Anfangs hatte Melina keinen blassen Schimmer, wie sie ihr Vorhaben verwirklichen sollte. Sie wußte nur, daß ihr Mann ihren Bruder vernichten wollte — und daß sie das nicht zulassen durfte. Irgendwie mußte sie Costa daran hindern.
Ihr eigenes Leben war nicht länger wichtig. Ihre Tage und Nächte waren voller Demütigungen und Schmerzen. Sie erinnerte sich daran, wie Spyros ihr von dieser Ehe abgeraten hatte. Du kannst Demiris nicht heiraten. Der Kerl ist ein Ungeheuer! Mit ihm wirst du nur unglücklich. Wie recht er gehabt hatte! Aber sie war zu verliebt gewesen, um auf seinen vernünftigen Rat zu hören.
Jetzt mußte Costa unschädlich gemacht werden. Aber wie? Du mußt wie Costa denken. Und das hatte Melina getan. Bis zum Morgen war ihr Plan in allen Einzelheiten ausgearbeitet. Danach war alles andere einfach gewesen.
Constantin Demiris saß zu Hause in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch, als Melina hereinkam. Sie trug ein mit einem kräftigen Bindfaden verschnürtes Paket. In der anderen Hand hielt sie ein großes Tranchiermesser.
«Costa, bist du so nett und schneidest mir die Schnur durch? Ich komme irgendwie nicht damit zurecht.«
Er sah auf und schüttelte ungeduldig den Kopf.»So geht's natürlich nicht! Wie willst du etwas schneiden, wenn du das Messer an der Klinge hältst?«
Er nahm es ihr weg und begann, die Schnur zu durchschneiden.»Hättest du damit nicht zu einem der Dienstboten gehen können?«
Melina gab keine Antwort.
Demiris führte einen letzten kräftigen Schnitt.»Fertig!«Er legte das Messer hin, und Melina nahm es wiederum nur an der Klinge auf.
Dann sah sie ihn an.»Costa, so kann's mit uns nicht weitergehen«, sagte sie.»Ich liebe dich noch immer. Und ich glaube, auch du empfindest noch immer etwas für mich. Erinnerst du dich nicht an unsere schöne gemeinsame Zeit? Erinnere dich an unsere Flitterwochen, als wir… «
«Laß den Unsinn!«knurrte Demiris.»Wann begreifst du endlich, daß es mit uns aus ist? Ich kann dich nicht mehr brauchen. Verschwinde, bevor mir schlecht wird!«
Melina stand da und starrte ihn schweigend an.»Gut, wie du willst«, sagte sie dann leise. Sie wandte sich ab und ging mit dem Messer in der Hand hinaus.
«Du hast dein Paket vergessen!«rief Demiris ihr nach.
Aber sie kam nicht zurück.
Melina ging ins Ankleidezimmer ihres Mannes und öffnete einen Schrank. Constantin Demiris besaß Dutzende von Anzügen und einen ganzen Schrank voller Sportjacken. Sie griff nach einer und riß einen goldfarbenen Wappenknopf ab, den sie einsteckte.
Als nächstes zog sie eine Kommodenschublade auf und nahm eine der Badehosen mit dem eingestickten Monogramm ihres Mannes heraus, fetzt bin ich fast soweit, dachte Melina.
Das Detektivbüro Katelanos befand sich in der Sofokleousstraße in einem Eckgebäude mit leicht heruntergekommener Klinkerfassade. Herr Katelanos, der Firmeninhaber, in dessen Büro Melina sofort geführt wurde, war ein kleiner Glatzkopf mit bleistiftdünnem Schnurrbart.
«Guten Morgen, Frau Demiris. Was kann ich für Sie tun?«
«Ich brauche Schutz.«
«Schutz wovor?«
«Vor meinem Mann.«
Katelanos runzelte die Stirn. Er witterte Unannehmlichkeiten. Einen Auftrag dieser Art hatte er nicht erwartet. Es war unklug, einen so mächtigen Mann wie Constantin Demiris gegen sich aufzubringen.
«Haben Sie schon daran gedacht, zur Polizei zu gehen?«erkundigte er sich vorsichtig.
«Das kann ich nicht. Ich möchte diese Sache nicht an die große Glocke hängen. Ich will, daß sie diskret abgewickelt wird. Ich habe meinem Mann gesagt, daß ich mich scheiden lassen werde, und er hat mir gedroht, mich umzubringen, falls ich meinen Entschluß nicht ändere. Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen.«
«Ich verstehe. Und was soll ich jetzt tun?«
«Ich möchte, daß einige Ihrer Leute mich bewachen.«
Katelanos lehnte sich zurück und betrachtete seine Besucherin nachdenklich. Eine schöne Frau. Aber offenbar neurotisch. Daß ihr Mann ihr etwas antun würde, war unvorstellbar. Wahrscheinlich handelte es sich um einen kleinen Ehekrach, der in ein paar Tagen vergessen sein würde. Und bis dahin konnte er ihr ein hübsches Honorar abknöpfen. Katelanos wog die Risiken ab und beschloß, den Auftrag zu übernehmen.
«Gut, Frau Demiris«, sagte er.»Ich habe einen zuverlässigen Mann, der die Sache übernehmen kann. Wann soll er anfangen?«
«Montag.«
Er hatte also recht gehabt. Die Sache war keineswegs so dringend.
Melina Demiris stand auf.»Ich rufe Sie an. Würden Sie mir bitte Ihre Geschäftskarte geben?«
«Ja, natürlich. «Katelanos gab Melina seine Karte und begleitete sie hinaus. Als Klientin ist sie die beste Werbung für mich. Ihr Name wird potentielle Kunden anlocken.
Sobald Melina wieder zu Hause war, rief sie ihren Bruder an.
«Spyros, ich habe gute Nachrichten!«Ihre Stimme klang aufgeregt.»Costa will einen Waffenstillstand.«
«Was will er? Ich traue ihm nicht, Melina. Er…«
«Nein, es ist sein Ernst! Er hat eingesehen, wie unsinnig eure andauernde Fehde ist, und will jetzt Frieden innerhalb der Familie.«
Spyros antwortete nicht gleich.»Ich weiß nicht recht…«
«Gib ihm wenigstens eine Chance. Er schlägt vor, daß ihr euch heute um fünfzehn Uhr in deiner Jagdhütte in Akro-Korinth trefft.«
«Das sind drei Stunden Fahrt. Warum können wir uns nicht in der Stadt treffen?«
«Das hat er nicht gesagt«, antwortete Melina,»aber wenn ihr euch wirklich vertragt
«Gut, ich fahre hin. Aber ich tue es für dich.«
«Für uns«, verbesserte sie ihn.»Leb wohl, Spyros.«
«Leb wohl, Melina.«
Melina rief Constantin im Büro an.»Was gibt's denn?«fragte er barsch.»Ich habe zu tun.«
«Ich habe eben einen Anruf von Spyros bekommen. Er möchte mit dir Frieden schließen.«
Ein kurzes verächtliches Lachen.»Das glaub' ich! Wenn ich mit ihm fertig bin, hat er für immer seinen Frieden.«
«Spyros hat gesagt, daß er diese ewige Rivalität mit dir satt hat, Costa. Er ist bereit, dir seine Flotte zu verkaufen.«
«Er will mir seine… Weißt du das bestimmt?«Seine Stimme klang plötzlich sehr interessiert.
«Ja. Er hat einfach keine Lust mehr.«
«Gut, dann soll er mit seinem Anwalt in mein Büro kommen, damit…»
«Nein. Er schlägt vor, daß ihr euch heute um fünfzehn Uhr in Akro-Korinth trefft.«
«In seiner Jagdhütte?«
«Richtig. Dort seid ihr allein und könnt ungestört verhandeln. Spyros will nicht, daß seine Verkaufsabsichten vorzeitig bekannt werden.«
Klar will er das nicht, dachte Demiris befriedigt. Sobald diese Nachricht die Runde macht, wird er überall ausgelacht.»Gut«, sagte er.»Du kannst ihm sagen, daß ich komme.«
Die Fahrt nach Akro-Korinth war lang und führte auf kurvenreichen Straßen durch eine üppiggrüne Landschaft, in der es nach Heu, Trauben und Zitrusfrüchten duftete. Unterwegs kam Spyros Lambrou an antiken Ruinen vorbei; in der Ferne sah er die umgestürzten Säulen von Elefsis, die verfallenen Altäre niederer Gottheiten. Er dachte an Constantin Demiris.
Lambrou erreichte die Jagdhütte als erster. Er hielt vor dem Blockhaus, blieb noch einen Augenblick im Wagen sitzen und dachte über das bevorstehende Gespräch mit seinem Schwager nach. Wollte Constantin tatsächlich einen Waffenstillstand — oder war dies wieder einer seiner Tricks? Sollte mir etwas zustoßen, weiß wenigstens Melina, mit wem ich mich getroffen habe. Lambrou stieg aus, sperrte die Haustür auf und trat über die Schwelle.
Die Jagdhütte war ein hübsches altes Blockhaus mit schöner Aussicht auf das in der Ferne tief unten am Meer liegende Korinth. Als Junge hatte Spyros Lambrou hier viele Wochenenden mit seinem Vater verbracht, um in den Bergen Niederwild zu jagen. Diesmal hatte er es auf Großwild abgesehen.
Constantin Demiris kam eine Viertelstunde später an. Er empfand tiefe Befriedigung, als er Spyros Lambrou auf der Veranda auf ihn warten sah. Nach all diesen Jahren ist er endlich bereit, seine Niederlage einzugestehen. Er stieg aus und betrat die Veranda. Die beiden Männer blieben voreinander stehen und starrten sich an.
«So, mein lieber Schwager«, sagte Demiris,»wir sind also am Ende der Straße angekommen.«
«Ich will, daß dieser Wahnsinn aufhört, Costa. Er ist zu weit gegangen.«
«Ganz meine Meinung! Wie viele Schiffe hast du, Spyros?«
Lambrou zog erstaunt die Augenbrauen hoch.»Was?«
«Wie viele Schiffe du hast. Ich kaufe sie alle. Natürlich zu einem Vorzugspreis.«
Lambrou wollte seinen Ohren nicht trauen.»Meine Schiffe kaufen?«
«Ich bin bereit, sie alle zu übernehmen. Dann bin ich der größte Reeder der Welt.«
«Bist du verrückt geworden? Wie… wie kommst du darauf, daß ich dir meine Schiffe verkaufen würde?«
Jetzt war es an Demiris, ungläubig dreinzuschauen.»Deshalb haben wir uns doch hier getroffen, oder?«
«Wir haben uns hier getroffen, weil du einen Waffenstillstand vorgeschlagen hast.«
Demiris' Miene verfinsterte sich.»Ich soll…Wer hat dir das erzählt?«
«Melina.«
Beide Männer begriffen im selben Moment, was geschehen war.»Sie hat dir erzählt, daß ich einen Waffenstillstand vorgeschlagen habe?«
«Sie hat dir erzählt, daß ich dir meine Schiffe verkaufen will?«
«Dieses blöde Weibsbild!«schnaubte Demiris.»Wahrscheinlich hat sie geglaubt, wir würden uns hier irgendwie zusammenraufen. Dann ist sie noch blöder als du, Spyros. Und dafür habe ich einen ganzen Nachmittag vergeudet!«Constantin Demiris machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus der Jagdhütte. Spyros Lambrou sah ihm nach und dachte: Melina hätte uns nicht belügen sollen. Sie hätte wissen müssen, daß ihr Mann und ich uns nie vertragen würden, fetzt nicht mehr. Es ist zu spät. Es ist schon immer zu spät gewesen.
Kurz vor 14 Uhr klingelte Melina nach dem Dienstmädchen.»Andrea, bringen Sie mir bitte einen Tee.«
«Sofort, gnädige Frau. «Das Mädchen verließ den Raum, und als es zehn Minuten später mit einem Tablett zurückkam, telefonierte Melina gerade. Ihre Stimme klang aufgebracht.
«Nein, Costa, mein Entschluß steht fest. Ich reiche die Scheidung ein — und wie du dir denken kannst, wird die Klatschpresse sich begeistert darauf stürzen.«
Andrea stellte verlegen das Tablett ab und wollte rasch gehen, aber Melina machte ihr ein Zeichen zu bleiben.
«Du kannst mir drohen, soviel du willst«, sagte sie ins stumme Telefon, als spreche sie mit ihrem Mann.»Von meinem Entschluß bringst du mich nicht mehr ab… Niemals!..Wie du darüber denkst, ist mir gleichgültig…Ich hab' keine Angst vor dir, Costa… Nein… Was könnte das nützen?… Gut, wir treffen uns im Strandhaus, aber versprich dir lieber nichts davon… Ja, ich komme allein… In einer Stunde? Einverstanden.«
Melina wirkte besorgt, als sie langsam den Hörer auflegte und sich an das Dienstmädchen wandte.»Andrea, ich fahre zum Strandhaus, um mich mit meinem Mann zu treffen. Sollte ich bis achtzehn Uhr nicht zurück sein, benachrichtigen Sie bitte die Polizei.«
Andrea schluckte nervös.»Soll der Chauffeur Sie hinfahren?«-»Nein. Mein Mann hat mich gebeten, allein zu kommen.«
Nun war nur noch eine Sache zu erledigen. Catherine Alexander mußte gewarnt werden. Ihr Leben war in Gefahr. Du kriegst sie nie wieder zu sehen. Ich habe jemanden losgeschickt, der sie erledigt.
Melina wählte die Nummer des Londoner Büros.
«Arbeitet bei Ihnen eine Catherine Alexander?«
«Sie ist im Augenblick außer Haus. Kann ich ihr etwas ausrichten?«
Melina Demiris zögerte. Ihre dringende Warnung konnte sie nicht einfach irgend jemandem anvertrauen. Andererseits würde sie keine Zeit haben, nochmals anzurufen. Dann fiel ihr ein, was Costa von Wim Vandeen, dem Finanzgenie der Firma, erzählt hatte.
«Geben Sie mir bitte Mr. Vandeen.«
«Augenblick.«
Eine Männerstimme meldete sich.»Hallo?«
«Ich habe eine Nachricht für Catherine Alexander. Sie ist sehr wichtig. Würden Sie bitte dafür sorgen, daß sie sie erreicht?«
«Catherine Alexander.«
«Ja. Sagen Sie ihr… sagen Sie ihr, daß ihr Leben in Gefahr ist. Irgend jemand wird versuchen, sie umzubringen. Ich glaube, daß es einer der Männer aus Athen sein könnte.«
«Athen
«Ja.«
«Athen hat achthundertsechstausend Einwohner und…«
Anscheinend war es unmöglich, sich Vandeen verständlich zu machen. Melina legte enttäuscht auf.
Sie hatte alles versucht.
Wim Vandeen saß an seinem Schreibtisch und verarbeitete das Telefongespräch. Irgend jemand wird versuchen, Catherine zu ermorden. Dieses Jahr sind in England schon hundertvierzehn Morde verübt worden. Mit Catherine wären es dann hundertfünfzehn. Einer der Männer aus Athen. Jerry Haley. Yves Renard. Dino Mattusi. Einer von ihnen wird Catherine ermorden. In Wims Gedächtnis waren sämtliche Daten der drei Männer gespeichert. Wahrscheinlich weiß ich, wer sie ermorden wird.
Als Catherine wenig später im Büro erschien, erzählte Wim ihr nichts von dem Anruf.
Er war neugierig, ob er richtig getippt hatte.
Catherine ging Abend für Abend mit irgendeinem der drei Athener Angestellten aus, und Wim erwartete sie, wenn sie morgens ins Büro kam. Immer schien er enttäuscht, sie zu sehen.
Wann läßt sie's ihn tun? fragte sich Vandeen. Er erwog kurz, ihr von dem Anruf zu erzählen. Aber damit hätte er dem Schicksal ins Handwerk gepfuscht. Und das wäre unfair gewesen.