IV

CLAUDIA


Es ist herrlich, achtzehn Jahre alt zu sein, sich den Kriegstribunenrang selbst verdient zu haben, zu wissen, das man überall gern gesehen ist, und sein Erstlingswerk einer sachverständigen Zuhörerschaft ohne Stottern vorlesen zu können. Mir war, als erlebte ganz Rom mit mir zusammen seinen schönsten Frühsommer. Ein frischerer Wind wehte in der Stadt, seit nach der allzu jungen Messalina die vornehme, edle Agrippina Kaiser Claudius’ Gemahlin geworden war.

Man versuchte nicht mehr, einander an Ausschweifungen zu überbieten. Die Sitten waren reiner geworden, denn Agrippina ließ sich die Listen des Ritterstandes und der Senatoren bringen und tilgte unbarmherzig die Namen all derer, die durch einen unsittlichen Lebenswandel von sich reden machten oder sonst irgendeine Schuld auf sich geladen hatten. Claudius, der immer noch das Amt des Zensors ausübte und unter seinen Pflichten seufzte, nahm die Vorschläge einer so guten, politisch erfahrenen Frau dankbar an.

Agrippina zuliebe versuchte sogar er selbst, sich ein wenig aufzuraffen. Seine Freigelassenen, an erster Stelle der Sekretär Narcissus und der Verwalter der Staatskasse, Pallas, waren wieder in Gnaden aufgenommen worden, und es hieß, der von seinem anstrengenden Amt erschöpfte Pallas müsse Nacht für Nacht mit der unermüdlichen, willensstarken Agrippina über den Staatshaushalt beraten.

Als ich selbst zum erstenmal wieder mit Agrippina zusammentraf, schien sie mir sanftmütiger und strahlender geworden zu sein. Sie nahm sich die Mühe, mich in die Knabenschule des Palatiums zu führen. Sie rief Vespasians achtjährigen Sohn Titus zu sich und strich ihrem Stiefsohn Britannicus zärtlich übers Haar. Britannicus wirkte für seine neun Jahre zu mürrisch und verschlossen, aber das war, nachdem er seine schöne Mutter auf so schmerzliche Weise verloren hatte, kaum verwunderlich. Eine Stiefmutter kann wohl selbst durch die hingebungsvollste Zärtlichkeit die wirkliche Mutter nicht ersetzen. Als wir wieder gingen, sagte Agrippina bedauernd, daß Britannicus zum großen Kummer seines Vaters an der Fallsucht leide und daher keine körperlichen Übungen vertrüge. Besonders bei Vollmond sei er sehr unruhig und müsse überwacht werden.

Dann aber führte mich Agrippina voll Eifer in einen sonnigen Teil des Palatiums, um ihren eigenen Sohn, den schönen, verwegenen Lucius Domitius, zu besuchen, und stellte mich auch dessen Lehrer vor. Es war der Philosoph Annaeus Seneca, den Agrippina gleich nach ihrem Machtantritt aus der Verbannung zurückgeholt und mit der Erziehung ihres Sohnes beauftragt hatte. Der Aufenthalt auf Korsika war Seneca gut bekommen, und er war sogar von seiner Schwindsucht geheilt worden, so bitter er sich auch in seinen Briefen über die Verbannung beklagt hatte. Seneca, ein beleibter Mann, der mich freundlich begrüßte, war etwa fünfundvierzig Jahre alt. An seinen weichen roten Stiefeln erkannte ich, daß er sogar zum Senator ernannt worden war.

Lucius Domitius überraschte mich, indem er auf mich zustürzte und mich auf beide Wangen küßte, als sähe er einen lang entbehrten Freund endlich wieder. Er hielt mich an der Hand, setzte sich neben mich, fragte mich nach meinen Erlebnissen in Britannien aus und wunderte sich darüber, daß die Ritterschaft meinen Tribunenrang so rasch bestätigt hatte.

Von so viel Gunst verwirrt, erdreistete ich mich, mein kleines Buch zu erwähnen und Seneca zu bitten, es zu prüfen, bevor ich es öffentlich vorlas, um vor allem die Sprache zu verbessern. Er erklärte sich freundlich dazu bereit, und ich suchte den Palast aus diesem Anlaß noch mehrere Male auf. Nach seiner aufrichtigen Meinung mangelte es meiner Darstellung an Schwung, aber er räumte ein, daß ein straffer, trockener Stil durchaus am Platze sei, da ich ja hauptsächlich die Landesnatur und Geschichte Britanniens sowie die Sitten und Gebräuche der britischen Stämme, ihren Aberglauben und ihre Kampfweise beschrieb. Lucius Domitius las mir laut aus meinem Werk vor, um mir zu zeigen, wie man es vortragen müsse. Er hatte eine ungewöhnlich schöne Stimme und vermochte sich so in das Gelesene einzuleben, daß er mich mitriß und ich beinahe den Eindruck gewann, mein Buch sei außerordentlich verdienstvoll und bemerkenswert. Ich sagte daher: »Wenn du es vorläsest, wäre mir der Erfolg gewiß.«

In der verfeinerten Atmosphäre des Palastes wurde mir erst so echt bewußt, wie überdrüssig ich des trostlosen Lagerlebens und der rohen Sitten der Legionäre geworden war. Entzückt und voll Bewunderung folgte ich den Belehrungen des Lucius Domitius, der mir die angenehmen Gebärden beibrachte, die einem Schriftsteller anstehen, der sein Werk vorliest. Auf seinen Rat ging ich öfter ins Theater, und zusammen spazierten wir durch die Gärten des Lucullus auf dem Pincius, die seine Mutter nach Messalina geerbt hatte. Lucius Domitius sprang und tollte umher wie ein Kind, war aber dennoch stets auf die Schönheit seiner Bewegungen bedacht. Hin und wieder blieb er plötzlich wie in tiefe Gedanken versunken stehen und sagte etwas so Kluges, daß ich mich fragte, ob ich wirklich mit einem Knaben sprach, der noch nicht einmal den Stimmbruch hatte. Man mußte einfach Gefallen an ihm finden, wenn er es darauf anlegte, zu gefallen, und es war, als empfände er nach seiner freudlosen Kindheit das Bedürfnis, jeden Menschen, mit dem er zusammentraf, und sogar die Sklaven für sich einzunehmen. Seneca hatte ihn übrigens gelehrt, daß auch die Sklaven Menschen seien. Dasselbe hatte mir mein Vater schon in Antiochia gesagt.

Es war, als hätte der Geist, der in diesen denkwürdigen Tagen im Palatium herrschte, ganz Rom ergriffen. Sogar Tullia empfing mich freundlich in ihrem prunkvollen Haus und hinderte mich nicht daran, meinen Vater zu besuchen, sooft ich wollte. Sie kleidete sich würdig und einfach, wie es sich für die Gattin eines römischen Senators mit den Rechten einer Mutter von drei Kindern ziemte, und trug nicht mehr so viel Schmuck wie früher.

Mein Vater überraschte mich angenehm. Er war nicht mehr so aufgedunsen, kurzatmig und mißmutig wie vor meiner Abreise nach Britannien. Tullia hatte ihm einen griechischen, in Alexandria ausgebildeten Arzt gekauft, den mein Vater selbstverständlich sofort freigelassen hatte. Dieser Arzt verordnete ihm Bäder und Massagen, verbot ihm den unmäßigen Weingenuß und hieß ihn jeden Tag eine Weile spielen, so daß mein Vater nun seinen breiten Purpurstreifen beinahe mit Würde trug. Er stand in dem Ruf, ebenso gütig wie reich zu sein, und daher fanden sich jeden Morgen zahlreiche Klienten und Bittsteller bei ihm ein. Er half vielen, weigerte sich aber, irgend jemanden für die Verleihung der Bürgerrechte zu empfehlen, wozu er als Senator berechtigt gewesen wäre.

Doch ich muß von Claudia berichten, die ich schuldbewußt und widerstrebend aufsuchte. Äußerlich hatte sie sich nicht im geringsten verändert, und dennoch war sie mir anfangs fremd. Sie lächelte mich strahlend an, dann aber kniff sie die Lippen zusammen, und ihre Augen wurden dunkel.

»Ich habe böse Träume gehabt«, sagte sie. »Und jetzt sehe ich, daß sie die Wahrheit sprachen. Du bist nicht mehr derselbe wie früher, Minutus.«

»Wie sollte ich noch derselbe sein, nachdem ich zwei Jahre in Britannien gelebt, ein Buch geschrieben, Barbaren erschlagen und mir den roten Helmbusch verdient habe!« entgegnete ich aufgebracht. »Du lebst hier auf dem Lande, fern von aller Welt, wie eine Ente auf ihrem Teich, aber du kannst nicht dasselbe von mir verlangen!«

Claudia sah mir in die Augen, hob die Hand, um meine Wange zu streicheln, und sagte: »Du weißt sehr gut, was ich meine, Minutus. Aber ich war dumm. Ich hätte dir nicht ein Versprechen abverlangen dürfen, das offenbar kein Mann halten kann.«

Es wäre gewiß das klügste gewesen, wenn ich ihre Worte zum Anlaß genommen hätte, gleich bei diesem ersten Wiedersehen mit ihr zu brechen. Es ist ja so leicht, sich zu erzürnen, wenn man sich im Unrecht weiß. Als ich aber ihre bittere Enttäuschung sah, riß ich sie in meine Arme, küßte und streichelte sie und wurde von dem unwiderstehlichen Drang ergriffen, wenigstens einem Menschen von Lugunda und meinen Erlebnissen in Britannien zu erzählen.

Wir setzten uns bei ihrer Quelle auf eine Steinbank unter einem alten Baum, und ich berichtete, so aufrichtig ich es vermochte, wie Lugunda in meine Hände geraten war, wie ich sie lesen gelehrt hatte und von welch großem Nutzen sie mir auf meinen Reisen unter den Briten gewesen war. Dann begann ich ein wenig zu stottern und mußte zu Boden blicken. Claudia ergriff mit beiden Händen meinen Arm, riß mich zu sich herum, sah mir in die Augen und bat mich, weiterzuerzählen. Ich gestand ihr also, was meine Selbstachtung mir zuzugeben gestattete, wagte aber trotz allem nicht, Claudia zu sagen, daß Lugunda mir einen Sohn geboren hatte. Dagegen prahlte ich mit meiner Mannheit und Lugundas Unberührtheit. Zu meiner Verwunderung kränkte es Claudia am meisten, daß Lugunda Hasenpriesterin war. »Ich bin es nun auch müde geworden, vom Vatikanischen Hügel aus den Vogelflug zu beobachten«, sagte sie. »Ich glaube nicht mehr an Vorzeichen. Roms Götter sind mir nur noch machtlose Statuen. Die bösen Mächte, die gibt es freilich, und es wundert mich nicht, daß du in deiner Unerfahrenheit in einem fremden Land behext werden konntest. Wenn du aber deinen Sündenfall aufrichtig bereust, kann ich dir einen neuen Weg zeigen. Der Mensch braucht mehr als Zauberei, Vorzeichen und Statuen aus Stein. Ich habe, während du fort warst, Dinge erfahren, von denen ich nie gedacht hätte, daß sie je einem Menschen offenbart werden könnten.«

Nichts Böses ahnend, bat ich sie eifrig, zu erzählen, aber das Herz sank mir, als ich erkannte, daß ihre Tante Paulina sie dazu mißbrauchte, die Verbindung mit ihren Freunden aufrechtzuerhalten, und sie damit noch tiefer als mich in die schändliche Geheimnistuerei der Christen hineingezogen hatte.

»Sie haben die Macht, Kranke zu heilen und die Sünden zu vergeben«, sagte Claudia verzückt. »Ein Sklave oder der ärmste Handwerker ist bei ihren heiligen Mählern den Reichsten und Vornehmsten gleich. Wir begrüßen uns mit einem Kuß zum Zeichen der Liebe, die uns verbindet. Wenn der Geist über die Versammlung kommt, wird sie von einem heiligen Beben ergriffen, ungebildete Menschen beginnen in fremden Zungen zu reden, und die Gesichter der Heiligen leuchten in der Dunkelheit.«

Ich sah sie mit dem gleichen Entsetzen an, mit dem man einen Schwerkranken betrachtet, aber Claudia nahm meine Hände und bat: »Verurteile sie nicht, bevor du sie nicht kennengelernt hast. Gestern war der Tag des Saturn und der Sabbat der Juden. Heute haben die Christen ihren Feiertag, denn am Tage nach dem Sabbat ist ihr König von den Toten auferstanden. Jeden Tag aber kann sich der Himmel auftun, und er kehrt zur Erde zurück und gründet sein tausendjähriges Reich, in dem die Letzten die Ersten sein werden und die Ersten die Letzten.«

Claudia war schön wie eine Seherin, als sie so sprach, und ich glaube, daß in diesem Augenblick wirklich eine unwiderstehliche Macht durch ihren Mund zu mir redete, meinen Willen lähmte und meinen Verstand verdunkelte, denn als sie sagte: »Komm, gehen wir sogleich zu ihnen«, da stand ich auf und folgte ihr willenlos. Da sie meinte, ich hätte Angst, versicherte sie mir, ich brauchte nichts zu tun, was ich nicht selbst wolle. Ich brauchte nur zu sehen und zu lauschen. Vor mir selbst redete ich mich damit heraus, daß ich alle Ursache hätte, diese neuen Sitten in Rom kennenzulernen, nachdem ich doch auch versucht hatte, mich in den Glauben der Druiden in Britannien einzuleben.

Als wir den jüdischen Stadtteil Transtiberina erreichten, herrschten dort Lärm und Unruhe. Schreiende Frauen kamen uns entgegengelaufen, und an den Straßenecken schlugen die Menschen mit Fäusten, Steinen und Knüppeln aufeinander ein. Sogar würdige grauhaarige Juden mit Quasten auf ihren Mänteln beteiligten sich an der Prügelei, und die Männer des Stadtpräfekten waren offenbar machtlos. Gelang es ihnen wirklich, eine der kämpfenden Gruppen mit ihren Stöcken auseinanderzutreiben, so wurde die Schlägerei eine Gasse weiter fortgesetzt.

»Was, bei allen Göttern Roms, geht hier vor?« fragte ich einen der atemlosen Ordnungswächter, der sich die blutende Stirn wischte.

»Es gibt da einen entflohenen Sklaven namens Christus, der die Juden gegeneinander aufhetzt«, erklärte er. »Wie du siehst, kommt das Gesindel aus anderen Stadtteilen über alle Brücken herüber und rottet sich hier zusammen. Du gehst mit deinem Mädchen am besten einen anderen Weg. Gleich werden die Prätorianer da sein, und dann gibt es blutige Köpfe.«

Claudia sah sich eifrig um, stieß einen freudigen Ruf aus und sagte: »Gestern jagten die Juden alle, die Christus anerkennen, aus ihren Synagogen und schlugen sie. Jetzt zahlen es ihnen die Christen zurück, und sie werden sogar von Christen unterstützt, die keine Juden sind.«

Durch die engen Gassen zogen wirklich ganze Scharen kräftiger Sklaven, Schmiede und Schauerleute vom Tiberstrand, die die verschlossenen Läden der Geschäfte aufbrachen und in die Häuser eindrangen, aus denen man ein klägliches Gejammer hörte. Aber die Juden sind furchtlose Streiter, wenn sie für ihren unsichtbaren Gott kämpfen. Sie versammelten sich vor den Synagogen und wehrten alle Angriffe ab. Eigentliche Waffen sah ich bei ihnen keine, denn es war ihnen, ebenso wie dem anderen Pöbel, der aus allen Himmelsrichtungen, meist aber aus dem Osten, nach Rom strömt, verboten, Waffen zu besitzen.

Da und dort tauchten ältere Männer auf und riefen mit erhobenen Armen: »Friede, Friede um Jesu Christi willen!« Einige senkten wirklich ihre Knüppel oder ließen ihre Steine fallen, schlichen aber dann nur in die nächste Gasse, um sich dort erneut ins Gewühl zu stürzen. Die würdevollen älteren Juden ergrimmten über diese Rufe so sehr, daß sie sich mitten vor der schönen Synagoge Julius Caesars die Barte zu raufen und die Kleider zu zerreißen begannen und die Friedensmittler laut der Ketzerei bezichtigten.

Ich hatte alle Mühe, Claudia zu beschützen und sie davon abzuhalten, sich an der Schlägerei zu beteiligen, denn sie wollte unbedingt das Haus betreten, in dem ihre Freunde an diesem Abend ihre Mysterien feiern sollten. Vor dem Haus stand aber ein aufgehetzter Haufe glaubenseifriger Juden, und diese schlugen alle nieder, die sich dem Haus näherten, und schleppten andere, die sich darin versteckt hatten, auf die Gasse heraus. Sie zerrissen die Bündel dieser armen Menschen, stülpten ihre Eßkörbe um und trampelten die Speisen in den Kot und schlugen sie schonungsloser, als sie Schweine geschlagen hätten. Wer zu fliehen versuchte, wurde zu Boden gerissen und ins Gesicht getreten.

Ich weiß nicht mehr, wie es zu dem Folgenden kam. Ergriff mich plötzlich der dem Römer eingeborene Drang, die Ordnung aufrechtzuerhalten, oder wollte ich die Schwächeren gegen die Roheit der Angreifer schützen, oder hetzte Claudia mich auf? Jedenfalls wurde ich auf einmal gewahr, daß ich einen hochaufgewachsenen Juden bei seinem Bart packte und ihm mit einem Ringergriff den Stock aus der Hand wand, da er mit heiligem Eifer auf ein Mädchen eindrosch, das er zu Boden geworfen hatte, und eh ich wußte, wie mir geschah, befand ich mich mitten im dichtesten Handgemenge – offenbar auf der Seite der Christen, denn Claudia feuerte mich, vor Eifer glühend, im Namen ihres Jesus von Nazareth an, alle Juden, die ihn nicht als den Gesalbten anerkannten, grün und blau zu schlagen.

Ich kam erst wieder zur Besinnung, als Claudia mich ins Haus zog, und ließ rasch einen blutigen Knüppel fallen, den ich irgendwo aufgelesen hatte. Entsetzt machte ich mir klar, was mir bevorstand, wenn man mich festnahm und der Einmischung in die Glaubenszwistigkeiten der Juden anklagte. Ich hatte nicht nur meinen Kriegstribunenrang zu verlieren, sondern auch die schmale rote Borte auf meiner Tunika. Claudia führte mich in ein großes trockenes Kellergewölbe, in dem eine ganze Anzahl Judenchristen laut schreiend darüber stritt, wer die Schlägerei angestiftet hatte, während weinende Frauen damit beschäftigt waren, Wunden zu verbinden und Salben auf Beulen zu streichen. Vom Gästeraum über uns kamen einige Greise herunter, die vor Angst schlotterten, und Männer, die, der Kleidung nach zu urteilen, keine Juden waren. Sie schienen ebenso verwirrt wie ich zu sein und fragten sich vermutlich, wie sie sich aus dieser Klemme ziehen könnten.

Mit ihnen kam ein Mann, in dem ich erst, als er sich das Blut und den Schmutz aus dem Gesicht gewaschen hatte, den Zeltmacher Aquila erkannte. Er war übel zugerichtet, denn die Juden hatten ihm das Nasenbein zerschlagen und ihn dann in eine Kloake gerollt. Trotzdem ergriff er erregt das Wort und rief: »O ihr Verräter, die ich nicht einmal mehr meine Brüder zu nennen wage. Dient euch die Freiheit in Christus nur dazu, eure Schlechtigkeit zu bemänteln! Wo ist euer Duldermut! Ist uns nicht aufgetragen worden, uns der Ordnung und dem Gesetz der Menschen zu unterwerfen und den Spöttern mit guten Taten den Mund zu verschließen!«

Einige wandten heftig ein: »Es geht jetzt nicht darum, ohne Tadel unter den Heiden zu leben, damit sie lernen, Gott zu preisen, wenn sie unsere guten Taten sehen. Nein, es geht nun um die Juden, die uns schlagen und unseren Herrn Christus verhöhnen. Um seinetwillen und ihm zu Ehren haben wir dem Bösen Widerstand geleistet, nicht um unser eigenes erbärmliches Leben zu verteidigen.«

Ich drängte mich an ihnen vorbei, ergriff Aquila am Arm und flüsterte ihm zu, daß ich diesen Ort so rasch wie möglich verlassen müßte. Als er mich wiedererkannte, verklärte sich sein Gesicht vor Freude. Er segnete mich und rief: »Minutus, Sohn des Marcus Manilianus, hast auch du den einzigen Weg gewählt!«

Er umarmte mich, küßte mich auf den Mund, geriet in Verzückung und begann zu predigen: »Christus hat auch für dich gelitten. Warum nimmst du ihn nicht zum Vorbild und wandelst auf seinen Spuren? Er schmähte nicht, die ihn schmähten, und er drohte niemandem, da er litt. Vergilt auch du nicht Böses mit Bösem. Wenn du um Christi willen leiden darfst, so preise Gott dafür!«

Ich erinnere mich nicht mehr, was er noch alles daherfaselte, denn er kümmerte sich nicht um meine Einwände, sondern redete und redete, aber seine Verzückung riß die anderen mit. Nach und nach begannen sie alle um Vergebung ihrer Sünden zu beten, wenngleich einige noch zwischen den Zähnen murmelten, daß das Reich gewiß nicht kommen werde, solange die Juden die Untertanen Christi ungestraft beleidigen, unterdrücken und mißhandeln durften.

Währenddessen wurden draußen zahllose Verhaftungen vorgenommen, ohne daß man darauf sah, ob es sich um rechtgläubige Juden, Christen oder anderes Pack handelte. Da die Prätorianer alle Brücken bewachten, flohen viele in Booten. Andere machten die Lastkähne am Kai los, so daß sie mit der Strömung davontrieben. Da alle Ordnungstruppen ins Judenviertel geschickt worden waren, war die Stadt selbst ohne Schutz. Der Pöbel rottete sich in den Gassen zusammen und schrie als Losungswort den Namen Christus, den er jenseits des Tibers aufgeschnappt hatte. Er plünderte Läden und legte Feuer an einige Häuser, so daß der Stadtpräfekt, kaum daß im Judenviertel die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt war, seine Leute eilends in die eigentliche Stadt zurückziehen mußte. Das war meine Rettung, denn er hatte schon Befehl gegeben, das Judenviertel Haus für Haus zu durchsuchen, um den Aufwiegler Christus zu fassen.

Es wurde Abend. Ich saß, den Kopf in die Hände gestützt, verzweifelt auf dem Boden des Kellers und wurde immer hungriger. Die Christen sammelten, was ihnen an Speisen geblieben war, und begannen es unter sich zu verteilen, so daß keiner leer ausging. Sie hatten Brot und Öl, Zwiebeln, gedünstete Erbsen und sogar Wein. Aquila segnete nach der Art der Christen das Brot und den Wein als den Leib und das Blut des Jesus von Nazareth. Ich nahm, was man mir anbot, und teilte eines der Brote der Armen mit Claudia. Auch ein kleines Stück Käse und einen Bissen Dörrfleisch bekam ich. Den Wein trank ich aus demselben Becher wie alle anderen, als die Reihe an mich kam. Als sich alle satt gegessen hatten, küßten sie einander zärtlich. Claudia küßte mich und rief: »O Minutus, wie bin ich froh, daß auch du sein Fleisch gegessen und sein Blut getrunken hast, um der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Fühlst du nicht den Geist in deinem Innern brennen, als hättest du die zerlumpten Hüllen deines früheren Lebens von dir geworfen und dich in ein neues Gewand gekleidet!«

Ich entgegnete bitter, das einzige, was in mir brenne, sei der billige saure Wein. Dann erst verstand ich ganz, was sie meinte, und erkannte, daß ich am geheimen Mahl der Christen teilgenommen hatte. Ich erschrak so heftig, daß ich mich am liebsten erbrochen hätte, obwohl ich genau wußte, daß ich nicht wirklich Blut aus dem Becher getrunken hatte.

»Dummes Geschwätz!« sagte ich erbost. »Brot ist Brot, und Wein ist Wein. Wenn ihr nichts anderes und nichts Schlimmeres treibt als dies, dann verstehe ich nicht, warum über eueren Aberglauben soviel unsinnige Geschichten verbreitet werden, und noch unbegreiflicher ist mir, daß man sich dergleichen harmloser Dinge wegen die Schädel einschlägt.«

Ich war zu müde, um lang mit ihr zu streiten, und sie war auch noch viel zu erregt, aber zuletzt brachte sie mich doch dazu, daß ich mich bereit erklärte, mich mit der Lehre der Christen näher bekannt zu machen, vorausgesetzt, daß an ihr überhaupt etwas Vernünftiges war. Ich konnte an sich nichts Böses darin sehen, daß sie sich gegen die Juden zur Wehr setzten, aber ich war der Überzeugung, daß sie bestraft werden mußten, wenn die Unruhen nicht aufhörten, gleich, ob die Schuld bei ihnen oder den rechtgläubigen Juden lag.

Aquila erklärte mir, daß es schon früher zu Streitigkeiten und Schlägereien gekommen war, wenn auch nicht in dem Ausmaße wie jetzt. Er versicherte, daß die Christen ohnehin versuchten, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen und böse Worte mit guten zu vergelten, daß aber andrerseits die Judenchristen das Recht hätten, in die Synagogen zu gehen, um der Lesung der Schriften zu lauschen. Viele von ihnen hätten sogar selbst zum Bau der neuen Synagogen, beigesteuert.

Ich begleitete Claudia in der warmen Sommernacht aus der Stadt hinaus und am Vatikanischen Hügel vorbei zu ihrer Hütte. Auf der anderen Seite des Flusses sahen wir Brände lodern und hörten das Geschrei der Menge. Unzählige Wagen und Karren, die Gemüse und Früchte zum Markt brachten, warteten dicht gedrängt auf der Straße. Die Landleute fragten einander besorgt, was in der Stadt geschehen sei, und plötzlich ging das Gerücht von Mann zu Mann, ein gewisser Christus habe die Juden zum Morden und Brennen angestiftet. Kein einziger hatte über die Juden ein gutes Wort zu sagen.

Als wir weitergingen, begann ich zu hinken, mein Kopf schmerzte, und ich wunderte mich darüber, daß ich die Hiebe, die ich bei der Schlägerei abbekommen hatte, erst jetzt spürte. Als wir endlich Claudias Hütte erreichten, war mir so elend zumute, daß sie mich nicht gehen ließ, sondern mich bat, über Nacht bei ihr zu bleiben. Trotz meinen Einwänden bettete sie mich beim Schein einer Öllampe auf ihr eigenes Lager, wirtschaftete dann aber geräuschvoll in ihrer Hütte herum und seufzte so tief, daß ich sie schließlich fragte, was ihr fehle.

»Ich bin weder rein noch ohne Sünde«, gestand sie mir. »Wie Feuer brennt in meinem Herzen jedes Wort, das du mir über dieses schamlose Britenmädchen berichtet hast, an dessen Namen ich mich nicht einmal erinnern mag.«

Ich bat sie aufrichtig: »Versuche mir zu verzeihen, daß ich mein Versprechen nicht zu halten vermochte.«

»Was kümmert mich noch dein Versprechen«, klagte Claudia. »Ich verfluche mich selbst. Ich bin Fleisch von meiner Mutter Fleisch, und der liederliche Claudius ist mein Vater. Ich kann nicht dafür, daß eine gefährliche Unruhe in mir glüht, wenn ich dich so in meinem Bett liegen sehe.«

Sie hatte jedoch eiskalte Hände, als sie die meinen ergriff, und kalt waren auch ihre Lippen, als sie sich zu mir niederbeugte, um mich zu küssen.

»Ach Minutus«, flüsterte sie. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, dir zu gestehen, daß mein Vetter Gajus mich geschändet hat, als ich noch ein Kind war. Er tat es zum Spaß, nachdem er der Reihe nach bei allen seinen Schwestern gelegen war, und ich habe seither die Männer gehaßt. Nur dich konnte ich nicht hassen, denn du wolltest mich zur Freundin haben, ohne zu wissen, wer ich bin.«

Was soll ich noch viel erklären? Um sie zu trösten, zog ich sie zu mir ins Bett. Sie zitterte vor Kälte und vor Scham. Ich will mich nicht damit herausreden, daß sie fünf Jahre älter als ich war, sondern gebe gern zu, daß mir immer heißer wurde, bis sie mich lachend und weinend umarmte, und ich wußte, daß ich sie liebte.

Als wir am Morgen erwachten, waren wir so glücklich, daß wir nur noch an uns beide denken mochten, und Claudia, die vor Freude und Glück strahlte, war in meinen Augen trotz ihren groben Gesichtszügen und dichten Brauen schön. Lugunda verblaßte zu einem Schatten. Claudia war eine reife Frau, Lugunda dagegen ein kindlich, launisches Mädchen.

Wir tauschten kein Versprechen aus und wollten nicht an die Zukunft denken. Wenn mich wirklich ein dunkles Schuldbewußtsein drückte, so sagte ich mir, daß Claudia wissen mußte, was sie tat. Zumindest hatte sie nun an etwas anderes zu denken als an die abergläubischen Mysterien der Christen, und das war gut so.

Als ich nach Hause kam, sagte Tante Laelia giftig, sie habe sich meinetwegen große Sorgen gemacht, da ich die ganze Nacht bis in den Vormittag hinein ausgeblieben sei, ohne ihr vorher ein Wort zu sagen. Sie musterte mich mit ihren rotgeränderten Augen und sagte vorwurfsvoll: »Dein Gesicht leuchtet, als hättest du ein schändliches Geheimnis. Du hast dich doch nicht am Ende in ein syrisches Bordell verirrt?« Sie schnupperte mißtrauisch an meinen Kleidern. »Nein, nach Bordell riechst du nicht, aber irgendwo mußt du ja die Nacht verbracht haben. Laß dich nur nicht auf irgendeine unwürdige Liebschaft ein. Das würde dir und anderen nur Verdruß bringen.«

Am Nachmittag besuchte mich mein Freund Lucius Pollio, dessen Vater in diesem Jahr Konsul war, und erzählte mir aufgeregt: »Die Juden werden im Schutze ihrer Privilegien immer frecher. Der Präfekt hat den ganzen Vormittag die Festgenommenen verhören lassen und eindeutige Beweise dafür erhalten, daß ein Jude namens Christus die Sklaven und den Pöbel aufwiegelt. Er ist jedoch nicht, wie seinerzeit Spartacus, ein ehemaliger Gladiator, sondern ein Staatsverbrecher, der in Jerusalem zum Tode verurteilt wurde, dann aber auf irgendeine merkwürdige Weise die Kreuzigung lebend überstand. Der Präfekt läßt ihn suchen und hat einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, aber ich fürchte, der Kerl hat sich aus der Stadt geschlichen, nachdem der Aufruhr mißglückt war.«

Ich hatte gute Lust, dem Bücherwurm Lucius Pollio zu erklären, daß die Juden mit Christus den Messias meinten, an den sie glaubten, aber ich durfte mir nicht anmerken lassen, daß ich von dieser neuen, aufrührerischen Lehre allzuviel wußte. Wir gingen zusammen noch einmal mein Buch durch, da ich eine möglichst reine Sprache anstrebte. Lucius Pollio versprach, mir einen Verleger zu finden, wenn das Buch die Feuerprobe der öffentlichen Vorlesung bestand. Seiner Meinung nach konnte es einen recht guten Absatz finden. Claudius gedachte gern seiner eigenen erfolgreichen Kriegszüge in Britannien. Man konnte sich bei ihm einschmeicheln, indem man Interesse für Britannien bekundete, und dazu war mein Buch, Lucius Pollio zufolge, gut geeignet. Die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Eigentumsrechts an den Synagogen, die der erste Anlaß zu den Judenunruhen gewesen waren, versuchte der Stadtpräfekt durch die Bestimmung zu schlichten, daß alle jene die Synagogen benützen durften, die zu ihrer Errichtung beigetragen hatten. Sowohl die strenggläubigen, engstirnigen Juden wie auch die freisinnigeren hatten ja ihre eigenen Synagogen. Sobald aber die Juden, die Christus anerkannten, eine Synagoge für sich in Anspruch nahmen, holten die strenggläubigen Juden die kostbaren Schriftrollen aus ihrem heiligen Schrein und steckten die Synagoge in Brand, um sie nur ja nicht den verhaßten Christen überlassen zu müssen. Daraus entstanden neue Unruhen, und zuletzt begingen die rechtgläubigen Juden in ihrer Unverschämtheit einen schweren politischen Fehler, indem sie sich an den Kaiser selbst wandten.

Claudius war bereits über die Schlägereien aufgebracht, die sein neues Eheglück störten. Er geriet außer sich, als der jüdische Rat ihn daran zu erinnern wagte, daß er ohne die Unterstützung der Juden niemals Kaiser geworden wäre. Es verhielt sich nämlich tatsächlich so, daß Claudius’ Zechkumpan Herodes Agrippa von den reichen Juden Roms das Geld geborgt hatte, das Claudius brauchte, um nach der Ermordung Gajus Caligulas die Prätorianer zu bestechen. Claudius mußte für dieses Geld Wucherzinsen zahlen und mochte an diese Sache, die seine Eitelkeit kränkte, nicht erinnert werden.

Sein Säuferschädel begann vor Wut zu zittern, und noch ärger stotternd als sonst, befahl er den Juden, ihm aus den Augen zu verschwinden, ja er drohte ihnen, er werde sie allesamt aus Rom verbannen, wenn er noch einmal von Streit und Schlägerei zu hören bekäme.

Die Judenchristen und das Gesindel, das sich ihnen anschloß, hatten sogar ihre Führer. Zu meinem Entsetzen stieß ich bei meinem Vater in Tullias Haus auf den eifrig disputierenden, schiefnasigen Aquila, seine Frau Prisca und einige andere offenbar durchaus achtbare Bürger, deren einziger Fehler darin bestand, daß sie sich zu der Mysterienlehre der Christen hingezogen fühlten. Ich war gekommen, um mit meinem Vater unter vier Augen über Claudia zu sprechen. Ich besuchte sie nun zweimal in der Woche und blieb über Nacht bei ihr, und ich fühlte mich verpflichtet, irgend etwas in unserer Sache zu unternehmen, obgleich sie selbst keine Forderungen an mich gestellt hatte.

Als ich überraschend bei meinem Vater eintrat und die Versammlung störte, sagte dieser: »Bleib, Minutus«, und fuhr zu den anderen gewandt fort: »Ich kenne den König der Juden und weiß einiges über ihn, denn ich wanderte nach seiner Kreuzigung in Galiläa umher und konnte mich sogar selbst vergewissern, daß er aus seinem Grabe auferstanden war. Seine Jünger wiesen mich zwar ab, aber ich kann bezeugen, daß er niemals das Volk aufgewiegelt hat, wie es nun hier in Rom geschieht.«

All das hatte ich schon früher gehört, und ich wunderte mich darüber, daß mein Vater, der sonst so vernünftig war, nun in der Weisheit des Alters noch immer die gleiche alte Geschichte wiederkäute. Der schiefnasige Aquila verteidigte sich: »Wir mögen tun, was wir wollen: immer nimmt man Anstoß. Man haßt uns mehr als die Götzenanbeter. Nicht einmal unter uns selbst vermögen wir Liebe und Demut zu bewahren, sondern ein jeder will es besser wissen als die anderen, und am eifrigsten wollen jene die anderen belehren, die eben erst auf den Weg gefunden und Christus anerkannt haben.«

Und Prisca fügte hinzu: »Es wird jedenfalls behauptet, daß er selbst einen Feuerbrand über die ganze Erde schleuderte, den Mann von seinem Weibe trennte und die Kinder sich gegen ihre Eltern erheben hieß, und gerade das geschieht eben jetzt in Rom, obwohl wir nur das Beste wollen. Wie freilich Liebe und Demut zu Streit, Uneinigkeit, Haß, Groll und Neid führen können, das begreife ich nicht.«

Als ich dies alles gehört hatte, ergriff mich ein gerechter Zorn, und ich rief: »Was wollt ihr von meinem Vater? Was setzt ihr ihm so zu, daß er mit euch streiten muß? Mein Vater ist ein guter, sanftmütiger Mann. Ich dulde nicht, daß ihr ihn in eure unsinnigen Zwistigkeiten mit hineinzieht!«

Mein Vater richtete sich auf und bat mich zu schweigen. Dann blickte er lange in die Vergangenheit und sagte zuletzt: »Im allgemeinen schafft ein Gespräch Klarheit, aber dieses unbegreifliche Ding wird um so verworrener, je länger man darüber spricht. Da ihr mich aber um Rat gefragt habt, sage ich euch: bittet um Aufschub. Zu Kaiser Gajus’ Zeiten hatten die Juden in Antiochia großen Nutzen von diesem Rat.«

Sie starrten meinen Vater an und verstanden ihn nicht. Er lächelte gedankenverloren. »Trennt euch von den Juden, verlaßt die Synagogen, zahlt die Tempelsteuer nicht mehr. Baut euch eigene Versammlungshäuser, wenn ihr wollt. Es gibt Reiche unter euch, und vielleicht könnt ihr auch große Zuwendungen von solchen Männern und Frauen erhalten, die glauben, sich ein ruhiges Gewissen dadurch zu erkaufen, daß sie diese und jene Götter unterstützen. Fordert die Juden nicht heraus. Schweigt, wenn man euch verhöhnt. Bleibt auf eurer Seite, so wie ich auf meiner Seite bleibe, und versucht niemanden zu kränken.«

Da riefen sie wie aus einem Munde: »Das sind harte Worte. Wir müssen für unseren König Zeugnis ablegen und das Kommen seines Reiches verkünden, wenn wir seiner würdig sein wollen.«

Mein Vater hob abwehrend beide Hände, seufzte tief und sagte: »Sein Reich läßt auf sich warten, aber ohne Zweifel seid ihr es, die an seinem Geiste teilhaben, und nicht ich. Tut also, wie ihr meint. Wenn die Sache vor den Senat kommt, werde ich versuchen, ein Wort für euch einzulegen. Darum seid ihr ja zu mir gekommen. Wenn es euch aber nichts ausmacht, will ich von dem Reich lieber nicht sprechen, denn das könnte böses Mißtrauen gegen euch erwecken.«

Damit gaben sie sich zufrieden und gingen gerade zur rechten Zeit, denn Tullia kam eben von ihren Besuchen zurück. Sie begegnete ihnen noch unter den Säulen und rief unwillig, als sie eintrat: »Wie oft, Marcus, habe ich dich schon davor gewarnt, diese zweifelhaften Juden bei dir zu empfangen. Ich habe nichts dagegen, daß du zu Philosophen gehst, und wenn es dich freut, magst du meinetwegen auch den Armen helfen, deinen Arzt zu bedürftigen Kranken schicken und elternlosen Mädchen eine Mitgift schenken. Mit irgend etwas muß der Mensch ja seine Zeit hinbringen. Aber, bei allen Göttern, halte dich von diesen Juden fern, wenn dir dein eigenes Wohlergehen lieb ist!«

Nachdem sie auf diese Weise ihrem Ärger Luft gemacht hatte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich, tadelte mein schlechtes Schuhwerk, die ungeschickt gelegten Falten in meinem Mantel und mein plump geschnittenes Haar und sagte böse: »Du bist hier nicht mehr unter rohen Kriegern. Du mußt deinem Vater zuliebe besser auf dein Äußeres achten. Ich werde dir einen Barbier und einen Kleiderpfleger schenken müssen, denn Tante Laelia ist zu altmodisch und zu kurzsichtig, um sich ordentlich um dich kümmern zu können.«

Ich antwortete verdrossen, ich hätte schon einen Barbier, denn ich wollte nicht, daß einer von Tullias Sklaven jeden meiner Schritte überwachte. Es stimmte auch, daß ich an meinem Geburtstag einen Barbiersklaven gekauft und gleich freigelassen hatte, obwohl es eigentlich schade um ihn war, und daß ich ihm in Suburra eine eigene Barbierstube eingerichtet hatte. Er taugte schon recht gut dazu, Frauenperücken zu verkaufen und die üblichen Kuppelgeschäfte zu besorgen. Nun erklärte ich Tullia, es würde Tante Laelia zutiefst kränken, wenn ein fremder Sklave ins Haus käme, um für meine Kleidung zu sorgen. »Außerdem hat man mit Sklaven mehr Ärger als Freude«, sagte ich zuletzt.

Tullia meinte darauf, es käme nur auf die rechte Zucht und Ordnung an, und dann fragte sie mich: »Was willst du eigentlich mit deinem Leben anfangen, Minutus? Ich habe mir sagen lassen, du treibst dich ganze Nächte in den Bordellen herum und schwänzt die Leseübungen bei deinem Rhetor. Wenn du wirklich im Winter dein Buch vorlesen willst, mußt du deinem zügellosen Körper Zwang antun und hart arbeiten. Außerdem ist es höchste Zeit, daß du eine standesgemäße Ehe schließt.«

Ich erwiderte, daß ich meine Jugend noch eine Weile zu genießen gedächte und daß ich immerhin noch nicht ein einziges Mal wegen Trunkenheit oder irgendwelcher dummen Streiche, wie sie bei den jungen Rittern an der Tagesordnung waren, mit den Behörden in Konflikt geraten sei. »Ich sehe mich um«, sagte ich. »Ich beteilige mich an den Reitübungen, ich höre mir Prozesse an, wenn ein wirklich interessanter Fall verhandelt wird. Ich lese Bücher, und Seneca selbst, der Philosoph, hat mir große Freundlichkeit erwiesen. Ich denke freilich daran, mich früher oder später um eine Quästur zu bewerben, aber noch bin ich zu jung und unerfahren, obwohl ich eine Sondergenehmigung erhalten könnte.«

Tullia betrachtete mich mitleidig. »Du mußt begreifen, daß es für deine Zukunft das Wichtigste ist, mit den richtigen Leuten bekannt zu werden«, sagte sie. »Ich habe dir Einladungen in vornehme Häuser verschafft, aber man hat sich darüber beklagt, daß du mürrisch und maulfaul bist und Freundschaft nicht mit Freundschaft vergelten magst.«

Dafür hatte ich meine guten Gründe. »Liebe Stiefmutter«, sagte ich daher, »ich weiß dein kluges Urteil zu schätzen, aber alles, was ich in Rom gehört und gesehen habe, warnt mich davor, gute Beziehungen zu Leuten anzuknüpfen, die im Augenblick gerade die richtigen zu sein scheinen. Einige hundert Ritter, von den Senatoren ganz zu schweigen, wurden hingerichtet oder begingen Selbstmord, nur weil sie einmal die richtigen waren oder die richtigen allzugut kannten.«

»Dank Agrippina ist das jetzt alles anders geworden«, wandte Tullia mit verdächtigem Eifer ein, aber meine Worte machten sie doch nachdenklich, und nach einer kleinen Weile meinte sie: »Das Klügste, was du tun könntest, wäre, dich den Wagenrennen zu widmen und dich einer der Farbparteien anzuschließen. Das ist eine ganz unpolitische Beschäftigung, die doch zu wertvollen Freundschaftsverbindungen führt. Ein Pferdenarr bist du ja.«

»Man kann auch von Pferden genug bekommen«, erwiderte ich.

»Sie sind jedenfalls weniger gefährlich als Frauen«, sagte Tullia giftig. Mein Vater sah sie nachdenklich an und gab zu, daß sie dieses eine Mal recht hatte. Um sich zu rächen, sagte sie: »Es würde unnötiges Aufsehen erregen, wenn du dir gleich ein eigenes Gespann zulegtest, obwohl dir dein Vater dabei behilflich sein könnte. Sobald der neue Hafen in Ostia fertig ist, wird der Getreideanbau in Italien zum reinen Verlustgeschäft. Es ist zwar nur eine Frage der Zeit, bis aus den Äckern wieder Weiden geworden sind, aber du taugst wohl kaum zum Pferdezüchter. Begnüge dich damit, bei den Wagenrennen Wetten abzuschließen.«

Meine Tage waren aber auch ohne den Zirkus angefüllt. Ich hatte ja mein eigenes Haus auf dem Aventin, ich mußte mich um den bärbeißigen alten Barbus kümmern und Tante Laelia besänftigen, und dazu kam ein Prozeß, den die Nachbarn meinem gallischen Freigelassenen anhängten, weil seine Seifensiederei nicht eben angenehm duftete. Ich verteidigte ihn vor Gericht, und es war keine große Kunst vonnöten, einen Freispruch zu erwirken, da ich darauf hinweisen konnte, daß die Werkstätten der Gerber und Färber, in die man die Urinfässer von den Straßenecken brachte, einen noch abscheulicheren Gestank verbreiteten. Schwieriger war es, die Behauptung zu widerlegen, der Gebrauch von Seife anstelle von Bimsstein verweichliche den Körper und widerspreche dem Geist der Väter. Der Anwalt der Nachbarn meines Galliers versuchte sogar zu erreichen, daß die Seifenherstellung in Rom grundsätzlich verboten werde, indem er sich auf unsere Väter und Vorväter zurück bis Romulus berief, die sich alle damit begnügt hatten, sich mit dem gesunden, abhärtenden Bimsstein zu reinigen. In der Verteidigungsrede für meinen Freigelassenen rühmte ich Rom als Reich und Weltmacht. »Romulus verbrannte auch keinen Weihrauch aus dem Osten vor seinen Götterbildern!« rief ich stolz. »Unsere Vorväter ließen sich auch keinen Störrogen vom jenseitigen Ufer des Schwarzen Meeres kommen und keine seltenen Vögel aus den Steppen, keine Flamingozungen und keine indischen Fische. Rom ist ein Schmelztiegel vieler Völker und Sitten. Es wählt sich von allem das Beste aus und veredelt fremde Sitten, indem es sie zu seinen eigenen macht.«

Der Gebrauch der Seife wurde in Rom nicht verboten, und mein Freigelassener verbesserte seine Ware dadurch, daß er seihen Seifen wohlriechende Essenzen beimengte und ihnen schöne Namen gab. An der echt ägyptischen Kleopatraseife, die in einer Seitengasse in Suburra hergestellt wurde, verdienten wir ein kleines Vermögen. Ich muß allerdings gestehen, daß die besten Kunden außer den Römerinnen Griechen und Fremde aus den Ländern des Ostens waren, die in Rom wohnten. In den öffentlichen Bädern galt der Gebrauch von Seife nach wie vor als unsittlich.

Ich war vollauf beschäftigt, und doch geschah es mir des Abends, bevor ich einschlief, oft, daß ich von einer unbestimmten Ruhelosigkeit ergriffen wurde und mich fragte, wozu ich auf der Welt sei. Bald freute ich mich über meine kleinen Erfolge, bald war ich niedergeschlagen, weil ich mir allzu unbedeutend vorkam. Der Zufall und Fortuna herrschten über die Gegenwart, und am Ende sah ich den Tod, das traurige Los aller Menschen. Zwar lebte ich unbeschwert und hatte Glück in allem, was ich unternahm, aber immer, wenn ich etwas erreicht hatte, wurde meine Freude rasch schal, und ich war mit mir selbst unzufrieden.

Als es auf den Winter zuging, kam endlich der Tag, auf den ich mich so eifrig vorbereitet hatte. Ich durfte mein Buch im Vorlesungssaal der kaiserlichen Bibliothek auf dem Palatin vortragen. Durch meinen Freund Lucius Domitius ließ mich Kaiser Claudius wissen, daß er selbst am Nachmittag anwesend sein werde. Das hatte zur Folge, daß alle, die nach der Gunst des Kaisers strebten, um die Plätze im Saal kämpften.

Unter den Zuhörern befanden sich Offiziere, die in Britannien gedient hatten, Mitglieder des Senatsausschusses für britische Fragen und sogar der Feldherr und Triumphator Aulus Plautius. Viele, die die Lesung hören wollten, mußten vor den Türen bleiben und beklagten sich später bei Claudius, weil sie ungeachtet ihres, wie sie behaupteten, ungeheuren Interesses für das Thema keinen Platz bekommen hatten.

Ich begann mit der Vorlesung am frühen Vormittag, und trotz meiner begreiflichen Erregung las ich ohne zu stottern und geriet, während ich las, immer mehr in Feuer, wie es allen Schriftstellern ergeht, die auf die Vollendung ihres Werkes genug Mühe und Sorgfalt verwendet haben. Es störte mich auch niemand und nichts, wenn ich von Lucius Domitius absehe, der ständig flüsterte und mir Zeichen machte, um mir zu bedeuten, wie ich zu lesen hätte. Zu Mittag wurde ein allzu köstliches Mahl aufgetragen, das Tullia angeordnet und mein Vater bezahlt hatte. Als ich danach weiterlas und zu den Göttern und Mysterien der Briten kam, nickten viele meiner Zuhörer ein, obwohl dies meiner Ansicht nach der interessanteste Teil des Buches war.

Bald darauf mußte ich unterbrechen, denn Claudius hielt sein Wort und erschien wirklich. Mit ihm kam Agrippina. Sie ließen sich auf der Ehrenbank nieder und nahmen Lucius Domitius in ihre Mitte. Der Vorlesungssaal war plötzlich gedrängt voll, und Claudius rief denen, die keinen Platz mehr bekamen, gereizt zu: »Wenn das Buch wert ist, gehört zu werden, wird man es noch einmal vorlesen. Seht zu, daß ihr dann dabei seid. Jetzt aber geht, sonst haben wir anderen keine Luft zum Atmen.«

Er war, um die Wahrheit zu sagen, leicht angetrunken und rülpste oft laut. Ich hatte kaum ein paar Zeilen gelesen, als er mich auch schon unterbrach und sagte: »Mein Gedächtnis ist schlecht. Erlaube mir darum, daß ich als Roms erster Bürger auf Grund meines Ranges und meines Alters dich immer gleich unterbreche und dartue, worin du recht hast und worin du irrst.«

Er begann seine eigene Auffassung von den Menschenopfern der Druiden langatmig darzulegen und sagte, er habe in Britannien vergeblich nach den großen Weidenkörben gefragt, in die man angeblich die Gefangenen sperrt, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen. »Ich glaube natürlich, was mir zuverlässige Zeugen berichten, aber mehr noch verlasse ich mich auf meine eigenen Augen. Daher schlucke ich diese deine Behauptung nicht ungekaut. Doch sei so gut und fahre fort, junger Lausus.«

Ich war nicht viel weitergekommen, als ihm schon wieder etwas einfiel, was er in Britannien gesehen hatte und den anderen sogleich mitteilen mußte. Das laute Gelächter der Zuhörer verwirrte mich, und ich bekam einen heißen Kopf. Claudius machte allerdings auch einige sachliche Anmerkungen zu meinem Buch.

Plötzlich begann er mit Aulus Plautius ein lebhaftes Gespräch über gewisse Einzelheiten seines Feldzugs. Die Zuhörer feuerten die beiden an und riefen: »Hört! Hört!« Ich mußte schweigen, aber eine beruhigende Geste Senecas ließ mich meinen Ärger rasch vergessen. Ein Senator namens Ostorius, der alles besser wissen wollte, mischte sich ins Gespräch. Er behauptete, der Kaiser habe einen politischen Fehler begangen, indem er den Feldzug abbrach, ehe ausnahmslos alle britischen Stämme unterworfen waren.

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