ZWÖLF

Das Geld tat seine Wirkung. Zögernd erklärte sich der Pilot bereit zu fliegen, wollte aber auf jeden Fall früh aufbrechen, um gegen Mittag wieder in Corumba zu sein. Immerhin sei Heiligabend, er habe kleine Kinder und eine wütende Frau. Valdir beschwichtigte ihn, machte Versprechungen und zahlte ihm einen beträchtlichen Vo r-schuss in bar aus.

Auch Jevy, der Führer, mit dem Valdir schon seit einer Woche verhandelte, bekam einen Vorschuss. Er war vierundzwanzig Jahre alt, ledig, ein Gewichthebertyp mit kräftigen Armen. Als er federnden Schritts in die Hotelhalle trat, trug er einen verwegenen Hut, Shorts aus Jeansstoff, schwarze Soldatenstiefel und ein ärmelloses T-Shirt. In seinem Gürtel steckte ein blitzendes Bowie-Messer mit gut zwanzig Zentimeter langer Klinge, wohl für den Fall, dass er etwas häuten musste. Er drückte Nates Hand, dass es diesem vorkam, als splitterten seine Fingerknöchel. »Born dia«, sagte er mit breitem Lächeln.

»Born dia«, erwiderte Nate mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen.

»Sprechen Sie Portugiesisch?« fragte Jevy.

»Nein, nur Englisch.«

»Kein Problem«, sagte er und lockerte endlich seinen tödlichen Griff. »Ich spreche Englisch.« Zwar tat er das mit starkem Akzent, aber bisher hatte Nate jedes Wort verstanden. »Hab ich beim Militär gelernt«, sagte Jevy stolz.

Der Mann war Nate auf Anhieb sympathisch. Er nahm Nates Aktentasche und warf der jungen Frau hinter der Theke irgendeine flotte Bemerkung zu. Sie errötete und wollte noch mehr hören.

Sein in dunklen Tarnfarben lackierter Ford Pickup Baujahr 1978 war das größte Fahrzeug, das Nate bisher in Corumba gesehen hatte. Mit seinen breiten Reifen, der Seilwinde auf der vorderen Stoßstange und den kräftigen

Schutzgittern vor den Scheinwerfergläsern erweckte es den Eindruck, urwaldtauglich zu sein. Es hatte keine Kotflügel und keine Klimaanlage.

Mit lautem Röhren ging es durch die Straßen der Stadt. Ohne auf Stoppschilder zu achten, scheuchte Jevy Autos und Motorräder aus dem Weg, deren Fahrer nichts anderes im Sinn zu haben schienen, als seinem Panzer zu entkommen. Er verlangsamte die Fahrt lediglich an roten Ampeln. Die Auspuffanlage schien den Lärm des Motors so gut wie nicht zu dämpfen, es war unklar, ob das Absicht war oder auf mangelnder Wartung beruhte. Trotz des Höllenlärms wollte Jevy unbedingt ein Gespräch mit seinem Fahrgast führen, während er das Lenkrad wie ein Rennfahrer hin und her wirbelte. Nate, der kein Wort hörte, lächelte und nickte töricht und bemühte sich mit fest auf den Boden gestemmten Füssen, auf seinem Platz zu bleiben. Mit der einen Hand hielt er sich am Fensterrahmen, mit der anderen umklammerte er den Griff der Aktentasche. An jeder Kreuzung drohte sein Herz stehen zubleiben.

Offensichtlich fuhr man hierzulande nach einem System, bei dem jeder die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung, sofern es eine solche gab, vollständig außer acht ließ. Trotzdem gab es kein Gemetzel und keine Unfälle. Jeder, auch Jevy, brachte sein Fahrzeug jeweils im letzten Augenblick zum Stehen, ließ den anderen vorbei oder wich ihm aus.

Der Flugplatz war verlassen. Jevy stellte den Wagen in der Nähe des kleinen Abfertigungsgebäudes ab. Von dort gingen sie zu Fuß zur geteerten Start- und Landebahn, an deren Rand vier Kleinflugzeuge standen. Eines von ihnen wurde gerade abflugbereit gemacht. Da Jevy den Mann nicht kannte, stellte er sich und Nate auf portugiesisch vor. Der Name des Piloten klang so ähnlich wie Milton. Er wirkte freundlich, doch war ihm deutlich anzumerken, dass er am Heiligabend lieber nicht fliegen oder sonst wie arbeiten würde.

Während sich die beiden Brasilianer miteinander unterhielten, nahm Nate das Flugzeug näher in Augenschein.

Als erstes fiel ihm an der alten einmotorigen Cessna 206 auf, dass sie einen Anstrich benötigte. Das machte ihm große Sorgen. Wenn außen der Lack abblätterte, konnte es dann im Inneren viel besser außehen? Die Reifen waren glatt. Um das Motorgehäuse herum sah man Ö1flecken.

Das Auftanken nahm eine Viertelstunde in Anspruch, und der Start verzögerte sich. Allmählich näherte sich der Uhrzeiger der Zehn. Nate holte sein hochelegantes Mobiltelefon aus der tiefen Tasche seiner Khakishorts und rief Sergio an.

Sergio trank gerade Kaffee mit seiner Frau und machte Pläne für letzte Weihnachtseinkäufe. Wieder war Nate dankbar, dass er sich außerhalb des Landes befand, fern von dem Festtagstrubel dort. An der Atlantikküste, erfuhr er, sei es nicht nur kalt, sondern sie hätten auch Schneeregen. Nate versicherte Sergio, dass es ihm nach wie vor glänzend gehe; keine Probleme.

Ich habe den Rückfall verhindert, dachte er. Er war mit frischer Entschlossenheit und Kraft aufgewacht; also erwähnte er den flüchtigen Augenblick der Schwäche Sergio gegenüber erst gar nicht. Das hätte er zwar eigentlich tun mü ssen, aber warum sollte er Sergio beunruhigen?

Während sie sich unterhielten, glitt die Sonne hinter eine dunkle Wolke, und vereinzelte Regentropfen fielen vom Himmel. Nate merkte es kaum und beendete das Gespräch nach dem üblichen »Frohe Weihnachten«.

Der Pilot erklärte, dass er bereit sei. »Fühlen Sie sich sicher?« fragte Nate Jevy, während sie die Aktentasche und einen Rucksack ins Flugzeug hievten.

Lachend erwiderte Jevy: »Was meinen Sie! Der Mann hier hat vier kleine Kinder und, wie er sagt, eine hübsche Frau. Warum sollte er sein Leben aufs Spiel setzen?«

Jevy wollte Flugstunden nehmen und nahm daher gern auf dem Sitz rechts neben Milton Platz. Das war Nate nur recht. Er hockte hinter den beiden in einem engen Sitz, Bauch- und Schultergurte so fest wie möglich gezurrt. Zögernd, für Nates Geschmack zu zögernd, sprang der Motor an. In der kleinen Kabine war es wie in einem Backofen, bis Milton sein Fenster aufschob. Die vom Propeller erzeugten Luftwirbel verhalfen ihnen zu frischer Atemluft. Die Cessna rollte hüpfend ans Ende der Startbahn. Platz war genug, denn es gab keinerlei Verkehr. Als die Maschine abhob, klebte Nate das Hemd auf der Brust, und Schweiß lief ihm über den Rücken.

Schon bald lag die Stadt unter ihnen. Sie sah von oben besser aus als vom Boden, denn aus der Luft wirkten die an den Straßen aufgereihten Häuser sauber und ordentlich. Im Zentrum herrschte so starker Verkehr, dass sich die Autos stauten. Fußgänger eilten über die Straßen. Corumba, das allmählich hinter ihnen zurückblieb, während die Maschine an Höhe gewann, lag auf einem Felsvorsprung über dem Paraguay, dem sie nach Norden folgten. Hier und da sah man Wolken. Sie spürten eine leichte Turbulenz.

Als sie in einer Höhe von zwölfhundert Metern eine große unheilverkündende Wolke durchflogen hatten, lag mit einem Mal das Pantanal in all seiner Majestät unter ihnen. Im Osten und Norden wand sich ein Dutzend kleiner Wasserläufe in Spiralen um- und durcheinander, ohne irgendwo zu enden; sie verbanden eine Sumpffläche mit hundert anderen. Da die Flüsse Hochwasser führten, gingen sie an manchen Stellen ineinander über. Das Wasser wies unterschiedliche Farbschattierungen auf: Sie reichten vom Grün der tieferen Tümpel bis hin zum Dunkelblau der stehenden Gewässer in den Sumpfgebieten und waren an manchen Stellen mit starkem Bewuchs sogar schwarz. Die lehmige Erde, welche die kleineren Nebenflüsse mit sich führten, hatte sie rötlich gefärbt, wohingegen der breite Paraguay tiefbraun wie Schokolade war. Am Horizont zeigte sich das Wasser blau, soweit das Auge reichte, und die Erde war dort grün.

Während Nate seinen Blick ost- und nordwärts schweifen ließ, sahen die beiden Brasilianer nach Westen, zu den fernen Bergen Boliviens hinüber. Eine Handbewegung Jevys erregte Nates Aufmerksamkeit. Hinter den Bergen war der Himmel deutlich dunkler.

Eine Viertelstunde nach dem Start sah Nate die erste menschliche Ansiedlung, ein Gehöft ganz in der Nähe des Paraguay. Das Wohnhaus war klein und ordentlich, mit dem üblichen Dach aus roten Ziegeln. Weiße Kühe grasten auf einer Weide und gingen am Flussufer zur Tränke. Außer der Wäsche, die an einer Leine in der Nähe des Hauses hing, gab es keinen Hinweis auf die Gegenwart von Menschen - kein Fahrzeug, keine Freileitung, keine Fernsehantenne. Ein kleiner eingefriedeter quadratischer Garten lag ein Stück weit vom Haus entfernt am Ende eines unbefestigten Weges. Als das Flugzeug in eine Wolke hineinflog, entschwand die Farm ihren Blicken. Weitere Wolken folgten. Sie wurden dichter, und Milton ging auf knapp tausend Meter herunter, um sich unter ihnen zu halten. Jevy hatte ihm gesagt, dass Nate sich das Gebiet ansehen wolle und er daher so tief wie möglich bleiben müsse. Die erste Ansiedlung der Guato lag etwa eine Flugstunde von Corumba entfernt.

Als sie einige Minuten lang den Fluss verließen, überflogen sie eine Fazenda. Jevy entfaltete seine Karte, beschrieb mit einem Finger einen Kreis um etwas herum und reichte sie Nate nach hinten. »Fazenda da Prata«, sagte er und zeigte nach unten. Auf der Karte hatten alle Fazendas Namen, ganz so, als wären es große Herrensitze. In Wahrheit wirkte die Fazenda da Prata nicht viel größer als das erste Gehöft, das Nate gesehen hatte. Es gab lediglich mehr Kühe, einige kleine Nebengebäude, und das Wohnhaus war etwas größer. Außerdem sah man einen langen geraden Landstreifen, von dem Nate erst nach einer Weile begriff, dass es sich um eine Start- und Landepiste handelte. Es gab dort keinen Fluss in der Nähe und mit Sicherheit keine Straßen. Man konnte nur auf dem Luftweg dorthin gelangen.

Die ostwärts ziehenden dunklen Wolken im Westen bereiteten Milton immer größere Sorgen. Da die Maschine nach Norden flog, schien ein Zusammentreffen unausweichlich. Jevy drehte sich um und rief Nate zu: »Ihm gefällt der Himmel dort drüben nicht.«

Das konnte Nate gut verstehen, aber er war nicht der Pilot. Da ihm nichts einfiel, was er darauf hätte sagen können, zuckte er die Achseln.

»Wir behalten die Sache ein paar Minuten im Auge«, sagte Jevy. Milton erklärte, es sei das beste, umzukehren. Nate wollte zumindest die Indianersiedlungen sehen. Noch hatte er die schwache Hoffnung nicht aufgegeben, er könne einfach dort hinfliegen, Rachel aufsuchen und vielleicht mit nach Corumba nehmen, wo man sich bei einem Mittagessen in einem netten Restaurant über den Nachlass ihres Vaters unterhalten konnte. Diese schwache Hoffnung schwand rasch.

Mit einem Hubschrauber müsste es vielleicht gehen. Bestimmt konnte Josh als Nachlaßverwalter die Kosten dafür aufbringen. Sobald Jevy die richtige Indianersiedlung und die richtige Stelle für eine Landung fand, würde Nate einen Hubschrauber mieten.

Er gab sich Tagträumen hin.

Wieder überflogen sie eine kleine Fazenda, diesmal nahe am Paraguay. Regentropfen prallten gegen die Scheiben der Kabine, und Milton ging auf sechshundert Meter herunter. Links von ihnen zeigte sich ganz in der Nähe eine majestätische Bergkette, und unter ihnen schlängelte sich der Fluss durch dichte Waldgebiete.

Über die Gipfel des Gebirges raste die Gewitterfront heran. Mit einem Mal war der Himmel viel dunkler als zuvor, und Böen beutelten die Cessna so heftig, dass sie durchsackte, wobei Nate mit dem Kopf ans Kabinendach schlug. Angst packte ihn.

»Wir kehren um«, rief ihm Jevy zu. Nate hätte nichts dagegen gehabt, wenn Jevys Stimme gelassener geklungen hätte. Auf Miltons Gesicht war keine Regung zu erkennen, aber die lässige Flieger-Sonnenbrille war verschwunden, und Schweiß bedeckte seine Stirn. Die Maschine machte einen scharfen Schwenk nach rechts, ostwärts, dann südostwärts. Als die Kehre nach Süden vollzogen war, erwartete sie ein Anblick, der Nates Herz stocken ließ. Auch in Richtung Corumba war der Himmel schwarz.

Damit wollte Milton nichts zu tun haben. Rasch drehte er nach Osten ab und sagte etwas zu Jevy.

»Wir können nicht nach Corumba zurück«, brüllte Jevy nach hinten. »Er will Ausschau nach einer Fazenda halten. Da landen wir und warten, bis die Gewitterfront vorbei ist.« Seine Stimme war schrill und besorgt, der Akzent, mit dem er sprach, deutlicher ausgeprägt als vorher.

Nate nickte, so gut er konnte. Sein Kopf flog von einer Seite auf die andere, vom Schlag ans Kabinendach hatte er Kopfschmerzen. Außerdem spürte er, wie sich sein Magen hob.

Einige Minuten lang sah es so aus, als könne die Cessna das Rennen gewinnen. Na klar, dachte Nate, ein Flugzeug, ganz gleich, ob klein oder groß, kann einem Gewitter auf jeden F all davonfliegen. Er rieb sich den Schädel und verkniff es sich, nach unten zu sehen. Doch jetzt kamen die dunklen Wolken von beiden Seiten.

Was für ein zurückgebliebener, hirnrissiger Pilot war das eigentlich, dass er ohne den geringsten Blick auf das Wetterradar einen Flug antrat? Andererseits war das Radar, immer vorausgesetzt, die Leute hatten überhaupt eins, wahrscheinlich zwanzig Jahre alt und bereits wegen der Feiertage abgeschaltet.

Die Winde umtosten das Kleinflugzeug, und der Regen hämmerte gegen Scheiben und Rumpf. Dichte Wolken zogen vorüber. Die Gewitterfront holte sie ein, überholte sie, und die Maschine wurde von einer Seite zur anderen geschleudert, tanzte auf und ab. Volle zwei Minuten lang gehorchte sie wegen der Turbulenzen dem Steuer nicht. Es war eher ein Ritt auf einem Mustang als ein Flug durch die Wolken.

Bei einem Blick aus dem Fenster merkte Nate, dass nichts zu sehen war: weder Wasser noch Sumpf, und erst recht keine freundliche kleine Fazenda mit einer Landebahn. Er ließ sich noch tiefer in seinen Sitz sinken. Mit zusammengebissenen Zähnen nahm er sich vor, sich auf keinen Fall zu übergeben.

Als die Maschine in einem Luftloch in weniger als zwei Sekunden dreißig Meter durchsackte, stießen alle drei Männer Verwünschungen aus. Die Angst in der Kabine war geradezu mit Händen zu greifen.

Dann trat eine sehr kurze Pause ein, in der die Luft stillzustehen schien. Milton schob den Steuerknüppel nach vorn und zog die Maschine steil nach unten. Nate hielt sich mit beiden Händen an der Rückenlehne vor ihm fest und kam sich zum ersten und hoffentlich einzigen Mal in seinem Leben wie ein Kamikazeflieger vor. Sein Herz raste, sein Magen schien ihm in der Kehle zusitzen. Er schloss die Augen und dachte an Sergio und an den Yogalehrer von Walnut Hill, der ihm Beten und Meditieren beigebracht hatte. Er versuchte beides, aber das erwies sich für jemanden, der in einem zu Boden stürzenden Flugzeug gefangen saß, als unmöglich. Der Tod war nur noch Sekunden entfernt.

Ein Donnerschlag unmittelbar über der Cessna betäubte und erschütterte sie bis ins Mark. Es war, als hätte man in einem dunklen Zimmer ein Gewehr abgefeuert. Nate hatte den Eindruck, seine Trommelfelle wären geplatzt.

In hundertfünfzig Metern Höhe fing Milton die Maschine ab. Der Sturzflug war zu Ende, die Böen aber nicht. »Halten Sie Ausschau nach einer Fazenda\« schrie Jevy vom Vordersitz, und Nate sah zögernd hinaus. Regen und Sturm hämmerten auf den Boden unter ihnen. Die Bäume schwankten, und auf den Wasserflächen tanzten Schaumkronen. Jevy suchte auf der Karte herum, aber sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, wo sie sich befanden.

Der weiß wie Gischt herabströmende Regen verminderte die Sicht auf hundert, vielleicht zweihundert Meter. Mitunter konnte Nate den Boden kaum erkennen. Wahre Sturzbäche von Regen umgaben sie, die der orkanartige Wind seitwärts trieb. Wie ein Kinderdrachen tanzte das Flugzeug durch die Luft. Milton bemühte sich mit allen Kräften, die Herrschaft über die Maschine zu behalten, während Jevy verzweifelt in alle Richtungen spähte. Sie waren nicht bereit, kampflos unterzugehen.

Aber Nate gab auf. Wie wollte jemand sicher landen, der nicht einmal den Boden sehen konnte? Das Gewitter hatte seinen Höhepunkt noch vor sich. Alles war aus.

Er dachte nicht daran, mit Gott zu feilschen. Das Schicksal, das ihn erwartete, hatte er mit seinem Lebenswandel verdient. Hunderte von Menschen kommen jedes Jahr bei Flugzeugabstürzen um; er war nicht besser als andere. Unmittelbar unter ihnen sah er ein Stück Fluss, und mit einem Mal fielen ihm die Kaimane und Anakondas ein.

Die Vorstellung einer Notlandung im Sumpf erfüllte ihn mit Entsetzen. Er sah sich schon schwer verletzt ums Überleben kämpfen, stellte sich vor, wie er versuchte, das verdammte Satellitentelefon in Gang zu setzen, während er gleichzeitig hungrige Reptilien abwehrte.

Ein erneuter Donnerschlag erschütterte die Kabine. Nate beschloss, jetzt doch zu kämpfen. Er spähte im vergeblichen Bemühen unter sich, eine Fazenda zu entdecken. Ein Blitz blendete sie einen Augenblick lang. Der Motor geriet ins Stottern und wäre fast stehen geblieben, fing sich dann und lief weiter. Milton ging auf hundertzwanzig Meter herunter. Unter normalen Umständen war das im Pantanal eine sichere Flughöhe. Zumindest brauchte man sich dort keine Sorgen wegen Hügeln oder anderen Bodenerhebungen zu machen.

Nate zerrte seinen Schultergurt noch fester und übergab sich dann zwischen die Beine. Es war ihm nicht im geringsten peinlich. Er spürte nichts als nacktes Entsetzen.

Die Dunkelheit verschlang sie. Milton und Jevy wurden so durchgeschüttelt, dass sie mit den Schultern aneinander stießen. Immer wieder gaben sie brüllende Laute von sich, während sie sich bemühten, die Herrschaft über das Flugzeug nicht zu verlieren. Die Karte hing Jevy zwischen den Beinen, sie war mittlerweile völlig nutzlos.

Die Gewitterfront schob sich jetzt auch unter sie. Milton ging auf sechzig Meter herunter, so dass man hin und wieder einen Blick auf den Boden erhaschen konnte. Eine Bö schleuderte die Cessna buchstäblich beiseite, und Nate begriff, wie hilflos sie waren. Er sah etwas Weißes unter sich, schrie und zeigte hin. »Eine Kuh, eine Kuh!« Jevy brüllte Milton das portugiesische Wort ins Ohr.

In so dichtem Regen, dass er ihnen jegliche Sicht nahm, gingen sie durch die Wolken auf fünfundzwanzig Meter herunter und flogen unmittelbar über das rote Dach eines Hauses. Erneut schrie Jevy etwas und wies nach rechts. Die Landebahn kam Nate nicht länger vor als eine Garagenauffahrt in einer Vorstadtsiedlung. Vermutlich war eine Landung dort sogar bei gutem Wetter ein gefährliches Unterfangen. Aber ihnen blieb keine Wahl. Im Fall einer Bruchlandung waren zumindest Menschen in der Nähe.

Für eine Landung mit dem Wind war es zu spät, und so wendete Milton mit größter Anstrengung, um gegen den Wind heruntergehen zu können. Die Böen schleuderten sie hierhin und dorthin, und es kam Nate vor, als stehe die Cessna über dem Boden still. Wegen des dichten Regens betrug die Sicht inzwischen fast null. Nate beugte sich vor, um die Landebahn sehen zu können, erkannte aber lediglich Wasserströme auf der Windschutzscheibe. In fünfzehn Meter Höhe wurde die Cessna zur Seite geschleudert. Milton fing sie ab und brachte sie wieder in die richtige Lage. Jevy brüllte: »Vacas! Vacas!« Nate begriff sofort, dass er damit Kühe meinte. Er sah sie ebenfalls. Es gelang ihnen, der ersten aus-zuweichen.

In dem sich wirr abspulenden Film, den Nate wahrnahm, bevor die Maschine aufschlug, sah er einen Jungen mit einem Stock, der angstvoll und klatschnass durch das hohe Gras wankte, und eine Kuh, die davonlief. Er sah, wie sich Jevy in seinem Sitz feststemmte, während er mit wildem Blick nach vorn starrte. Sein Mund war weit geöffnet, aber kein Laut kam heraus.

Sie setzten auf dem Gras auf, rollten aber weiter. Es war eine sehr harte Landung, aber kein Absturz, und in diesem Sekundenbruchteil hoffte Nate, dass sie nicht sterben würden. Eine weitere Bö hob sie einige Meter hoch, dann setzte die Maschine erneut auf.

»Vaca! Vaca!«

Der Propeller erfasste eine große Kuh, die neugierig stehen geblieben war. Die Maschine wurde herumgerissen, alle Scheiben fielen heraus, alle drei Männer schrien ihre letzten Worte.

Als Nate zu sich kam, merkte er, dass er blutüberströmt war. Er lag auf der Seite, hatte entsetzliche Angst, aber er lebte. Mit einem Mal fiel ihm auf, dass es immer noch regnete. Der Wind heulte durch das Flugzeug. Milton und Jevy lagen mit wirr ineinander verschlungenen Gliedmaßen aufeinander, bewegten sich aber ebenfalls und versuchten sich aus den Gurten zu befreien.

Nate steckte den Kopf zum Fenster hinaus. Das Flugzeug lag seitwärts auf einer abgeknickten Tragfläche. Alles war mit Blut bedeckt, das aber stammte von der Kuh und nicht von den Menschen in der Kabine. Der Regen, der immer noch in dichten Strömen herunterkam, wusch es rasch ab.

Der Junge mit dem Stock führte sie zu einem kleinen Stallgebäude nahe der Landebahn. In Sicherheit vor dem Gewitter ließ sich Milton auf die Knie nieder und murmelte ein aufrichtiges Gebet zur Jungfrau Maria vor sich hin. Nate sah ihm zu und betete sozusagen mit ihm.

Niemand war ernsthaft verletzt. Milton hatte eine leichte Schnittwunde auf der Stirn. Jevys rechtes Handgelenk war geschwollen. Später würden ihnen wahrscheinlich alle Knochen im Leibe weh tun.

Sie saßen lange auf dem nackten Boden, sahen in den Regen hinaus, hörten den Wind, dachten an das, was hätte geschehen können, und schwiegen.

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