VERTRAULICH!
WORTPROTOKOLL EINER THERAPIESITZUNG MIT CATHERINE DOUGLAS
C. Glauben Sie an Vorahnungen, Alan?
A. Die Wissenschaft akzeptiert sie nicht — aber ich glaube trotzdem daran. Haben Sie denn Vorahnungen gehabt?
C. Ja. Ich… ich habe das Gefühl, daß mir etwas Schreckliches zustoßen wird.
A. Gehört das zu Ihrem alten Traum?
C. Nein. Ich habe Ihnen doch von den Männern erzählt, die Mr. Demiris aus Athen zu uns geschickt hat…
A. Ja.
C. Da er mich gebeten hat, sie zu betreuen, bin ich ziemlich viel mit ihnen zusammen.
A. Fühlen Sie sich von ihnen bedroht?
C. Nein, nicht direkt. Es ist schwer zu erklären. Sie haben mir nichts getan — und trotzdem…trotzdem warte ich darauf, daß etwas passiert. Irgend etwas Schreckliches. Wissen Sie eine Erklärung dafür?
A.: Erzählen Sie mir von den Männern.
C.: Einer von ihnen ist Franzose, Yves Renard. Er will, daß ich mit ihm in Museen gehe, aber wenn wir dann dort sind, merke ich, daß sie ihn nicht interessieren. Der nächste ist Jerry Haley, ein Amerikaner. Obwohl er ganz freundlich wirkt, hat er etwas Beunruhigendes an sich. Und der dritte Mann ist Dino Mattusi. Auch er soll ein wichtiger Mann in Mr. Demiris' Imperium sein, aber er fragt eine Menge Dinge, die er eigentlich wissen müßte. Er hat mich zu einem Ausflug aufs Land eingeladen. Ich dachte, ich könnte Wim dazu mitnehmen… Und dabei fällt mir noch etwas anderes ein…
A.: Ja?
C.: Wim benimmt sich in letzter Zeit so merkwürdig.
A.: In welcher Beziehung?
C.: Er wartet jeden Morgen auf mich, wenn ich ins Büro komme. Das hat er früher nie getan. Und wenn er mich sieht, scheint er sich fast darüber zu ärgern, daß ich da bin. Das klingt alles nicht sehr logisch, stimmt's?
A.: Alles ist logisch, sobald man einen Schlüssel dazu hat, Catherine. Haben Sie in letzter Zeit wieder geträumt?
C.: Ich habe von Constantin Demiris geträumt. Aber ich erinnere mich nur sehr vage daran.
A.: Erzählen Sie mir, woran Sie sich erinnern.
C.: Ich habe ihn im Traum gefragt, weshalb er so hilfsbereit gewesen sei, weshalb er mir die Stellung in London und eine Wohnung angeboten habe. Und weshalb er mir die goldene Anstecknadel geschenkt habe.
A.: Und was hat er darauf geantwortet?
C.: Das weiß ich nicht mehr. Ich bin schreiend aufgewacht.
Dr. Alan Hamilton las dieses Wortprotokoll sorgfältig durch. Er hielt Ausschau nach den schwach erkennbaren Spuren des Unbewußten und suchte Hinweise darauf, was Catherine so tief beunruhigte. Er war sich ziemlich sicher, daß ihre Ängste mit der Tatsache zusammenhingen, daß die Unbekannten aus Athen — dem Handlungsort ihrer traumatischen Vergangenheit — nach London gekommen waren.
Die Sache mit Wim konnte Hamilton sich nicht recht erklären. Bildete Catherine sich das nur ein? Oder verhielt Wim sich tatsächlich atypisch? In einigen Wochen soll Wim wieder zu mir kommen. Vielleicht war's besser, seinen Termin vorzuverlegen.
Hamilton saß da und dachte über Catherine nach. Er hatte es sich zur Regel gemacht, emotionalen Bindungen zu Patienten strikt entgegenzuarbeiten, aber Catherine war ein Sonderfall. Sie war schön und verletzlich und… Was tust du dal So darfst du nicht denken! Konzentrier dich auf etwas anderes. Aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück.
Catherine war außerstande, Alan Hamilton aus ihren Gedanken zu verdrängen. Sei kein Dummkopf! Er ist ein verheirateter Mann. Wahrscheinlich haben die meisten Patientinnen eine Schwäche für ihren Therapeuten. Aber es gelang ihr nicht, sich Alan auszureden. Vielleicht sollte ich wegen meines Therapeuten zu einem
Therapeuten gehen.
Ihr nächster Termin bei Alan war in zwei Tagen. Vielleicht sollte ich ihn absagen, bevor ich noch tiefer hineingerate. Zu spät!
An dem Tag, an dem Catherine den Termin bei Alan hatte, zog sie sich besonders hübsch an und ging vormittags zum Friseur. Da ich heute ohnehin zum letzten Mal hingehe, kann 's nicht schaden, wenn ich nett aussehe.
Sobald Catherine sein Sprechzimmer betrat, waren ihre guten Vorsätze vergessen. Warum muß er so verdammt attraktiv sein? Warum sind wir uns nicht begegnet, bevor er geheiratet hat? Warum hat er mich nicht kennengelernt, als ich noch ein gesunder, normaler Mensch gewesen bin? Aber wenn ich ein gesunder, normaler Mensch wäre, wäre ich nie zu ihm gekommen, oder?
«Wie bitte?«
Catherine merkte, daß sie laut gesprochen hatte. Dies war der Augenblick, in dem sie ihm erklären mußte, daß sie nicht wiederkommen würde.
Sie holte tief Luft.»Alan…«Aber sie konnte es nicht. Sie sah zu dem gerahmten Foto auf seinem Schreibtisch hinüber.»Wie lange sind Sie schon verheiratet?«
«Verheiratet?«Er folgte ihrem Blick.»Oh. Das ist meine Schwester mit ihrem Sohn.«
Catherine spürte, wie eine Woge aus jubelnder Freude sie überflutete.»Oh, das ist ja wunderbar! Ich meine, sie… sie sieht wunderbar aus.«
«Alles in Ordnung, Catherine?«
Das hatte Kirk Reynolds sie auch oft gefragt. Damals ist nichts in Ordnung gewesen, dachte Catherine, aber fetzt ist alles gut!» Danke, mir geht's ausgezeichnet«, antwortete Catherine.»Sie sind also unverheiratet?«
«Ja.«
Gehst du mit mir essen? Gehst du mit mir ins Bett? Heiratest du mich? Hätte sie diese Fragen laut gestellt, hätte er sie wohl für wirklich verrückt gehalten. Vielleicht bin ich's auch.
Er beobachtete sie stirnrunzelnd.»Catherine, wir können die
Sitzungen nicht weiterführen, fürchte ich. Heute wird unsere letzte sein.«
Catherines Euphorie verflog.»Weshalb? Habe ich irgendwas getan, daß…?«
«Nein, nein, an Ihnen liegt's nicht! Es ist nur so… Emotionale Beziehungen zwischen Therapeut und Patientin gefährden den Erfolg einer Therapie.«
Sie starrte ihn mit leuchtenden Augen an.»Soll das heißen, daß Sie sich emotional zu mir hingezogen fühlen?«
«Ja. Und deshalb…«
«Sie haben völlig recht«, stimmte Catherine lächelnd zu.»Ich schlage vor, daß wir heute beim Abendessen darüber reden.«
Sie aßen in einem kleinen italienischen Restaurant mitten in Soho. Das Essen hätte köstlich oder miserabel sein können — die beiden schmeckten es ohnehin nicht. Sie interessierten sich ausschließlich füreinander.
«Es ist nicht fair, Alan«, sagte Catherine.»Du weißt alles über mich. Erzähl mir was über dich. Bist du nie verheiratet gewesen?«
«Nein. Aber ich war verlobt.«
«Was ist dann passiert?«
«Wir hatten im Krieg — während der deutschen Luftangriffe — eine kleine gemeinsame Wohnung. Ich arbeitete damals im Krankenhaus, und als ich eines Nachts heimkam…«
Catherine hörte den Schmerz in seiner Stimme.
«… als ich heimkam, war das Haus verschwunden. Völlig zerstört.«
Sie bedeckte seine Hand mit ihrer.»Das tut mir leid.«
«Ich habe lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Ich bin seither keiner Frau begegnet, die ich hätte heiraten wollen. «Sein Blick sagte: Bis jetzt nicht.
Sie saßen vier Stunden lang an ihrem Tisch und unterhielten sich über alles mögliche — Kultur, Medizin und Politik —, aber das eigentliche Gespräch fand wortlos statt. Die knisternde Spannung zwischen ihnen nahm ständig zu. Beide spürten sie deutlich. Sie wurde allmählich fast unerträglich.
Alan war es schließlich, der den Übergang fand.»Catherine, was ich heute morgen über emotionale Beziehungen zwischen
Therapeut und Patientin gesagt habe» Erzähl mir in deiner Wohnung davon.«
Sie zogen sich in atemloser Hast aus. Während Catherine ihre Kleider abstreifte, dachte sie daran, wie ihr bei Kirk Reynolds zumute gewesen war — und wie ganz anders es diesmal war. Der Unterschied liegt darin, ob man liebt. Diesen Mann liebe ich.
Sie lag im Bett und wartete auf ihn, und als Alan zu ihr kam und sie umarmte, verschwanden ihre Befürchtungen, ihre Ängste, niemals mehr einen Mann lieben zu können. Sie streichelten einander und erforschten ihre Körper erst zärtlich, dann drängender, bis ihre Lust wild und verzweifelt wurde, und als sie sich dann vereinigten, schrie Catherine, schrie vor Glück. Ich bin wieder ganz. Danke! Danke!
Viel später hielten sie einander erschöpft in den Armen, als wollten sie sich nie mehr loslassen.