Ja, das ist es. Du bist zu jung. Die Weisheit der Welt und die Genüsse des Lebens haben dich noch nicht zermürbt. Du bist doch nicht etwa krank, da du so zitterst? Wir haben hier zwar ausgezeichnete Wasserleitungen, aber manchmal bekommt man doch schlechtes Wasser zu trinken und wird von der Klimaseuche befallen, wie die korinthische Krankheit genannt wird. Ich habe sie selbst schon gehabt. Im übrigen kannst du unbesorgt sein. Ich glaube nicht, daß ihr Jesus von Nazareth noch zu unseren Lebzeiten wiederkehrt, um die Menschheit zu richten.«

Ich glaube aber, daß Gallio sich viel mit übernatürlichen Dingen beschäftigte, da er bisweilen darüber sprach, und welcher Römer ist wohl ganz frei von Aberglauben! Um sich abzulenken, bat er mich nun, Wein mit ihm zu trinken. Er rief seine Frau, damit sie uns Gesellschaft leiste, und begann uns ein Schauspiel vorzulesen, das er nach einer griechischen Vorlage in lateinischer Sprache geschrieben und für den römischen Geschmack bearbeitet hatte. Zwischendurch las er immer wieder griechische Verse vor, um zu zeigen, wie gut sich unsere Sprache den griechischen Rhythmen fügte, wenn man es nur richtig anpackte.

Das Schauspiel handelte vom Trojanischen Krieg und hätte mich interessieren müssen, da die Troer ja durch Aeneas die Vorfahren der Römer sind. Nachdem ich ein wenig Wein getrunken hatte, sagte ich jedoch: »Die griechische Buchsprache ist schön, aber heute klingt sie für meine Ohren merkwürdig tot. Paulus spricht die lebendige Sprache des Volkes.«

Gallio sah mich mitleidig an und erklärte: »In der Volkssprache kann man nur die allergröbsten Satyrspiele schreiben, weil sie an und für sich komisch wirkt. Daher bedienen sich ja auch die oskischen Schauspieler in Rom der Sprache des Marktes. Aber Philosophie in der Volkssprache? Du bist nicht bei Sinnen, Minutus!«

Er wurde plötzlich rot im Gesicht, rollte seine Handschrift zusammen und sagte: »Es wird Zeit, daß wir dir die jüdischen Giftdämpfe aus dem Kopf vertreiben. Du warst noch nicht in Athen. Wir haben einen kleinen Grenzstreit in Delphi, der eine Besichtigung am Platz erfordert, und in Olympia wird man sich wegen der Wettspiele nicht einig. Mach dich auf den Weg. Mein Vortragender in der Kanzlei gibt dir alle Auskünfte, die du brauchst, sowie eine Vollmacht.«

Die schöne Helvia strich ihm mit den Fingerspitzen über die Schläfe und die eine seiner feisten Wangen und sagte mitleidig: »Warum willst du einen begabten jungen Mann zu unaufhörlicher Wanderschaft verdammen? Die Griechen werden schon noch mit ihren Streitigkeiten zu dir kommen. Wir sind hier in Korinth. Die Freundschaft einer reifen Frau würde ihm gewiß mehr nützen als alles Umherziehen.«

Sie sah mich an Gallio vorbei lächelnd an und bedeckte ihre weiße Schulter, die sich unversehens entblößt hatte. Ich verstehe nicht genug von dergleichen Dingen, um den kunstvollen Faltenwurf ihres Gewandes, ihre Haartracht und den seltenen indischen Schmuck, den sie trug, zu beschreiben. Ich riß meine Blicke von ihr los, sprang auf, stellte mich breitbeinig in vorschriftsmäßiger Haltung vor Gallio auf und murmelte: »Wie du befiehlst, Prokonsul!«

Auf diese Weise hatte der jüdische Unruhestifter Paulus auch Gallio und mich entzweit. Ich ließ mein Haus in der Obhut meines Sklaven Hierax zurück und ritt mit einigen Männern der Kohorte und einem griechischen Führer aus der Stadt.

Über Delphi, Olympia und Athen gibt es so viele begeisterte Reiseschilderungen, daß ich ihre unvergleichlichen Sehenswürdigkeiten nicht eigens zu erwähnen brauche. nicht einmal Rom ist es bisher geglückt, aus diesen Städten mehr als einen geringen Teil der Kunstschätze fortzuschleppen, obwohl zugegeben werden muß, daß wir seit Sulla unser Bestes getan haben, Rom auf Kosten des griechischen Wunders zu bereichern.

Aber sosehr ich mich auch bemühte, alles Sehenswerte in mich aufzunehmen, erschien mir doch die Schönheit, die ich allenthalben sah, im Grunde nichtssagend. Weder der bemalte Marmor noch das Elfenbein noch das Gold der schönsten Statuen, die je geschaffen wurden, sprach zu meinem Herzen.

Mit dem Grenzstreit in Delphi befaßte ich mich gründlich und ließ mich der Gerechtigkeit halber von beiden Parteien zum Mahl einladen. In Delphi selbst sah ich mit eigenen Augen die Pythia in ihrem Rausch. Aus ihren unverständlichen Worten formte ihr Priester ein paar für mich schmeichelhafte Orakelverse, die es nicht wert sind, hier wiedergegeben zu werden.

Nahe bei Olympia gibt es einen heiligen Bezirk mit einem Tempel, den der Feldherr Xenophon vor mehr als vierhundert Jahren der Göttin Artemis weihte.

Ein Zehntel von allem, was dort geerntet wurde, war früher für das Erntefest der Bewohner dieses Landstrichs verwendet worden, und in den uralten Obstgärten durfte jeder so viel Früchte pflücken, wie er nur wollte.

Im Laufe der Jahre waren jedoch viele Grenzsteine verrückt worden, und der Tempel war verfallen. Zu Pompejus’ Zeiten hatte man sogar die Statue der Göttin nach Rom entführt. Die Bewohner der Gegend führten nun darüber Klage, daß der Mann, der das der Göttin geweihte Land in Besitz genommen hatte, die ursprünglich aufgestellten Bedingungen nicht mehr erfüllte. Sie bewahrten eine alte Steintafel auf, worauf noch deutlich zu lesen war: »Dies Land ist Artemis geweiht. Wer es besitzt, opfere jährlich einen zehnten Teil. Vom Verbleibenden unterhalte er den Tempel. Versäumt er diese Pflicht, die Göttin wird es ihm nicht vergessen.«

In der Volksversammlung berichteten einige Greise langatmig von ihren Erinnerungen aus früheren Zeiten, da zum Artemisfest Wein, Mehl und süßes Backwerk ausgeteilt worden waren. Ein jeder hatte auf dem heiligen Boden im Namen der Artemis jagen dürfen. Ich ließ sie alle ausreden. Der Besitzer des Landes gelobte, er werde den alten Brauch beim Erntefest wieder einführen, erklärte aber, es übersteige sein Vermögen, den Tempel instand zu halten.

In meinem Urteilsspruch sagte ich hierzu: »Dies ist nicht Sache Roms. Macht es mit der Göttin aus, wie es hier auf der Steintafel steht.«

Mit dieser Entscheidung war niemand zufrieden. Später, während meines Aufenthalts in Olympia, hörte ich, daß der Besitzer bei einer Rehjagd in eine Schlucht gestürzt war. Artemis hatte sich das Ihre geholt. Er hatte keine Leibeserben, weshalb die Bewohner der Gegend das heilige Land unter sich aufteilten. Ich nahm mir vor, mir diese Geschehnisse gut zu merken, um sie, falls ich noch einmal mit ihm zusammentreffen sollte, Claudius zu berichten. Der Kaiser liebte alte Denkmäler und Inschriften und konnte den Tempel leicht wieder instand setzen lassen.

Zuletzt kam ich nach Athen. Wie es die gute Sitte verlangt, legte ich meine Rüstung am Stadttor ab, zog einen weißen Mantel an, setzte mir einen Kranz auf und ging zu Fuß und nur von meinem griechischen Führer begleitet in die Stadt. Die Soldaten schickte ich auf Urlaub nach dem Piräus, wo sie sich im Schutz der römischen Garnison ein paar vergnügte Tage machen mochten.

Es stimmt, was man mir berichtet hatte; daß man nämlich in Athen mehr Götterbilder als Menschen sieht. Es gibt dort prachtvolle Bauten, die Könige aus dem Osten haben aufführen lassen, und auf dem Forum wandeln von morgens bis abends die Philosophen mit ihren Schülern umher. In jedem Winkel stößt man auf einen der Andenkenläden, in denen der billigste Kram verkauft wird, aber auch kostbare kleine Nachbildungen der Tempel und Götterbilder der Stadt.

Nachdem ich pflichtgemäß die Besuche im Rathaus und im Versammlungshaus des Areopags hinter mich gebracht hatte, zog ich in die beste Herberge und wurde dort mit allerlei jungen Leuten aus Rom bekannt, die in Athen ihre Bildung vervollkommneten, bevor sie die Beamtenlaufbahn antraten. Der eine lobte mir seinen Lehrer, ein anderer zählte mir die Namen und Preise berühmter Hetären auf, und wieder ein anderer nannte mir die besten Speisehäuser, in denen ich seiner Meinung nach unbedingt essen mußte.

Zahlreiche Führer wollten mir die Sehenswürdigkeiten Athens zeigen, aber als ich ein paar Tage auf dem Markt umhergegangen war und verschiedene Lehrer angehört hatte, kannte man mich und ließ mich in Ruhe. Ich fand bald heraus, daß alle Philosophen Athens darin wetteiferten, andere die Kunst zu lehren, wie man Gleichmut und unerschütterliche Seelenruhe erlangt. Sie redeten feurig und schnell, wandten treffende Gleichnisse an und disputierten gern miteinander.

Es befanden sich auch einige langhaarige, in Ziegenhäute gekleidete Philosophen unter ihnen. Diese wandernden Lehrer brüsteten sich damit, daß sie Indien oder Äthiopien bereist und geheime Kenntnisse erworben hätten. Sie berichteten so unglaubliche Lügen, daß sich die Zuhörer vor Lachen krümmten. Einige der schamlosesten Lügenmäuler soll der Areopag zwar aus der Stadt verwiesen haben, aber im übrigen konnte sich dort hinstellen, wer wollte, und reden, was ihm einfiel, solange er nicht die Götter lästerte oder sich in politische Dinge einmischte.

Ich aß und trank und versuchte mein Leben zu genießen. Es war angenehm, an einem sonnigen Tag nach einem guten Mahl auf einer warmen Marmorbank zu sitzen und die Schattenbilder zu betrachten, die die Vorübergehenden auf die Marmorfliesen des Marktes warfen. Der attische Witz ist scharf und feingeschliffen. In einem Disput gewinnt, wer die Lacher auf seine Seite bekommt. Aber das attische Lachen dünkte mich unfroh, und die Gedanken, die sich dahinter verbargen, prägten sich mir nicht so tief ein, wie sie es getan haben würden, wenn sie wirklich weise gewesen wären. Ich glaube, was in unseren Tagen in Athen gelehrt wird, ist eher eine verfeinerte Lebenskunst als Gegengewicht zur Ungeschliffenheit der Römer denn eine eigentliche Philosophie.

Aus reinem Trotz beschloß ich dennoch, in Athen zu bleiben und zu studieren, bis der Prokonsul Gallio mich nach Korinth zurückbeorderte. Doch in der Gemütsverfassung, in der ich mich befand, vermochten die Bücher in den Bibliotheken mich nicht zu fesseln, und ich fand auch keinen Lehrer, dessen Schüler ich werden wollte. Eine immer tiefere Bedrücktheit bemächtigte sich meiner, und ich fühlte mich in Athen als Fremder. Einige Male aß und trank ich mit den jungen Römern, nur um das unbarmherzige klare Latein anstelle des schwülstigen Griechisch sprechen zu können.

Eines Tages ging ich mit ihnen in das Haus einer berühmten Hetäre, hörte Flötenmusik und sah die Vorführungen von Tänzerinnen und Akrobaten. Ich glaubte unserer lächelnden Gastgeberin gern, als sie sagte, sie könne den Sinnengenuß zur schönen Kunst erheben. Sie trat mir jedoch nicht nahe, und keiner, der ihr Haus besuchte, war gezwungen, die Kunst des Sinnengenusses mit Hilfe einer ihrer angelernten Sklavinnen zu erlernen. Sie selbst unterhielt sich lieber mit ihren Gästen, als daß sie sich zu ihnen legte, und von denen, die mit ihr das Lager teilen wollten, verlangte sie einen so wahnwitzigen Preis, daß nur die reichsten alten Lebemänner ihn bezahlen konnten. Sie war daher so vermögend, daß sie uns junge Römer nicht dazu verleiten wollte, unser Reisegeld zu verschwenden.

Zu mir sagte sie schließlich: »Vielleicht ist meine Schule der Sinne nur etwas für die schon verlebten Alten, obgleich ich auf meine Kunst stolz bin. Du bist noch jung. Du weißt, was Hunger und Durst ist. Harziger Wein und trocken Brot schmecken deinem hungrigen Munde besser als zyprischer Wein und Flamingozungen einem ermüdeten Gaumen. Wenn du dich in eine Jungfrau verliebst, erregt der Anblick einer entblößten Schulter deine Sinne mehr als die Erfüllung deiner Begierde. Streich die Falten aus deiner Stirn, und freue dich deines Lebens, da du noch jung bist.«

»Berichte du mir lieber von göttlichen Geheimnissen, denn du dienst Aphrodite mit deiner Kunst«, bat ich sie.

Sie sah mich aus ihren schön geschwärzten Augen an und sagte zerstreut: »Aphrodite ist eine launische und unbarmherzige, aber auch herrliche Göttin. Wer am eifrigsten nach ihrer Gunst strebt und ihr am meisten opfert, bleibt unbefriedigt. Sie ist aus dem Schaum des Meeres geboren und ist selbst wie Schaum. Wer gierig nach ihren makellosen Gliedern greift, vor dem löst sie sich in Luft auf.«

Sie runzelte selbst ihre glatte Stirn, hob beide Hände und betrachtete gedankenverloren ihre hellrot gefärbten Nägel.

»Ich könnte dir an einem Beispiel zeigen, wie launisch die Göttin ist«, fuhr sie fort. »Unserer Zunft gehörte eine Frau an, die noch nicht sehr alt ist. Sie hat noch keine Runzeln oder andere Makel. Früher stand sie Bildhauern Modell und gewann damit großen Ruhm. Die Göttin blies ihr die Laune ein, daß sie alle berühmten Philosophen verführen müsse, die nach Athen kamen, um die Tugenden und die Kunst der Selbstbeherrschung zu lehren. Sie wollte in ihrer Eitelkeit die Weisheit dieser Männer zuschanden machen und sie so weit bringen, daß sie in ihren Armen weinten, und es gelang ihr auch. Zuerst hörte sie Abend für Abend demütig ihre Belehrungen an. Die Philosophen priesen sie als die weiseste aller Frauen, denen sie je begegnet seien, da sie so aufmerksam zuzuhören verstand. Aber nicht auf ihre Weisheit war sie aus, sondern sie verwandte ihre ganze Kunst darauf, ihre Tugend zu Fall zu bringen. Kaum war ihr das geglückt, da jagte sie die Männer spöttisch davon und wollte mit ihnen nichts mehr zu schaffen haben, obwohl sie vor ihrer Tür auf den Knien lagen und einer von ihnen sich sogar auf ihrer Schwelle das Leben nahm. Eines Tages aber, anderthalb Jahre mag es nun her sein, kam ein gelehrter Jude nach Athen.«

»Ein Jude!« rief ich und fuhr auf. Meine Kopfhaut begann zu prickeln, daß sich mir die Haare aufstellten. Die Hetäre mißverstand mein Erschrecken und fuhr fort: »Ja, ich weiß. Die Juden sind mächtige Zauberer, aber dieser war anders. Er sprach auf dem Markt und wurde, wie es der Brauch ist, vor dem Areopag über seine Lehre befragt. Er war kahlköpfig, hatte eine schiefe Nase und krumme Beine, aber er war voll Feuer. Die Frau, von der ich dir berichtete, verspürte unwiderstehliche Lust, auch die Lehre dieses Juden zuschanden zu machen. Sie lud ihn zusammen mit anderen Gästen in ihr Haus, um ihn anzuhören, kleidete sich sittsam und verhüllte ihm zu Ehren ihr Haupt. Aber wie sie es auch anstellte, es gelang ihr nicht, diesen Juden zu verführen oder ihn auch nur die Versuchung empfinden zu lassen. Zuletzt gab sie die Hoffnung auf und begann, ihm ernsthaft zuzuhören. Als er Athen wieder verlassen hatte, verfiel sie in tiefe Betrübnis, schloß ihr Haus für alle Gäste und pflegt nun nur noch Umgang mit einigen wenigen Athenern, die sich von der Lehre des Juden beeindrucken ließen; und solche gibt es, denn in Athen findet auch der närrischste Philosoph noch seine Anhänger. Auf diese Weise strafte die Göttin sie für ihre Eitelkeit, obwohl sie Aphrodite großen Ruhm eingebracht hatte. Ich für mein Teil habe daraus den Schluß gezogen, daß der Jude gar kein wirklicher Weisheitslehrer war, sondern von der Göttin selbst gefeit, so daß er allen Versuchungen widerstand. Unsere Freundin aber ist über ihre Niederlage so verbittert, daß sie aus unserer Zunft austreten und in aller Bescheidenheit von ihren Ersparnissen leben will.«

Sie lachte laut auf und warf mir einen Blick zu, der mich aufforderte, in ihr Lachen einzustimmen, doch danach war mir nicht zumute. Sie wurde wieder ernst und sagte: »Die Jugend flieht rasch dahin, die Schönheit vergeht, aber die Macht zu bezaubern kann man sich durch die Gnade der Göttin bis ins hohe Alter hinein bewahren. Dafür hatten wir ein Beispiel in der seinerzeit ältesten Angehörigen unserer Zunft, die noch mit siebzig Jahren jeden Jüngling zu verführen vermochte.«

»Wie heißt sie, und wo finde ich sie?« fragte ich.

»Sie ist schon Asche. Die Göttin ließ sie in ihrem Bett an einem Herzschlag sterben, als sie zum letztenmal ihre Kunst ausübte«, antwortete die Hetäre.

»Ich meine nicht sie, sondern die andere, die der Jude bekehrte«, sagte ich.

»Sie heißt Damaris, und den Weg zu ihrem Haus kannst du leicht erfragen, aber ich sagte dir schon, daß sie sich wegen ihres Versagens schämt und keine Gäste mehr empfängt. Was gefällt dir denn nicht hier bei mir?«

Ich besann mich darauf, was die Höflichkeit erforderte, lobte ihr Haus, die Vorführungen, die sie ihren Gästen bot, ihren duftenden Wein und ihre eigene unvergleichliche Schönheit, bis sie sich beruhigte und ihren Unmut vergaß. Nach einer Weile erhob ich mich, legte meine Gabe auf die Platte und kehrte in der düstersten Stimmung in meine Herberge zurück. Es war wie ein Fluch, daß ich nicht einmal in Athen dem Juden Paulus entging, denn von ihm war die Rede gewesen.

Ich konnte lange nicht einschlafen. Ich lag und lauschte auf die nächtlichen Geräusche der Herberge, bis durch die Ritzen im Fensterladen das erste Morgenlicht in mein Zimmer fiel und ich mir wünschte, ich wäre tot oder nie geboren worden. Ich hatte über nichts zu klagen. Ich hatte mehr erreicht als die meisten meiner Altersgenossen, und ich war gesund, wenn man von einem leichten Hinken absah, das mich nicht behinderte, es sei denn, ich hätte Pontifex in einem römischen Priesterkollegium werden wollen. Warum war alle Freude von mir genommen worden? Warum hatte Claudia meine Leichtgläubigkeit so grausam ausgenutzt? Warum war ich jedesmal so verzweifelt, wenn ich auf den Juden Paulus stieß? Zuletzt versank ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst um die Mittagszeit wieder erwachte. Ich hatte etwas Schönes geträumt, konnte mich aber nicht mehr erinnern, was es war, und nach den düsteren Gedanken der Nacht fühlte ich plötzlich die Gewißheit, daß ich nicht aus bloßem Zufall von der Hetäre Damaris erfahren hatte, sondern daß darin eine tiefere Bedeutung lag. Diese Überzeugung machte mich so froh, daß ich mit großer Lust aß und sodann zu einem Barbier ging, um mir Locken kämmen und meinen griechischen Mantel in die kunstvollsten Falten legen zu lassen.

Ich fand das schöne Haus der Damaris leicht. Der Türklopfer war eine korinthische Bronze in Gestalt einer Eidechse. Ich klopfte viele Male. Ein Mann, der vorbeiging, machte eine unanständige Gebärde und schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, daß ich vergeblich Einlaß begehrte. Endlich öffnete mir eine verweinte junge Sklavin, die, als sie mich erblickte, die Tür gleich wieder schließen wollte, aber ich setzte meinen Fuß dazwischen und sagte, was mir als erstes einfiel: »Ich habe in Korinth den Juden Paulus getroffen. Über ihn will ich mit deiner Herrin sprechen. Ein anderes Begehren habe ich nicht.«

Das Mädchen ließ mich zögernd in einen Saal eintreten, in dem sich viele bemalte Statuen, bequeme Ruhelager und orientalische Wandteppiche befanden. Nach einer kleinen Weile erschien, nur halb bekleidet und barfuß, Damaris. Ihr Gesicht leuchtete in froher Erwartung, sie hieß mich mit erhobenen Händen eifrig willkommen und fragte: »Wer bist du, Fremder? Hast du mir wirklich Grüße von dem Boten Paulus zu überbringen?«

Ich versuchte ihr zu erklären, daß ich vor einiger Zeit in Korinth mit Paulus zusammengetroffen war und eine lange Unterredung mit ihm gehabt hatte, die mir unvergeßlich geblieben war. Nun hätte ich gehört, sagte ich, daß sie, Damaris, wegen der Lehre dieses wandernden Juden in Schwierigkeiten geraten sei, und sogleich den Entschluß gefaßt, mit ihr darüber zu sprechen.

Während ich dies sagte, betrachtete ich Damaris und sah, daß sie das beste Alter schon überschritten hatte. Die Freude auf ihrem Gesicht erlosch, und sie trat ein wenig zurück. Gewiß war sie einmal schön gewesen, und ihre schlanke Gestalt war noch immer ohne Fehl. Aufreizend gekleidet und schön gekämmt und geschminkt hätte sie, zumindest bei schwacher Beleuchtung, noch auf jeden Mann Eindruck machen können. Sie ließ sich müde auf einem Ruhebett nieder und gab auch mir ein Zeichen, mich zu setzen. Dann schien sie meinen forschenden Blick zu bemerken, denn sie strich sich nach Frauenart übers Haar, ordnete ihr Gewand und zog die nackten Füße unter die Falten ihres Mantels. Mehr als dies tat sie jedoch nicht für ihre äußere Erscheinung, sondern sah mich nur mit großen Augen fragend an. Plötzlich wurde mir so sonderbar wohl in ihrer Gesellschaft. Ich lächelte und sagte: »Diesem schrecklichen Juden verdanke ich es, daß ich mir vorkomme wie die Maus in der Falle. Ergeht es dir nicht ebenso, Damaris? Laß uns zusammen darüber nachdenken, wie wir aus der Falle herauskommen und unseres Lebens wieder froh werden können.«

Nun lächelte auch sie, hob aber abwehrend die Hand und sagte: »Wovor fürchtest du dich? Paulus ist der Bote des auferstandenen Christus und verbreitet die Botschaft der Freude. Erst seit ich ihn kenne, weiß ich, daß ich nie zuvor in meinem Leben wahre Freude empfunden habe.«

»Bist wirklich du das, die die Weisesten zu Fall gebracht hat?« rief ich verwundert. »Du sprichst, als wärst du von Sinnen.«

»Meine früheren Freunde glauben, ich hätte den Verstand verloren«, gestand sie offenherzig. »Aber lieber bin ich um der neuen Lehre willen von Sinnen, als daß ich mein früheres Leben fortsetze. Er war ganz anders als die liederlichen weißbärtigen Philosophen und durchschaute mich bis auf den Grund. Ich schämte mich und erschrak über das, was ich zuvor gewesen war. Durch seinen Herrn erhielt ich Vergebung für meine Sünden. Ich wandle den neuen Weg mit geschlossenen Augen, als leitete mich der Geist.«

Enttäuscht sagte ich: »Wenn es so ist, haben wir einander nicht mehr viel zu sagen.«

Sie hielt mich jedoch zurück, legte die eine Hand über ihre Augen und bat: »Geh nicht. Es hat eine Bedeutung, daß du gekommen bist. Du hast einen Stoß in deinem Herzen erhalten, sonst hättest du mich nicht aufgesucht. Wenn du willst, mache ich dich mit den Brüdern bekannt, die ihn anhörten und der Freudenbotschaft glaubten.«

Auf diese Weise lernte ich Damaris und einige Griechen kennen, die gegen Abend durch die Hintertür ihr Haus betraten, um über Paulus und die neue Lehre zu sprechen. Sie hatten sich schon früher durch die Neugier verführen lassen, die Synagogen zu besuchen und sich über den Gott der Juden zu unterrichten, und hatten sogar die heiligen Schriften der Juden gelesen. Der gelehrteste unter ihnen war Dionysos, ein Richter im Areopag, der von Amts wegen mit Paulus über dessen Lehre gesprochen hatte.

Aufrichtig gesagt, war die Rede des Dionysos so verworren und gelehrt, daß nicht einmal seine Freunde ihn ganz verstanden, und um so weniger ich. Er meinte es jedoch sicherlich gut. Damaris lauschte ihm mit dem gleichen abwesenden Lächeln, mit dem sie vermutlich den anderen Weisen zugehört hatte.

Nach der Unterhaltung lud uns Damaris immer zu einem einfachen Mahl ein. Wir brachen das Brot miteinander und tranken den Wein in Christi Namen, wie Paulus es sie gelehrt hatte. Aber selbst einem einfachen Liebesmahl dieser Art mußten die Athener eine vierfache Bedeutung unterlegen. Es war zugleich wirklich und symbolisch, sittlich erhebend und ein mystisches Streben nach Vereinigung mit Christus.

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