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St. Moritz war ein Traum. Es gab Hunderte von Pistenkilometern, Langlaufloipen, Wanderpfade, Bob- und Rodelbahnen, im Sommer Poloturniere und Dutzende von weiteren Aktivitäten. Die Lage des kleinen Engadiner Ortes in 1850 Meter Höhe an einem eisbedeckten Bergsee auf der Alpensüdseite zwischen Piz Nair und Piz San Gian begeisterte Catherine auf den ersten Blick.

Kirk Reynolds und sie wohnten im mehrstöckigen Hotel Palace. In der Hotelhalle wimmelte es von Touristen aus aller Herren Länder.

«Wir haben reserviert. Mr. und Mrs. Reynolds«, sagte Kirk Reynolds zu dem Herrn am Empfang, und Catherine sah verlegen weg. Ich hätte einen Ehering anstecken sollen. Sie hatte das Gefühl, von allen anderen Gästen angestarrt zu werden.

«Bitte, Mr. Reynolds. Suite zweihundertfünfzehn. «Nachdem sie sich eingetragen hatten, gab der Portier den Schlüssel einem Pagen, der freundlich sagte:»Wenn Sie bitte mitkommen wollen.«

Sie wurden in eine schlicht, aber sehr hübsch eingerichtete Suite mit spektakulärem Alpenblick aus allen Fenstern geleitet.

Sobald der Page gegangen war, nahm Kirk Reynolds Catherine in die Arme.»Ich kann dir nicht sagen, wie glücklich du mich machst, Darling.«

«Ich hoffe, daß es mir gelingt«, antwortete Catherine.»Ich bin… Es ist schon lange her, Kirk.«

«Mach dir keine Sorgen. Ich dränge dich nicht.«

Er ist so lieb. Aber was würde er denken, wenn ich ihm von meiner Vergangenheit erzählte… Sie hatte ihm nie von Larry, dem Mordprozeß oder all ihren anderen schrecklichen Erlebnissen erzählt. Sie wünschte sich nichts mehr, als Kirk nahe sein, sich ihm anvertrauen zu können, aber irgend etwas hinderte sie daran.

«Am besten packe ich erst mal aus«, sagte Catherine.

Während sie langsam — viel zu langsam — ihre Kleider aus dem

Koffer nahm, wurde ihr plötzlich klar, daß sie Zeit zu gewinnen versuchte und Angst hatte, den letzten Bügel in den Schrank zu hängen, weil sie das fürchtete, was danach kommen würde.

Aus dem anderen Zimmer kam Kirks Stimme:»Catherine…»

O mein Gott, jetzt sagt er gleich:»Komm, zieh dich aus, wir gehen ins Bett. «Catherine schluckte trocken und fragte mit gepreßter Stimme:»Ja?«

«Was hältst du von einem Spaziergang durchs Dorf?«

Catherine wurden vor Erleichterung die Knie weich.»Eine wunderbare Idee!«stimmte sie begeistert zu. Was ist bloß in mich gefahren? Ich bin mit einem attraktiven Mann, der mich liebt, in einer der herrlichsten Landschaften der Welt — und trotzdem gerate ich in Panik…

Reynolds, der hereingekommen war, betrachtete sie forschend.»Fühlst du dich nicht wohl?«

«Doch, doch«, versicherte Catherine ihm lächelnd.»Sogar sehr.«

«Du siehst aus, als ob du Sorgen hättest.«

«Nein, ich… ich hab' nur… ans Skifahren gedacht. Es soll nicht ganz ungefährlich sein.«

Reynolds lächelte beruhigend.»Keine Angst, für Anfänger gibt's genug flache Hänge. Komm, wir gehen.«

Sie zogen Pullover und Anoraks an und traten in die frische, klare Winterluft hinaus.

Catherine atmete tief ein.»Oh, hier ist es herrlich, Kirk. Sankt Moritz gefällt mir.«

«Dabei hast du noch gar nichts gesehen«, meinte er grinsend.»Im Sommer ist Sankt Moritz doppelt so schön.«

Ob er im Sommer noch mit mir ausgehen wird? Oder werde ich ihn schrecklich enttäuschen? Warum kann ich bloß nicht aufhören, mir Sorgen zu machen?

St. Moritz war bezaubernd; ein mittelalterlicher Ort mit reizvollen Läden, Chalets und Restaurants vor dem Hintergrund der majestätischen Alpen.

Sie machten einen Einkaufsbummel, und Catherine kaufte Geschenke für Evelyn und Wim, bevor sie in einem kleinen Cafe ein Fondue aßen. Danach mietete Kirk Reynolds einen von einem Braunen gezogenen Schlitten, und sie fuhren auf verschneiten Wegen in die Hügel hinauf, wo der Schnee unter den Schlittenkufen knirschte.

«Gefällt es dir?«fragte Kirk Reynolds.

«O ja!«Catherine sah zu ihm hinüber und dachte: Ich werde dich glücklich machen. Heute nacht. Ja, heute nacht. Ich werde dich heute nacht glücklich machen.

Abends aßen sie im Hotel im Stübli, einem Restaurant mit der Atmosphäre eines alten Landgasthofs.

«Dieser Raum stammt aus dem Jahre 1480«, sagte Kirk.

«Dann bestellen wir lieber kein Brot.«

«Was?«

«Nur ein Scherz. Sorry.«

Larry hat meine Scherze immer verstanden. Warum denke ich an ihn? Weil ich nicht an heute nacht denken will. Ich komme mir wie Marie-Antoinette auf dem Weg zur Guillotine vor. Als Dessert nehme ich lieber keinen Kuchen.

Das Essen war vorzüglich, aber Catherine war zu nervös, um es zu genießen. Als sie fertig waren, sagte Reynolds:»Gehen wir gleich nach oben? Du hast morgen früh deinen ersten Privatskikurs.«

«Klar. Wunderbar. Klar.«

Auf dem Weg in ihre Suite merkte Catherine, daß sie Herzklopfen hatte. Er sagt bestimmt: Komm, wir gehen gleich ins Bett. Und warum auch nicht? Schließlich bin ich deswegen hier, nicht wahr? Ich kann nicht so tun, als sei ich zum Skilaufen hergekommen.

Oben schloß Reynolds die Tür auf und machte überall Licht. Sie betraten das Schlafzimmer, und Catherine starrte das große französische Bett an. Es schien den ganzen Raum auszufüllen.

Kirk beobachtete sie.»Catherine…macht dir irgendwas Sorgen?«

«Was?«Ein hohles kleines Lachen.»Natürlich nicht! Ich… ich bin nur… «

«Nur was?«

Sie lächelte strahlend.»Nichts. Alles in Ordnung.«

«Gut. Komm, wir ziehen uns aus und gehen ins Bett.«


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