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Das Flugzeug sollte um neun Uhr vom Athener Flughafen Hellenikon starten. Zu Catherines Überraschung war sie der einzige Fluggast an Bord der Hawker Siddeley. Der Flugkapitän, ein freundlicher Grieche namens Pantelis, den sie auf Mitte Vierzig schätzte, überzeugte sich selbst davon, daß Catherine bequem saß und angeschnallt war.

«Wir starten in wenigen Minuten«, teilte er ihr dabei mit.

«Danke.«

Während sie ihm nachsah, als er ins Cockpit zu seinem Kopiloten zurückging, begann ihr Herz plötzlich zu jagen. Das ist Larrys ehemaliges Flugzeug! Hat vor mir schon Noelle Page auf diesem Platz gesessen? Catherine fürchtete, ohnmächtig zu werden. Die Kabinenwände schienen näher zu rücken und sie erdrücken zu wollen. Sie schloß die Augen und holte tief Luft. Das ist jetzt alles vorbei. Demiris hat recht. Niemand kann die Vergangenheit mehr ändern.

Sie hörte die Motoren lauter dröhnen und öffnete die Augen. Das Flugzeug rollte an, beschleunigte, hob ab und nahm Kurs nach Nordwesten — in Richtung London. Wie oft ist Larry diese Route geflogen? Larry. Das Gefühlschaos, das sein Name in ihr weckte, ließ sie erbeben. Und die Erinnerungen. Die wundervollen, die schrecklichen Erinnerungen…

Es war der Sommer 1940, das Jahr vor dem Kriegseintritt

Amerikas. Aus Chicago war Catherine Alexander frisch von der dortigen Northwestern University nach Washington, D. C., gekommen, um sich einen ersten Job zu suchen.

Ihre Mitmieterin hatte ihr erzählt:»Im Außenministerium ist ein Job als Sekretärin bei William Fraser frei. Das ist der für

Öffentlichkeitsarbeit verantwortliche große Boß. Ich hab' erst gestern abend davon erfahren. Wenn du dich gleich vorstellst, müßtest du den anderen Girls zuvorkommen.«

Catherine war sofort ins Ministerium gefahren — aber in Frasers Vorzimmer drängten sich bereits fast ein Dutzend Bewerberinnen! Ich habe keine Chance, dachte Catherine resigniert. Dann öffnete sich die Tür des Chefbüros, und William Fraser erschien auf der Schwelle. Er war ein großer, gutaussehender Mann mit lockigem, an den Schläfen leicht ergrautem blondem Haar, leuchtendblauen Augen und markantem, energisch wirkendem Kinn.

«Ich brauche ein Exemplar von Life — eine Nummer, die vor drei bis vier Wochen erschienen ist«, sagte er zu seiner Vorzimmerdame.»Die mit einem Bild Stalins auf dem Titel.«

«Ich bestelle sie Ihnen, Mr. Fraser«, antwortete die Sekretärin.

«Sally, ich habe Senator Borah am Apparat. Ich möchte ihm einen Absatz aus dieser Ausgabe vorlesen. Sie haben zwei Minuten Zeit, ein Exemplar für mich aufzutreiben. «Fraser verschwand in seinem Büro und schloß die Tür hinter sich.

Die Bewerberinnen sahen einander an und zuckten die Achseln.

Catherine stand da und überlegte angestrengt. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief hinaus. Hinter sich hörte sie eine der Frauen sagen:»Gut, wieder eine weniger!«

Nach drei Minuten kam Catherine mit der gewünschten Ausgabe der Zeitschrift Life ins Vorzimmer zurück. Sie legte sie der Sekretärin auf den Schreibtisch.

Zehn Minuten später saß sie in William Frasers Arbeitszimmer.

«Sally hat mir erzählt, daß Sie das Life-Heft besorgt haben.«

«Ja, Sir.«

«Sie haben dieses drei Wochen alte Exemplar doch nicht zufällig in der Handtasche gehabt?«

«Nein, Sir.«

«Wo haben Sie es so schnell aufgetrieben?«

«Ich bin zum Friseur runtergefahren. Bei Ärzten und Friseuren liegen immer alte Zeitschriften aus.«

«Sind Sie auf allen Gebieten so clever?«

«Nein, Sir.«

«Das wird sich zeigen«, meinte William Fraser.»Sie sind eingestellt.«

Catherine fand es aufregend, für Fraser zu arbeiten. Er war ein charmanter, wohlhabender Junggeselle, der ganz Washington zu kennen schien. Die Time hatte ihn zum» begehrenswertesten Junggesellen des Jahres «erkoren.

Ein halbes Jahr nachdem sie die Stellung bei William Fraser angetreten hatte, verliebten sie sich ineinander.

In seinem Schlafzimmer sagte Catherine:»Ich muß dir was sagen. Ich bin noch Jungfrau.«

Fraser schüttelte verwundert den Kopf.»Unglaublich! Wie bin ich bloß an die einzige Jungfrau Washingtons geraten?«

Eines Tages sagte William Fraser zu Catherine:»Unsere Abteilung soll die Herstellung eines bei MGM in Hollywood gedrehten Ausbildungsfilms für das Army Air Corps überwachen. Ich möchte, daß du dich um den Film kümmerst, solange ich in London bin.«

«Ich? Bill, ich kann nicht mal einen Film in eine Box einlegen! Was verstehe ich von Ausbildungsfilmen?«

Fraser grinste.»Ungefähr soviel wie alle anderen. Mach dir keine Sorgen, den Film dreht ein Regisseur. Er heißt Allan Benjamin. Die Army hat vor, die Rollen mit Schauspielern zu besetzen.«

«Mit Schauspielern? Wozu?«

«Vermutlich glaubt sie, Soldaten seien als Soldaten nicht überzeugend genug.«

«Das sieht der Army ähnlich!«

So flog Catherine nach Hollywood, um die Herstellung dieses Films zu überwachen.

Im Hintergrund des Filmateliers drängten sich Statisten — die meisten in schlechtsitzenden Armyuniformen.

«Verzeihen Sie bitte«, sagte Catherine zu einem Vorbeigehenden.»Ist Mr. Allan Benjamin da?«

«Der kleine Korporal?«Er deutete nach rechts.»Dort drüben.«

Catherine drehte sich um und sah einen schmächtigen kleinen Mann in ausgebeulter Uniform mit Korporalsstreifen. Er kreischte einen Mann an, der Generalssterne auf der Uniform trug.

«Was der Castingchef gesagt hat, ist mir egal! Ich stehe bis zum

Arsch in Generälen. Ich brauche Unteroffiziere. «Er warf verzweifelt die Hände hoch.»Jeder will Häuptling sein und keiner Indianer!«

«Entschuldigen Sie«, unterbrach Catherine ihn,»ich bin Catherine Alexander und soll… «

«Gott sei Dank!«rief der kleine Mann aus.»Der Laden gehört Ihnen! Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier soll. Ich hab' in Dearborn als Redakteur einer Möbelfachzeitschrift dreieinhalbtausend Dollar im Jahr verdient. Dann bin ich zur Nachrichtentruppe eingezogen und als Drehbuchautor für Ausbildungsfilme abkommandiert worden. Was versteh' ich vom Produzieren oder Regieführen? Der Laden gehört Ihnen!«

Er machte kehrt, ließ Catherine stehen und hastete in Richtung Ausgang davon.

Ein schlanker Grauhaariger in einem Pullover kam amüsiert lächelnd auf sie zu.»Brauchen Sie vielleicht Hilfe?«

«Ich brauche ein Wunder«, antwortete Catherine.»Ich bin hier verantwortlich und habe keine Ahnung, was ich tun muß.«

Er nickte grinsend.»Willkommen in Hollywood! Ich bin Tom O'Brien, der Regieassistent.«

«Trauen Sie sich zu, hier Regie zu führen?«

O'Briens Mundwinkel zuckten.»Ich könnt' es versuchen. Ich habe sechs Filme mit Willie Wyler gedreht. Die Sache ist gar nicht so verfahren, wie sie aussieht. Eigentlich fehlt's nur an der Organisation. Das Drehbuch liegt vor, die Sets sind festgelegt.«

Catherine sah sich im Atelier um. Die meisten Uniformen saßen miserabel.»Wirklich schlimm sehen nur fünf oder sechs aus. Mal sehen, ob wir nicht ein paar bessere finden.«

O'Brien nickte zustimmend.»Gute Idee.«

Catherine ging mit ihm zu den Statisten hinüber. Der Gesprächslärm in dem riesigen Atelier war ohrenbetäubend.

«Haltet mal 'nen Augenblick die Klappe, Jungs! Das hier ist Miss Alexander. Sie übernimmt jetzt die Leitung.«

«Stellt euch nebeneinander auf, damit wir euch richtig in Augenschein nehmen können«, verlangte Catherine.

O'Brien ließ die Statisten in reichlich krummer Linie antreten. Irgendwo hinter sich hörte Catherine lachende Stimmen und drehte sich aufgebracht um. Einer der Uniformierten stand in einer Ecke, als ginge ihn das Ganze nichts an, und flirtete mit einigen Mädchen, die an seinen Lippen hingen und bei jedem Satz kicherten. Sein Gehabe irritierte Catherine.

«Verzeihung, wären Sie so freundlich, bei uns mitzumachen?«

Der Uniformierte drehte sich um und fragte gedehnt:»Meinen Sie mich?«

«Ja. Wir möchten endlich weitermachen.«

Er sah ungewöhnlich gut aus: hochgewachsen, drahtig, mit blauschwarzem Haar und feurigen dunklen Augen. Seine Uniform saß wie angegossen. Auf den Schulterstücken trug er die Rangabzeichen eines Captains, und seine linke Brust zierte eine breite bunte Ordensschnalle. Catherine starrte die Orden an.»Diese Auszeichnungen… «

«Eindrucksvoll genug, Boß?«Seine tiefe Stimme klang frech und belustigt.

«Nehmen Sie sie ab!«

«Wozu? Ich dachte, sie würden diesem Film ein bißchen Farbe geben.«

«Sie haben nur eine Kleinigkeit vergessen. Amerika befindet sich noch nicht im Krieg. Folglich müssen Sie diese Orden beim Trödler erstanden haben.«

«Da haben Sie recht«, gab er verlegen zu.»Daran hab' ich nicht gedacht. Gut, ich nehme ein paar davon ab.«

«Sie nehmen gefälligst alle ab!«fauchte Catherine.

Als Catherine nach den Dreharbeiten des Vormittags in der Kantine beim Mittagessen saß, kam er an ihren Tisch.»Hallo. Wie war ich heute morgen? Überzeugend genug?«

Seine arrogante Art brachte sie auf.»Sie stolzieren wohl gern in Uniform und mit Orden behängt herum, was? Haben Sie schon mal daran gedacht, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden?«

Er machte ein entsetztes Gesicht.»Um auf mich schießen zu lassen? Das ist was für Schwachköpfe.«

Catherine wäre am liebsten explodiert.»Ich finde Sie widerwärtig!«

«Warum?«

«Wenn Sie das nicht selbst begreifen, kann ich's Ihnen nicht er klären.«

«Wollen Sie es nicht wenigstens versuchen? Heute abend bei Ihnen beim Essen. Können Sie kochen?«

«Sie brauchen heute nachmittag nicht mehr zu kommen«, erklärte Catherine ihm aufgebracht.»Wir schicken Ihnen einen Gagenscheck für heute vormittag. Wie heißen Sie?«-»Larry. Larry Douglas.«

Catherine ärgerte sich über diese Auseinandersetzung mit dem arroganten jungen Schauspieler und war entschlossen, nicht mehr an ihn zu denken. Aber aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer, ihn zu vergessen.

Nach ihrer Rückkehr nach Washington sagte William Fraser:»Du hast mir sehr gefehlt, Catherine. Ich habe viel über uns nachgedacht. Liebst du mich?«

«Sogar sehr, Bill.«

«Ich liebe dich auch. Gehen wir heute abend aus und feiern unser Wiedersehen?«

Catherine wußte, daß dies der Abend war, an dem er um ihre Hand anhalten würde.

Sie gingen in den exklusiven Jefferson Club. Während des Essens kam Larry Douglas herein — noch immer in der Uniform des Army Air Corps mit breiter Ordensschnalle. Catherine beobachtete ungläubig, wie er an ihren Tisch trat und nicht sie, sondern Fraser begrüßte.

«Cathy, darf ich dir Captain Lawrence Douglas vorstellen«, sagte Bill Fraser.»Larry, das ist Miss Alexander… Catherine. Larry ist als Chef einer amerikanischen Jagdstaffel in der Royal Air Force geflogen. Er gehört zu unseren wahren Helden. Um seine Erfahrungen an unsere Jungs weiterzugeben, übernimmt er jetzt hier ein Jagdgeschwader.«

Catherine hatte das Gefühl, im Boden versinken zu müssen…

Am nächsten Tag rief Larry Douglas sie mehrmals im Büro an. Catherine ließ sich verleugnen. Als sie nach Dienstschluß aus dem Ministerium kam, wartete er draußen auf sie. Er hatte alle Orden abgelegt und trug die Rangabzeichen eines einfachen Leutnants.

«Besser?«fragte er, während er sich lächelnd vor ihr aufbaute.

Catherine starrte ihn an.»Ist das Tragen falscher Rangabzeichen nicht ein Verstoß gegen die Dienstvorschriften?«

«Keine Ahnung. Ich dachte, für solche Dinge wären Sie zuständig.«

Sie sah ihm in die Augen und wußte, daß sie verloren war.

«Was wollen Sie von mir?«

«Alles. Ich will dich.«

Sie fuhren in seine Wohnung und liebten sich dort. Für Catherine war es ein himmlisches Erlebnis, das sie nicht einmal im Traum für möglich gehalten hatte: eine phantastische Vereinigung, die das Zimmer und das Universum erbeben ließ — bis es zur Explosion kam, der eine schwindelerregende Ekstase, eine unglaubliche Reise durch die Welt der Gefühle, Ankunft und Abschied, Ende und Beginn zugleich folgten. Catherine lag erschöpft und benommen da, hielt Larry an sich gedrückt, wollte ihn nie mehr loslassen und wünschte sich, dieses Gefühl würde ewig anhalten. Fünf Stunden später heirateten sie in Maryland.

Auf ihrem Flug nach London, wo sie ein neues Leben beginnen würde, sinnierte Catherine: Wir sind so glücklich gewesen! Was ist bloß schiefgegangen? Romantische Filme und Liebeslieder haben uns dazu verleitet, an Happy-Ends und Ritter in schimmernder Rüstung und an immerwährende Liebe zu glauben. Wir haben wirklich geglaubt, daß James Stewart und Donna Reed A Wonderful Life geführt haben; wir haben gewußt, daß Clark Gable und Claudette Colbert nach It Happened One Night für immer zusammenbleiben würden; wir haben Tränen vergossen, als Frederick March für The Best Years of Our Lives zu Myrna Loy zurückgekehrt ist; wir waren überzeugt, daß Joan Fontaine als Rebecca ihr Glück in den Armen von Lawrence Olivier gefunden hatte.

Alles Lügen, nichts als Lügen! Auch die Lieder! I'll Be Loving You, Always. Wie messen Männer den Begriff» immer«? Mit einer Eieruhr? How Deep Is The Ocean? Was hat Irving Berlin sich dabei vorgestellt? Zwanzig Zentimeter? Einen halben Meter? Und… Forever And A Day. Ich verlasse dich. Ich reiche die Scheidung ein. Some Enchanted Evening. Komm, wir machen morgen eine Tour zu den Höhlen von Soulion! You And The Night And The Music. Ich habe gehört, daß es hier in der Nähe berühmte Höhlen gibt. For

Sentimental Reasons. Niemand wird jemals… gleich jetzt, solange sie schläft. Be My Love.

Wir haben die Filme gesehen, wir haben die Songs gehört, wir haben uns eingebildet, dies sei das wirkliche Leben. Ich habe Larry so bedingungslos vertraut, werde ich jemals wieder einem anderen Mann vertrauen! Was habe ich getan, daß er mich ermorden wollte!

«Miss Alexander

Catherine fuhr zusammen und blickte verwirrt auf.

Flugkapitän Pantelis stand über sie gebeugt.»Wir sind gelandet. Willkommen in London!«

Am Flughafen wartete eine Limousine auf sie.»Mein Name ist Alfred, Miss Alexander«, stellte sich der Chauffeur vor.»Ich werde mich sofort um Ihr Gepäck kümmern. Möchten Sie dann gleich in Ihre Wohnung fahren?«

Meine Wohnung!'»Ja, bitte.«

Catherine ließ sich in die Polster zurücksinken. Unglaublich! Constantin Demiris hatte ihr sein eigenes Flugzeug zur Verfügung gestellt und auch für eine Wohnung gesorgt. Entweder war er der großzügigste Mann der Welt oder… Oder was? Nein, er ist der großzügigste Mann der Welt. Ich muß eine Möglichkeit finden, ihm meine Dankbarkeit angemessen zu beweisen.

In der Elizabeth Street am Eaton Square erwartete Catherine eine Luxuswohnung. Sie bestand aus einer großen Diele, einem elegant möblierten Salon mit einem Kristallüster, einer getäfelten Bibliothek, einer Küche mit vollen Vorratsschränken, einem Schlafzimmer, zwei Gästezimmern und Zimmern für das Personal.

An der Wohnungstür wurde Catherine von einer Frau Anfang Vierzig in einem schwarzen Kleid empfangen.»Guten Tag, Miss Alexander. Ich bin Anna, Ihre Haushälterin.«

Natürlich. Meine Haushälterin. Catherine war allmählich durch nichts mehr zu verblüffen.»Guten Tag, Anna.«

Der Chauffeur brachte ihre Koffer herauf und stellte sie ins Schlafzimmer.»Die Limousine steht zu Ihrer Verfügung«, erklärte er Catherine.»Sie brauchen Anna nur zu sagen, wann Sie ins Büro fahren wollen. Ich hole Sie dann ab.«

Die Limousine steht zu meiner Verfügung. Natürlich.»Danke, Alfred.«

«Ich packe Ihre Koffer aus«, sagte Anna.»Sollten Sie irgend etwas wünschen, brauchen Sie es mir nur zu sagen.«

«Danke, mir fällt wirklich nichts ein«, antwortete Catherine wahrheitsgemäß.

Während Anna die Koffer auspackte, machte Catherine langsam einen Rundgang durch die Wohnung. Dann ging sie ins Schlafzimmer, betrachtete die schönen Kleider, die Demiris ihr gekauft hatte, und dachte: Alles ist wie ein wunderbarer Traum. Sie hatte das Gefühl, etwas ganz und gar Irreales zu erleben. Noch vor 48 Stunden hatte sie in einem Klostergarten Rosen gegossen, jetzt führte sie das Leben einer Herzogin. Sie fragte sich, wie ihr Job aussehen würde. Ich werde mich anstrengen. Ich will ihn nicht enttäuschen. Er ist so wundervoll gewesen. Sie war plötzlich müde und streckte sich auf dem weichen, bequemen Bett aus. Nur eine Minute lang ausruhen. Sie schloß die Augen.

Ich ertrinke… Ich schreie. Hilfe! Larry schwimmt auf mich zu, und als er mich erreicht, drückt er mich unter Wasser. Und ich bin in einer stockfinsteren Höhle, und die Fledermäuse stoßen auf mich herab, zerzausen mein Haar und streifen mit klammen Flügeln mein Gesicht…

Catherine schrak hoch und setzte sich zitternd auf.

Sie atmete tief durch, bis ihre Erregung abgeklungen war. Das muß aufhören /nahm sie sich vor. Das liegt alles hinter dir. Laß die Vergangenheit ruhen. Du mußt für die Gegenwart leben. Hier tut dir niemand was. Niemand! fetzt nicht mehr.

Die Haushälterin hatte vor Catherines Schlafzimmertür auf ihre Schreie gehorcht. Sie wartete noch einen Augenblick. Als dann Stille herrschte, ging sie in die Diele, nahm den Telefonhörer ab und wählte Constantin Demiris' Nummer in Athen.

Die Hellenic Trade Corporation hatte ihre Büros in der Nähe des Piccadilly Circus in der 217 Bond Street in einem ehemaligen Regierungsgebäude, das schon vor Jahrzehnten in ein Bürogebäude umgebaut worden war. Die elegant gestaltete

Fassade des alten Gebäudes war ein architektonisches Meisterwerk.

Als Catherine dort ankam, erwartete das Büropersonal sie bereits. Sie wurde schon am Eingang von einem halben Dutzend Männer und Frauen begrüßt.

«Willkommen, Miss Alexander. Ich bin Evelyn Kaye. Das ist Carl… Tucker… Matthew… Jennie…«

Die Namen und Gesichter verschwammen.

«Guten Tag. Ich freue mich auf gute Zusammenarbeit mit Ihnen allen.«

«Ihr Büro steht für Sie bereit. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«

«Danke.«

Der Eingangsbereich war mit einem Chesterfield-Sofa, zwei Gainesborough-Sesseln und einem großen Gobelin geschmackvoll eingerichtet. Die beiden Frauen gingen den mit Teppichboden ausgelegten Korridor entlang und kamen an einem Konferenzraum mit dunkler Wandtäfelung, Lederstühlen und einem auf Hochglanz polierten langen Tisch vorbei. Catherine wurde in ein attraktives Büro mit alten, bequemen Möbeln und einer Ledercouch geführt.

«So, das ist Ihr Reich.«

«Wundervoll«, murmelte sie.

Auf dem Schreibtisch standen frische Blumen.

«Von Mr. Demiris.«

Er ist so aufmerksam.

Evelyn Kaye, die Catherine hergeführt hatte, war eine untersetzte Frau mittleren Alters mit freundlichem Gesicht und umgänglichem Wesen.»Sie werden ein paar Tage brauchen, um sich einzugewöhnen, aber unsere Arbeit ist im Grunde genommen recht einfach. Wir sind eines der Nervenzentren des Demiris-Imperiums. Wir koordinieren die Berichte der ausländischen Tochtergesellschaften und leiten sie an die Zentrale in Athen weiter. Ich bin die Geschäftsführerin. Sie werden meine Assistentin sein.«

«Oh.«Ich bin also die Assistentin der Geschäftsführerin. Catherine hatte keine Ahnung, was von ihr erwartet wurde. Sie war in eine Märchenwelt versetzt worden: Privatflugzeuge, Limousinen, eine Luxuswohnung mit Hauspersonal…

«Wim Vandeen ist unser mathematisches Genie. Er führt alle Konten und erstellt die Jahresabschlüsse. Sein Verstand arbeitet schneller als die meisten Rechenmaschinen. Kommen Sie, wir gehen in sein Büro, damit Sie ihn gleich kennenlernen.«

Sie gingen zum letzten Büro am Ende des Korridors. Evelyn öffnete die Tür, ohne anzuklopfen.

«Wim, das ist meine neue Assistentin.«

Catherine trat über die Schwelle und blieb dann verlegen stehen. Wim Vandeen schien Anfang Dreißig zu sein, ein hagerer Mann mit fliehendem Kinn und nicht sonderlich intelligentem Gesichtsausdruck. Er starrte seine Schuhspitzen an.

«Wim? Wim! Das ist Catherine Alexander.«

Er sah auf.»Der eigentliche Name Katharinas der Ersten war Marta Skawronska — eine 1684 geborene litauische Bauerntochter, die 1703 Mätresse Peters des Großen wurde; 1712 heiratete er sie, 1725 ließ er sie zur Kaiserin von Rußland krönen. Katharina die Zweite war die 1729 geborene Tochter eines preußischen Fürsten; heiratete 1745 Großfürst Peter Fjodorowitsch, der 1762 Zar Peter der Dritte wurde, und wurde im selben Jahr als seine Nachfolgerin gekrönt, nachdem sie ihn hatte stürzen und ermorden lassen. Unter ihrer Herrschaft kam es zu drei Teilungen Polens, zwei Kriegen gegen die Türkei und einem Krieg gegen Schweden…«Diese monoton vorgetragenen Fakten sprudelten nur so aus ihm heraus.

Catherine hatte ihm verblüfft zugehört.

«Das… das ist sehr interessant«, murmelte sie schließlich.

Wim Vandeen sah zu Boden.

«Wim ist schüchtern, wenn er mit jemandem bekannt gemacht wird«, erklärte Evelyn ihr.

Schüchtern? dachte. Catherine. Der Mann ist unheimlich. Und der soll ein Genie sein? Was für ein Job ist das hier bloß?

In Athen, in seinem Büro in der Agiou Geronda, ließ Constantin Demiris sich vom Chauffeur Alfred aus London telefonisch Bericht erstatten.

«Ich habe Miss Alexander vom Flughafen aus direkt in ihre Wohnung gefahren, Mr. Demiris. Wie von Ihnen angeordnet, habe ich sie gefragt, ob sie sonst irgendwohin gebracht zu werden wünsche, aber sie hat verneint.«

«Sie hat also keinen Kontakt zu irgendwem aufgenommen?«

«Nein, Sir. Es sei denn, sie hat von der Wohnung aus telefoniert,

Sir.«

Diese Möglichkeit machte Demiris keine Sorgen. Die Haushälterin Anna würde ihm ebenfalls Bericht erstatten. Er legte zufrieden den Hörer auf. Catherine stellte also keine unmittelbare Gefahr für ihn dar, und er würde dafür sorgen, daß sie ständig überwacht wurde. Sie stand ganz allein auf der Welt. Der einzige, an den sie sich hilfesuchend wenden konnte, war ihr Wohltäter Constantin Demiris. Ich muß bald eine Londonreise einplanen, überlegte er sich freudig. Sehr bald.

Catherine Alexander fand ihre neue Stellung interessant. Aus Constantin Demiris' weltumspannendem Reich gingen täglich Berichte ein: Produktionsziffern eines Stahlwerks in Indiana,

Ergebnisse der Betriebsprüfung einer Autofabrik in Italien, Abrechnungen eines Pressekonzerns in Australien, einer Goldmine, einer Versicherungsgesellschaft. Catherine stellte die Daten übersichtlich zusammen und gab sie sofort an Wim Vandeen weiter. Wim überflog sie, wobei sein eigenartig begabtes Gehirn auf Hochtouren arbeitete, und errechnete fast augenblicklich, wieviel Prozent Gewinn oder Verlust diese Zahlen für die Hellenic Trade Corporation bedeuteten.

Catherine machte es Spaß, ihre neuen Kollegen besser kennenzulernen. Die Schönheit des alten Gebäudes, in dem sie arbeitete, begeisterte sie jeden Tag aufs neue.

Als sie das Evelyn Kaye in Wims Gegenwart erzählte, sagte dieser:»Dieses Gebäude ist 1721 von Sir Christopher Wren als königliches Zollhaus erbaut worden. Nach dem großen Feuer von London hat Christopher Wren fünfzig Kirchen wiederaufgebaut. Seine berühmtesten Kirchen sind St. Paul's, St. Michaels und St. Bride's. Seine bekanntesten Profanbauten sind die Royal Exchange und das Burlington House. Er ist 1723 gestorben und liegt in St. Paul's begraben. Dieses Haus ist 1907 zu einem Bürogebäude umgebaut worden. Sein Keller hat während der deutschen

Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg als öffentlicher Schutzbunker gedient.«

Der noch existierende Luftschutzraum war ein großes bombensicheres Kellergeschoß, das durch eine schwere Stahltür vom übrigen Keller abgetrennt war. Catherine warf einen Blick in den Raum und dachte an die tapferen britischen Männer, Frauen und Kinder, die hier vor dem Bombenhagel von Hitlers Luftwaffe Schutz gefunden hatten.

Der eigentliche Keller war riesig und erstreckte sich unter dem ganzen Gebäude. Hier unten standen ein großer Heizkessel und ein Dutzend Schaltschränke der Telefonanlagen der Firmen in diesem Gebäude. Der alte Heizkessel hatte seine Mucken. Catherine hatte schon mehrmals Wartungstechniker in den Keller begleitet, damit sie sich den Kessel ansehen konnten. Jeder von ihnen werkelte daran herum, behauptete, jetzt funktioniere er wieder, und ging.

«Er sieht so gefährlich aus«, meinte Catherine.»Kann er vielleicht mal explodieren?«

«Nein, Miss, natürlich nicht! Sehen Sie das Sicherheitsventil hier? Sollte der Kessel jemals zu heiß werden, kann der Überdruck durch das Ventil ausgeglichen werden, und alles ist wieder in Butter. Kein Problem, Miss.«

War der Arbeitstag dann zu Ende, gab es London zu entdecken. London… ein Füllhorn wunderbarer Konzerte, Ballettabende und Theatervorstellungen. Es gab interessante alte Buchhandlungen wie Foyles oder Hatchards, Dutzende von Museen, kleine Antiquitätengeschäfte und Restaurants. Catherine besuchte die Lithographiewerkstätten im Cecil Court, kaufte bei Harrods, Fortnum & Mason und Marks &. Spencer ein und trank sonntags Tee im Savoy.

Gelegentlich kamen ihr wieder die alten Bilder und Erinnerungen. So vieles erinnerte sie an Larry. Eine Stimme… eine Redensart… ein Rasierwasser… ein Lied. Nein. Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Nur die Zukunft zählt noch. Sie wurde mit jedem Tag stärker.

Catherine freundete sich mit Evelyn Kaye an, und die beiden gingen gelegentlich miteinander aus. An einem Sonntag besuchten sie den Kunstmarkt am Themseufer. Dutzende von jungen und alten Malern zeigten hier ihre Bilder, die keine Galerie ausstellen wollte. Die meisten Gemälde waren schrecklich. Trotzdem kaufte Catherine aus Mitleid eines.

«Und wo willst du's aufhängen?«fragte Evelyn entgeistert.

«Im Heizraum«, sagte Catherine.

Auf ihren Streifzügen durch London sahen sie auch Pflastermaler, die mit Farbkreiden Gemälde auf den Gehsteig zauberten. Manche dieser Arbeiten waren erstaunlich gut. Passanten blieben stehen, um sie zu bewundern und den Künstlern ein paar Münzen in die aufgestellten Blechdosen zu werfen. Eines Nachmittags sah Catherine auf dem Rückweg vom Lunch einem älteren Mann zu, der an einer wundervollen Landschaft arbeitete. Als er gerade fertig wurde, begann es zu regnen, und der Alte stand da und sah zu, wie sein Bild weggewaschen wurde. Fast wie mein bisheriges Leben, dachte Catherine.

Evelyn Kaye nahm Catherine zum Shepherd's Market mit.»Ein interessanter Platz. Er wird dir gefallen.«

Die Szenerie war jedenfalls farbig. Es gab dort das über 300 Jahre alte Restaurant Tiddy Dols, einen Zeitungskiosk, ein Lebensmittelgeschäft, einen Frisiersalon, eine Bäckerei, mehrere Antiquitätengeschäfte und hübsche zwei- bis dreigeschossige Stadthäuser.

Die Namensschilder an einigen der Briefkästen waren merkwürdig. Auf einem stand Helen und darunter FranzösischUnterricht, auf einem anderen Rosie und darunter GriechischLektionen.

«Ist das hier eine Art Sprachenschule?«fragte Catherine.

Evelyn lachte laut.»In gewisser Beziehung schon. Aber die Kenntnisse, die diese Mädchen vermitteln, stehen in keiner Schule auf dem Lehrplan.«

Evelyn lachte noch lauter, als Catherine errötete.

Catherine war viel allein, aber sie führte ein zu aktives Leben, um sich einsam zu fühlen. Sie stürzte sich in ihr neues Leben, als versuche sie, all die kostbaren Augenblicke nachzuholen, um die sie gebracht worden war. Und sie weigerte sich bewußt, sich Sorgen um ihre Vergangenheit oder Zukunft zu machen. Sie besuchte Windsor Castle, Canterbury mit seiner schönen Kathedrale und

Hampton Court. An Wochenenden fuhr sie aufs Land und übernachtete in originellen kleinen Gasthöfen. Sie machte weite Spaziergänge und aß mittags in ländlichen Pubs, über denen noch die Atmosphäre früherer Jahrhunderte zu liegen schien.

Ich lebe dachte sie. Niemand wird als glücklicher Mensch geboren. Jeder ist seines Glückes Schmied. Ich kann für mich sorgen. Ich bin jung und gesund und habe wundervolle Erlebnisse vor mir.

Am Montag würde sie ins Büro zurückkehren. Zurück zu Evelyn und den Mädchen und zu Wim Vandeen.

Wim Vandeen war ihr ein Rätsel.

Catherine hatte noch nie einen Menschen wie ihn kennengelernt. Die Hellenic Trade Corporation hatte 20 Angestellte, und Wim Vandeen kannte von jedem einzelnen das Monatsgehalt, die Abzüge und die Sozialversicherungsnummer. Obwohl alle Geschäftsvorgänge verbucht wurden, speicherte Wim sämtliche Zahlen im Kopf. Er kannte den Cash-flow jeder Abteilung und wußte die Vergleichszahlen für jeden Vormonat — und das über die fünf Jahre hinweg, die er bei der Firma arbeitete.

In Wim Vandeens Gedächtnis war alles gespeichert, was er jemals gesehen, gehört oder gelesen hatte. Sein Wissensfundus war geradezu unglaublich. Die harmloseste Frage zu irgendeinem Thema konnte eine Informationsflut auslösen — und doch wai er ein ungeselliger Mensch.

Catherine diskutierte mit Evelyn über ihn.»Wim verstehe ich einfach nicht.«

«Wim ist ein Exzentriker«, erklärte Evelyn ihr.»Du mußt ihn einfach so nehmen, wie er ist. Ihn interessieren nur Zahlen. Aus Menschen macht er sich nichts, glaub' ich.«

«Hat er denn Freunde?«

«Nein.«

«Geht er jemals aus? Ich meine — geht er mit Frauen aus?«

«Nein.«

Catherine hatte das Gefühl, Wim sei isoliert und einsam, und empfand eine gewisse Verwandtschaft zu ihm.

Wims enzyklopädisches Wissen verblüffte Catherine immer wieder. Eines Morgens kam sie mit Ohrenschmerzen ins Büro.

«Bei diesem Wetter werden sie bloß schlimmer«, sagte Wim barsch.»An Ihrer Stelle würd' ich zum Ohrenarzt gehen.«

«Danke, Wim. Ich…«

«Das menschliche Ohr besteht aus drei Abschnitten: äußeres Ohr, Mittelohr und inneres Ohr. Zum äußeren Ohr gehören die Ohrmuschel und der durchs Trommelfell vom Mittelohr getrennte äußere Gehörgang. Das Mittelohr besteht aus der Paukenhöhle mit Hammer, Amboß und Steigbügel. Das ovale und das Schneckenfenster führen zum inneren Ohr, dem Labyrinth, das die Bogengänge und die Schnecke mit dem Cortischen Organ umfaßt. Die Ohrtrompete verbindet die Paukenhöhle mit der Rachenhöhle. «Sprach's und ließ sie stehen.

Einige Tage später gingen Evelyn und Catherine mit Wim zum Lunch in den Pub Ram's Head. Im Hinterzimmer spielten die Stammgäste Darts.

«Interessieren Sie sich für Sport, Wim?«fragte Catherine.»Haben Sie sich schon mal ein Baseballspiel angesehen?«

«Baseball«, sagte Wim prompt.»Ein Baseball hat dreiundzwanzig Komma fünf Zentimeter Umfang. Er besteht aus einem mit Garn umsponnenen Hartgummikern und ist mit weißem Leder überzogen. Der Schläger wird im allgemeinen aus Eschenholz hergestellt und hat bei nicht mehr als hundertsechs Zentimeter Länge einen maximalen Durchmesser von nicht mehr als sieben Zentimetern.«

Die Theorie beherrscht er, dachte Catherine, aber hat er je gespürt, wie aufregend es ist, etwas selbst zu tun?

«Haben Sie jemals irgendeinen Sport ausgeübt? Vielleicht Basketball?«

«Basketball wird auf Holz- oder Betonboden gespielt. Der Ball besteht aus einer kugelförmigen Lederhülle mit fünfundsiebzig bis achtzig Zentimeter Umfang, in der eine Gummiblase mit null Komma neun Bar Innendruck steckt. Der Ball wiegt sechshundert bis sechshundertfünfzig Gramm. Dieses Spiel ist 1891 von James Naismith erfunden worden. «Damit war Catherines Frage beantwortet.

Gelegentlich konnte Wim einen in der Öffentlichkeit auch in

Verlegenheit bringen. An einem Sonntag fuhren Evelyn und Catherine mit ihm nach Maidenhead an der Themse, wo sie mittags im Compleat Angler einkehrten. Der Kellner kam an ihren Tisch und sagte:»Heute haben wir frische Miesmuscheln.«

Catherine wandte sich an Wim.»Mögen Sie Miesmuscheln?«

Er legte sofort los.»Mytilus edulis, die gemeine oder eßbare Miesmuschel, mit länglicher, fast keilförmiger Schale und bis acht Zentimeter Länge, meist einfarbig violettblau oder violett gestreift auf hellerem Grund, kommt in fast allen Meeren rings um Europa vor.«

Der Kellner starrte ihn an.»Möchten Sie welche bestellen, Sir?«

«Ich mag keine Muscheln«, knurrte er.

Catherine verstand sich gut mit allen Leuten, mit denen sie zusammenarbeitete, aber Wim bedeutete ihr besonders viel. Er war staunenswert intelligent, aber zugleich auch schüchtern und offenbar sehr einsam.

«Gibt's denn keine Möglichkeit für Wim, ein normales Leben zu führen?«fragte Catherine eines Tages Evelyn.»Sich zu verlieben und zu heiraten?«

Evelyn seufzte.»Ich hab' dir gesagt, wo's bei ihm fehlt. Er kennt keine Gefühle. Er ist zu keiner Bindung fähig.«

Aber das konnte Catherine nicht glauben. In seinem Blick hatte sie schon mehrmals Interesse…Zuneigung… Lachen… aufblitzen sehen. Sie wollte Wim helfen, ihn aus seinem Schneckenhaus locken. Oder hatte sie sich das alles nur eingebildet?

Eines Tages kam eine Einladung zu einem Wohltätigkeitsball im Savoy.

Catherine ging damit in Wims Büro.»Wim, können Sie tanzen?«

Er starrte sie an.»Beim Foxtrott besteht die rhythmische Einheit aus eineinhalb Takten im Viervierteltakt. Der Mann beginnt den Grundschritt mit dem linken Fuß und macht zwei Schritte vorwärts. Die Frau beginnt mit dem rechten Fuß und macht zwei Schritte rückwärts. Nach diesen beiden langsamen Schritten folgt ein rascher Schritt rechtwinklig zu den langsamen Schritten. Um zu dippen, tritt der Mann mit dem linken Fuß vor, gibt im Knie nach — langsam — und bringt dann den rechten Fuß nach vorn — langsam.

Danach tritt er mit dem linken Fuß nach links — schnell — und zieht den rechten Fuß an den linken heran — schnell.«

Catherine stand da und wußte nicht, was sie sagen sollte. Er weiß alle Worte, aber er versteht ihre Bedeutung nicht.

Constantin Demiris rief spätabends an, als Catherine gerade ins Bett gehen wollte.

«Costa«, meldete er sich.»Ich störe doch nicht?«

«Nein, natürlich nicht. «Sie freute sich, seine Stimme zu hören. Sie hätte gern öfter mit ihm gesprochen, ihn um Rat gebeten. Schließlich war er der einzige Mensch auf der Welt, der ihre Vergangenheit wirklich kannte. Er erschien ihr wie ein alter Freund.

«Ich habe in den letzten Tagen oft an Sie gedacht, Catherine. Ich mache mir Sorgen, ob Sie in London nicht zu einsam sind. Schließlich kennen Sie dort fast niemand.«

«Ich fühle mich manchmal ein bißchen einsam«, gab Catherine zu.»Aber ich komme schon zurecht. Ich denke oft an Ihren Rat, die Vergangenheit zu vergessen und nur für die Zukunft zu leben.«

«Richtig! Und weil wir gerade bei der Zukunft sind: Ich bin morgen in London. Wollen Sie abends mit mir zum Essen gehen?«

«Sehr gern«, antwortete Catherine sofort. Sie freute sich schon jetzt darauf. Endlich würde sie Gelegenheit haben, Costa zu sagen, wie dankbar sie ihm war.

Constantin Demiris lächelte in sich hinein, als er den Hörer auflegte. Die Jagd hat begonnen.

Sie dinierten im Ritz. Der Speisesaal war elegant, das Essen köstlich. Aber Catherine war zu aufgeregt, um auf etwas anderes als den Mann zu achten, der ihr gegenübersaß. Sie hatte ihm so viel zu erzählen!

«Die Leute im Büro sind alle sehr nett zu mir«, berichtete Catherine.»Und Wims Gedächtnis verblüfft mich immer wieder. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der… «

Aber Demiris hörte kaum zu. Er beobachtete sie und dachte, wie schön sie war — und wie verletzlich. Ich darf nichts überstürzen. Nein, ich umgarne sie langsam, um den Sieg dann um so mehr auszukosten. Das ist meine Rache an dir, Noelle, an dir und an deinem Liebhaber.

«Sind Sie länger in London?«fragte Catherinegerade.

«Nur zwei oder drei Tage. Ich bin geschäftlich hier. «Das stimmte, aber er wußte recht gut, daß er seine Geschäfte am Telefon hätte abwickeln können. Nein, er war nach London geflogen, um seine Kampagne zu beginnen, Catherine enger an sich zu binden, sie emotional von sich abhängig zu machen. Jetzt beugte er sich vor.»Catherine, habe ich Ihnen schon einmal erzählt, wie ich als junger Mann auf den saudiarabischen Ölfeldern gearbeitet habe?«

Auch am nächsten Abend ging Demiris wieder mit Catherine zum Essen aus.

«Evelyn hat mir erzählt, wie hervorragend Sie im Büro arbeiten. Ich werde Ihr Gehalt erhöhen.«

«Sie sind bisher schon so großzügig gewesen!«wandte Catherine ein.»Ich…«

Demiris sah ihr in die Augen.»Sie ahnen nicht, wie großzügig ich sein kann.«

Catherine fand die Situation peinlich. Er ist nur freundlich. Du darfst das nicht überbewerten.

Am Tag darauf flog Demiris wieder ab.»Hätten Sie Lust, mich zum Flughafen zu begleiten, Catherine?«

«Ja.«

Sie fand Costa interessant, beinahe faszinierend. Er war amüsant und intelligent, und seine Aufmerksamkeit schmeichelte ihr.

Am Flughafen küßte Demiris sie leicht auf die Wange.»Ich bin froh, daß wir ein bißchen Zeit füreinander gehabt haben, Catherine.«

«Ich auch. Danke, Costa.«

Von der Besucherterrasse aus sah sie sein Flugzeug abheben. Er ist ein ganz besonderer Mensch. Er wird mir fehlen.

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