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Tony Rizzoli beobachtete, wie sie nackt aus dem Bad kam, und dachte: Warum haben griechische Frauen bloß so dicke Hintern?

Sie schlüpfte zu ihm ins Bett, umarmte ihn und flüsterte:»Ich bin so froh, daß du mich ausgewählt hast, mein Poulaki. Du hast mir auf den ersten Blick gefallen.«

Tony Rizzoli mußte sich beherrschen, um nicht laut zu lachen. Die Schlampe hatte sich zu viele Filmschnulzen angesehen.

«Klar«, sagte er.»So ist's mir auch gegangen, Baby.«

Er hatte Helena im The New Yorker aufgegabelt — einem schäbigen Nachtclub in der Kallaristraße, in dem sie als Sängerin auftrat. Sie war das, was die Griechen verächtlich als Gkabliara skila, läufige Hündin, bezeichnen. Keine der im Club arbeitenden Frauen hatte Talent — zumindest nicht in der Kehle —, aber alle waren bereit, für Geld mitzugehen. Mit dunklen Augen, sinnlichen Lippen und ausladenden Körperteilen war Helena einigermaßen attraktiv. Sie war vierundzwanzig, für seinen Geschmack etwas zu alt, aber er kannte in Athen sonst keine Ladies und konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein.

«Gefall' ich dir?«fragte Helena schelmisch.

«Yeah, ich bin pazzo nach dir.«

Er begann ihre Brüste zu streicheln, fühlte die Brustspitzen hart werden und drückte mit Daumen und Zeigefinger kräftig zu.

«Runter mit dem Kopf, Baby.«

Sie schüttelte den Kopf.»Das mach' ich nicht.«

Rizzoli starrte sie an.»Wirklich nicht?«

Brutal zog er sie an den Haaren nach unten.

Helena schrie auf.»Dreckskerl!«

Der Amerikaner schlug ihr brutal ins Gesicht.»Keinen Ton mehr, sonst brech' ich dir das Genick!«

Rizzoli drückte ihren Kopf zwischen seine Beine.»Da ist er, Baby. Mach ihn glücklich.«

«Laß mich los!«wimmerte sie.»Du tust mir weh.«

Rizzoli packte ihr Haar fester.»He, du bist verrückt nach mir, stimmt's?«

Als er ihr Haar losließ, sah sie mit zornfunkelnden Augen zu ihm auf.

«Du kannst dich… «

Sein Gesichtsausdruck ließ sie verstummen. Der Kerl hatte etwas Beängstigendes an sich. Warum hatte sie das nicht früher gemerkt?

«Wir brauchen uns nicht zu streiten«, sagte sie besänftigend.»Du und ich… «

Seine Finger krallten sich in ihren Nacken.»Ich bezahl' dich nicht, damit du Konversation machst. «Seine Faust krachte gegen ihren Wangenknochen.»Halt's Maul und mach dich an die Arbeit.«

«Natürlich, Sweetheart«, wimmerte Helena.»Natürlich.«

Tony Rizzoli war unersättlich, und als er endlich von ihr abließ, blieb Helena erschöpft neben ihm liegen, bis sie bestimmt wußte, daß er schlief. Dann stand sie leise auf und zog sich an. Rizzoli hatte noch nicht gezahlt. Normalerweise hätte sie das Geld — plus einem großzügigen Trinkgeld — aus seiner Brieftasche genommen. Aber instinktiv wußte sie, daß es besser war, diesmal ohne Geld zu verschwinden.

Eine Stunde später schrak Tony Rizzoli hoch, weil jemand gegen die Zimmertür hämmerte. Er setzte sich auf und bemühte sich, seine Armbanduhr zu erkennen. Es war 4.05 Uhr. Er sah sich um. Die Frau war verschwunden.

«Wer ist da?«rief er.

«Ihr Nachbar. «Die Stimme klang ärgerlich.»Ein Anruf für Sie.«

Rizzoli rieb sich die Stirn.»Gut, ich komme.«

Er schlüpfte in seinen Bademantel und trat an den Sessel, über dem seine Hose lag. Ein Blick in seine Brieftasche zeigte ihm, daß noch alles Geld da war. Ganz so blöd war die Schlampe also doch nicht. Er zog einen Hundertdollarschein heraus, ging zur Zimmertür und öffnete sie.

Sein Nachbar stand in Bademantel und Pantoffeln auf dem Flur.»Wissen Sie, wie spät es ist?«fragte er empört.»Dabei haben Sie mir versprochen, daß

Rizzoli gab ihm den Hunderter.»Tut mir schrecklich leid«, entschuldigte er sich.»Aber ich mach's kurz, darauf können Sie sich verlassen.«

Der Mann schluckte. Seine Empörung war verflogen.»Schon gut, Mister. Muß wohl was Wichtiges sein, wenn man dafür um vier Uhr aus dem Bett geklingelt wird.«

Der Amerikaner betrat das Zimmer gegenüber und griff nach dem Telefonhörer.»Rizzoli.«

«Mr. Rizzoli, Sie haben ein Problem«, sagte eine Stimme.

«Wer sind Sie?«

«Spyros Lambrou hat mich gebeten, Sie anzurufen.«

«Oh. «Er war schlagartig hellwach.»Wo liegt das Problem?«

«Es betrifft Constantin Demiris.«

«Was ist mit ihm?«

«Einer seiner Tanker, die Thele, ist aus Marseille ausgelaufen.«

«Und?«

«Wie wir erfahren haben, hat Mr. Demiris das Schiff nach Piräus beordert. Es soll am Sonntagmorgen hier anlegen und abends wieder auslaufen. Constantin Demiris hat vor, bei Auslaufen an Bord zu sein.«

«Was!«

«Er will durchbrennen.«»Aber er und ich haben eine… «

«Mr. Lambrou läßt Ihnen ausrichten, daß Demiris in Amerika untertauchen will, bis er eine Möglichkeit gefunden hat, Sie zu beseitigen.«

Dieser hinterhältige Bastard!» Ich verstehe. Übermitteln Sie Mr. Lambrou meinen Dank. Ich danke ihm sehr herzlich.«

«Es ist ihm ein Vergnügen gewesen.«

Tony Rizzoli legte den Hörer auf.

«Alles in Ordnung, Mr. Rizzoli?«-»Was? O ja, natürlich. Alles bestens. «Und das stimmte sogar.

Je länger Rizzoli über den Anruf nachdachte, desto zufriedener war er. Er hatte erreicht, daß Constantin Demiris versuchte, vor ihm zu fliehen. In diesem Zustand würde er wesentlich leichter zu beeinflussen sein. Sonntag. Er hatte zwei Tage Zeit, um sich einen Plan auszudenken.

Tony Rizzoli wußte, daß er vorsichtig sein mußte. Er wurde auf Schritt und Tritt überwacht. Dämliche Keystone Cops, dachte Rizzoli verächtlich. Wenn's soweit ist, häng' ich sie irgendwo ab.

Kurz nach neun Uhr betrat Rizzoli eine Telefonzelle in der Kifisiasstraße und rief Viktor Korontzis im Museum an.

Im reflektierenden Glas sah Tony Rizzoli einen Mann, der vorgab, sich für ein Schaufenster zu interessieren, und einen weiteren, der auf der anderen Straßenseite mit einem Blumenverkäufer schwatzte. Es war offensichtlich, daß sie ihn beschatteten. Viel Spaß dabei! dachte der Amerikaner.

«Korontzis.«

«Viktor? Hier ist Tony.«

«Ist irgendwas passiert?«Aus der Stimme des kleinen Mannes sprach jähe Angst.

«Nein«, beschwichtigte Rizzoli ihn,»alles in bester Ordnung. Viktor, du kennst doch die hübsche Vase mit den roten Figuren drauf?«

«Die Ka-Amphore?«

«Yeah. Die bringst du heute abend mit.«

Am anderen Ende entstand eine lange Pause.»Heute abend? Ich… ich weiß nicht recht, Tony. «Korontzis' Stimme zitterte.»Wenn irgendwas schiefgeht…«

«Okay, Kumpel, reden wir nicht mehr davon. Ich hab' bloß versucht, dir 'nen Gefallen zu tun. Du sagst Prizzi einfach, daß du das Geld nicht hast, und läßt ihn mit dir anstellen, was er…«-»Nein, Tony! Augenblick! Ich… ich…«Wieder eine Pause.»Geht in Ordnung.«

«Weißt du bestimmt, daß die Sache in Ordnung geht, Viktor? Falls du's doch nicht tun willst, brauchst du's nur zu sagen, und ich reise in die Staaten zurück, wo ich keine solchen Probleme habe. Ich bin nicht scharf auf solche Schwierigkeiten, verstehst du? Ich kann… «

«Nein, ich weiß zu schätzen, was du für mich tust, Tony. Wirklich! Heute abend ist in Ordnung.«

«Okay, dann bleibt's dabei. Wenn dein Museum heute abend schließt, brauchst du die Vase nur durch eine Kopie zu ersetzen.«

«Das Bewachungspersonal kontrolliert alle Taschen, die mit hinausgenommen werden.«

«Na und? Sind das vielleicht Kunstexperten?«

«Nein, natürlich nicht, aber

«Hör zu, Viktor, ich sage dir, was du zu tun hast. Du läßt dir für die gekaufte Kopie eine Rechnung geben und legst sie zu dem Original in die Tragtüte. Hast du verstanden?«

«Ja. Ich… ich habe verstanden. Wo treffen wir uns?«

«Wir treffen uns überhaupt nicht. Du verläßt das Museum um Viertel nach sechs. Draußen wartet ein Taxi, in das du mit deiner Tüte steigst. Du läßt dich zum Hotel Grande Bretagne; fahren. Dort weist du den Taxifahrer an, auf dich zu warten, und läßt die Tüte im Wagen liegen. Du gehst in die Hotelbar und genehmigst dir einen Drink. Dann fährst du wie jeden Abend nach Hause.«

«Aber die Tüte…«

«Keine Angst, die kommt in gute Hände.«

Viktor Korontzis stand der Angstschweiß auf der Stirn.»So was hab' ich noch nie gemacht, Tony. Ich hab' noch nie etwas gestohlen. Ich bin mein Leben lang…«

«Ja, ich weiß«, sagte Rizzoli beschwichtigend.»Ich natürlich auch nicht. Denk daran, Viktor, daß ich das ganze Risiko auf mich nehme, ohne das geringste davon zu haben.«

Korontzis' Stimme zitterte.»Du bist ein wahrer Freund, Tony. Der beste, den ich je gehabt habe. «Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, um eine Frage zu stellen:»Weißt du schon ungefähr, wann ich das Geld bekomme?«

«Sehr bald«, versicherte Tony Rizzoli ihm.»Sobald die Sache geklappt hat, bist du alle Sorgen los.«Und ich auch, dachte Rizzoli triumphierend. Und zwar für immer.

An diesem Nachmittag hatten wieder Kreuzfahrtschiffe in Piräus angelegt, so daß das Museum voller Touristen war. Sonst hatte Viktor Korontzis seinen Spaß daran, sie zu beobachten und Vermutungen über ihr Leben anzustellen. Briten und Amerikaner stellten das größte Kontingent von Besuchern aus Dutzenden von Ländern. Aber heute war Korontzis zu nervös und ängstlich, um sich für sie zu interessieren.

Er sah zu den beiden Ständen hinüber, an denen Kopien von Ausstellungsstücken des Museums verkauft wurden. Sie waren von Touristen umlagert, und die beiden Verkäuferinnen hatten Mühe, den Ansturm zu bewältigen.

Vielleicht sind sie bald ausverkauft, dachte er hoffnungsvoll, und ich kann Rizzolis Plan nicht in die Tat umsetzen. Aber er wußte, daß das eine unrealistische Hoffnung war, denn im Keller des Museums lagerten noch Hunderte von Kopien. Die Vase, die er auf Tonys Vorschlag stehlen sollte, gehörte zu den größten Schätzen des Museums. Sie stammte aus der Zeit um 1500 vor Christus; eine Amphore mit roten mythologischen Figuren auf schwarzem Untergrund. Viktor Korontzis hatte sie zum letzten Mal vor über einem Jahrzehnt in den Händen gehalten, als er sie ehrfürchtig in die Vitrine gestellt hatte, in der man sie für ewig in Sicherheit glaubte. Und jetzt stehle ich sie, dachte er unglücklich. Gott sei mir gnädig.

Korontzis brachte den ganzen Nachmittag wie benommen hinter seinem Schreibtisch zu. Er fürchtete den Augenblick, in dem er zum Dieb werden würde. Ich bring's nicht fertig. Es muß irgendeine andere Lösung geben. Aber welche! Er sah keine Möglichkeit, so viel Geld aufzutreiben. Und er glaubte, Sal Prizzis Stimme zu hören. Ich kriege mein Geld noch heute abend, sonst wirst du an meine Hunde verfüttert. Kapiert! Der Mann war ein Killer. Nein, ihm blieb nichts anderes übrig.

Erst kurz vor 18 Uhr tauchte Viktor Korontzis wieder aus seinem Büro auf. Die beiden Frauen, die Kopien von Museumsstücken verkauften, hatten gerade begonnen, die Tageseinnahmen abzurechnen.

«Signomi!« rief Korontzis.»Einer meiner Freunde hat heute Geburtstag. Ich dachte, ich könnte ihm etwas aus dem Museum schenken. «Er trat an den Stand und gab vor, die ausgestellten Amphoren, Kelche, Bücher und Karten zu betrachten. Zuletzt deutete er auf eine Kopie der roten Amphore.»Die da würde ihm gefallen, denk' ich.«

«Die gefällt ihm bestimmt«, sagte die Verkäuferin und nahm die Amphore aus dem Schaukasten.

«Geben Sie mir bitte eine Quittung mit.«

«Sofort, Herr Korontzis. Soll ich sie Ihnen als Geschenk einpacken?«

«Nein, das ist nicht notwendig«, wehrte er hastig ab.»Sie können Sie einfach in eine Tüte stecken.«

Er beobachtete, wie sie die Kopie in eine Tüte steckte und die Quittung dazulegte.»Danke.«

«Hoffentlich hat Ihr Freund Spaß daran.«

«Oh, da bin ich sicher. «Er nahm mit zitternden Händen die Tüte entgegen und ging in sein Büro zurück.

Dann sperrte er die Tür ab, nahm die Amphorenkopie aus der Tragtüte und stellte sie auf seinen Schreibtisch. Es ist noch nicht zu spät, dachte er. Noch habe ich nichts Strafbares getan. In seiner quälenden Unentschlossenheit gingen ihm die wirrsten Gedanken durch den Kopf.

Ich könnte Frau und Kinder im Stich lassen und mich ins Ausland absetzen. Ich könnte Selbstmord verüben. Ich könnte zur Polizei gehen und anzeigen, daß ich bedroht werde. Aber wenn die Wahrheit rauskommt, bin ich ruiniert.

Nein, es gab keinen Ausweg. Er wußte, daß Prizzi ihn umbringen würde, wenn er seine Spielschulden nicht bezahlte. Gott sei Dank habe ich meinen Freund Tony. Ohne ihn wäre ich ein toter Mann.

Korontzis sah auf seine Uhr. Höchste Zeit! Er stand auf, merkte, daß seine Knie zitterten, atmete tief durch und versuchte, ruhiger zu werden. Seine Hände waren schweißnaß. Er wischte sie an seinem

Hemd ab. Dann steckte er die Kopie in die Tragtüte zurück und sperrte die Tür auf. Der Wachmann am Eingang hatte Dienst, bis das Museum um 18 Uhr schloß. Sein Kollege vom Nachtdienst, der die Runde durch alle Säle machte, mußte um diese Zeit in einem der hinteren Räume sein.

Als Korontzis sein Büro verließ, wäre er beinahe mit dem Nachtwächter zusammengeprallt. Er zuckte schuldbewußt zusammen.

«Entschuldigung, Herr Korontzis. Ich hab' nicht gewußt, daß Sie noch da sind.«

«Ja. Ich… ich wollte gerade gehen.«

«Wissen Sie«, sagte der Nachtwächter bewundernd,»ich beneide Sie oft.«

Wenn der wüßte!» Tatsächlich? Warum denn?«

«Sie wissen so viel über all diese schönen Dinge. Ich mache meine Runde und schaue mir die Sachen an, ohne viel davon zu verstehen. Dabei sind das kostbare Stücke, Teile unserer Geschichte, nicht wahr? Vielleicht könnten Sie mich gelegentlich mal durch die Sammlung führen. Ich wüßte wirklich gern

Warum hält der alte Trottel nicht endlich die Klappe.»Ja, natürlich. Irgendwann. Ich führe Siegern einmal.«Über die Schulter des Mannes hinweg sah Korontzis die Vitrine mit der kostbaren Amphore. Er mußte den Nachtwächter irgendwie loswerden.

«Ich…Hören Sie, mit der Alarmanlage an den Kellerfenstern scheint irgendwas nicht in Ordnung zu sein. Würden Sie die bitte überprüfen?«

«Wird gemacht. Soviel ich gelesen habe, stammen einige unserer Stücke aus dem…»

«Würden Sie sie bitte gleich überprüfen? Ich möchte nicht gehen, bevor ich weiß, daß alles in Ordnung ist.«

«Sofort, Herr Korontzis. Bin gleich wieder da!«

Viktor Korontzis blieb stehen und sah dem zur Kellertreppe gehenden Nachtwächter nach. Sobald der Mann verschwunden war, hastete er zu der Vitrine mit der roten Amphore. Während er einen Schlüssel aus der Tasche zog, dachte er: Ich tu's wirklich! Ich bin dabei, sie zu stehlen.

Der Schlüssel glitt ihm aus den Fingern und fiel klirrend zu Boden. Ist das ein Omen! Versucht Gott mir irgend etwas zu sagen? Sein

Hemd war schweißnaß. Er bückte sich, hob den Schlüssel auf und starrte dabei die Amphore an. Ein wahres Prachtstück! Vor Urzeiten hatten seine Vorfahren sie mit liebevoller Sorgfalt hergestellt. Der Nachtwächter hatte recht: Sie war ein unersetzliches Stück griechischer Geschichte.

Korontzis schloß kurz die Augen und bemühte sich, sein Zittern zu unterdrücken. Dann überzeugte er sich durch einen raschen Blick, daß er nicht beobachtet wurde, sperrte die Vitrine auf und nahm die Amphore vorsichtig heraus. Als nächstes holte er die Kopie aus der Tragtüte und stellte sie in die Vitrine.

Korontzis richtete sich auf und betrachtete die Amphore. Obwohl sie eine sehr gute Kopie war, schien sie für ihn Fälschung zu rufen. Der Schwindel war unverkennbar. Aber nur für mich, dachte Korontzis, und ein paar weitere Fachleute. Außer ihnen würde kein Mensch etwas merken. Und niemand hatte einen Grund, die Amphore genauer zu untersuchen. Korontzis sperrte die Vitrine ab und legte die echte Amphore in die Tragtüte mit der quittierten Rechnung.

Dann zog er sein Taschentuch heraus und wischte sich Gesicht und Hände ab. Geschafft! Er sah auf seine Armbanduhr. 18.11 Uhr. Er mußte sich beeilen. Als er zum Ausgang unterwegs war, sah er den Nachtwächter auf sich zukommen.

«Die Alarmanlage scheint völlig in Ordnung zu sein, Herr Korontzis, und…«

«Gut«, unterbrach Korontzis.»Wir können nicht vorsichtig genug sein, stimmt's?«

Der Mann nickte lächelnd.»Da haben Sie recht. Gehen Sie jetzt?«

«Ja. Gute Nacht.«

«Gute Nacht.«

Der Wachmann, der tagsüber Dienst hatte, stand noch am Ausgang und schien eben gehen zu wollen. Er grinste, als er die Tragtüte sah.»Die muß ich kontrollieren. Das haben Sie selbst angeordnet.«

«Selbstverständlich«, sagte Korontzis rasch. Er gab ihm seine Tragtüte.

Der Wachmann warf einen Blick hinein, holte die Amphore heraus und sah die Quittung.

«Ein Geschenk für einen Freund«, erklärte Korontzis ihm.»Er ist Ingenieur.«Wozu hast du das gesagt? Was kümmert den das? Benimm dich gefälligst natürlich!

«Hübsch. «Der Wachmann warf die Amphore in die Tragtüte zurück, und Korontzis fürchtete einen schrecklichen Augenblick lang, sie würde zersplittern.

Viktor Korontzis drückte die Tragtüte an seine Brust. »Kalispera.«

Der Wachmann hielt ihm die Tür auf. »Kalispera.«

Korontzis mußte gegen eine plötzliche Übelkeit ankämpfen und trat schweratmend in die kühle Abendluft hinaus. Er hielt gewissermaßen Millionen von Dollar in der Hand, aber daran dachte er in diesem Augenblick nicht. Er wußte nur, daß er sein Vaterland verriet, daß er seinem geliebten Griechenland ein Stück Geschichte stahl, um es irgendeinem gesichtslosen Ausländer zu verkaufen.

Er ging langsam die Treppe hinunter. Wie Tony Rizzoli ihm versprochen hatte, wartete vor dem Museum ein Taxi. Korontzis schleppte sich zu dem Wagen und stieg ein.»Hotel Grande Bretagne«, sagte er.

Er sackte auf dem Rücksitz zusammen, erschöpft und zerschlagen, als läge ein schrecklicher Kampf hinter ihm. Aber hatte er gewonnen oder verloren?

Als das Taxi vor dem Hotel Grande Bretagne hielt, wies er den Fahrer an:»Warten Sie bitte hier. «Nach einem letzten Blick auf die Tragtüte mit dem kostbaren Inhalt auf dem Rücksitz stieg er aus und verschwand rasch im Hotel. Hinter dem Eingang drehte er sich um und sah nach draußen. Ein Unbekannter stieg in das Taxi. Im nächsten Augenblick fuhr es rasch davon.

Geschafft! dachte Korontzis. Aber so was werde ich in meinem Leben nie wieder tun! Der Alptraum ist vorbei.

Am Sonntagnachmittag gegen 15 Uhr verließ Tony Rizzoli sein Hotel und schlenderte in Richtung Omoniaplatz. Zu einer rotkarierten Jacke trug er eine grüne Hose und ein rotes Barett. Zwei Kriminalbeamte beschatteten ihn.»Die Klamotten muß er aus einem Zirkus haben«, meinte der eine.

In der Metaxastraße hielt Rizzoli ein Taxi an. Der Kriminalbeamte sprach in sein Handfunkgerät.»Der Verdächtige ist in ein Taxi gestiegen.«

«Wir sehen ihn«, antwortete eine Stimme.»Wir bleiben dran. Geht ins Hotel zurück.«

«Wird gemacht.«

Eine neutrale graue Limousine folgte dem nach Süden am Monastirakiplatz vorbeifahrenden Taxi in diskretem Abstand. Der Kriminalbeamte neben dem Fahrer griff nach dem Handmikrofon.

«Zentrale, hier Wagen vier. Der Verdächtige sitzt in einem Taxi, das die Philhellionstraße entlangfährt… Augenblick, eben ist es in die Petastraße abgebogen. Er scheint zur Plaka zu wollen. Dort hängt er uns möglicherweise ab. Könnten Sie ihn dann zu Fuß weiterverfolgen lassen?«

«Einen Moment Wagen vier. «Eine halbe Minute später meldete die Stimme sich erneut.»Wagen vier, ein weiteres Team ist unterwegs. Falls er in der Plaka aussteigt, folgt man ihm zu Fuß.«

«Kala. Der Verdächtige trägt eine rotkarierte Jacke, eine grüne Hose und ein rotes Barett. Er ist kaum zu übersehen. Augenblick! Das Taxi hält. Er steigt in der Plaka aus.«

«Verstanden. Wir übernehmen. Sie können zum Hotel zurückfahren. Ende.«

In der Plaka beobachteten zwei Kriminalbeamte, wie der Mann aus dem Taxi ausstieg.

«Wo hat der sich bloß so ausstaffiert?«meinte einer der beiden.

Sie setzten sich in Bewegung und begannen, ihm durch das belebte Labyrinth der Athener Altstadt zu folgen. Etwa eine Stunde lang schlenderte er scheinbar ziellos durch die Gassen — an Bars, Tavernen, Andenkenläden und kleinen Galerien vorbei. Er folgte der Anafiotikastraße und interessierte sich dann für einen Flohmarkt, auf dem Schwerter, Dolche, Musketen, Kochtöpfe, Kerzenleuchter, Öllampen und Ferngläser feilgeboten wurden.

Was hat er eigentlich vor, verdammt noch mal?«

«Anscheinend macht er bloß einen Stadtbummel. Halt, wohin will er jetzt?«

Die beiden folgten ihm, als er in die Gerontastraße abbog und das Restaurant Xynou betrat. Sie blieben in einiger Entfernung vom Eingang stehen und sahen zu, wie er bestellte.

Die beiden Beamten begannen sich allmählich zu langweilen.»Hoffentlich kommt er bald wieder raus. Ich möchte heim und ein

Nickerchen machen.«

«Bleib lieber wach! Falls er uns abhängt, tritt Nikolino uns gewaltig in den Hintern.«

«Wie soll er das können? Der Kerl ist doch auffällig wie 'n Leuchtturm.«

Der andere Kriminalbeamte starrte seinen Kollegen an.

«Was? Was hast du eben gesagt?«

«Ich hab' gesagt, daß er…«

«Schon gut!«Seine Stimme klang plötzlich nervös.»Hast du dir eigentlich mal sein Gesicht angesehen?«

«Nein.«

«Ich auch nicht. Toublo! Los, komm!«

Inspektor Nikolino kochte vor Wut.»Ich hatte drei Teams auf Rizzoli angesetzt. Wie hat er euch da abhängen können?«

«Er hat uns reingelegt, Inspektor. Die Kollegen haben beobachtet, wie er in ein Taxi gestiegen ist, und… «

«Und sie haben das Taxi aus den Augen verloren?«»Nein, sie sind drangeblieben. Wir haben gesehen, wie er ausgestiegen ist. Oder ein Mann, den wir wegen seiner wilden Aufmachung für ihn gehalten haben. Rizzoli hatte einen zweiten Mann im Taxi versteckt, und die beiden haben unterwegs ihre Sachen getauscht. Darum haben wir den falschen Mann beschattet.«

«Und Rizzoli ist mit dem Taxi weggefahren?«»Ja, leider.«

«Habt ihr euch die Nummer aufgeschrieben?«»Ah, nein,

Inspektor. Das… das haben wir für überflüssig gehalten.«

«Wer ist der Mann, den ihr für Rizzoli gehalten habt?«

«Ein Page aus seinem Hotel. Der Amerikaner hat ihm weisgemacht, er wolle jemandem einen Streich spielen. Für diesen Gefallen hat er ihm hundert Dollar gegeben. Mehr weiß der junge Mann auch nicht.«

Inspektor Nikolino holte tief Luft.»Und ihr wißt vermutlich nicht, wo Mr. Rizzoli im Augenblick steckt?«»Nein, Inspektor. Leider nicht.«

Griechenland hat sieben große Häfen: Saloniki, Patras, Wolos, Igumenitsa, Kawala, Iraklion und Piräus.

Piräus liegt zehn Kilometer südwestlich der Athener Innenstadt und ist nicht nur einer der Haupthäfen Griechenlands, sondern auch einer der wichtigsten Häfen Europas. Der ganze Komplex besteht aus vier Häfen, von denen drei Jachten und Fähr- und Passagierschiffe aufnehmen. Herakles, der vierte Hafen, ist für Frachter reserviert, die direkt vom Kai aus be- und entladen werden.

Die Thele lag in Herakles vor Anker. Der bewegungslos im dunklen Hafen liegende große Tanker erinnerte an ein riesenhaftes, nur scheinbar ruhendes Ungeheuer.

Tony Rizzoli, der von vier Männern begleitet wurde, fuhr die Pier entlang. Er blickte zu dem riesigen Schiff auf und dachte: Okay, der Tanker ist also da. Mal sehen, ob Demiris an Bord ist.

Er wandte sich an seine Begleiter.»Zwei von euch warten hier. Die beiden anderen kommen mit. Sorgt dafür, daß keiner von Bord geht.«

«Wird gemacht.«

Rizzoli und die beiden Männer stiegen die Gangway hinauf. Oben kam ihnen ein Bootsmann entgegen.»Zu wem möchten Sie?«fragte er auf englisch.

«Wir möchten Mr. Demiris sprechen.«

«Mr. Demiris ist in seiner Kabine. Erwartet er Sie?«

Der Tip war also richtig/Tony Rizzoli lächelte.»Yeah, er erwartet uns. Wann läuft das Schiff aus?«

«Um Mitternacht. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg.«

«Danke, sehr freundlich von Ihnen.«

Sie folgten dem Bootsmann übers Deck bis zu einem Niedergang. Unten gingen sie einen schmalen Korridor mit etwa einem halben Dutzend Kabinentüren entlang.

Vor der letzten Tür blieb der Bootsmann stehen und wollte anklopfen. Aber Tony Rizzoli schob ihn beiseite.»Danke, wir melden uns selbst an. «Er stieß die Tür auf und trat über die hohe Schwelle.

Die Kabine war größer, als Rizzoli erwartet hatte. Ihre Einrichtung bestand aus einem Bett, einer Couch, einem kleinen Schreibtisch und zwei Sesseln. Hinter dem Schreibtisch saß Constantin Demiris.

Demiris hob den Kopf, erkannte Rizzoli und stand so hastig auf, daß er beinahe den Stuhl umgeworfen hätte. Er war blaß geworden.

«Was… was tun Sie hier?«Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

«Meine Freunde und ich sind hier, um Ihnen einen kleinen Abschiedsbesuch zu machen, Costa.«

«Woher haben Sie gewußt, daß ich…? Ich meine, ich… ich habe Sie nicht erwartet.«

«Davon bin ich überzeugt«, sagte Tony Rizzoli. Er drehte sich nach dem Bootsmann um.»Danke, Kumpel.«

Der Bootsmann ging.

Rizzoli wandte sich erneut an Demiris.»Wollten Sie etwa verreisen, ohne sich von Ihrem Partner zu verabschieden?«

«Nein, natürlich nicht«, beteuerte Demiris rasch.»Ich… ich bin nur an Bord gekommen, um ein paar Dinge zu überprüfen. Das Schiff läuft morgen früh aus. «Seine Hände zitterten dabei.

Tony Rizzoli trat näher an ihn heran. Als er sprach, war seine Stimme gefährlich leise.»Mein lieber Costa, Sie haben einen großen Fehler gemacht. Es hat keinen Zweck, weglaufen zu wollen, weil's für Sie keinen Ort gibt, wo Sie hinkönnen. Sie und ich haben eine Vereinbarung getroffen, stimmt's? Wissen Sie, was mit Leuten passiert, die Vereinbarungen nicht einhalten? Die sterben scheußlich — ganz scheußlich.«

Demiris schluckte trocken.»Ich… ich möchte allein mit Ihnen reden.«

Rizzoli nickte seinen Männern zu.»Okay, ihr wartet draußen.«

Als die beiden gegangen waren, ließ Tony Rizzoli sich in einen Sessel fallen.»Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Costa.«

«Ich kann diese Vereinbarung nicht einhalten«, sagte Constantin Demiris.»Aber ich biete Ihnen Geld — mehr Geld, als Sie sich jemals erträumt haben.«

«Und was erwarten Sie dafür?«

«Daß Sie von Bord gehen und mich in Zukunft in Ruhe lassen. «Demiris' Stimme klang verzweifelt.»Rizzoli, Sie dürfen mir das nicht antun. Ich sehe kommen, daß meine Flotte beschlagnahmt wird. Dann bin ich ruiniert. Bitte! Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen.«

Tony Rizzoli grinste.»Ich habe alles, was ich will. Wie viele Tanker gehören Ihnen? Zwanzig? Dreißig? Wir werden sie alle fleißig einsetzen — Sie und ich. Sie brauchen bloß dafür zu sorgen, daß sie ein paar Häfen mehr anlaufen.«

«Sie… Sie wissen gar nicht, was Sie mir damit antun.«

«He, darüber hätten Sie nachdenken sollen, bevor Sie versucht haben, mich reinzulegen. «Tony Rizzoli stand auf.»Bevor wir auslaufen, reden Sie mit dem Kapitän. Machen Sie ihm klar, daß wir einen kleinen Halt vor der Küste Floridas einlegen werden.«

Demiris zögerte.»Einverstanden. Wenn Sie morgen früh zurückkommen

Tony Rizzoli lachte.»Ich bleibe an Bord, Costa. Das Versteckspiel ist zu Ende. Sie wollten heimlich um Mitternacht auslaufen. In Ordnung — aber nicht ohne mich, verstanden?

Wir bringen eine Ladung Heroin an Bord, und damit die Reise sich richtig lohnt, nehmen wir noch eine Kostbarkeit aus einem Athener Museum mit. Und Sie werden mir helfen, sie in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. Das ist die Strafe für Ihren Versuch, mich aufs Kreuz zu legen.«

Demiris war sichtlich benommen.»Ich… gibt's denn gar nichts«, fragte er bittend,»was ich tun könnte, damit…?«

Tony Rizzoli schlug ihm auf die Schulter.»Kopf hoch! Ich verspreche Ihnen, daß es Ihnen Spaß machen wird, mein Partner zu sein.«

Rizzoli ging zur Kabinentür und öffnete sie.»Okay, bringt das Zeug an Bord«, wies er seine Männer an.

«Wo sollen wir's hintun?«

Auf jedem Schiff gab es Hunderte von möglichen Verstecken, aber Rizzoli hielt es für unnötig, ein besonders gutes zu suchen. Constantin Demiris' Flotte war über jeden Verdacht erhaben.

«Steckt das Zeug in einen Kartoffelsack«, sagte er.»Kennzeichnet den Sack und stellt ihn ganz hinten in den Kühlraum. Die Vase bringt ihr Mr. Demiris, damit er persönlich auf sie aufpassen kann. «Aus Rizzolis Blick sprach Verachtung, als er sich jetzt an Demiris wandte.»Oder macht Ihnen das Schwierigkeiten?«

Constantin Demiris versuchte zu sprechen, aber er brachte kein Wort heraus.

«Okay, Jungs«, sagte Tony Rizzoli.»An die Arbeit!«

Als die beiden gegangen waren, ließ Rizzoli sich wieder in den Sessel fallen.»Hübsche Kabine. Aber Sie dürfen sie behalten, Costa. Meine Jungs und ich suchen uns selbst eine Unterkunft.«

«Danke«, sagte Demiris niedergeschlagen.»Danke.«

Gegen Mitternacht legte der große Tanker vom Kai ab und wurde von zwei Schleppern aus dem Hafenbecken gezogen. Das Heroin war an Bord versteckt, und die Amphore hatte Constantin Demiris in seiner Kabine.

Tony Rizzoli nahm einen seiner Männer beiseite.»Hör zu, du gehst in den Funkraum und demolierst die Geräte. Ich will nicht, daß Demiris irgendwelche Nachrichten sendet.«

Constantin Demiris war ein gebrochener Mann, aber Rizzoli wollte trotzdem nichts riskieren.

Bis zum Augenblick des Ablegens hatte Tony Rizzoli befürchtet, irgend etwas könnte schiefgehen, denn die Ereignisse der letzten Tage hatten seine kühnsten Träume übertroffen. Constantin Demiris, einer der reichsten und mächtigsten Männer der Welt, war sein Partner. Partner? Unsinn! dachte Rizzoli. Ich hab' den Hundesohn in der Tasche. Seine ganze gottverdammte Flotte gehört mir. Ich kann soviel Stoff transportieren, wie die Jungs liefern können. Sollen die anderen Kerls sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ihre Ware in die Staaten schmuggeln. Ich hab 's geschafft! Und dazu die Sachen aus dem Museum… 'ne regelrechte Goldmine — und sie gehört mir ganz allein. Was die Familie nicht weiß, macht sie nicht heiß.

Beim Einschlafen träumte Tony Rizzoli von einer goldenen Flotte und weißen Palästen und Schönheiten, die ihm zu Diensten waren.

Am nächsten Morgen erschien Rizzoli mit seinen Männern in der Offiziersmesse der Thele. Mehrere Offiziere saßen beim Frühstück. Der Steward trat an ihren Tisch.»Guten Morgen.«

«Wo ist Mr. Demiris?«fragte Rizzoli.»Frühstückt er heute nicht?«

«Er ist in seiner Kabine, Mr. Rizzoli. Ich soll Ihnen und Ihren Freunden alles bringen, was Sie wünschen.«

«Sehr aufmerksam von ihm. «Tony Rizzoli lächelte.»Bringen Sie mir Kaffee, Orangensaft und Rührei mit Schinken. Wie steht's mit euch, Jungs?«

«Klingt gut.«

Nachdem sie bestellt hatten, erklärte Rizzoli ihnen:»Von euch verlange ich größte Zurückhaltung, Jungs. Laßt eure Kanonen möglichst wenig sehen. Seid nett und höflich. Denkt daran, daß wir Mr. Demiris' Gäste sind.«

Constantin Demiris erschien an diesem Tag auch nicht zum Mittagessen. Und auch beim Abendessen ließ er sich nicht blicken.

Tony Rizzoli suchte ihn auf, um mit ihm zu reden.

Demiris stand in seiner Kabine und starrte aus einem Bullauge. Er war blaß und fahrig.

«Sie müssen essen, damit Sie bei Kräften bleiben, Partner«, sagte Rizzoli.»Ich will nicht, daß Sie krank werden. Wir haben noch 'ne Menge vor. Ich hab' den Steward angewiesen, Ihnen ein Abendessen zu bringen.«

Demiris holte tief Luft.»Ich kann… Gut, meinetwegen. Bitte gehen Sie jetzt.«

Rizzoli grinste nur.»Klar doch. Und versuchen Sie auch ein bißchen zu schlafen. Sie sehen schrecklich aus.«

Am nächsten Morgen ging Rizzoli zum Kapitän.

«Tony Rizzoli«, stellte er sich vor.»Ich bin als Gast von Mr. Demiris an Bord.«

«Ah, ja richtig. Mr. Demiris hat mir Ihren Besuch angekündigt. Er hat auch mögliche Kursänderungen erwähnt…«

«So ist es. Sie werden noch genaue Anweisungen bekommen. Wann erreichen wir Florida?«

«In ungefähr zwanzig Tagen, Mr. Rizzoli.«

«Gut, dann bis später.«

Tony Rizzoli verließ die Brücke und machte einen Rundgang durch das Schiff — durch sein Schiff. Die ganze gottverdammte Flotte gehörte ihm. Die Welt gehörte ihm. Rizzoli empfand eine nie gekannte Euphorie.

Die Seereise war angenehm, und Tony Rizzoli schaute gelegentlich bei Constantin Demiris vorbei.

«An Bord fehlen ein paar Weiber«, behauptete Rizzoli bei einem dieser Besuche.»Aber ihr Griechen braucht keine Weiber, was?«

Demiris ließ sich nicht provozieren.

Die Tage verstrichen langsam, aber jede Stunde brachte Tony Rizzoli der Erfüllung seines Traums näher. Fieberhafte Ungeduld erfaßte ihn. Eine Woche verging, dann noch eine, und schließlich näherten sie sich dem nordamerikanischen Kontinent.

Am Samstag abend stand Tony Rizzoli an der Reling und sah aufs Meer hinaus, als am Horizont ein Gewitter aufzog.

Der Erste Offizier trat auf ihn zu.»Wir bekommen schweres Wetter, Mr. Rizzoli. Hoffentlich sind Sie ausreichend seefest.«

Rizzoli zuckte mit den Schultern.»Mich stört so leicht nichts.«

Der Seegang wurde höher. Das Schiff begann in die Wellentäler einzutauchen, aus denen es sich schlingernd und stampfend wieder hervorarbeitete.

Tony Rizzoli merkte, daß ihm übel wurde. Okay, dann bin ich eben nicht seefest, dachte er. Was macht das schon! Schließlich gehörte ihm die Welt. Er zog sich früh in seine Kabine zurück und legte sich in seine Koje.

Wieder träumte er. Diesmal nicht von goldenen Schiffen, weißen Palästen oder nackten Schönheiten; es waren Alpträume. Irgendwo tobte ein Krieg, und er glaubte, Kanonendonner zu hören. Eine Detonation ließ ihn hochschrecken.

Rizzoli setzte sich auf. Die Kabine schwankte tatsächlich. Das Schiff mußte ins Zentrum des gottverdammten Sturms geraten sein. Dann hörte er draußen im Gang hastig vorbeipolternde Schritte. Zum Teufel, was ging hier vor?

Tony Rizzoli sprang aus der Koje und riß die Kabinentür auf. In diesem Augenblick bekam das Schiff so starke Schlagseite, daß er fast das Gleichgewicht verlor.

«He, was ist passiert?«rief er einem der vorbeihastenden Männer zu.

«Explosion! Das Schiff brennt! Wir sinken! Sehen Sie zu, daß Sie an Deck kommen!«

«Wir sinken…?« Rizzoli wollte seinen Ohren nicht trauen. Bisher war alles so glatt gegangen. Es spielt keine Rolle, dachte er. Ich kann's mir leisten, diese Ladung zu verlieren. Es wird noch viele andere geben. Aber ich muß Demiris retten. Er ist der Schlüssel zu allem. Wir müssen einen Notruf senden. Und dann fiel ihm ein, daß er Anweisung gegeben hatte, die Funkanlage zu zerstören.

Der Amerikaner hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben, als er sich zum nächsten Auf gang vorarbeitete und an Deck kletterte. Zu seiner Überraschung sah er, daß der Sturm abgeflaut war. Ein voller Mond beleuchtete die Szenerie. Dann erschütterten zwei weitere Explosionen das Schiff, das nun rasch übers Heck zu sinken begann. Matrosen versuchten, die Rettungsboote auszusetzen, aber es war zu spät. Die See um den Tanker herum war mit einem brennenden Ölteppich bedeckt. Wo war Constantin Demiris?

Und dann hörte Rizzoli es. Es war ein fremdartiges Knattern, das den Lärm von Explosionen und Flammen übertönte. Er hob den Kopf. Zehn Meter über ihm schwebte ein Hubschrauber.

Wir sind gerettet! dachte. Tony Rizzoli jubelnd. Er winkte dem Piloten hysterisch zu.

Hinter dem Kabinenfenster des Hubschraubers erschien ein Gesicht. Rizzoli brauchte einen Augenblick, um Constantin Demiris zu erkennen. Er lächelte und hielt mit einer Hand die kostbare Amphore hoch.

Tony Rizzoli starrte ihn an, während sein Gehirn versuchte, das Gesehene zu verarbeiten. Wo hatte Constantin Demiris mitten in der Nacht einen Hubschrauber aufgetrieben, um…?

Und dann wußte er plötzlich, was geschehen war, und wurde leichenblaß. Constantin Demiris hatte niemals die Absicht gehabt, mit ihm ins Geschäft zu kommen. Der Hundesohn hatte alles von Anfang an so geplant! Der Anruf, der ihn vor Demiris' Flucht gewarnt hatte, war nicht im Auftrag von Spyros Lambrou gekommen. Demiris hatte ihn anrufen lassen! Demiris hatte ihm eine Falle gestellt, um ihn an Bord zu locken, und er war bereitwillig hineingetappt…

Der Tanker begann schneller zu sinken, und Rizzoli spürte das kalte Meerwasser um seine Füße, dann um seine Knie schwappen. Dieser Hurensohn wollte sie alle hier eiskalt absaufen lassen, um sämtliche Spuren zu verwischen.

Tony Rizzoli starrte den Hubschrauber an und brüllte verzweifelt:»Nehmen Sie mich mit! Sie kriegen von mir, was Sie wollen!«Der Wind verwehte seine Worte.

Das letzte, was Tony Rizzoli sah, bevor die Thele endgültig im Meer versank und seine Augen sich mit brennendem Salzwasser füllten, war der in Richtung Mond davonfliegende Hubschrauber.

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