11


Tony Rizzolis Probleme vervielfältigten sich. Was nur schiefgehen konnte, ging schief. Gewiß war es nicht seine Schuld, daß alles so gekommen war, aber er wußte, daß die Familie ihn dafür verantwortlich machen würde. Sie hielt nichts von faulen Ausreden.

Um so frustrierender wurde alles durch die Tatsache, daß der erste Teil des Unternehmens wunderbar geklappt hatte. Er hatte die Drogensendung aus Kolumbien problemlos nach Athen geschmuggelt und dort vorläufig in einem Lagerhaus untergebracht. Dann hatte er einen Flugbegleiter angeworben, der den Stoff beim nächsten Flug nach New York mitnehmen sollte. Und dann — keine 24 Stunden vor dem Abflug — war der Idiot wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen und von seiner Fluggesellschaft fristlos entlassen worden.

Daraufhin hatte Tony Rizzoli auf einen Alternativplan zurückgegriffen.

Er hatte ein» Maultier «gefunden — in diesem Fall die 7ojährige Amerikanerin Sara Murchinson, die ihre in Athen lebende Tochter besucht hatte. Sie würde einen Koffer nach New York mitnehmen, ohne zu ahnen, was sie darin transportierte.

«Er enthält ein paar Andenken, die ich meiner Mutter versprochen habe«, behauptete Tony Rizzoli,»und weil Sie, so nett sind, ihn mitzunehmen, beteilige ich mich an Ihren Flugkosten.«

«Oh, das ist nicht nötig!«protestierte Sara Murchinson.»Ich bin froh, Ihnen diesen Gefallen tun zu können. Ich wohne gar nicht weit von Ihrer Mutter entfernt. Ich freue mich schon darauf, ihre Bekanntschaft zu machen.«

«Und ich bin sicher, daß sie sich freuen wird, Sie kennenzulernen«, antwortete er einschmeichelnd.»Leider ist sie ziemlich krank. Aber irgendjemand ist bestimmt da, um Ihnen den Koffer abzunehmen.«

Sie ist die Idealbesetzung für diesen Auftrag — eine liebe, durch und durch amerikanische Großmutter. Bei ihr werden die Zollbeamten höchstens vermuten, daß sie Stricknadeln schmuggelt.

Sara Murchinson wollte am nächsten Morgen nach New York zurückfliegen.

«Ich hole Sie ab und fahre Sie zum Flughafen.«»Oh, das ist lieb von Ihnen! Sie sind ein wirklich zuvorkommender junger Mann. Ihre Mutter ist sicher sehr stolz auf Sie.«

«Ja. Wir haben ein sehr enges Verhältnis zueinander. «Tony Rizzolis Mutter war bereits zehn Jahre tot.

Als Rizzoli am nächsten Morgen sein Hotel verlassen wollte, um das Drogenpaket aus dem Lagerhaus zu holen, klingelte das Zimmertelefon.

«Mr. Rizzoli?«fragte ein Unbekannter.

«Ja?«

«Hier ist Doktor Patsaka von der Notaufnahme im K A.T. Wir haben hier eine Mrs. Sara Murchinson eingeliefert bekommen. Sie ist nachts gestürzt und hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Sie hat mich gebeten, Sie anzurufen und Ihnen zu sagen, wie leid es ihr tut, daß sie… «

«Merda!« Tony Rizzoli knallte den Hörer auf die Gabel. Das ist jetzt schon die zweite Pleite. Wie soll ich so schnell ein anderes Maultier finden?

Rizzoli wußte, daß er vorsichtig sein mußte. In der Szene munkelte man, ein erfahrener amerikanischer Rauschgiftfahnder sei nach Athen gekommen, um mit den hiesigen Behörden zusammenzuarbeiten. Alle Verkehrswege sollten überwacht, Schiffe und Flugzeuge routinemäßig durchsucht werden.

Und als ob das alles nicht schon genug wäre, gab es ein weiteres Problem. Einer seiner Spitzel — ein krimineller Drogensüchtiger — hatte ihn gewarnt, daß die Polizei damit beginne, Lagerhäuser nach Rauschgift und anderer Schmuggelware zu durchsuchen. Der Druck nahm stetig zu. Es wurde Zeit, die Familie über die Lage aufzuklären.

Tony Rizzoli verließ das Hotel und schlenderte die Patissioustraße hinunter zum Fernmeldeamt.

Er wußte nicht, ob sein Hoteltelefon abgehört wurde, aber er wollte kein Risiko eingehen.

Das Gebäude Patissioustraße 85 war ein großer Sandsteinbau, dessen Giebel von einer Säulenreihe getragen wurde. Rizzoli betrat

die Eingangshalle und sah sich um. Die Wände verschwanden hinter zwei Dutzend nummerierten Telefonkabinen. In Regalen standen Telefonbücher aus aller Welt. Ein Schalter in der Raummitte war mit vier Beamtinnen besetzt, die Gesprächsanmeldungen entgegennahmen. Auch Tony Rizzoli stellte sich an.»Guten Morgen«, sagte er, als er an der Reihe war.

«Sie wünschen?«

«Ich möchte ein Auslandsgespräch anmelden.«

«Das kann bis zu einer halben Stunde dauern.«

«Kein Problem.«

«Land und Teilnehmernummer?«

Tony Rizzoli zögerte.»Hier. «Er legte der Beamtin einen Zettel hin.»Ich habe Ihnen alles aufgeschrieben. Ich möchte ein R-Gespräch anmelden.«

«Ihr Name?«

«Brown, Tom Brown.«

«Gut, Mr. Brown. Sie werden aufgerufen, wenn Ihr Gespräch da ist.«

«Danke.«

Er ging zu einer der Wartebänke hinüber und nahm Platz.

Ich könnte versuchen, das Paketin einem Auto zu verstecken, und einen Fahrer anheuern, der es über die Grenze bringt. Aber das wäre zu riskant; die Kontrollen an den Grenzübergängen sind verschärft worden. Vielleicht gelingt's mir, ein weiteres…

«Mr. Brown… Mr. Tom Brown…«Der Name wurde zweimal wiederholt, bevor Rizzoli begriff, daß er damit gemeint war. Er sprang auf und hastete an den Schalter.

«Der Teilnehmer nimmt das Gespräch an. Kabine sieben.«

«Danke. Kann ich übrigens den Zettel zurückhaben, den ich Ihnen gegeben habe? Ich brauche die Nummer noch.«

«Natürlich. «Sie gab ihm den Zettel zurück.

Tony Rizzoli betrat die Kabine und schloß die Tür hinter sich.

«Hallo.«

«Tony? Bist du's?«

«Yeah. Wie geht's, Pete?«

«Wir machen uns ehrlich gesagt ein bißchen Sorgen, Tony. Die Jungs haben damit gerechnet, daß das Paket längst unterwegs sein würde.«»Hier hat's Schwierigkeiten gegeben.«

«Ist das Paket inzwischen abgeschickt?«

«Nein, es ist noch hier.«

Am anderen Ende entstand eine Pause.»Wir möchten nicht, daß damit etwas passiert, Tony.«

«Da könnt ihr ganz unbesorgt sein. Ich muß nur eine andere Möglichkeit finden, es auf den Weg zu bringen. Hier wimmelt's nur so von gottverdammten Narcs.«

«Wir reden von zehn Millionen Dollar, Tony.«

«Das weiß ich. Keine Angst, ich lass' mir was einfallen.«

«Das solltest du tun, Tony. Dir was einfallen lassen.«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Ein Mann in grauem Anzug beobachtete, wie Tony Rizzoli sich in Richtung Ausgang bewegte. Er trat auf die Schalterbeamtin zu.

«Singnomi. Sehen Sie den Mann, der da eben hinausgeht?«

Die Frau sah auf. »Malista?«

«Ich möchte wissen, welche Nummer er angerufen hat.«

«Tut mir leid, das darf ich Ihnen nicht sagen.«

Der Mann griff in seine Gesäßtasche, zog seine Brieftasche heraus, klappte sie auf und wies eine goldene Plakette vor.»Kriminalpolizei. Inspektor Tinou.«

Ihre Miene wurde etwas weniger abweisend.»Oh! Er hat mir einen Zettel mit der Rufnummer gegeben und ihn dann wieder mitgenommen.«

«Aber Sie haben die Nummer in Ihre Liste eingetragen?«

«O ja, das tun wir immer.«

«Geben Sie mir bitte die Nummer.«

«Natürlich.«

Sie schrieb sie auf einen Zettel, den sie Tinou hinschob. Der Leutnant betrachtete die Rufnummer nachdenklich. Ländervorwahlnummer 0039, Ortskennzahl 91. Italien. Sizilien. Palermo.

«Vielen Dank. Wissen Sie zufällig noch, welchen Namen der Mann angegeben hat?«

«Ja. Brown. Tom Brown.«

Das Telefongespräch hatte Tony Rizzoli so nervös gemacht, daß er eine Toilette aufsuchen mußte. Dieser verdammte Pete Lucca!

Vor sich am Kolonakiplatz sah er ein Schild: Apochoritirion. Männer wie Frauen gingen hinein, um dieselben Toiletten zu benutzen. Und diese Griechen glauben wirklich, sie seien zivilisiert, dachte Rizzoli. Widerlich.

In einer Villa auf den Hügeln über Palermo saßen vier Männer um einen Konferenztisch.

«Der Stoff müßte längst unterwegs sein, Pete«, beschwerte sich einer von ihnen.»Wo liegt das Problem?«

«Das weiß ich selbst nicht genau. Vielleicht bei Tony Rizzoli.«

«Mit Tony hat's bisher nie Schwierigkeiten gegeben.«

«Stimmt — aber manchmal werden Leute geldgierig. Ich bin dafür, daß wir jemanden nach Athen schicken, der nach dem Rechten sieht.«

«Wirklich schade. Ich hab' Tony immer gut leiden können.«

Im Athener Polizeipräsidium in der Stadionstraße 10 fand eine Besprechung statt. Die Teilnehmer waren Polizeipräsident Livreri Dimitri, Inspektor Tinou und ein Amerikaner: Lieutenant Walt Kelly, ein Beamter der Zollfahndung des amerikanischen Finanzministeriums.

«Wir haben von einem geplanten großen Drogenschmuggel erfahren«, sagte Kelly eben.»Der Stoff soll von Athen aus weitertransportiert werden. Der Hauptakteur dürfte Tony Rizzoli sein.«

Inspektor Tinou äußerte sich nicht dazu. Die griechische Polizei hatte es nicht gern, wenn ausländische Kollegen sich einzumischen versuchten. Vor allem Amerikaner waren unbeliebt. Sie sind immer so verdammt von sich selbst überzeugt!

Der Polizeipräsident ergriff das Wort.»Unsere Ermittlungen laufen bereits, Lieutenant. Tony Rizzoli hat vor kurzem nach Palermo telefoniert. Wir sind dabei, seinen Gesprächspartner zu ermitteln. Sobald wir seinen Namen haben, wissen wir, für wen Rizzoli arbeitet.«

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Dimitri und der Inspektor wechselten einen Blick.

Tinou nahm, den Hörer ab.»Haben Sie den Namen?«Er hörte einen Augenblick mit ausdrucksloser Miene zu. Dann legte er langsam auf.

«Na?«

«Sie haben den Anschluß ermittelt.«

«Und?«

«Eine öffentliche Telefonzelle mitten in der Stadt.«

«Unser Mr. Rizzoli ist sehr… inegata.«

«Ich verstehe kein Griechisch«, sagte Walt Kelly ungeduldig.

«Entschuldigung, Lieutenant. Er ist verdammt gerissen.«

«Ich möchte, daß Sie seine Überwachung verstärken«, verlangte Kelly.

Diese Arroganz! Dimitri wandte sich an den Inspektor.»Die Beweislage reicht nicht aus, um mehr Leute auf ihn anzusetzen. Sehe ich das richtig?«

«Ganz recht. Wir haben lediglich einen unbestätigten Verdacht.«

Der Polizeipräsident blickte zu Walt Kelly hinüber.»Tut mir leid, aber ich habe nicht genug Leute, um jeden beschatten lassen zu können, der ein Dealer sein könnte.«

«Aber Rizzoli… «

«Ich versichere Ihnen, daß wir unsere eigenen Quellen haben, Mr. Kelly. Sollten wir weitere Informationen erhalten, wissen wir, wo Sie zu erreichen sind.«

Walt Kelly starrte ihn frustriert an.»Warten Sie lieber nicht zu lange«, sagte er.»Sonst ist das Schiff abgefahren.«

Die Villa in Rafina stand bereit. Der Immobilienmakler hatte zu Constantin Demiris gesagt:»Ich weiß, daß Sie sie möbliert gekauft haben, aber falls Sie einige der Räume neu einrichten lassen wollen… «

«Nein. Alles soll genauso bleiben, wie es ist.«

Genau wie damals, als seine untreue Noelle und ihr Liebhaber Larry ihn betrogen hatten. Er ging durchs Wohnzimmer. Haben sie sich hier auf dem Teppich geliebt? Im Musikzimmer? In der Küche? Demiris betrat das Schlafzimmer. In der Ecke stand ein riesiges Bett. Ihr Bett, auf dem Douglas Noelles nackten Leib liebkost, auf dem er gestohlen hatte, was Demiris gehörte. Douglas hatte seinen Verrat gebüßt — und würde ihn nochmals büßen.

Demiris starrte das Bett an. Hier liebe ich Catherine zuerst. Dann in den übrigen Räumen, In einem nach dem anderen. Er rief Catherine aus der Villa an.

«Hallo.«

«Ich hab' gerade an dich gedacht.«

Tony Rizzoli bekam unerwarteten Besuch aus Sizilien. Als die beiden Männer, ohne anzuklopfen, in sein Hotelzimmer traten, witterte er sofort Schwierigkeiten. Alfredo Mancuso war groß. Gino Laveri war größer.

Mancuso kam ohne Umschweife zur Sache.»Pete Lucca schickt uns.«

Rizzoli versuchte, cool zu bleiben.»Großartig! Willkommen in Athen. Was kann ich für euch tun, Jungs?«

«Du kannst dir diesen Scheiß sparen, Rizzoli«, antwortete Mancuso.»Pete will wissen, was für 'n Spielchen du spielst.«

«Spielchen? Wovon redet ihr überhaupt? Ich hab' ihm doch erklärt, daß ich ein kleines Problem habe.«

«Darum sind wir hier. Um dir bei der Lösung zu helfen.«

«Augenblick, Jungs!«protestierte Rizzoli.»Das Paket ist hier sicher verbunkert. Sobald ich… «

«Pete will's aber nicht verbunkert haben. Er hat 'ne Menge Geld darin investiert. «Laveri stemmte seine Pranke gegen Rizzolis Brust und stieß ihn rückwärts in einen Sessel.»Ich will's dir erklären, Rizzoli. Wäre dieser Stoff schon wie geplant in New York auf der Straße, könnte Pete das Geld nehmen, es waschen lassen und wieder neu investieren. Verstehst du, was ich meine?«

Wahrscheinlich würde ich milden beiden Gorillas fertig werden, dachte Rizzoli. Aber er wußte, daß er nicht gegen sie kämpfen würde; er würde gegen Pete Lucca antreten.

«Klar versteh' ich, was du meinst«, sagte er beschwichtigend.»Aber das Geschäft ist viel schwieriger geworden. Die Bullen hier passen verdammt auf und haben sich jetzt sogar mit 'nem Drogenfahnder aus Washington eingedeckt. Ich habe einen Plan… «

«Pete hat auch einen«, unterbrach Laveri ihn.»Weißt du, was er vorhat? Er läßt dir ausrichten, daß er von dir kassieren will, falls der Stoff nicht bis nächste Woche unterwegs ist.«

«He, so viel Geld hab' ich doch nicht!«protestierte Rizzoli.»Ich…«

«Das glaubt Pete auch. Deshalb sind wir hier, um dich auf andere Weise dafür zahlen zu lassen.«

Tony Rizzoli holte tief Luft.»Okay. Ihr könnt ihm sagen, daß alles unter Kontrolle ist.«

«Klar doch. Aber wir bleiben trotzdem hier. Du hast eine Woche Zeit.«

Für Tony Rizzoli war es Ehrensache, nie vor Mittag Alkohol zu trinken, aber als die beiden gegangen waren, öffnete er eine Flasche Scotch und nahm zwei große Schlucke. Er spürte, wie der Whiskey ihn wärmte, aber auch das nützte nichts. Mir ist nicht mehr zu helfen. Wie kann der Alte sich plötzlich gegen mich stellen? Ich war praktisch sein Sohn — und jetzt soll ich in einer Woche einen Ausweg aus dieser Scheiße finden. Ich brauche schnellstens ein Maultier. Im Spielkasino vielleicht. Dort finde ich am ehesten eins.

Gegen 22, Uhr abends fuhr Tony Rizzoli nach Loutraki, dem beliebten Spielkasino 75 Kilometer westlich von Athen. Er machte einen Rundgang durch den riesigen Saal, in dem ein reges Treiben herrschte, und beobachtete den Spielbetrieb. Am Roulettetisch gab es immer Verlierer, die bereit waren, für Geld alles zu tun, nur um weiterspielen zu können. Je verzweifelter der Spieler war, desto leichter war er zu kriegen. Rizzoli entdeckte sein Opfer fast augenblicklich: ein schmächtiger, grauhaariger kleiner Mann Anfang Fünfzig, der sich ständig mit einem Taschentuch die Stirn abtupfte. Je mehr er verlor, desto stärker schwitzte er.

Rizzoli beobachtete ihn interessiert. Solche Symptome sah er nicht zum ersten Mal. Dies war der klassische Fall eines zwanghaften Spielers, der mehr verlor, als er sich eigentlich leisten konnte.

Als der Mann seine Jetons verspielt hatte, wandte er sich an den Croupier:»Ich… ich möchte für weitere fünfzig Jetons unterschreiben.«

Der Croupier sah fragend zum Saalchef hinüber.

«Geben Sie sie ihm. Aber das sind die letzten.«

Tony Rizzoli fragte sich, wie hoch seine Schulden bereits sein mochten. Er nahm neben ihm Platz und kaufte einen Stapel Jetons. Roulette war ein Spiel für Dumme, aber Rizzoli verstand es, die Chancen zu nützen, und sein Jetonstapel wuchs stetig, während der kleine Mann weiter verlor. Der Verlierer wechselte verzweifelt zwischen Finale, kleiner Serie und Orphelins hin und her. Von Roulette hat der Kerl keinen blassen Schimmer, dachte Rizzoli.

Dann strich der Rechen des Croupiers seine letzten Jetons ein. Der kleine Mann saß wie erstarrt da.

Dann blickte er hoffnungsvoll zu dem Croupier auf.»Könnte ich…?«

Der Croupier schüttelte den Kopf.»Tut mir leid.«

Der kleine Mann stand seufzend auf.

Rizzoli erhob sich mit ihm.»Schade«, sagte er mitfühlend.»Ich habe mehr Glück gehabt. Kommen Sie, ich lade Sie zu einem Drink ein.«

Der andere blinzelte. Seine Stimme zitterte.»Sehr freundlich von Ihnen, Sir.«

Das ist dein Maultier! Der Mann brauchte Geld und würde sich vermutlich auf die Chance stürzen, für 100 Dollar und ein Flugticket ein harmloses Paket nach New York zu bringen.

«Mein Name ist Tony Rizzoli.«

«Viktor Korontzis.«

Rizzoli führte Korontzis an die Bar.»Was trinken Sie?«

«Ich… ich habe leider kein Geld mehr.«

Tony Rizzoli winkte großzügig ab.»Sie sind mein Gast.«

«Danke, dann trinke ich einen Retsina.«

Rizzoli wandte sich an den Ober.»Und einen Chivas Regal mit Eis.«

«Sind Sie als Tourist hier?«fragte Korontzis höflich.

«Ja«, antwortete Rizzoli,»ich mache hier Urlaub. Ein wundervolles Land.«

Korontzis zuckte mit den Schultern.»Schon möglich.«

«Gefällt's Ihnen hier nicht?«

«Oh, unser Land ist schön, das stimmt. Aber es ist so verdammt teuer geworden. Ich meine, alles wird von Tag zu Tag teurer. Wer kein Millionär ist, hat Mühe, Essen auf den Tisch zu bringen — vor allem ein Familienvater mit vier Kindern. «Seine Stimme klang verbittert.

Der ideale Mann!» Was sind Sie von Beruf, Viktor?«erkundigte Rizzoli sich beiläufig.

«Ich bin Kurator in der Athener Staatlichen Sammlung.«

«Wirklich? Und was tut ein Kurator?«

Jetzt sprach etwas Stolz aus Korontzis' Stimme.»Ich bin für die Altertümer zuständig, die in Griechenland ausgegraben werden. «Er trank einen Schluck aus seinem Glas.»Na ja, nicht für alle, versteht sich. Es gibt schließlich noch andere Museen wie das Akropolismuseum oder das Archäologische Nationalmuseum. Aber unser Museum besitzt die wertvollsten Artefakte.«

Tony Rizzoli horchte auf.»Wie wertvoll?«

Viktor Korontzis hob die Achseln.»Die meisten Stücke sind unbezahlbar. Natürlich ist die Ausfuhr von Altertümern gesetzlich verboten. Aber bei uns im Museum gibt's einen kleinen Laden, der Kopien verkauft.«

Rizzolis Verstand arbeitete auf Hochtouren.»Tatsächlich? Wie gut sind diese Kopien?«

«Oh, die sind ausgezeichnet. Nur ein Fachmann könnte sie vom Original unterscheiden.«

«Kommen Sie, trinken wir noch einen«, forderte Rizzoli den kleinen Mann auf.

«Danke. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Aber ich kann mich leider nicht revanchieren.«

Rizzoli winkte lächelnd ab.»Schon gut, Viktor. Übrigens, Sie können mir einen Gefallen tun. Ich möchte mir Ihr Museum ansehen. Was Sie davon erzählt haben, klingt faszinierend.«

«Oh, das ist es wirklich!«versicherte Korontzis ihm nachdrücklich.»Es gehört zu den interessantesten Museen der Welt. Ich führe Sie gern einmal durch. Wann hätten Sie denn Zeit?«-»Wie war's mit morgen vormittag?«

Tony Rizzoli hatte das Gefühl, auf etwas weit Gewinnbringenderes gestoßen zu sein als ein Maultier.

Die Athener Staatliche Sammlung befindet sich unweit des Syntagma-Platzes im Herzen der Stadt. Das Museumsgebäude ist ein prächtiger Bau im Stil eines antiken Tempels mit vier ionischen Säulen, die einen mit vier Statuen geschmückten Giebel tragen, über dem die griechische Fahne weht.

In seinem Inneren sind in weitläufigen Marmorsälen Altertümer aus verschiedenen Perioden der griechischen Geschichte ausgestellt. Alle Räume stehen voller Vitrinen mit kostbarsten

Artefakten: Schmuck und Trinkgefäße aus Gold, reichverzierte Schwerter und prunkvolle Opfergefäße. In einer Vitrine liegen vier goldene Grabmasken; eine andere enthält Fragmente uralter Statuen.

Viktor Korontzis führte Tony Rizzoli persönlich. Der Kurator blieb vor einer Vitrine stehen, in der die Statue einer Göttin mit einem Kranz aus Mohnblumen im Haar stand.»Das ist die Mohngöttin«, erklärte er Rizzoli mit gedämpfter Stimme.»Der Kranz symbolisiert ihre Funktion als Bringerin von Schlaf, Träumen, Erleuchtung und Tod.«

«Wieviel ist sie wert?«

Korontzis lachte.»Wenn sie zu verkaufen wäre? Viele Millionen.«

«Tatsächlich?«

Den kleinen Kurator erfüllte offensichtlicher Stolz, während er den Rundgang fortsetzte und auf seine unbezahlbaren Schätze aufmerksam machte.»Dies ist ein Kuroshaupt, um vierzehnhundert vor Christus… dies ist das Haupt der Athene mit einem korinthischen Helm, um vierzehnhundertfünfzig vor Christus… und dies ist ein wirkliches Prachtstück. Eine goldene Maske eines Achäers aus dem Königsgrab der Akropolis von Mykene, sechzehntes Jahrhundert vor Christus. Vermutlich stellt sie Agamemnon dar.«-»Was Sie nicht sagen!«

Er führte Tony Rizzoli zu einer weiteren Vitrine mit einer herrlichen Amphore.

«Dies ist mein liebstes Stück«, bekannte Korontzis strahlend.»Ich weiß, daß man als Vater kein Kind vorziehen sollte, aber ich kann nicht dagegen an. Diese Amphore…«

«Sie sieht wie 'ne Vase aus, find' ich.«

«Äh… ja. Diese Vase ist bei den Ausgrabungen in Knossos im Thronsaal entdeckt worden. Wie Sie sehen, zeigen die Darstellungsfragmente das Einfangen eines Stiers mit einem Netz. Im Altertum wurden Opfertiere mit Netzen gefangen, damit ihr geweihtes Blut nicht vorzeitig vergossen wurde, was

«Wieviel ist sie wert?«unterbrach Rizzoli ihn.

«Schätzungsweise zehn Millionen Dollar.«

Der Amerikaner runzelte die Stirn. »Dafür?«

«Allerdings! Sie stammt schließlich aus der spätminoischen Periode um dreitausend vor Christus.«

Rizzoli sah sich im Saal um, in dem Dutzende von Vitrinen standen.

«Ist alles dieses Zeug so wertvoll?«

«Nein, nein — nur die wirklichen Altertümer. Sie geben uns Aufschluß über das Leben der alten Zivilisationen und sind natürlich unersetzlich. Kommen Sie, ich möchte Ihnen noch etwas zeigen.«

Tony folgte Korontzis in den nächsten Saal. Dort blieben sie vor einer Eckvitrine stehen.

Viktor Korontzis zeigte auf eine Vase.»Sie gehört zu unseren größten Schätzen: eines der frühesten Beispiele für den

Symbolismus phonetischer Zeichen. Dieser Kreis mit dem Kreuz ist die Figur des Ka, eines der frühesten Schriftzeichen, mit dem der Mensch den Kosmos symbolisiert hat. Es gibt insgesamt nur

Das ist doch scheißegal!» Wieviel ist sie wert?«

Der kleine Mann seufzte.»Das Lösegeld eines Königs.«

Als Tony Rizzoli an diesem Vormittag das Museumsgebäude verließ, gingen ihm Zahlen durch den Kopf, die seine kühnsten Träume überstiegen. Durch einen phantastischen Glückszufall war er auf eine Goldmine gestoßen. Er hatte ein Maultier gesucht — und statt dessen den Schlüssel zu einer wahren Schatzkammer gefunden.

Die Gewinne aus dem Heroingeschäft mußten durch sechs geteilt werden. Niemand war dämlich genug zu versuchen, die Familie reinzulegen — aber diese Sache mit den Altertümern war etwas völlig anderes. Gelang es ihm, so etwas aus Griechenland hinauszuschmuggeln, war das ein Nebenerwerb, dessen Gewinne allein ihm gehörten. Rizzoli hatte allen Grund, in Hochstimmung zu sein. Jetzt muß ich mir nur noch überlegen, wie ich den Fisch ködere. Die Suche nach einem Maultier hat Zeit bis später.

An diesem Abend lud Tony Rizzoli seinen neuen Freund in den etwas anrüchigen Nachtclub Mostroph Athena ein, dessen attraktive Hostessen nach der Show zur Unterhaltung der Gäste zur Verfügung standen.

«Was halten Sie davon, wenn wir zwei Miezen mitnehmen und uns ein bißchen amüsieren?«schlug Rizzoli vor.

«Ich müßte heim zu meiner Familie«, wandte Korontzis ein.»Außerdem kann ich mir so was leider nicht leisten.«

«He, Sie sind mein Gast! Ich kriege großzügige Spesen. Kostet mich keinen Cent.«

Rizzoli sorgte dafür, daß eines der Mädchen Korontzis mit auf ihr Zimmer nahm.

«Kommen Sie denn nicht mit?«fragte der kleine Mann.

«Ich hab' noch was zu erledigen«, behauptete Tony.»Fahren Sie ruhig voraus. Alles ist schon geregelt.«

Am nächsten Morgen erschien Tony Rizzoli wieder im Museum, in dessen Sälen sich Touristen drängten, um die antiken Schätze zu bewundern.

Korontzis führte den Amerikaner in sein Büro. Er errötete tatsächlich.»Ich… ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für letzte Nacht danken soll, Tony. Sie… es ist wunderbar gewesen!«

Tony Rizzoli winkte lächelnd ab.»Wozu hat man schließlich Freunde, Viktor.«

«Aber ich kann mich doch nicht revanchieren!«

«Das erwarte ich auch nicht«, erklärte Rizzoli ihm ernsthaft.»Sie gefallen mir. Ich bin gern mit Ihnen zusammen. Übrigens findet heute in einem der Hotels eine kleine Pokerpartie statt. Ich spiele mit. Hätten Sie vielleicht auch Interesse?«

«Danke. Ich würd' gern mitmachen, aber…» Er zuckte mit den Schultern.»Ich lass' lieber die Finger davon.«

«Seien Sie kein Spielverderber! Vergessen Sie Ihre Geldsorgen. Ich schieße Ihnen den Einsatz vor.«

Korontzis schüttelte den Kopf.»Sie sind schon zu großzügig zu mir gewesen. Sollte ich verlieren, könnte ich Ihnen das Geld nicht zurückzahlen.«

Tony Rizzoli grinste.»Wer redet denn von verlieren? Das Ganze ist 'ne abgekartete Sache.«

«Abgekartete Sache? Ich… das verstehe ich nicht, fürchte ich.«

«Mein Freund Otto Dalton hat diesen Abend organisiert und hält die Bank«, erklärte Rizzoli ihm ruhig.»In Athen gibt's ein paar reiche amerikanische Touristen, die gern pokern, und Otto und ich wollen bei ihnen absahnen.«

Korontzis starrte ihn mit großen Augen an.»Absahnen? Soll das heißen, daß Sie… daß Sie betrügen wollen?«Er fuhr sich mit der

Zungenspitze über die Lippen.»So was hab' ich noch nie gemacht.«

Rizzoli nickte mitfühlend.»Okay, ich verstehe. Falls Sie Gewissensbisse haben, sollten Sie die Finger davonlassen. Ich hab' mir nur gedacht, daß Sie dabei ohne viel Mühe zwei- bis dreitausend Dollar kassieren könnten.«

Viktor Korontzis riß die Augen noch weiter auf.»Zwei- bis dreitausend Dollar?«

«Klar doch. Mindestens.«

Der kleine Mann fuhr sich erneut mit der Zungenspitze über die Lippen.»Ich… ich… ist das nicht gefährlich?«

Tony Rizzoli lachte.»Wenn's das wäre, war' ich nicht dabei, stimmt's? Die Sache ist ein Kinderspiel. Als >Künstler< ist Otto unerreicht. Er gibt Ihnen jede beliebige Karte von oben, von unten oder aus der Mitte. Obwohl er schon seit Jahren so arbeitet, ist er noch nie erwischt worden.«

Korontzis saß da und starrte den Amerikaner an.

«Wieviel… wieviel würde ich brauchen, um mitspielen zu können?«

«Ungefähr fünfhundert Dollar. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Die Sache ist so einfach, daß ich Ihnen die fünfhundert leihe, und falls Sie das Geld doch verlieren, brauchen Sie's nicht mal zurückzuzahlen.«

«Das ist sehr großzügig von Ihnen, Tony. Warum… warum tun Sie das für mich?«

«Ganz einfach«, antwortete Rizzoli im Brustton tiefster Überzeugung.»Wenn ich einen anständigen, fleißigen Mann wie Sie sehe, dessen verantwortliche Stellung als Kurator in einem der wichtigsten Museen der Welt vom Staat nicht mal soweit gewürdigt wird, daß er ein ordentliches Gehalt kriegt, und der Mühe hat, seine Familie zu ernähren — nun, das geht mir ehrlich gesagt gegen den Strich, Viktor. Wie lange liegt Ihre letzte Gehaltserhöhung schon zurück?«

«Hier… hier gibt's keine Gehaltserhöhungen.«

«Da haben wir's! Hören Sie mir mal gut zu. Sie haben die Wahl, Viktor. Sie können sich heute abend von mir einen kleinen Gefallen tun lassen, damit Sie ein paar tausend Dollar verdienen und für 'ne ganze Weile besser leben können. Oder Sie können bis ans Ende Ihrer Tage weiter von der Hand in den Mund leben.«

«Ich… ich weiß nicht recht, Tony. Ich bin kein Mensch, der…«

Tony Rizzoli stand auf.»Gut, ich verstehe. Ich bin wahrscheinlich in ein, zwei Jahren wieder in Athen — vielleicht können wir uns dann mal zusammensetzen. Hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Viktor. «Er ging zur Tür.

Korontzis traf seine Entscheidung.»Warten Sie doch! Ich… ich möchte heute abend mitkommen.«

Er hatte angebissen.»He, das ist großartig!«sagte Tony Rizzoli.»Ich freue mich wirklich, Ihnen ein bißchen helfen zu können.«

Viktor Korontzis zögerte.»Verzeihen Sie, aber ich möchte sichergehen, daß ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben gesagt, daß ich die fünfhundert Dollar nicht zurückzuzahlen brauche, falls ich sie verliere?«

«Stimmt!«bestätigte Rizzoli.»Aber Sie können gar nicht verlieren. Dafür sorgt mein Freund Otto.«

«Und wo soll gespielt werden?«

«Zimmer vierhundertdreißig im Hotel Metropol. Um zweiundzwanzig Uhr. Sagen Sie Ihrer Frau, daß Sie Überstunden machen müssen.«

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