In seinem Innern tobten Stürme, über die er keine Kontrolle hatte: ein eisiges Sturmtief ohne warme Erinnerungen, die es hätten aufhellen können.
Die Stürme hatten vor Jahresfrist mit seinem Racheakt gegen Noelle eingesetzt. Er hatte geglaubt, sie würden sich allmählich legen, so wie er geglaubt hatte, mit seiner Vergangenheit endgültig abgeschlossen zu haben. Dann war Catherine Alexander unerwartet wieder in sein Leben getreten. Ihretwegen hatte er Frederick Stavros und Napoleon Chotas beseitigen lassen müssen. Die beiden hatten ein tödliches Spiel gegen ihn gewagt, und er hatte gewonnen.
Was ihn aber wirklich überraschte, war die Erkenntnis, wie sehr er das Risiko, die Gefahr genossen hatte. Geschäftliche Erfolge waren faszinierend, aber sie verblaßten gegenüber diesem Spiel um Leben und Tod. Ich bin ein Mörder. Nein — kein Mörder, ein Scharfrichter. Dieses Eingeständnis war wahrhaft erregend.
Constantin Demiris erhielt jede Woche einen Bericht über Catherine Alexanders Aktivitäten. Bisher schien alles wunderbar zu klappen. Catherines gesellschaftliche Kontakte beschränkten sich auf Leute, mit denen sie zusammenarbeitete. Wie Evelyn berichtete, ging Catherine gelegentlich mit Kirk Reynolds aus. Aber da auch Reynolds für Demiris arbeitete, war das kein Problem.
Das arme Kind muß verzweifelt sein. Kirk Reynolds war langweilig. Sein einziges Gesprächsthema war die Juristerei. Um so besser — je verzweifelter Catherine sich nach Gesellschaft sehnte, desto leichter würde er das kriegen, was er wollte. Eigentlich müßte ich mich bei Reynolds bedanken.
Catherine, die regelmäßig mit Kirk Reynolds ausging, fühlte sich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Er war keine Schönheit, aber durchaus attraktiv. Von schönen Männern habe ich seit Larry genug, sagte Catherine sich nüchtern. Die alte Redensart stimmt einfach: Gut ist, was gut tut. Kirk Reynolds war rücksichtsvoll und zuverlässig. Er ist jemand, auf den ich zählen kann, dachte Catherine. Ich fühle kein großes Feuer, aber das werde ich wohl nie mehr erleben. Dafür hat Larry gesorgt. Ich bin jetzt reif genug, um mich mit einem Mann zu begnügen, den ich achte, der mich als Gefährtin achtet, mit dem ich ein schönes, vernünftiges Leben teilen kann, ohne befürchten zu müssen, von Gipfeln gestürzt oder in dunklen Höhlen begraben zu werden.
Sie gingen ins Theater, um The Lady's Not For Burning von Christopher Fry zu sehen, und sahen an einem anderen Abend September Tide von Gertrude Lawrence. Sie tanzten in Nachtclubs. Alle Kapellen schienen das Thema aus» Der dritte Mann «und» La vie en rose «zu spielen.
«Nächste Woche fliege ich nach Sankt Moritz«, sagte Kirk Reynolds zu Catherine.»Hast du über meine Einladung nachgedacht?«
Catherine hatte sehr viel darüber nachgedacht. Sie war sich sicher, daß Kirk sie liebte. Und ich habe ihn auch lieb. Aber lieben und liebhaben sind verschiedene Dinge, oder? Oder bin ich nur eine unverbesserliche Romantikerin? Wen suche ich eigentlich? Etwa einen zweiten Larry? Einen Mann, der stürmisch um mich wirbt — und sich dann in eine andere Frau verliebt und mich umzubringen versucht? Kirk wäre ein wundervoller Ehemann. Weshalb zögere ich also noch?
An diesem Abend aßen Catherine und Kirk im Mirabelle's, und beim Dessert sagte Kirk:»Catherine, ich liebe dich, falls du's noch nicht gemerkt haben solltest. Ich möchte dich heiraten.«
Jähe Panik erfaßte sie.»Kirk…«Sie wußte im Augenblick nicht, was sie sagen sollte. Meine nächsten Worte werden mein Leben verändern. Es wäre so einfach, ja zu sagen. Was hindert mich daran? Angst vor der Vergangenheit! Werde ich mein Leben lang immer nur Angst haben? Das darf ich nicht zulassen.
«Cathy…«
«Hör zu, Kirk… wollten wir nicht miteinander nach Sankt Moritz fahren?«
Kirk Reynolds strahlte.»Heißt das, daß…«-»Warten wir's ab. Wenn du mich auf Skiern siehst, wirst du dir deinen Antrag wahrscheinlich noch einmal überlegen.«
Er lachte.»Nichts auf der Welt könnte mich davon abhalten, dich heiraten zu wollen. Du machst mich sehr glücklich. Wir fahren am fünften November — am Guy Fawkes Day.«-»Was für ein Tag ist das?«
«Ein historischer Gedenktag. König Jakob der Erste war wegen seiner streng antikatholischen Politik so verhaßt, daß eine Gruppe prominenter Katholiken ihn stürzen wollte. Ein Soldat namens Guy Fawkes wurde aus Spanien nach England geholt, um ihn an die Spitze der Verschwörung zu stellen. Er hat dann veranlaßt, daß im Keller des Oberhauses in sechsunddreißig Fässern insgesamt eine Tonne Schießpulver versteckt wurde.
Aber am Morgen des Tages, an dem das Oberhaus in die Luft gejagt werden sollte, hat einer der Verschwörer seine Komplizen verraten, und alle wurden verhaftet. Guy Fawkes hat auch unter der Folter geschwiegen und wurde wie alle seine Mitverschwörer hingerichtet. Der Tag der Aufdeckung der Verschwörung wird in England mit Freudenfeuern und Feuerwerken gefeiert, und durch die Straßen werden Guy-Fawkes-Puppen getragen.«
Catherine schüttelte den Kopf.»Ein ziemlich gruseliger Gedenktag, finde ich.«
Kirk lächelte ihr zu und sagte ruhig:»Ich verspreche dir, daß unser Urlaub alles andere als gruselig sein wird.«
«Mr. Demiris?«
«Ja.«
«Catherine Alexander ist heute morgen nach Sankt Moritz geflogen.«
Am anderen Ende entstand eine Pause.
«Sankt Moritz?«
«Ja, Sir.«
«Reist sie allein?«
«Nein, Sir. Sie fliegt mit Kirk Reynolds.«
Diesmal dauerte die Pause länger.»Danke, Evelyn.«
Kirk Reynolds! Unmöglich! Was mochte sie bloß an ihm finden? Ich habe zu lange gewartet. Ich hätte rascher eingreifen müssen. Gegen diese Entwicklung muß ich etwas unternehmen. Ich kann nicht zulassen, daß…
Die Gegensprechanlage summte.»Herr Demiris, ein Mr. Anthony Rizzoli möchte Sie sprechen«, meldete seine Sekretärin.»Er hat keinen Termin bei Ihnen, und ich habe ihm gesagt, daß Sie
«Warum stören Sie mich dann?«knurrte Demiris und stellte die Anlage ab.
Im nächsten Augenblick summte sie wieder.»Entschuldigung, aber Mr. Rizzoli sagt, er habe Ihnen eine Nachricht von Herrn Lambrou zu überbringen. Sie sei äußerst wichtig, sagt er.«
Eine Nachricht? Merkwürdig. Warum konnte sein Schwager sie ihm nicht selbst überbringen?» Er soll reinkommen.«
«Sofort, Herr Demiris.«
Der Amerikaner wurde in Constantin Demiris' Arbeitszimmer geführt. Er sah sich darin um und lächelte anerkennend. Dieser Raum war noch luxuriöser als Lambrous Büro.»Nett von Ihnen, mich zu empfangen, Mr. Demiris.«
«Ich habe genau zwei Minuten Zeit für Sie.«
«Spyros schickt mich. Er glaubt, daß wir einiges miteinander zu besprechen haben.«
«Wirklich?«Und was hätten wir zu besprechen?«
«Haben Sie was dagegen, wenn ich mich setze?«
«Ich glaube nicht, daß Sie so lange bleiben werden.«
Tony Rizzoli ließ sich in den Sessel vor dem Schreibtisch fallen.
«Ich besitze eine Fabrik, Mr. Demiris, deren Erzeugnisse ich in alle Welt versende.«
«Aha. Und dazu wollen Sie eines meiner Schiffe chartern.«
«Genau.«
«Weshalb hat Spyros Sie zu mir geschickt? Warum chartern Sie nicht eines seiner Schiffe? Ich weiß zufällig, daß er für zwei keine Aufträge hat.«
Tony Rizzoli zuckte mit den Schultern.»Vermutlich gefällt ihm nicht, was ich versende.«
«Das verstehe ich nicht. Was versenden Sie denn?«
«Drogen«, antwortete Tony Rizzoli gelassen.»Heroin.«
Constantin Demiris starrte ihn ungläubig an.»Und Sie bilden sich ein, ich…? Verschwinden Sie, bevor ich die Polizei rufe!«
Tony Rizzoli nickte zum Telefon hinüber.»Rufen Sie sie ruhig an.«
Er beobachtete, wie Demiris nach dem Hörer griff.»Ich habe ihr auch einiges zu erzählen«, fügte er dann hinzu.»Ich möchte die Wahrheit über das Verfahren gegen Noelle Page und Larry Douglas ans Tageslicht bringen.«
Constantin Demiris erstarrte.»Wovon reden Sie überhaupt?«
«Ich rede von zwei Leuten, die wegen Mordes an einer Frau, die noch lebt, hingerichtet wurden.«
Demiris war leichenblaß geworden.
«Halten Sie's für möglich, daß die Polizei sich für diese Story interessieren würde, Mr. Demiris? Oder sonst vielleicht die Presse, was? Sehen Sie die Schlagzeilen nicht auch schon vor sich? Darf ich Sie übrigens Costa nennen? Spyros hat mir erzählt, daß alle Ihre Freunde Sie Costa nennen, und ich bin davon überzeugt, daß wir sehr gute Freunde werden. Und wissen Sie, warum? Weil gute Freunde einander nicht verpetzen. Ihr kleines Glanzstück bleibt unter uns, nicht wahr?«
Constantin Demiris saß wie erstarrt da. Als er sprach, war seine Stimme heiser.»Was wollen Sie von mir?«
«Das habe ich Ihnen bereits erzählt. Ich möchte eines Ihrer Schiffe chartern — und da wir so gute Freunde sind, werden Sie doch bestimmt dafür nichts kassieren wollen, nicht wahr? Wir tun uns einfach gegenseitig einen Gefallen.«
Demiris holte tief Luft.»Hören Sie, darauf kann ich mich
unmöglich einlassen. Wenn herauskäme, daß mit meinem Wissen auf einem meiner Schiffe Rauschgift geschmuggelt wurde, könnte meine gesamte Flotte beschlagnahmt werden.«
«Es wird nicht rauskommen. In meiner Branche macht man keine Reklame. Unser Geschäft wird äußerst diskret abgewickelt.«
Constantin Demiris' Miene verhärtete sich.»Sie machen einen großen Fehler, Mister. Sie können mich nicht erpressen. Wissen Sie, wer ich bin?«
«Yeah — Sie sind mein neuer Partner. Wir werden noch lange zusammenarbeiten, mein lieber Costa, denn falls Sie nein sagen, gehe ich sofort zur Polizei und den Zeitungen und erzähle die ganze Story. Und dann geht's mit Ihrem Ruf und Ihrem Imperium den Bach runter!«
Danach folgte eine lange, schmerzliche Stille.
«Wie…wie hat mein Schwager das herausbekommen?«
Tony Rizzoli grinste.»Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, daß ich Ihre Eier in der Hand habe. Wenn ich zudrücke, sind Sie ein Eunuch. Danach singen Sie für den Rest Ihres Lebens Sopran — und das hinter Gittern. «Rizzoli sah auf seine Uhr.»Ach, du liebe Güte, meine zwei Minuten sind vorbei!«Er stand auf.»Sie haben sechzig Sekunden Zeit für die Entscheidung, ob ich diesen Raum als Ihr Partner verlasse — oder einfach gehe.«
Constantin Demiris schien plötzlich um zehn Jahre gealtert. Sein Gesicht war aschfahl. Er machte sich keine Illusionen, was passieren würde, wenn die Wahrheit über den Mordprozeß herauskam. Die Presse würde ihn in Stücke reißen. Er würde als Ungeheuer, als Mörder hingestellt werden. Im schlimmsten Fall würde die Polizei sogar Ermittlungen aufnehmen, um zu klären, wie Stavros und Chotas zu Tode gekommen waren.
«Ihre sechzig Sekunden sind vorbei.«
Demiris nickte langsam.»Einverstanden«, flüsterte er heiser,»einverstanden.«
Tony Rizzoli grinste auf ihn herab.»Sie sind clever.«
Constantin Demiris erhob sich langsam.»Das lasse ich Ihnen einmal durchgehen«, sagte er.»Ich will nicht wissen, wie und wann Sie's tun. Einer Ihrer Leute kann auf einem meiner Schiffe anheuern. Mehr haben Sie von mir nicht zu erwarten.«
«Abgemacht.«Vielleicht bist du doch nicht so clever. Nach der ersten Ladung Heroin hab' ich dich an der Angel, Baby. Und du kommst nie mehr davon los. Laut wiederholte er:»Klar, abgemacht.«
Auf der Rückfahrt ins Hotel befand Tony Rizzoli sich in Hochstimmung. Volltreffer! Die Bullen würden nicht mal im Traum auf die Idee kommen, Demiris' Flotte zu durchsuchen. Jesus, in Zukunft kann ich jedes seiner Schiffe beladen, das aus Piräus ausläuft. Die Scheinchen werden nur so heranflattern! Heroin und Antiquitäten… Entschuldigung, Viktor — er lachte laut los — Altertümer.
In der Stadionstraße betrat Tony Rizzoli eine Telefonzelle und führte zwei Gespräche. Als erstes rief er Pete Lucca in Palermo an.
«Du kannst deine beiden Gorillas zurückpfeifen, Pete, und sie wieder in den Zoo stecken, wo sie hingehören. Dein Stoff ist so gut wie unterwegs. Diesmal kommt er per Schiff.«
«Weißt du bestimmt, daß die Ladung sicher ist?«
Tony Rizzoli lachte.»So sicher wie in der Bank von England. Ich erzähl' dir davon, wenn wir uns wiedersehen. Und ich hab' eine gute Nachricht für dich: In Zukunft können wir jede Woche eine Sendung auf den Weg bringen.«
«Das ist wundervoll, Tony. Ich hab' immer gewußt, daß auf dich Verlaß ist. Ich hab' dir immer vertraut.«
Einen Dreck hast du, du Schweinehund!
Dann rief er Spyros Lambrou an.»Die Sache hat geklappt. Ihr Schwager und ich sind in Zukunft Partner.«
«Meinen Glückwunsch! Ich bin entzückt, das zu hören, Mr. Rizzoli.«
Spyros Lambrou lächelte, als er den Hörer auflegte. Auch die Rauschgiftfahnder werden entzückt sein.
Constantin Demiris blieb bis nach Mitternacht in seinem Büro am Schreibtisch sitzen und dachte über sein neues Problem nach. Er hatte sich an Noelle Page gerächt, aber nun schien sie aus dem Grab aufzuerstehen, um ihn zu quälen. Ergriff in eine Schublade seines Schreibtischs und nahm ein gerahmtes Photo Noelles heraus. Hallo, du Schlampe. Gott, wie schön sie war! Du bildest dir also ein, mich vernichten zu können? Nun, warten wir's ab. Wir werden ja sehen.